Morgenausgabe
Nr. 351
A 173
49. Jahrgang
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Teils
Vorwärts
Berliner Bolksblatt
Donnerstag 28. Juli 1932 Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.
Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschl
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Vernichtende Anklagen gegen das neue System.
Herr Reichsfanzler!
Da ich auf mein Schreiben vom 22. dieses Monats ohne Antwort geblieben bin, moraus ich wohl entnehmen muß, daß Sie mir nicht Belegenheit geben wollen, Ihnen im Rundfunk zu ermidern, sehe ich mich genötigt, Ihnen auf Ihre Rundfunkrede öffentlich durch die Presse zu antworten:
Die Gründe Ihres in der Verfassungsgeschichte konstitutionell regierter Bundesstaaten ohne Beispiel dastehenden Borgehens haben Sie gemäß brieflicher Mitteilung an mich in Ihrer Rundfunkrede am 20. Juli dargelegt. In dieser Rede erheben Sie gegen
Zwei Tote, fünfzig Verletzte.
weisantritts, ohne Angabe von Namen und Zeit wiedergegebenen Gerüchte von der angeblich kommuniftenfreundlichen Einstellung„ hoher Funktionäre" oder„ eines Polizeipräsidenten"
nicht das mindeste bedeuten.
Es ist ja auch überaus charakteristisch, daß von Ihnen, Herr Reichskanzler, vorher erst gar nicht der Versuch unternommen davon mit dem Ersuchen aus Abstellung dieser angeblichen personalworden ist, gemäß Artikel 15 der RV. die preußische Regierung politischen Mängel zu benachrichtigen. Ich wünschte nur im Inter esse unferes deutschen Volkes, daß die unter Ihrer Leitung, Herr Reichskanzler, stehende Reichsregierung ebenso unabhängig von der Nationalsozialistischen Bartei wäre, wie die verfassungsmäßige preußische Regierung von der Kommunistischen Partei!
Wie die preußische Staatsregierung seit Jahr und Tag von den Kommunisten berannt und bekämpft wird, mußten gerade Sie, Herr Reichskanzler, aus der Zeit Ihrer Abgeordnetentätigkeit im Preußischen Landtag aus eigener Anschauung wissen. Auch Am Bahnhof Gesundbrunnen ereignete sich gestern um fann Ihnen nicht unbekannt geblieben sein, daß im neugewählten 19 Uhr ein schweres Eisenbahnunglück. Ein aus Siral Landtag die Kommunisten mit den Nationalsozialisten ebenso wie sund kommender Personenzug wurde von einer im alten Landtag, trotz gelegentlicher Prügeleien meist in ge Leerlokomotive, die ein Haltsignal überfahren hatte, geschlossener Einheitsfront gegen die preußische Regierung stehen. rammt. Fünf Wagen stürzten um und bildeten ein Der Jubel, mit dem nach glaubwürdigen Zeitungsberichten unentwirrbares Durcheinander, aus dem die Hilferufe der kommunistische Versammlungen die Kunde von der Amtsentsetzung Verlegten ertönten. Rettungsamt und ein Sanitätszug waren sofort zur Stelle. Es wurden zwei tote Frauen und fünfzig, teils schwer, teils leicht Verletzte aus den Trümmern geborgen. Eine der Toten ist eine Frau Linkhart, Schliemannstraße 39. Die Persönlichkeit der zweiten Frau konnte noch nicht festgestellt werden.
( Näheres fiehe 1. Beilage.)
die preußische Staatsregierung schwerwiegende Beschuldigungen, die jeder tatsächlichen Grundlage entbehren. Ich bin der Ansicht, daß ein leitender Staatsmann, noch dazu in dieser Situation, nicht verdächtigen durfte, sondern sachlich begründen mußte. Keine Ihrer Behauptungen ist in einer Form vorgebracht, die eine sa chliche Nachprüfung möglich macht.
Es ist Ihnen daher auch nicht gelungen, nachzuweisen, daß die Boraussetzungen für die Anwendung des Artikels 48 der Reichsverfaffung gegen die preußische Staatsregierung gegeben waren. Denn diese Voraussetzungen- Störungen der öffentlichen Ruhe und Ordnung, deren die Staatsregierung aus eigener kraft nicht hätte Herr werden können oder wollen, oder ein anderer gefahrbringender Notstand waren einfach nicht vorhanden und können auch mit Gewalt nicht konstruiert werden.
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Es ist unrichtig, daß, wie Sie sagten, die Entwicklung der politischen Verhältnisse in Preußen einer Reihe von maßgebenden Bersönlichkeiten die innere Unabhängigkeit genommen habe, alle erforderlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der staatsfeindlichen Betätigung der Kommunistischen Partei zu treffen". Die preu Bische Staatsregierung, die noch wenige Tage vor den Landtagswahlen polizeiliche Haussuchungen bei der Kommunistischen Partei hatte vornehmen lassen, weil der Verdacht gesezwidriger Handlungen vorlag, ist jeder staatsfeindlichen gegen die Geseze ver stoßenden Betätigung der links und rechtsradikalen Parteien mit gleichen Mitteln auf das schärfste entgegengetreten. Mehr als ein deutscher Reichskanzler hat im Verlaufe meiner zwölfjährigen Ministerpräsidentschaft der Staatsregierung und mir den Dan? dafür ausgesprochen, daß die ruhige und stetige Arbeit der preußifchen Staatsregierung und ihr musterhaft funktionierender Polizeiapparat in schweren deutschen Krisenzeiten dem Reiche eine wertvolle Stüze gewesen sei.
Diefen geschichtlichen Berdienffen der preußischen Regierung gegenüber können die ohne den Versuch eines Be
meines Kollegen Severing und meiner Person aufgenommen haben, hätte auch Sie stubig machen müssen.
Ihren Behauptungen, daß nur in Preußen die kommunistischen Kampforganisationen zur ständigen Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung angewachsen wären, und daß nur dort der Wahlkampf so blutig geworden sei, stelle ich neben der Tatsache, daß blutige Zusammenstöße auch außerhalb Preußens vorkommen, gegen, daß bei der starken Industrialisierung Preußens und bei der die jedem Unvoreingenommenen einleuchtende andere Tatsache entden anderen Ländern gegenüber häufigeren Zusammenballung der Bevölkerung in den Großstädten und Industriezentren mit ihrer besonders hohen Arbeitslosenziffer naturgemäß die größten Unruheherde auch in Preußen liegen.
Die ohnehin in diesen Zentren vorhandene Schärfe der politischen Gegensätze ist aber auf das bedauerlichste und unerträglichste dadurch gesteigert worden, daß entgegen den dringenden Warnungen fast aller Länderregierungen, die in den Erfahrungen ihrer langjährigen Polizeipraris begründet waren, von der Reichsregierung das Uniformverbot für die sich nicht nur in Preußen durch ihr gewalttätiges Vorgehen auszeichnenden S.- Formationen der Nationalsozialistischen Partei qufgehoben und damit der Kampf auf den Straßen aufs neue entfesselt wurde.
Das Verlangen, die preußische Staatsregierung habe grund
Nun holt zum letzten Schlage aus!
Wähler und Wählerinnen!
Am Sonntag schmiedet das deutsche Volk sein künftiges Geschick.
Ein Wahlkampf unerhört, wie ihn die deutsche Geschichte noch nie erlebt, liegt dann hinter uns. Millionen Männer und Frauen standen als begeisterte Streiter in der Eisernen Front. Die drei Pfeile waren das Symbol unseres Kampfes: Aktivität, Disziplin, Einigkeit.
Es geht um die Freiheit!
Hunderte unserer Mitkämpfer haben ihre Treue im Kampfe für die Freiheit mit ihrem Blute bezahlt. Kein Terror, keine Drohung, keine Lockung vermochte sie irre zu machen.
Nun steht ihr am Sonntag am Amboß der Zeit; im Zeichen der Eisernen Front unter dem Banner der Sozialdemokratie.
Sie kämpft für politische Freiheit, wirtschaftliche Sicherheit und geistige Erneuerung.
Sie kämpft für Abwehr eines Schreckensregiments, das politische Abenteurer mit dem Golde ihrer Gönner aufrichten wollen.
Sie kämpft für die Wohlfahrt der Millionen Hilfsbedürftiger und Bedrängter, für die Opfer der Krise und der Arbeit, für die Kriegsbeschädigten, für alle Alten, Schwachen und Armen. Der Staat darf nicht zu einer Wohlfahrtsanstalt der Großkapitalisten, der Bankfürsten und der ostelbischen Großgrundbesitzer werden.
Heraus zur Entscheidung! Der Stimmzettel ist jetzt der Hammer in eurer Hand. Gebraucht ihn! Rüttelt die Gleichgültigen, die Irregeführten, die Verzagten auf! Reißt sie mit eurer Begeisterung fort! Formiert die Einheitsfront des kämpfenden Volkes im Zeichen der Eisernen Front: Aktivität, Disziplin, Einigkeit!
Schlagt die Reaktion! Die Banner hoch! Vorwärts und durch! Freiheit!
Die Reichskampfleitung der Eisernen Front
Morgen Appell in
Neukölln!