Beilage
Dienstag, 2. August 1932
Wilhelm auf Urlaub
Der Abend
Spalausgabe des Vorwärts
Es sind zwei dice, mit vielen Photos Wilhelms II. und seiner Dackel geschmückte Bände und heißen: Fürst Philipp zu Eulenburg , Mit dem Kaiser als Staatsmann und Freund auf Nordlandreisen". Aber wenn die Empfehlung des Verlags Carl Reißner, Dresden , dieses Opus als den„, Schlußstein aller Memoirenliteratur der wilhelminischen Epoche" und als eines der aufschlußreichsten Erinnerungswerke" anpreist, ist das nicht nur leicht übertrieben. Denn von diesen mehr als 760 Seiten werden die meisten durch Berichte gefüllt, die Wil helms II. Spezi, Philipp Eulenburg , Balladendichter und fänger und sonst noch einiges, von der üblichen Nordlandreise der Jacht ,, Hohenzollern " alleruntertänigst" an die Kaiserin richtete, um die stets ob der Impulsivität und Sprunghaftigkeit ihres Gatten Besorgte zu beruhigen. Diese Zweckbriefe sind also das Gegenteil einer objektiven Darstellung, zumal der Schreiber damit rechnen mußte, daß sie später auch von dem Hohenzollern gelesen würden. Daher wird mit faustdickem Lob nicht gespart. In allem Ernst ist die Rede von dem Idealismus in dem kräftigen Wesen des Kaisers" und tatü tata!
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Don
,, der ganzen Einfachheit und Schlichtheit feiner Art". Es heißt einmal: Mit dem Euer Majestät bekannten Widerstreben ließ sich der Kaiser auf den verschiedenen Halteplägen feiern." Ob der Eulenburger nicht selber spizzbübisch lächelte, wenn er so einen ,, Wilhelm, wie er sein sollte" statt eines Wilhelm, wie er ist" malte?
Da das ganze Werk fast nur Nichtigkeiten in nichtiger Weise behandelt, dunstet es Langeweile in dicken Schwaden aus. Auch die Schilderung selber steht nicht so hoch, daß sie den faden Stoff schmackhaft machte; ganz felten einmal ein treffend ulkiger Vergleich wie die Behauptung, daß das Bier in England so schmecke, wie alte Gummimäntel riechen. Dafür viel Médisance, zu deutsch : Vonoben- herab- Urteilerei, meist auf Kosten der Zufallsgäste der ,, Hohen zollern ", die der Hofgesellschaft nicht angehören. 1901 etwa, als die Jacht vor Gudvangen in Norwegen liegt, sind zum Essen geladen ,, Regierungsrat Herr von Seher mit Frau, Herr und Frau von Guilleaume aus Köln und Regierungsrat Röse, Direktor der königlichen Kunstdruckerei in Berlin . Ganz nette, aber verlegene Leute. Die Damen waren von der kaiserlichen Gegenwart und Huld so benommen, daß, wenn man einen Versuch machte, mit ihnen zu konversieren, sie einen nur mit ganz gläsernen Augen anstierten, ohne zu antworten." Ueberschrift: Untertanen! Immerhin fällt manches Streiflicht auf das Wesen des hohen Nordlandreisenden, der sich an Bord der Hohenzollern " auf Urlaub befindet, um sich von dem Wirbel seines Hezdaseins bei gutem Wetter, reiner Luft und Stille richtig zu erholen. Aber Stille um Wilhelm II. ? Morgens 7% Uhr tönt ein dröhnender Gong durch das ganze Schiff, und um 8 Uhr bringt, von der Matrosenkapelle gespielt, eil Dir im Siegertran z" die Bläser auf dem Tisch zum Erzittern. Mit diesem„ Höllenſpektakel", wie es Gulen burg unangenehm berührt, geht es den ganzen Tag weiter; 1903 berichtet der Fürst in einem Brief an seine Gattin, wo er aus seinem Herzen keine Mördergrube zu machen braucht: ,, Nach dem Essen spielte die Kapelle entseglich laute Stücke. Besonders einen wahrhaft grauenhaft rohen amerikanischen Tanz auf Wunsch des Kaisers zweimal.
Der Rhythmus entzückt ihn ja leider stets mehr als die Melodie." Der Umgebung ist eingeschärft worden, aufregende Gesprächsstoffe nach Kräften zu vermeiden, aber", seufzt Eulenburg ,,, was soll man machen, wenn der Kaiser beginnt?"
Immer wieder gibt es Betrieb" und Trara durch Besuche: auswärtige Fürstlichkeiten oder das Offizierkorps eines englischen, französischen oder norwegischen Kriegsschiffes, das mit der Hohen zollern " im gleichen Hafen liegt. Daneben fehlt es auch nicht an nervenberuhigendem, weil mehr als harmlojem Zeitvertreib: Land ausflüge, Statpartien, 3itherspiel, nach dem Essen ein ,, Bombardement mit zusammengedrehten Servietten", das alle in höchste Heiter teit versetzt, oder:„ Nach dem Frühstück warf man mit Steinen nach Flaschen, und es herrschte große Heiterkeit. Besonders aber bei der Rückfahrt auf dem See, wo eine Art Seeschlacht aufgeführt wurde, indem man sich gegenseitig hit Wasser besprizte." Paßt es dem Kaiser nicht, daß andere beim Stat sigen, läßt er sie auch aus einer Delspritze mit Wasser besprißen; auch liebt er es, seine Fahrt: genossen, und seien es die höchsten militärischen Würdenträger, in den Hintern zu fneifen und zu fizeln. Ich", vermeldet Eulenburg seiner Gattir, habe niemals dazu gehört, und der Kaiser hat wohl empfunden, daß es sonderbare Folgen gehabt hätte, ich hätte es mir nämlich verbeten." Die andern aber, Byzantiner, wie sie im Buch stehen, verbitten sich nichts, und so wird der Gutmütigste, wie der Freiherr von Senden Bibran, Admiral und später Chef des Mariniekabinetts, zum Spielball übler Scherze. Ueberhaupt entspricht der tagtägliche Uk an Bord, über den sich S. M. göttlich amüsiert, dern Niveau einer Kadettenstube oder eines Herrenabends; von wahrem Wiz und echtem Geist keine Spur. Selbst Fürst Eulenburg verspürt, nachdem er diese Nordlandfahrt über ein Duzendmal mitgemacht hat, einen Ekel an dem steten schalen Spaß.„ Der Widerspruch der Jahre", schreibt er nicht etwa an die Kaiserin, sondern nach Hause, zu der krampfhaften Heiterfeit, verlegt mich am meisten. Die Fahrtgenossen sind ohne Ausnahme zu hohen Würden gestiegen: Fürsten , Exzellenzen, Geheimräte und Professoren sind aus den Grafen, Majoren und Malern geworden, und sie sind alle recht verbraucht. Aber es bleibt doch noch genug Energie, um heiter, frisch, wizig, ja, geistreich zu erscheinen. So frisch, daß alles morgens turnen
kann. Mich efelt das se hr. Ich kann
diese Erzellenzen, die Kniebeuge machen, nicht mehr ertragen, auch nicht mehr Wize vor morgens neun Uhr. Bisweilen frage ich mich, wie es der Kaiser erträgt, der doch auch fünfzehn Jahre älter wurde und er stiftet oft felber das alles a n."
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Dafür erfährt die Kaiserin von der ernsten Arbeit", die ihr Mann zwischendurch erledigt. In Wirklichkeit sieht das so aus: ,, Der Kaiser hatte nach Eintreffen der Berliner Post drei bis vier hundert Untersdgriften zu geben und widmete sich dieser Aufgabe, nachdem Hülsen von Seiner Majestät eine schöne Krawattennadel zum Geschenk erhalten hatte. Während der Kaijer im Salon die Unterschriften gab, musizierten Görg, Hülsen und ich in demselben Raum während drei Stunden." Bon
depesche aufgeben will, mit der Frage nach der nächsten Telegraphen= station an den Ersten Offizier der Jacht, Kapitänleutnant von Grumme. Ein Achselzucken ist die Antwort.
Darauf die weitere Frage:„ Ja, aber wohin fahren wir denn?" und die Erwiderung: ,, Das weiß ich auch nicht!" Eulenburg eilt zum Kommandanten des Schiffes: ,, Wohin fahren wir, Herr von Bodenhausen? Ich muß dringende Depeschen aufgeben."
der großen Politik weht ab und zu ein Hauch in die fröhliche| hinter sich hat, wendet sich Eulenburg, weil er eine StaatsTafelrunde. Bismarcks Tod stört 1898, und zwei Jahre später hält der Chinafeldzug alles in Atem. Im Juni 1903 haben die Reichstagswahlen den großen Erfolg der Sozialdemokratie gebracht. Der Berschmetterer der Arbeiterpartei steht unter diesem Eindruck, als er in Bergen, wie üblich, bei dem deutschen Konsul Mohr zu Gast ist: ,, Der Kaiser versenkte sich nach dem Essen mit der ihm eigenen Vertrauensseligkeit in ein Gespräch über die Sozialdemokratie und hatte sich dazu den Schwiegersohn des Hauses, Kersten, ausgesucht." Schade, daß der Leser über diese sicher saftige Unterhaltung nichts erfährt. Schade, daß von den politischen Offen barungen Wilhelms überhaupt das meiste unterschlagen wird. Eine Kostprobe macht allen möglichen Appetit: am 17. Juli 1889 erhält der Kaiser auf der Hohenzollern " die Mitteilung, daß ihn Großmama, die Queen Viktoria, zum Großadmiral der englischen Flotte ernennen werde. Das nimmt der Hohenzoller nicht etwa als eine leere Form hin, o nein, er vertraut Eulenburg sofort an, daß er es sich zur Aufgabe stellen werde,
die englische Flofte völlig zu reorganisieren,
um bündnisfähige Freunde zu haben". Was hätte Wilhelm wohl für ein Gesicht geschnitten, wenn sich der Prinz von Wales, zum Chef der Deuter Kürassiere ernannt, anheischig gemacht hätte, nun einmal den rechten Murr in die preußische Kavallerie hineinzubringen!
Ergänzt derart das Werk, das doch den letzten deutschen Kaiser im schmeichelhaften Licht zeigen soll, das Bild, das die Geschichte von ihm entworfen hat, so findet sich eine Szene von geradezu erschütternder Symbolik auf diesen Seiten. Alls, im Juli 1898, die ,, Hohenzollern " die Inselgruppe der Lofoten
Der Kommandant: ,, Das weiß ich wirklich nicht. Grumme, hat Seine Majestät nichts befohlen?"
Grumme: ,, Nein!"
Eulenburg( in höchstem Erstaunen zum Kaiser): ,, Verzeihen Eure Majestät die Frage. Wohin fahren wir?"
Der Kaiser: Wohin wir fahren? Bodenhausen!" Der Kommandant: ,, Eure Majestät befehlen?" Der Kaiser: ,, Bodenhausen. wohin fahren wir?" Der Kommandant: Wir fahren... ja, Euer Majestät haben... wohl befohlen... wohl noch nicht befohlen?"
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Zum Schluß tritt Eulenburg zu dem Steuermann, der die Hand an der Kurbel hat:„ Na, wohin geht die Fahrt des Raisers? Norden? Süden? Osten? Westen?" ,, Nee", sagt der Seebär gedehnt,
,, id fahre nur man so drauflos."
Ganz ähnlich ,,, nur man so drauflos", fuhr auch das Reichsschiff, auf dessen Kommandobrücke hochgemut Wilhelm II. stand, und niemand von den Verantwortlichen hatte eine Ahnung, wohin die Fahrt ging, bis es im August 1914 allen flar wurde. Aber da war es zu spät.
Nicht mit den Augen des Globetrotters gesehen
Als der erste Glockenton der nahen orthodoxen Kirche durch| Julihize brütenden Landschaft und Stadt. Hier hausten die alten den grau- violetten Schleier der Morgendämmerung den wahrhaft rosenroten Sonnenaufgang begrüßte, troch ich wie gerädert, tief aufatmend, unter dem Moskitonetz meines angeblich desinfizierten Hotelbettes hervor. Kali nikta"( Gute Nacht!) hatte mir gestern abend der Hotelier geschäftsmäßig freundlich gewünscht. Gottlob, daß diese gute" Nacht mit ihren tausendfältigen Martern hinter mir liegt! Troz des Nezes hatten Legionen Moskitos und sonstige fliegende, laufende und hüpfende, stechende, beißende und zwickende Injetten ein mutwilliges Spiel mit meinem armen Körper getrieben, bis er endlich gegen drei Uhr morgens totmatt und schid salsergeben in abgrundtiefen Schlaf gesunken war
Obgleich es erst 6 Uhr( jüdosteuropäischer Zeit) ist, beginnt schon reger und lärmender Verkehr auf den Straßen. Denn Morgenstunde hat in Saloniki erträgliche Sonne und leichte Seebrise im Munde. Auf der Terrasse eines Kafenions" in der Wardarstraße, der Hauptverkehrsader der Stadt, schlürfe ich den würzigen Türkenkaffee, der neues Leben in die zerschundenen Glieder zaubert. Kaum hatte ich mich niedergelassen, als ein braunhäutiger Knirps, mit einem pathetisch bemalten Kasten bewaffnet, wortlos unter den Tisch kriecht und sich der Schuhe bemächtigt, die hier ewig staubig sind. Vier Riesenbürsten, mehrere Lappen und gegen ein halbes Dutzend Tiegel und Fläschchen zückt der Kleine, und innerhalb fünf Minuten sind meine derben Touristenschuhe in wahre Lackstiefel verwandelt. Für 1 Drachme ( etwa 5 Reichspfennige)!
Draußen rasseln mit ohrenbetäubendem Klingeln und schrillen Pfiffen die Trambahnwagen vorüber. Saloniti mit seinen mehr als 200 000 Einwohnern hat nur zwei Straßenbahnlinien, eine auf der Wardarstraße, die andere auf dem Kai. In den Stunden des Hauptverkehrs gleichen die fleinen, nicht sehr sauberen Wagen Bienenkörben. So gegen 50 Personen drücken sich im gewöhnlich nach Desinfektion ,, duftenden" Wageninnern; etwa ein Dußend drängelt sich auf den Trittbrettern, und fünf, sechs Jungen und Burschen hängen an der hinteren Plattform. Kein Schaffner und kein Schuhmann schreitet dagegen ein. Bei den wenigen Wagen und dem starken Andrange muß das halt so sein. Uebrigens ist man in Saloniki gemütlich. Den Triebwagenführern ist die Unterhaltung mit den Fahrgästen nicht untersagt; so ein Verbot kennt man im redseligen Griechenland nicht. Das wäre einfach unfair. Wer vorn im Führerftande fährt, fann bei dem Konduktor auch Zeitungen erstehen, die dieser in Kommission vertreibt. Ein Grieche, sofern er nicht Analphabet, ist übrigens ohne Zeitung ebenso unvorstellbar wie ein Münchener ohne Bier. Auf dem Wege zur Fabrik, zum Büro, zum Geschäft, in der Arbeitspause, jeder schreitet oder fährt geistesabwesend hinter der Zeitung verborgen. Reitet der Milchverkäufer nach getaner Arbeit auf seinem Grautier ins Dorf zurück, dann sind von ihm nur die schaukelnden Beine zu sehen. Kopf und Körper sind hinter der bedruckten weißen Wand versteckt. Die schreienden und heulenden Zeitungsjungen haben sich trotz der allgemeinen schweren Krise noch nicht über Abjagmangel zu beklagen. Der Grieche verzichtet lieber auf ein Stüd Brot als auf seine Zeitung. Da Saloniki , das der Grieche Thessalonike, der Türke Selanik und der Slawe Solun nennt, von einem bunten Völkergemisch die Hälfte der Einwohnerschaft sind spaniolische Juden, ein Viertel Griechen und der Rest Türken, Bulgaren , Mazedowalachen u. a. m. bewohnt ist, erscheinen hier Zeitungen in den verschiedensten Sprachen, deren Namen nur einem Vielsprachler geläufig werden können. Und das ist jeder Zeitungsjunge in Saloniki .
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Von der am Ostrande der Stadt gelegenen Zitadelle, an deren Stelle ehemals die Akropolis der Thessalonicher lag, bietet sich ein herrlicher Ausblick auf die Landschaft. Im Rücken und weit nach rechts vorstrebend das Gebirgsmassiv des Chortiatsch, zu dessen Füßen sich die schöne weiße Stadt dehnt. Im Hintergrunde der ins Aegäische Meer auslaufende Golf von Saloniki und in weiter dunstiger Ferne die ewig schneebedeckte Kuppe des jagenumwobenen Götterberges Olymp. Die Schicksale einer fast dreitausend jährigen Geschichte zittern und raunen aus dieser in flimmernder
Griechen, die Mazedonier unter Alexander dem Großen, die Römer, die aus Afien eingedrungenen Bulgaren , die Byzantiner und die Türken. Hier schmachtete Cicero als Verbannter, gründete Paulus die erste Christengemeinde auf europäischem Boden, die er später wegen ihres lasterhaften Treibens in dem berühmten und viel umstrittenen Brief an die Thessalonicher" ernst ermahnen mußte. Hier rächte im Jahre 390 der erzfromme" Kaiser Theodosius einen Aufstand durch ein furchtbares Blutbad. Hier wütefen in unaufhörlicher Folge Kriege, Epidemien und Feuersbrünste Hier erlag 1913 König Georg von Griechenland der Mörderhand. Infolge ihrer günstigen Lage und des reichen Hinterlandes konnte sich die regsame Stadt trotz aller Schicksalsschläge immer wieder erholen. Auch heute noch ist sie ein wichtiger Warenumschlagsplatz, dessen Entwicklung allerdings die Griechen zugunsten des Athener Hafens Piräus vernachlässigen.
Weit
In furzen Schwingungen breitet sich die Stadt bis hart an die Meeresküste aus und verläuft sich in dem Villenviertel Kala maria, wo die Konsulate und Krankenhäuser liegen. draußen liegen die Elendsbaracken der anatolischen Flüchtlinge. Hier und da ragen als Wahrzeichen der fünfhundertjährigen türkischen Knechtschaft die Minarette der Moscheen gen Himmel. Das durch den großen Brand im Jahre 1907 vollkommen zerstörte Stadtzentrum ist neu aufgebaut worden, schmucklos und zwec mäßig. Die Häuser zeigen selten Schornsteine bringen die Wintermonate härtere Kälte, so wärmt sich der Bewohner am Kohlenbecken, aber vielfach Dachzisternen für die Regenzeit.
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In der Nähe des Kais liegen die großen Tabakmanipulationsläger, in denen die mazedonischen und thrazischen Tabakbauern ihr „ edles Kraut" abliefern. Fast durchweg sind es moderne und gut aussehende Gebäude, vielfach Paläste, denen man die ewige schwere" Krise der Tabakindustrie nicht gerade anmerkt. Etwas widerwillig wird die Besichtigung eines dieser Betriebe gestattet. Ueber zwei Millionen Kilogramm bester orientalischer Tabake lagern in halbdunklen, stickigen Räumen, da, wie der Führer betont, Licht und Sonne den Fermentationsprozeß schädlich beeinflussen. Die Luft ist mit beißendem Tabakstaub geschwängert, der sich in die Lunge einfrißt und zum Husten reizt. Nirgends ist ein Ventilator zu sehen. Ein wahrer Friedhof, Brutstätten für die Tuberkulose. Tabakarbeiterstreiks sind in Saloniki teine Seltenheit, da die Arbeits- und Lohnbedingungen mehr als schmachvoll und menschenunwürdig sind. Ein beträchtlicher Teil der Arbeiter hat in den letzten Jahren den Weg zur Selbsthilfe, zu den Gewerkschaften, gefunden, die aber immer noch nicht stark genug sind, um den Ausbeutern trogig die Stirn zu bieten.
Im weiten Hafenviertel herrscht emfiges Getriebe. Zwischen großen Ueberseedampfern schaufeln unzählige Segelschiffe. Halbnackte, dunkelhäutige Träger, denen der Schweiß in Sturzbächen von der Stirne läuft, schleppen in langer, unaufhörlicher Kette das Löschgut: riesige Tabakballen, Holz, Erze, Getreide, Südfrüchte, von fliegenden Fische, Weinfässer. Auf dem Kai wimmelt es Händlern, bei denen man so ziemlich alles erstehen kann, von Teppichen, Anzügen, Schuhen, Selbstbindern und Knöpfen angefangen bis zu Porzellan, Gipsfiguren, Zigaretten, Bonbons und Lotterielofen. Die Verkaufsstände sind von Passanten, besonders von Seh- und Seeleuten, umlagert. Adressen von Bordells und Massagesalons werden einem zugesteckt. So mancher Matrose vergräbt den Zettel tief in den Hosentaschen und mag dabei denten, wie viel abwechslungsreicher doch das Leben an Land ist... In den Mittagsstunden ruhen Kai und Hafenviertel. Jeder ist vor der unbarmherzig niederknallenden Sonne geflüchtet.
Am Abend erlebt der Kai eine Metamorphose: er wird zum Korso für reich und arm.
Erst spät in der Nacht wird es still. Im Hotelzimmer kleidet man sich im Dunkeln aus, um nicht durch das Licht die fliegenden Quälgeister anzulocken, von denen bereits einige eingedrungen sind und das Opfer umkreisen. Kampfesmutig wird die letzte Mazedonia" geraucht, um das Viehzeug zu verjagen. Und dann Gute Nacht!" unter dem Moskitonetz im„ desinfizierten" Bettel