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Morgenausgabe
Nr. 361 A 128
49.Iahrgang
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Mittwoch 3. August 1932 Groß-Verlin 10 Pf- Auswärts 15 Pf.
Verttner Voiksvßait Jentralorgan der Sozialdemokratischen Vaetei DeutschlA
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Die Schuld am Terror. Mordhetze nationalsozialistischer Führer in Ostpreußen  .
Das Ausland zum 31. Juli. Wie man die �age Deutschlands   draußen beurteilt. Die Auffassung des Auslandes über die deutschen  Wahlen ist von seltener Einheitlichkeit: ohne Unter- schied des Landes und der politischen Einstellung stellen nahe- zu alle Blätter in ihren Kommentaren die Tatsache in den Vordergrund, daß keine Rechtsmehrheit zustande- gekommen und daß erst recht HitlersDiktaturtraum verflogen ist. Denn auch das wird übereinstimmend festgestellt der nationalsozialistische Vormarsch ist zum Stillstand gebracht worden und die Reserven, aus denen Hitler   noch Stimmen in der Zukunft zu schöpfen hoffte, sind jetzt nach der völligen Zertrümmerung der Mittelparteien erschöpft. Von der Sozialdemokratie wird allgemein, zum Teil mit Ueberraschung, festgestellt, daß sie dem Ansturm ohne nennenswerte Verluste standgehalten hat und ihr Ab- schneiden wird als ein deutliches Symptom des Wiederauf- stiegs gewertet, während bei den Nationalsozialisten eher Symptome künftigen Niederganges erblickt werden. Letztere Auffassung kommt namentlich in der englischen  und amerikanischen   Presse vielfach zum Ausdruck und wird folgendermaßen begründet: Angesichts der nahezu 14 Mil- lionen Stimmen, die Hitler   erlangt hat, m u ß er handeln, so oder so. Läßt er sich aufs Regieren ein, dann wird er sich schnell verbrauchen, weil er angesichts seiner skrupellosen Versprechungen die Wähler schnell enttäuschen wird, die er mit seiner Demagogie gewonnen hat. Oder er handelt nicht, dann wird die Enttäuschung unter den erwartungs- vollen Anhängern erst recht groß sein, besonders beim akti- vistifchen Teil der SA., der auf Putschen und Diktatur ein- gestellt ist. Doch an den Putsch glaubt man im Ausland nicht. Höchstens könnte man aus den italienischen Blättern die Aufforderung an Hitler   herauslesen, den großen Wurf der gewaltsamen Machtergreifung nach faschistischem Vorbild zu wagen. Sonst herrscht ziemlich allgemein insbesondere in England, Frankreich   und bei den Neutralen die Ansicht vor, daß die Regierung Papen-Schleicher nicht daran denkt, die Macht, die jetzt in Händen der Junker ist, an den Maler- gesellen Hitler und an die Abenteurer seiner engeren Gefolg- schaft abzutreten. Eher glaubt man, daß die Reichsregierung bestrebt sein werde, Hitler zur Verantwortung heran- zuziehen, um ihn und seine Bewegung zu zähmen und dem jetzigen Kabinett eine parlamentarische Basis zu verschaffen: gleichzeitig würde man versuchen, die beiden katholischen Parteien in irgendeiner Form für eine Zusammenarbeit mit der äußersten Rechten zu gewinnen, denn ohne sie würde das Experiment sowohl im Reich wie in Preußen unmöglich sein, und außerdem würde der gefährliche Konflikt mit Süddeutsch- land fortdauern. Viele ausländische Sonderberichterstatter neigen zur Auffassung, daß das Zentrum und die Bayerische Volkspartei   schließlich einem Kompromiß zustimmen werden, sei es in der Form der Tolerierung, sei es sogar in der Form tatsächlicher Koalitionen. Ueberall wird das Anwachsen der Kommunisten als die eigentliche Ueberraschung des Wahlausganges bezeichnet. Aber im Gegensatz zu der selbstzufriedenen Auffassung der Wilhelmstraße, die in diesem Zuwachs eine Bestätigung der kommunistischen Gefahr" und der Notwendigkeit ihrer Be- kämpfung zu erblicken vorgibt, stellt die Auslandspresse aus- drücklich fest: die KPD  . war in rückläufiger Bewegung be- S rissen, als der scharfe antikommunistische Kurs der Papen- legierung die psychologische Gegenwirkung ausgelöst hat. Besonders die Parteilichkeit der Regierung zugunsten der Nationalsozialisten gegen die Kommunisten habe der äußersten Linken starken Zuzug gebracht. Als wei- tere Momente, die der KPD.   zugute gekommen wären, wer- den angeführt: einerseits die Erbitterung vieler Arbeiter, die im Frühjahr für Hindenburg   gestimmt hätten und die Sozialdemokratie für ihre Enttäuschung über die spätere Haltung des Reichspräsidenten   verantwortlich machten, andererseits die Enttäuschung darüber, daß Severing und die Sozialdemokratie sich nicht mit Widerstand und Generalstreik- parole gegen den Streich vom 20.Iuli zur Wehr gesetzt hätten. Das sind, wie gesagt, Auffassungen, die in den Tele- grammen und Artikeln der Auslandspresse dargelegt werden. Ebenso wird aber überall unterstrichen, daß gerade der Zu- wachs der Kommunisten jede Linksregierung unmöglich mache, so daß Schleicher gegenüber einem Parlament, das arbeitsunfähiger geworden sei denn je zuvor, Herr der Lage sei. Gerade dieser Gesichtspunkt wird in allen führen- den Blättern des Auslandes hervorgehoben, freilich mit un- verhohlenem Mißtrauen und deutlicher Besorgnis, die besonders in der französischen   Presse wegen der Rundfunk- rede des Reichswehrministers und seiner Ankündigung eines Umbaues" der deutschen   Wehrmacht zum Ausdruck kommen.
Königsberg   i. Pr., 2. August.(Eigenbericht.) Ter Dienstag ist in Königsberg   im allgemeinen ruhig verlaufen. Für das böse Gewissen der Nationalsozia- listen ist charakteristisch, daß T A.- U n i f o r m e n und Hakenkreuzabzeichen von den Straßen wie weg- geblasen sind. An einer Stelle wurden heute zwei getarnte Nationalsoziali st en, die einig« Arbeiter mit der Pistole bedrohten, von dem Ueberfallkommando verhaftet; auch mehrere nationalsozialistische Fensterstürmer, die ein jüdisches Geschäftshaus demoliert hatten, konnten auf frischer Tat fest- genommen werden. Diese Burschen hatten sich gleich- falls als harmlose Zivilisten getarnt. Die einmütige scharfe Verurteilung der Atten- täte durch die Oeffentlichkeit hat die nationalsozialistische Partei- leitung gezwungen, ihre Taktik grundsätzlich zu ändern. Während zuerst noch von berechtigter Abwehr gesprochen wurde, will die Nazi- parte! jetzt alle Vorgänge des Montags von sich abschütteln. Der Gauleiter in Königsberg  , Koch, hat sich sogar veranlaßt ge- sehen, in einer besonderen Erklärung die Unschuld der national- sozialistischen Gauleitung an den Attentaten festzustellen, obwohl von keiner Seite bisher behauptet wurde, daß die Gauleiwng selbst sich so weit exponiert hatte, die Organisation der Attentate in die Hand zu nehmen. Aber wenn sich auch die nationalsozialistischen Führer winden wie der Fuchs im Eisen, es bleibt die moralisch« Schuld an den blutigen Attentaten des Montagmorgen an ihnen hängen. Sie haben in den vergangenen Wochen hier in Ostpreußen   ein« derartige Mordhetze getrieben, daß verbrecherische Aktionen sa- natischer Anhänger zwangsläufig waren. Am 29. Juli hat Frick in Königsberg   in einer Wahlversammlung etwa folgendes erklärt: Für Deutschland   wird es ein Segen sein, wenn 10 000 oder besser noch 15 000 der marxistischen   Burschen, die den Arbeitern alles versprechen und nichts gehalten haben, vom Erdboden ver- schwinden(Stürmischer Beisall). Damit will ich aber nicht im ent­ferntesten eine Mordhehe entfesseln."(Tosender Beifall.) Gleichfalls am 29. Juli führt« der berüchtigte n a t i d n a l- sozialistische Sauleiter Koch   in Königsberg   in einer anderen Wahloersammlung in Braunsberg aus: Die Herrschaften sollen sich nicht wundern, wenn sie sich eines Morgens als Leichen wiederfinden, nachdem sie so viele Leichen in Deutschland   aus dem Gewissen haben." Im übrigen pflegte Koch   seine meisten Wahlreden mit den
Worten zu beschließen:.Höflichkeit bis zur letzten Leitersprosse, aber gehenkt wird doch!" Diese Hetze mußte eine Atmosphäre schaffen, aus der Verbrechen wie die Atten- täte am Montagmorgen erwuchsen. Die schwerwiegendste Frage der nächsten Tage ist, ob der Poli- zeipräsident eine Massenbeteiligung bei dem Leichen- begängnis zuläßt oder nicht. Am Donnerstag wird der am Sonnabend erstochene SA.- Mann Reinke beigesetzt und gleichfalls am Donnerstag oder am Freitag findet die Ein- äscherung des erschossenen kommunistischen   Stadt- verordneten Sauff statt. Wie ich erfahre, beabsichtigt der Polizeipräsident einenMassenaufmarschauf Grund des Landespolizeigesetzes zu verbieten und den Zutritt zum Friedhof nur einer bestimmten Anzahl Per- sonen mit Ausweisen zu gestatten. Diese Maßnahme wird natürlich auf scharfen Widerspruch der Kommunisten stoßen, die in ihrem Königsberger   Organ schon heute zu einer Massenbeteiligung ausgerusen haben. Die Erklärung des Reichskanzlers von Papen an den Vertreter der Associated Preß  , daß die Regierung entschlossen sei, in Königs- berg rasch und summarisch zuzugreisen, begegnet hier in politischen Kreisen außerordentlicher Skepsis. Denn unter den gegebenen Ver- hAtnissen müßte unterscharfem und summarischem Zugreifen" nichts anderes verstanden werden als eine Schließung der Razitafernen und ein Verbot der SA  . Aber daran glaubt kein Mensch. Die neuesten Maßnahmen auf dem Gebiet der Königsberger  Polizeipolitik weisen im Gegenteil darauf hin, daß Papen als Reichs- kommifsar in Preußen in einer ganz entscheidenden Frage dem Druck der Nazis nachgegeben hat. Der bekannte Polizeimajor Fischer ist überraschend von Königs- berg versetzt worden. Fischer gilt als einer der befähigsten und tüchtigsten Polizeioffiziere. Politisch stand er den Deutschnatio- nalen nahe, wahrte aber im Dienste stets strikte Neutralität. Am Hitler  -Tage, am 17. Juli, sah sich Major Fischer genötigt, gegen SA.  - Sperrkolonnen, die sich selbstherrlich Polizei- gewalt anmaßten, mit Berittenen vorzugehen(aber in sehr vorsichtiger Form). Die frechen Drohungen des nationalsozia- listischen Gauleiters Koch, daß er in fünf Minuten den Platz mit seiner SA. von den Polizisten säubern ließe, wies Major Fischer selbstverständlich scharf zurück. Seitdem steht er in derDrecklinie" der Nazis. Die jetzt erfolgte Versetzung dieses bewährten Polizeioffiziers aus Königsberg   stellt eine glatte Kapitu- lation vor den Nationalsozialisten dar. (Siehe auch 2. Seite.)
Mckzug in Preußen. Nie kommissarische Verwaltung erkennt eine offene ZUchtssrage an.
Am Dienstagnachmittag trat der R e i ch s r a t zu seiner ersten Vollsitzung nach der Aktion der Papen-Re- g i e r u n g gegen die verfassungsmäßige preußische Regie- rung zusammen. Der Sitzung gingen Besprechungen voraus, die von der Papen  -Regierung gewünscht worden waren, weil die Reichsratbevollmächtigten der Regierung Braun entschlossen waren, an den Verhandlungen des Reichs- rats teilzunehmen. Man verständigte sich in diesen Be- sprechungen dahin, daß die von dem Reichskommissar zu preußischen Reichsratbevollmächtigten bestimmten Personen nicht an den Sitzungen teilnehmen. Unter diesen Vor- aussetzung verzichteten auch die Reichsratbevollmächtigten der Regierung Braun auf ihr Erscheinen, so daß die Sitzung stattfinden konnte. Mit dem Uebereinkommen hat die Papen  -Regierung ent- gegen der bisher von ihr vertretenen Auffassung zugegeben, daß die Entsendung von Bevollmächtigten zum Reichsrat durch einen Reichskommissar eine offene Rechts» frage ist. Nie Länder gegen papen. In ber Vollst hu na des Neichsrats am Dienstagnach- mittag 5 Uhr blieben die Plähe ber preußischen Reichs- ratsmitglieber leer. Den Vorsitz führte Reichsinnenminister Freiherr v. Gayl, der die Sitzung mit folgenöem Nachruf für die Opfer derNiobe" er- öffnete: Seit der letzten Vollsitzung des Reichsrats haben die Reichs- marine und das gesamte deutsche   Volk einen überaus schweren und kaum faßlichen Verlust erlitten. Ein nach menschlichem Er- messen gesichertes Schiff wie das Schulschiff.Niobe" ist unter-
gegangen und hat ejnen großen Teil seiner Besatzung mit sich in die Tiefe genommen. Blühende Menschenleben, die Hoffnung ihrer Eltern uno die Hoffnung der Marine und des deutschen   Volkes sind auf diese Weise den Seemannstod gestorben und haben ihre junge Laufbahn in der Marine mit diesem furchtbaren Ereignis ab- schließen müssen. Wir stehen sassirngslos und tiefbewegt vor diesem schweren Unglück und wir gedenken in herzlicher Teilnahme aller derer, denen durch dieses Ereignis das schwerste Herzeleid zugefügt worden ist. Wir gedenken der Eltern der von uns Gerissenen, wir gedenken der Kameraden, wir gedenken der Marin« und aller derer, die in ihrem Herzen beteiligt sind an diesem furchtbaren Ereignis. Wir wollen dem Wunsch, wir wollen der Hoffnung und der Bitte Ausdruck geben, daß es uns erspart sein möge, jemals wieder ein solch schweres, weiteste Kreise treffendes Unglück in unserer Marine zu erleben. Sie haben sich zu Ehren der im Dienst gestorbenen jungen Seeleute und ihrer Vorgesetzten von Ihren Plätzen erhoben: ich danke Ihnen dafür." Vor Eintritt in die Tagesordnung verlas Minister v. Gayl dann noch folgende Erklärung der ZUichsregierung: Die heutige Sitzung ist die erste Vollsitzung, die der Reichsrat noch dem Erlaß der Verordnung des Herrn Reichspräsidenten vom 29. Juli 1932 abhält. Einzelne Länder und Bevollmächtigt« der preußischen Provinzen haben bereits zu Beginn der Ausschuß- sitzung vom 27. Juli ihre Stellungnahme zu den aus dem Inhalt dieser Verordnung hergeleiteten Rechtsfragen bekanntgegeben und sich dabei unter Wahrung ihres Rechtsstandpunktes zur Mitarbeit im Reichsrat bereit erklärt. Die Reichs- regierung hat von den Erklärungen Kenntnis genommen und gibt nach dem Inhalt dieser Erklärungen der Hoffnung Ausdruck, daß die Zusammenarbeit zwischen Reichsregierung und Ländern