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Beilage

Mittwoch, 3. August 1932

Mitteldeutsche Landesplanung

Ein Ueberblick/ Von Dr. Werner Hegemann

Eine der ersten Maßnahmen des gewalsam ein­gesezten Reichskommissars für Preußen war die Absetzung des um die Landesplanung hochverdien­ten Regierungspräsidenten von Harnack, der Mitglied der Sozialdemokratischen Partei ist. Alles wird täglich schlechter! so hört man jeden Tag. Daß aber viel gute Arbeit geleistet und vieles wirklich besser geworden ist, da­von ist undankbarerweise zu selten die Rede gewesen. Wer die schwere Kunst lernen will, vertrauensvoll in die Zukunft zu bliden, der soll einmal vergleichen, wie gewissenlos und schludrig in der guten alten Zeit etwa unter Bismarck  ! gebaut und gesiedelt wurde, und wie viel besser das in den letzten Jahren gemacht wurde. So war es früher!

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Man denke an die zum Himmel schreiende Unwissenheit des Berliner   Polizeipräsidenten und an seinen Bebauungsplan von 1860, der durch einen sinnlosen Gewaltstreich vier Millionen Groß- Berliner( die obendrein damals noch gar nicht geboren waren) auf alle Ewigkeit zum Wohnen in scheußlichen Mietkasernen übelster Art verdammt hat, obgleich nicht die geringste Notwendigkeit für diese Kasernierung vorhanden war, wie damals schon zahlreiche Fachleute in England und Amerika   und sogar in Berlin   beweisen

fonnten.

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Aehnliche nachher schwer wieder gut zu machende Dummheiten find noch neuerdings vorgekommen. So wurde während der Kriegszeit in Mitteldeutschland   die große Mustersiedlung" der Leuna  - Werke ausgerechnet in den sogenannten Rauchtegel" sogenannten ,, Rauchkegel" der Fabrik hineingebaut. D. h. also, die berühmte Tüchtigkeit der preußischen Bürokratie und ihre nimmer endenden Kompetenz"- Streitigkeiten konnten weit und breit kein anderes Plätzchen für die Arbeiterwohnungen ,, eruieren" als gerade das Gebiet unmittelbar östlich der Fabrik, das beständig so sehr in Rauch und giftige Dämpfe gehüllt war, daß jeweils schon im Juni die Blätter an den Bäumen verwelften. Ausgerechnet in diesen Giftschwaden wurde die sehr koſt­spielige Mustersiedlung" gebaut; ausgerechnet dort sollten die Kinder gedeihen und zu neuem Kanonenfutter heranwachsen. Man hat dann nachträglich Millionen für die Einschränkung der Rauch entwicklung und das Abfangen der giftigen Gafe ausgegeben. Durch diese neuen Aufwendungen sind die kostspieligen Häuser dann nach­träglich beinahe bewohnbar geworden. Nur manchmal, wenn über Nacht in der Fabrit etwas schief gegangen ist und wenn infolge un­erwarteter Verdauungsbeschwerden dort unvorschriftsmäßig böse Gase abgeblasen wurden, wacht der Bewohner der Mustersiedlung morgens auf und entdeckt, daß die noch grüne Junilandschaft des Vorabends sich in eine fahle Spätherbstlandschaft verwandelt hat. Noch schlimmer geht es den Fischen in den Flüssen des riesigen mittel­deutschen Industriebezirks. Wenn eine Fabrik infolge einer Unvor­sichtigkeit oder weil sie feinen anderen Ausmeg mehr weiß, über Nacht ihre giftigen Säuren in den Fluß geschickt hat, dann machen

| sicht unser heutiges Leben geregelt haben, etwas von den Schwierig­feiten ahnen konnte, mit denen wir zu kämpfen haben. Aber ihre unzähligen Paragraphen leben immer noch und ermuntern Hunderte von furzsichtigen Bürokraten, auf veralteten Scheinen zu beharren und sich in einem Herenfefsel von unbrauchbar gewordenen und sich überschneidenden Verwaltungs- 3uständig keiten aufzureiben. Hunderte von ,, Instanzen" der verschiedensten Art, der Selbstverwaltung, der Aufsichtsverwaltung, der Eisenbahn­perwaltung, der Städteverwaltungen, der Landeshauptleute, der Bergwerks- oder Fabrikverwaltungen vermögen sich hier in einem Kleinkrieg von widersprechenden Verfügungen, Investierungen und Planungen zugrunde richten, wenn nicht eine zusammenhängende Landesplanung Ordnung in das Chaos bringt.

Der Sieg der Landesplanung.

Der Abend

Spalausgabe des Vorwards

Glücklicherweise erfolgt diese große neue Siedlung und Um­fiedlung nicht mehr im Zeichen der Berliner   Mietfaserne, die bis zum Weltkriege auch von vielen kleinen Städten auf das dümmste nachgeahmt worden ist. Man hat heute begriffen, wie unschäzbar für jeden Arbeiter, der mit gelegentlicher Arbeitslosig= feit rechnen muß, das Kleinhaus mit eigenem Garten ist. Die neuen Siedlungspläne stehen deswegen im Zeichen der Kleingartenbewegung, der ländlichen Siedlung und der vorstädti­schen Kleinhaussiedlung. Die Veröffentlichung enthält eingehende Untersuchungen über die günstigsten Standorte der einzelnen Er­werbszweige und über die Anpassung der künftigen Besiedlung an die Erfordernisse des Arbeitsmarktes. Die sogenannten ,, Wirt­schaftspläne" erstreben einen rechtzeitigen Ausgleich aller öffentlichen und privaten Bodeninteressen, die bei der zum Teil sehr engen Besiedlung des mitteldeutschen In­duſtriebezirks vielfach zu unwirtschaftlichen Aufschließungen und Bodennutzungen führen müßten, wenn nicht der mannigfaltige Flächenbedarf an Bergbauflächen, landwirtschaftlichen Flächen, Ge­werbe- und Wohnflächen, Flächen für den Wasserstraßen-, Eisen­bahn, Landstraßen- und Flugverkehr, Flächen für die Be- und Entwässerung, Ferngas- und Kraftversorgung sowie für die öffent­liche Erholung ujm. planmäßig gegeneinander abgewogen wird. Das Arbeitsprogramm der Landesplanung ermöglicht damit den zahlreichen Industriegemeinden und den sonstigen Verwaltungs­stellen sowie der Wirtschaft eine rationelle Durchführung ihrer Siedlungs- und Verkehrsprojekte auf weitere Sicht. Es enthält daher besonders auch für die Betätigung der öffentlichen und privaten Organisationen des Bau- und Boden­kredits und der sonstigen Bauwirtschaft mannigfache Weisungen.

Das vorliegende neue Werk, an dem ausgezeichnete Kräfte wie Dr. Prager, Fisch, Oberbaurat Lindemann und namentlich der Genosse von Harnad( Regierungspräsident) und Dr. Martin Pfannschmidt, Graf und Rosenberger mitgearbeitet haben, breitet vor dem Leser die mustergültige Arbeit aus, mit dem hier dem Problem auf den Grund gegangen wurde. Man findet hier eine zuverlässige fartenmäßige Darstellung der Bodenbeschaffenheit, der klimatischen und Wasserverhältnisse, der Der volkswirtschaftliche Städtebau gewinnt gegenwärtig in der Länder und Landwirtschaft in dieser neuen großartigen Industrie­provinz, der Lagerstätten von Kohle und anderen Gesteinen, des Wirtschaftskrise, die zu sparsamster Verwendung der öffentlichen Mittel zwingt, wachsende Bedeutung, auch im Rahmen der bevor­Personen- und Güterverkehrs auf den Bahn- und Landstraßen, der stehenden Arbeitsbeschaffungsprogramme. Gegen­Ueberlandneze für Elektrizität und Gasversorgung und ganz be­sonders der Bevölkerungsverhältnisse, wie sie waren und wurden, wärtig ist die bauliche Ausführung zahlreicher Projekte gehemmt. und wie sie sich in Zukunft zum Segen von Menschen und Industrie Trotzdem müssen wichtige Flächen weiterhin vor Verbauung ge= entwickeln sollen. Die Vertreibung zahlreicher Dorfschüßt und auch die Ausführungen kleinerer Projekte schon jetzt den bevölkerungen durch den plötzlichen Abbau ganzer Dörfer, fünftig zu erwartenden Planungen angepaßt werden. das Emporschießen von Großfraftwerken und chemischen Großbetrieben stellte ungeahnte Aufgaben der Siedlung und Schaffung von Erholungsflächen, Schul- und anderen Gemein­schaftsanlagen. Gleichzeitig wuchsen die Anforderungen an den Eisenbahn- und Straßenbahnverkehr und durften doch nicht gerade da durch neue kostspielige Anlagen befriedigt werden, wo in wenigen Jahren schon das Vordringen des Bergbaues oder der Industrie neue Zerstörungen notwendig machen würde. Der Mangel an Woh­nungen in der Nähe der neuen Arbeitsgelegenheiten hat viele Ar­beiter zu langen täglichen Pendelwanderungen" zwischen Arbeits- und Wohnstätte gezwungen. Namentlich die neuen ländlichen Gewerbeorte decken ihren Bedarf an Arbeitskräften viel fach aus weitab gelegenen Groß- und Mittelstädten. So sind z. B. Halle, Merseburg  , Weißenfels   und Naumburg   die Wohnstädte für viele Arbeiter der Leuna  - Werke. Viele Bergbaugebiete ergänzen ihre Arbeiterschaft aus der ländlichen Umgebung.

die Fische morgens nur noch auf, um zu bemerken, daß sie zehn R. R.

tausendfach sterben müssen.

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Der Kampf der Bagger und Paragraphen. Diesen und ähnlichen Folgen mißgeleiteter Zivilisation fann nur die sinnvolle Planung steuern, wie sie z. B. für die große mitteldeutsche Industrielandschaft durch freiwilligen Zusammenschluß aller Betroffenen zu einem Landesplanungsver­bande geleistet wird. Ueber die Arbeit dieses Verbandes ist soeben eine ausgezeichnete Veröffentlichung*) erschienen, die sich zwar nicht jeder auf seinen Nachttisch legen kann( weil sie 38 m. kostet und der erste Band umfangreich genug ist, um zwei Nachttische zuzudecken), die aber jeder Genosse, der für diese wichtigen Fragen Verständnis hat, in einer öffentlichen Bibliothek sorgfältig studieren sollte. Wie in Urzeiten die alten, dichten Wälder und ihr tausendfaches Getier plötzlich durch das Hereinbrechen wandernder Gletscher ver­nichtet wurden, so wird heute die liebliche mitteldeutsche Landschaft mit ihren fruchtbaren Feldern und stillen Dörfern verwüstet durch das plötzliche Hereinbrechen der neuen Industrie- Land­schaft. Ueber Hunderte von Quadratkilometern stürzen sich wie Dorfintflutliche Ungeheuer- die Riesenbaggern. Heu­schreckenschwärme mögen ganze Landschaften kahl fressen, und un­geheure Brände können die größten Wälder vom Erdboden ver= tilgen. Aber die Baggern des mitteldeutschen Industriebezirks freffen nicht nur Felder, Wälder und viele Dörfer weg, sondern sie fressen auch den Erdboden. Sie fressen zehn oder zwanzig Meter in den Boden hinein, quadratkilometerweise, bis sie auf die Braun­tohle stoßen. Dann wird auch die Braunkohle weggefressen, zwanzig, dreißig oder hundert Meter tief. Wenn die Baggern zu Ende gewütet haben, ist kein Körnchen mehr da von der früheren Landschaft, die jetzt fünfzig oder hundert Meter tiefer liegt als früher. Bei den größten Tiefen bleibt dann nichts anderes übrig, als Seen entstehen zu lassen, wo früher Dörfer und Felder waren. Wenn die Kohlenflöze weniger mächtig waren, wird der Boden, der früher über der Kohle lag, unten wieder ausgebreitet. Das Gelände wird wieder aufgeforstet, und oft gelingt es sogar, die Wüstenei schon nach wenigen Jahren wieder in fruchtbare Felder zu verwandeln, die nur um viele Meter tiefer liegen als die frühere Landschaft. Wahrscheinlich ist der Mensch nie zuvor derartig selbstherrlich mit der Mutter Natur umgesprungen. Die Probleme der Siedlung, des Verkehrs, der Wasserhaltung, der Verwaltung usw., die sich bei diesem Kampfe zwischen Mensch und Natur ergeben, sind hundertfältig und tausendfältig. Diese Probleme sind um so schwerer lösbar, als keiner der preußischen Geheimräte, die vor etwa hundert Jahren in untrüglicher Boraus­

*) Das Werk heißt: Landesplanung im engeren mitteldeutschen In­dustriebezirk, ihre Grundlagen, Ausgaben und Ergebnisse. Bearbeitet und herausgegeben von der Landesplanung Merseburg   unter Mitarbeit des Landeshauptmanns der Provinz Sachsen  , der Landesplanungen Magde­burg, Westsachsen- Leipzig, Oftthüringen, der Städte Dessau  , Halle, Leipzig  , Magdeburg  , der Stadt- und Landkreise und der Wirtschaftskörperschaften des Reg.- Bez. Merseburg   und des Landes Anhalt  . Das Wert erscheint in 2 Bänden. Kartenband:( Versand ab 20. Juli 1932). Enthaltend 39 farbige arten wirtschaftskundlichen und siedlungstechnischen Inhalts. Format der Leinenmappe 62 x 48 cm. Tertband:( erscheint später) enthaltend etwa 200 Seiten Text, ausgestattet mit zahlreichen Schaubildern und Luftbild­aufnahmen, in Leinen gebunden, Buchformat 25 x 33 cm. Dank erheblicher Zuschüsse aus dem Mitgliederkreise der Landesplanung Merseburg   war es möglich, den Verkaufspreis beträchtlich unter dem Herstellungspreis zu halten. Bezugspreis: In der Substriktion 38 M. Nach Erscheinen des Werkes 48 M. Zahlungsweise: 30 M. bei Lieferung des Kartenbandes, Rest nach Lieferung des Tertbandes. Gemäß besonderer Vereinbarung tann

Neubert:

Man hat viel von den Erfolgen und Mißerfolgen der Fünf­jahrpläne in Rußland   gehört. Dort muß teils mit größeren, teils mit geringeren Schwierigkeiten gekämpft werden, weil man einerseits auf Neuland arbeitet und andererseits noch nicht den groß­artigen Produktionsapparat besitzt, der uns fast überreichlich zur Verfügung steht. Die mitteldeutsche Landesplanung bietet deshalb Probleme verwandter und doch ganz anderer Art. Die Lösung dieser Probleme ist, wenn sie gelingt, um so bewunde­rungswürdiger, als sie nicht das Werk einer frei schaltenden Dik­tatur ist, sondern aus dem freiwilligen Zusammen­wirken zahlloser und durch kein besonderes Zweckverbandsgesetz gebundener Behörden der öffentlichen Verwaltung und der pri­paten Großwirtschaft hervorgeht. Aus diesem Grunde übertrifft das mitteldeutsche Landesplanungswerk auch das Werk des Ruhr­siedlungs- Verbandes, dessen mustergültige Leiſtungen durch ein besonderes Landesgesetz ermöglicht wurden.

Junge Leute in der Kleinstadt

Als in den großen Hallen der Waggonfabrik noch die Niet-| hämmer dröhnten, hatten die jungen Leute noch ein Ziel vor Augen. Heute liegen die großen Hallen ausgestorben da, fein Hammer flingt, fein neuer Waggon verläßt die Werkstatt, feine Sirene ruft zur Arbeit und die jungen Leute, arbeitslos wie der Vater, leben gleichsam am Rande des Daseins.

Sie durften auch in den guten Zeiten niemals besondere Wünsche haben, ihr Weg war eigentlich vorgezeichnet: sie besuchten die Gemeindeschule, traten dann als Tischler- oder Schlosserlehrlinge in die Fabrik, gingen nebenbei in die Pflichtfortbildungsschule und wuchsen heran, bis sie Gesellen wurden und Sonntags auch tanzen gehen durften.

Ich habe mich immer gern mit ihnen beschäftigt, auf Wanderun= gen, auf dem Sportplatz und auch auf dem Tanzsaal, um sie richtig tennen zu lernen.

Ich habe sie erlebt, wie aus den Knaben Jünglinge und aus den Jünglingen Männer wurden. Wenn ich nach längerer Abwesen­heit wieder in die kleine Stadt kam, traten sie mir um einen Kopf gewachsen entgegen, manchen fehlten nur noch einige Zentimeter, um so groß" zu sein wie ich, ihr älterer Freund, andere waren schon größer. Ihre Bewegungen waren männlicher geworden, ihre Stimmen war tiefer, und die Geschichten, die sie mir immer noch anvertrauten, hatten schon etwas von dem Ernst des Lebens. Und sie hatten Geld in der Tasche, das war das Schönste, das gab ihnen Selbstbewußtsein.

Und eigentlich hätte man schon Sie zu ihnen sagen müssen, aber bei dem Glas Bier, das man sich gegenseitig spendierte, mar

das Du netter, vertrauter. Ihre Hände waren härter geworden, jene Hände, die einmal Weidenfäßchen schnitten und Drachen zimmerten. Schwer konnten die Hände auf dem Tisch liegen und von ihrer Arbeit erzählen. Ueberstunden, Akkord, Lohnzulage.

Und wenn Mädchen vorüberkamen, so fonnten die Hände nach ihnen greifen. Es war Sicherheit in dieser Bewegung.

,, Ja, ja", dachte ich, wenn ich wieder fortfuhr, in die große Stadt zurück ,,, wenn ich das nächste Mal in die kleine Stadt komme, ist dieser und jener Vater geworden und verheiratet, und dieser und jener hat sich selbständig gemacht, und ein anderer hat eine ge­hobenere Stellung in einem auswärtigen Werk bekommen. So bringt sie das Leben durcheinander und zum Ziel."

Heute bin ich nach langer Zeit wiedergekommen und die Hallen der Waggonfabrik stehen leer, und die jungen Leute gehen stempeln. Sie kommen mir meist nicht mehr so rasch und freudig bereit ent­gegen. Sie können auch nicht mehr so leicht erzählen. Irgendwo bleiben sie immer stecken. Etwas drückt sie. Ihre Blicke bleiben oft am Boden. Kriechen. Wenn sie dann aufblicken, ist eine graue Leere in ihrem Gesicht.

,, Arbeitslos?" ,, Ja!"

,, Schon lange?" Sie niden.

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Und wenn man dann weiter von ihren Verhältnissen sprechen

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will man entsinnt sich, daß Paul damals mit Hanna ging.- ,, Und was macht Hanna?"

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Eine Handbewegung.

,, Längst aus!"

,, Längst aus!" denkt man, wenn man durch die stillen Straßen

der Rechnungsbetrag auch in monatlichen Raten von 10 M. entrichtet geht. Der Strom des Geldes, der an Freitagen durch die Läden des Ortes floß, ist versiegt. Zwei Bekleidungsgeschäfte haben Ron­

werden.

kurs anmelden müssen. Bäcker und Fleischer entlassen ihre Gehilfen. Nur der Gerichtsvollzieher fann eine Hilfskraft einstellen. Franz tommt nicht mehr mit seinem Motorrad an. Das hat er sich damals vom Akkordlohn geschafft. Jetzt hat er es verkauft und sein altes Fahrrad aus dem Keller geholt. Er lacht. Seine Eltern haben draußen eine Siedlung, und er hilft jetzt einen massiven Zaun bauen.

Andere roden Baumwurzeln auf abgeholztem Waldgelände. Ihre Gesichter sind braun. Auf den Frühstücksstullen liegt nicht mehr Wurst, aber sie schmecken. Beinahe andächtig beißen fie während einer selbstbewilligten Pause in das braune Brot. Ich muß daran denken, daß es diesen jungen Leuten in der Kleinstadt doch noch besser geht als ihren Schicksalsgenossen in den Großstädten. Sie sind immer etwas außerhalb des modernen Lebens geblieben und bleiben jetzt, auf einem toten Punkt angelangt, doch in ihrem bestimmten Kreis. Immer enger wird dieser Kreis.

Und innerhalb dieses engen Kreises hat sie die Politik plötzlich in feindliche Gruppen zerteilt.

Ich bin erstaunt: Friz begrüßt mich mit dem Faschistengruß. Ich erinnere mich, daß ich mit Frig früher nie über Politik ge­sprochen habe, wir haben nur Wanderungen unternommen und ein bißchen Naturkunde getrieben.

Und von Richard, als ich Fritz nach ihm frage, sie waren die besten Freunde, spricht er achselzuckend. Sie kennen sich nicht mehr. Nachher treffe ich auch Richard, und ich entdecke den kleinen Hammer auf seiner Mühe. Ich weiß nun Bescheid... Schade, denke ich.

,, Kommen Schlägereien vor?" frage ich Richard.

Er zeigt mir wortlos eine breite Narbe am linken Daumen. ,, Das ist von der letzten Wahlversammlung!" sagte er dann. Ich hatte Saalschutz."

Am Sonntag mache ich mir das Vergnügen, zu einem öffent­lichen Tanz zu gehen. Dort kann man die jungen Leute am besten beobachten. Sie fizen fast alle noch an den Tischen vor einer Bitrone, die kleinen Mädchen, die schon immer hier gesessen und sich mal von dem und mal von dem nach Hause bringen ließen. Einige fehlen. Die sind verlobt. Oder schon verheiratet. Oder haben ein Kind. Man spricht laut und ungeniert davon. Vom Henkel Willi hat sie's!"

,, Quatsch, vom Gerber Heinrich!"

müssen.

Ich verziehe mich, um nicht noch mehr Intimitäten hören zu Eine Müdigkeit liegt im Saale. Die jungen Männer tanzen nicht mehr so oft.

,, Kein neues Mädchen!" denken sie refigniert und bleiben in ihrer Ecke ſizen. Sie kennen ja schon alle. Die Anna, die Hertha  , die Lucie, die Grete. Und dann haben sie kein Geld. Und wann sie wieder Arbeit bekommen werden, wissen sie auch nicht. Immer hier im Nest sizen! Schrecklich!

Mal raus! Aber mohin?

Die Welt ist für sie mit Brettern vernagelt.

Hitler   müßte mal ran! reden sie in solchen Stunden. Oder Thälmann  .

Und dann hauen sie sich manchmal, die feindlichen Brüder. Aus solchem Tohumabohu gehe ich mit dem Gedanken, wieviel

vergeudete Kraft hier aufgefangen und umgeleitet werden müßte für die Ziele sozialistischer Bildungsarbeit.