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Beilage

Donnerstag, 4. August 1932

Bürger des Dritten Reichs

Nachwort zum Deutschen Studententag/ Bon M. Böttcher

Mitte Juli fand in Königsberg   der Studententag der Deutschen Studentenschaft   statt. Die Deutsche Stu­ dentenschaft   ist bekanntlich die unter nationalsozialistischer Führung stehende Organisation aller reaktionären Kräfte auf den deutschen  Hochschulen. Es war zwischen den Nazis und den Korporations­studenten im Laufe des letzten Jahres zu großen Auseinander­segungen gekommen, da sich die Korporationen der Diktatur der Nazistudenten nicht ohne weiteres fügen wollten. Auf dem diesjährigen Studententag traten die Gegensätze offen hervor. Die Nationalsozialisten verlangten in den Verhandlungen hinter den Kulissen die Annahme eines Antrages, durch den die Deutsche Stu­ dentenschaft   ihre Verbundenheit mit der Hitler- Bewegung bekunden sollte. Auf Drängen der Korporationsstudenten ist es dann zu diesem Antrag in der Form nicht gekommen, doch bewies der Verlauf der Tagung, daß die Deutsche Studentenschaft   eindeutig im nationalsozia­listischen Fahrwasser segelt. Die Korporationsstudenten, in ihren eigenen Reihen durch nationalsozialistische Zellen geschwächt, resignierten und überließen den Nazis das Feld. Heute wird die Deutsche Studentenschaft   von drei Nationalsozialisten geleitet.

Der diesjährige Studententag sollte ein, soldatisches Gesicht" tragen. Obwohl die Deutsche Studentenschaft   offiziell nicht anerkannt ist und der Oberpräsident Siehr daher ein Erscheinen auf dem

Studententag abgelehnt hat, waren Vertreter des Behr freiskommandos I anwesend, und auch Herr von Gayl hat es sich nicht nehmen lassen, durch ein Begrüßungstelegramm seine Verbundenheit mit den Radaustudenten zu befunden. Die

Teilnehmer der Tagung waren

in Reichswehrkasernen untergebracht. Hier hatten dann die Militärs Gelegenheit, das soldatische Gesicht der SA. kennenzulernen. Vor Beginn der zweiten Sizung mußte der Vorsitzende vor versammeltem Plenum darüber Klage führen, daß in den Kasernen unter den studentischen Teilnehmern eine Disziplinlosigkeit herrsche, die mit Worten gar nicht zu beschreiben sei". Das neue Gesicht der Deutschen Studenten­ schaft   ist ,, das des politischen Soldaten, den jeder deutsche Student

heute darstellen muß. So jedenfalls hieß es im Vorstandsbericht.

Auf gut deutsch   heißt das also: von jezt ab herrschen in der Deutschen Studentenschaft SA.  - Methoden.

In dieser Zeit, in der es zweifellos für die akademische Jugend eine Fülle von Problemen gibt, die der dringenden Klärung be= dürfen man denke nur an die Fragen der Hochschulreform, der

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Gebührenstaffelung, der Studentenwirtschaftshilfe, beschäftigten sich die in Königsberg   versammelten Vertreter der Mehrheit der deutschen  Studenten damit, die in der Deutschen Studentenschaft   früher herr­schende liberale Demokratie" zu beseitigen. Unter liberaler Demokratie verstehen diese Studenten das selbstverständliche Organisationsprinzip, daß Borsigender und Führer gewählt werden. Mit diesem Prinzip ist jetzt gebrochen worden.

In Zukunft werden innerhalb der Deutschen Stu dentenschaft Wahlen ganz abgeschafft.

Der Reichsführer ernennt die Leiter der verschiedenen Aemter und bestimmt die Kreisleiter. Die Vorsitzenden der einzelnen Studenten­schaften ernennen ihre Nachfolger, die vom Kreisleiter, der ja vom Reichsführer ernannt worden ist, bestätigt werden müssen. So ist Alleinherrscher der Deutschen Studentenschaft der natio= nalsozialistische Vorsitzende, der sich nur hüten muß. damit er nicht wie sein Vorgänger von Herrn Adolf Hitler   aus parteiinternen Gründen abberufen wird.

Dieser Aufbau wird hoffentlich mit dazu beitragen, daß jetzt die letzten Studenten, die immer noch glauben, aus der Deutschen Stu­ dentenschaft   noch einmal eine arbeitsfähige Organisation machen zu können, dieser Nazifiliale den Rücken fehren. Daß man im übrigen auf die Mitarbeit von Nichtnationalsozialisten keinen Wert legt, zeigte folgender Vorfall: Ein katholischer Delegierter in Priester­kleidung, der sich darüber beschwerte, daß von der Leitung fein gemeinsamer Gottesdienst vorgesehen sei, wurde im Verlaufe der Debatte darüber von den Nationalsozialisten, die laut Programm der NSDAP  . Vertreter eines positiven Christentums sind, nieder gebrüllt.

Ein kulturpolitisches

Aktionsprogramm

Die Sozialistische Bildung" veröffentlichte in ihrer Mainummer den Entwurf eines fulturpolitischen Aktions­programm s. Es entstand in einer mehrmonatigen Arbeits­gemeinschaft von Genossen, die in Partei, Gewerkschaft und in der öffentlichen Verwaltung auf fulturpolitischem Gebiet verantwortlich tätig sind. Weitere Kreise der Parteigenossenschaft seien auf den Ent­wurf hingewiesen. Manch einer wird einwenden, es wäre jetzt nicht die Zeit, kulturpolitische Fragen zu erörtern. Der tobende politische Kampf erfordere alle Kräfte. Ganz gewiß. Aber gerade im Kampf ist Klarheit über das Ziel, für das man fämpft, wichtiger denn je. Das Endziel ist sozialistische Kultur. Dieses Bewußtsein darf über taktischen und politischen Bemühungen nicht verloren gehen.

Die Verfasser des Entwurfs haben die Einzelforderungen in ein grundsägliches Bekenntnis zur sozialistischen   Kultur einzubetten ver­sucht. Sozialistische Kultur ist für sie kein hochtrabendes System dogmatischer Formulierungen. Ihre Grundlagen sind einfach, wie jede Wahrheit. Der Mensch darf nie zum Mittel ent­würdigt werden. Die Wirtschaft hat dem Menschen zu dienen, nicht dem einzelnen, sondern der Gesamtheit des Volkes. Die tapi­talistische Wirtschaft ist zu diesem Dienst ihrem Wesen nach nicht fähig. Erst die planmäßige Erzeugung und Verteilung der Güter im Sinne sozialistischer Bedarfsdedungswirtschaft eröffnet den Weg zu einer neuen einheitlichen Kultur."

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Die Mahnung, die ein Vorstandsmitglied zu Beginn der Tagung vorsorglich aussprach er warnte vor dem billigen Ruf ,, mehr Sach­lichkeit", erwies sich als überflüssig, denn an sachlichen Fragen standen lediglich das Problem der Arbeitslager und des Ar= beitsdienstes und das Studentenrecht auf der Tages­ordnung. Man machte es sich in beiden Fällen leicht. Der deutsche Studententag forderte in einem Antrag von den Regierungen,

daß ab 1. April 1933 zum Studium nur noch zuge= lassen werde, wer sich mindestens ein Jahr im Ar­beitsdienst bewährt habe.

Auch Stipendien sollen nur noch nach solcher Bewährung ver teilt werden.

Der Abend

Spalausgabe des Vorwards

Denn auch im Völkerleben ist sozialistische Kultur nicht mit inter­nationaler Uniformierung gleichzusehen.

,, Die nationale Kultur des Volkes ist die Grundlage für die kulturelle Neugestaltung. Die Gesamtfultur der Menschheit verwirklicht sich in den Kulturen der einzelnen Völker. Diese haben in ihrer besonderen Eigenart der Gesamtent­midlung der Menschheit zu dienen. Der Sozialismus lehnt daher jede kulturelle Abschließung und Einseitigkeit ab."

Die Einzelforderungen, die als Aktionsprogramm für die Arbeit der nächsten Zeit aus dieser, an dem Gesamtbild der sozialistischen  Kultur orientierten Grundauffassung abzuleiten sind, erstrecken sich auf die Probleme der Schulreform von der Grundschule bis zur Berufs- und Fachschule, von der höheren Schule bis zur Hoch­schule, auf die Probleme der Erwachsenenbildung, des Büchereiwesens, des Films und Rundfunks und der Maß­nahmen gegen die geistigen und seelischen Gefahren der Arbeits­losigkeit. Die Verfasser haben sich, wie sie versichern, absichtlich auf gegenwartsnahe Forderungen beschränkt- ,, und waren sich be= wußt, daß auch hierbei eine Reihe von Fragen, die sie gar nicht oder nur sehr kurz behandelt haben, noch weiterer Klärung be= dürfen, um zu zielsetzenden Forderungen zu führen". Trotzdem ist Studentenrechts war ja mit Zunahme des nationalsozialistischen Einlierung, die in jeden Satz Wesentliches hineinzwängt so konzentriert, Die Stellung der Deutschen Studentenschaft   zur Frage des die Fülle der vorgebrachten Einzelheiten so groß- und die Formu fluſſes immer unsachlicher geworden. Die Naziſtudenten forderten daß es ein Unrecht gegen das Ganze wäre, wollte man willkürlich neue Studentenschaften, die das Recht der gesetzlichen Vertretung den oder jenen Gedanken herausgreifen. Der Zweck dieses Aufsages. aller Studenten erhalten sollen, die jeden Studenten mit einem ist erreicht, wenn er den kulturpolitisch interessierten Leser Zwangsbeitrag belegen dürfen, in die aber nur ,, Volksbürger" jeder Sozialist müßte es sein veranlaßt, sich den Programm­aufgenommen werden. Es genügt, darauf hinzuweisen, daß der entwurf vom Reichsausschuß für sozialistische Bil bekannte österreichische Antisemit Graf Gleis pach, der Schöpfer dungsarbeit( Berlin  , Lindenstr. 3) zu besorgen und ihn zur des Wiener Studentenrechts, das bekanntlich von den öster Grundlage einer Diskussion im Freundeskreis zu machen. Die Ver­reichischen Gerichten als gesezwidrig außer Kurs ge- fasser werden für Stellungnahme, die an die Redaktion der sozia­fet worden ist, den Plan der Deutschen Studenten- listischen Bildung zu richten ist, sicherlich sehr dankbar sein, denn aus fchaft ausgearbeitet hat. Solange die Führer" der aka- der vorangestellten redaktionellen Notiz geht hervor, daß sie eine demischen Jugend und einige Professoren, die sich heute schon als Diskussion auf kritischer Grundlage wünschen.

Bürger des Dritten Reiches fühlen, solche Pläne aushecken, braucht das die Deffentlichkeit nicht weiter zu erregen. Wenn aber eine deutsche Regierung die Zusage gibt, diese Idee in die Wirk­lichkeit umzusehen, so muß diese Tatsache alle, die es mit der Frei­heit des Geistes ernst nehmen, auf den Plan rufen.

Die Regierung von Mecklenburg- Schwerin hat in einem Telegramm an den Studententag erklärt, daß sie das neue Studentenrecht bei der Universität Rostock   durchführen werde.

Auch die Disziplinargerichtsbarkeit für Studenten wird von der Universität auf die neue, reinrassische Studentenschaft über­Gönner in Mecklenburg- Schwerin   wird die studentische SA. auch tragen. Nach den Plänen der Nazistudenten und ihrer ministeriellen das Recht erhalten, Profefforen abzulehnen, an deren moralischen, sittlichen und nationalen Qualitäten sie zweifeln. Was man bisher durch Terror und Radauszenen nicht erreicht hat, glaubt man jezt über die Länderregierungen erreichen zu können: Deutschlands   Universitäten sollen SA.  - Kasernen werden. An die Stelle freier Forschung und Lehre tritt die Drill anstalt für die kommenden Führer des Dritten Reiches. Die Pläne der Nationalsozialisten in Rostod stehen

im Widerspruch zur Reichsverfassung.

Man darf gespannt sein, ob die Herren in Mecklenburg- Schwerin  es wagen werden, sie troßdem durchzuführen.

Glücklicherweise zeigt es sich mehr und mehr, daß das selbst bewußte Auftreten der Nazis in immer stärkeren Gegensatz zur poli­tischen Entwicklung der gesamten Studentenschaft gerät. Die erste Antwort auf den Königsberger Studententag haben die Studenten der Universität Königsberg   selbst erteilt. Wenige Tage nach Schluß dieser Veranstaltung fanden die Wahlen zur dortigen Deutschen Studentenschaft statt. Hierbei bezogen die Nationalsozialisten eine glatte Niederlage, die für sie um so blamabler ist, als sie unter den Nachwirkungen des Stu­dententages auf eine sichere Mehrheit hofften. Sie verloren von ihren 1500 Stimmen des Vorjahres rund 500.

Die Sozialistische Studentenschaft wird die Auf­flärungsarbeit auf den Hochschulen weitertreiben. Die National­sozialisten sind bisher nicht zu ihrem Ziel gelangt, und auch der Versuch, über die Länderministerien den Einfluß der linken Stu­denten zu beseitigen, wird scheitern. Die deutsche Arbeiterschaft aber wird den Vorgängen auf den Hochschulen größte Beachtung schenken müssen.

zur schärfsten Unterdrückung und Ausbeutung ihrer Mit menschen verwenden. Darauf, daß einem unter vielen sein vielleicht ,, überragendes Menschentum gesichert sei", kommt es nach dem Ent­wurf aber gar nicht an, sondern darauf ,,, daß jeder einzelne in der Gesamtheit als Mensch im wahren Sinne des Wortes zu leben vermag."

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Als Mensch im wahren Sinne des Wortes leben, heißt aber nicht seine Begabungen und Fähigkeiten für sich entwickeln, sondern sie in den Dienst der Gesamtheit stellen. Das Men­schentum aller ist nur gesichert, wenn jeder sich unter Zurückstellung seiner Sonderinteressen mit seiner ganzen Existenz für die Gesamt­heit einsetzt. In diesem Sinne ist die Arbeiterbewegung Kultur­bewegung von größtem geschichtlichen Ausmaß." Der Sozialismus will das Individuum nicht unterdrücken, er will feine öde Gleichmacherei, feine Uniformierung des Geistes im Gegen­feil, er will höchste Entwicklung desselben aber nicht um des In­dividuums, sondern um des Dienstes an der Gesamtheit willen. Aufgabe des Werktätigen ,, ist es daher, die scheinbare Freiheit des dem ungezügelten Eristenzkampf preisgegebenen Menschen durch die tollektive Freiheit der solidarisch verbundenen Gesellschaft zu er= sehen. Sie haben das wirtschaftliche, politische und kulturelle Leben den Geboten der Menschlichkeit und der Solidarität entsprechend zu formen".

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Als legtes Ziel steht den Verfassern die neue, einheitliche Kultur der sozialistischen   Gesellschaft vor Augen, die keinen geistig terrori­fiert, die aber durch ihre überzeugende Kraft alle in einem einheit lichen Denken und Wollen erfaßt. Sie gibt ihnen in diesem Denken und Wollen den inneren Halt, den der einzelne in einer Epoche Der Liberalismus hat das Menschentum" in seiner Weise individualistisch- liberalistischer Zersplitterung rerloren hat und betont und hat uns glauben machen wollen, daß im freien stellt jedem im Rahmen der von der einheitlichen Kultur geordneten Spiel der Kräfte die Entfaltung wahren Menschentums" Mannigfaltigkeit die seiner Eigenart entsprechende Aufgabe. Alle gesichert sei. Wir wissen, daß dieses freie Spiel der Kräfte einigen Kräfte der Zeit, die um den Aufbau der sozialistischen   Kultur Wenigen und nicht immer den Besten zur Höhe verhilft und und Gesellschaft kämpfen, sind der Gesamtbewegung des Sozialis ihnen eine Macht verleiht, die fie, im Konkurrenztampf geschult, mus einzufügen." Das gilt für Menschen ebenso wie für die Völker.

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Stadtrat W. Friedländer, Berlin  :

Arbeitslose Jugend

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und

E.

Mit der ständig anwachsenden Zahl der jugendlichen Erwerbs= losen hat man sich allgemein auch stärker mit dem Problem be= schäftigt, wie die seelische Haltung dieser jungen Menschen

sich gestaltet, die gegen ihren Willen aus dem Beruf und der produk­tiven Arbeit herausgedrängt sind und jetzt kaum die Hoffnung haben den jugendlichen Arbeitslosen nicht viel gedient; dennoch muß es können, in absehbarer Zeit wieder eine schaffende Tätigkeit aus­zuüben. Mit solchen psychologischen Betrachtungen ist im allgemeinen sehr befremden, daß von karitativer Seite, und zwar von Persönlichkeiten, die sich mit dem Hilfswerk für die jugendlichen Ar­beitsloſen beſchäftigen, merkwürdige Auffassungen über die seelische Lage der Jugendlichen vorgebracht werden. So hat vor kurzem Dr. H. E. Hengstenberg in Solingen   in der Zeitschrift ,, Jugend­wohl für katholische Kinder und Jugendfürsorge" ausgeführt, daß die jugendlichen Arbeitslosen sich als mißhandelt, entrechtet und heimatlos fühlen und immer Hilfe von außen erwarten. Die Ar beitslosigkeit sei zur Weltanschauung geworden. Dr. Hengstenberg nennt dies eine typische proletarische" Ge finnung. Der jugendliche Arbeitslose habe es schwer, den Sinn und die Berechtigung einer geistigen Auseinandersetzung zu ver stehen, die ganz ohne unmittelbare äußere 3wedsegung geschieht, meil bei ihm der Gesichtspunkt vorherrscht, praktische Lebensziele zu erreichen. Es tritt deshalb eine Jagd nach irdischen Erfolgen ein und es bestände Unfähigkeit, etwas schlicht gegenwärtig zu nennen und sich daran zu halten. Als eigentliches proletarisches Moment fomme zu diesen Gedanken hinzu ein eigentümlicher Fatalis= mus. Die jugendlichen Erwerbslosen leben in der unerschütterlichen Vorausseßung, daß alle anderen Berufsklassen ihnen prinzipiell unrecht täten. Es könne gar nicht anders sein, die Welt bestände nur aus Unterdrückern und Knechten. Wenn man ihnen von Freiheit, Erlösung und allem Schönen im Geiste spräche, hätten sie dafür nur ein Lächeln und verständen alles sofort als Ausdruck des Unter­drückerwillens oder des Unterdrücktenschicksals. Solche Proletarier feien gegen jede ,, geistige Beeinflussung" taub und unfähig, Mängel in ihrem tieferen inneren Zusammenhang zu verstehen. Sie hätten eine Gerechtigkeitsempfindlichkeit" und glaubten, irgend jemand müßte ihnen das Leid ungerechterweise zugefügt haben. Am schwersten könnten diese Proletarier begreifen, daß man nur in einer geistigen Gemeinschaft diese Uebelstände bekämpfen könne und daß es andererseits auch eine Gemeinschaft mit negativen müsse. Die Proletarier verkennen überhaupt die geistigen, welt­Vorzeichen gäbe, die man mit weltanschaulichen Waffen bekämpfen anschaulichen Faktoren" in den heutigen sozialen und wirtschaft­lichen Gegensätzen. Auch das Wort Kapitalismus   verſtünden die Proletarier nicht und befeinden mit dem Kapitalismus   den Besitz und das Eigentum überhaupt, sofern es nicht zu­

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fällig ihnen gehörte. Der Stand der Werktätigen sei der zer= splittertſte und der gemeinschaftsloseste aller Stände, sei skeptisch gegen eine echte Gemeinschaft als Gesinnungsgemeinschaft, wie z. B. die Kirche. Der Mangel an Sinn für echte Gemeinschaft" sei der hervorstechendste Zug des Proletariers. Er wartet nicht, bis er das genügende Wissen in den grundlegenden Zusammenhängen habe, weil er nicht an die Macht des Geistigen glaubt und daher der Parteiheze und den Parteiversprechungen anheimfällt.

wie es

Eine Widerlegung dieser einseitigen und von völliger Ahnungs­lofigkeit gegenüber der wirklichen psychischen Lage der Arbeiter­schaft zeugenden Ausführungen erscheint kaum erforderlich. Es ist fest unbegreiflich, daß eine Persönlichkeit, die mit jugendlichen Ar­beitslosen zu tun hat, die grundlegenden Gedanken, die alle Kreise der Arbeiterschaft bewegen, so vollständig mißverstehen kann, wie dies hier geschieht. In jeder Gruppe von jugendlichen Arbeitslosen entwickelt sich gerade ein Gemeinschaftsgefühl auf dem Boden der Solidarität der Arbeiterschaft, selbst in einem Betriebe kaum in solcher Stärke üblich ist. Die Ge= danken des Dr. Hengstenberg lassen sich wohl nur verstehen, wenn man seine fanatische Abneigung gegen den Margismus, d. h. gegen jede fozialistische Idee in Rechnung seßt, die ihm offen­fichtlich als eine schwere Gefahr für die Kirchengläubigkeit der arbeitslosen Jugendlichen erscheint. So dringend ein umfassendes Hilfswerk für die jugendlichen Arbeitslosen ist, über das wir fürzlich an dieser Stelle gesprochen haben, so sehr muß davor gewarnt wer­den, daß Menschen einer geistigen Haltung auf die Jugendlichen los­gelassen werden, die eine völlige Verständnislosigkeit für die Psyche des jungen Arbeiters mitbringen, wie sie die besprochene Abhand­lung beweist.