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Morgenausgabe
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49.Jahrgang
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Vorwärts
Berliner Bolksblatt
Sonntag 1. Auguft 1932 Groß- Berlin 15 Pf. Auswärts 20 Pf.
Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschla
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Hitlers Privatsoldaten sengen und brennen an allen Ecken und Enden des Reichs. Inzwischen bereitet sich die Regierung darauf vor, mit Hitler über seinen Ein= tritt in die Regierung zu verhandeln. Gibt es einen Kulturstaat in der Welt, in dem Aehnliches erlebt wurde?
Man verschanzt sich hinter die Ausrede, die Mordanschläge und Brandstiftungen seien von der Führung nicht gewollt. Eine schöne Regierungspartei, die ihre Anhänger nicht am Morden und Brandstiften hindern fann! Aber ist diese Ausrede nicht eine offensichtliche Unwahrheit? Im ganzen Reich wird nach einem einheitlichen Plan gearbeitet -wo ist die Zentralstelle, die diesen Plan ausgeheckt hat und durchführen läßt?
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Hitler hat sich oft gerühmt, daß in seiner Partei nichts gegen seinen Willen geschehen könne und es wäre in der Tat grotest, wenn diesem Möchtegern- Diftator seine eigene SS. und SA. auf der Nase herumtanzen dürfte. Wäre dem wirklich so, dann müßte man Adolf Hitler als verhandlungsunfähig betrachten. Ist es aber anders, dann muß jede Regierung und jede Partei, die mit Hitler verhandeln will, ihm sagen, daß er seiner Partei erst das Morden verbieten muß, wenn er mitregieren
will!
Der Reichspräsident ist auf die Verfassung vereidigt. Neu ernannte Minister leisten den Eid auf die Verfassung in seine Hand. Wer will dem Reichspräsidenten zu muten, Leute zu vereidigen, die ihren Eid nur schwören, um ihn zu brechen? Die Nationalsozialistische Partei macht aus ihrer schnöden Verachtung der Verfassung und der Gesetze fein Hehl. Sie negiert sogar die selbstverständliche Grundlage des Rechtsstaats, die Gleichheit aller vor dem Gesez. Gewiß, die Absicht, sie zu zivilisieren, sie an Verantwortung zu gewöhnen, ihr Gelegenheit zu positiver Arbeit zu geben und damit ihre Anhängerschaft von dem Wunderglauben zu heilen, in dem sie befangen ist, wird jedem politisch Denkenden verständlich sein. Aber es scheint, daß Herr v. Schleicher sich sehr überschätzt, wenn er sich einbildet, diese Erziehungsarbeit leisten zu können. Bisher hat alles Entgegenkommen nur die Wirkung gehabt, daß sich die Verbrechen gehäuft haben und daß die Ansprüche immer underschämter geworden sind. Kein Zweifel, daß in der Nationalfozialistischen Partei starke Kräfte tätig sind, die überhaupt jede verantwortliche Mitarbeit ablehnen und dafür auf Wegen der Gewalt die Alleinherrschaft erstreben.
Sie wollen die Staatsgewalt von außen zermürben und von innen zerstören. Dazu brauchen sie Zeit, und nur darum wollen sie verhandeln.
Das Verbot für Beamte, der Nationalsozialistischen Partei anzugehören, ist aufgehoben worden. Die Propaganda kann ungestört in den Beamtenkörper, in die Polizei und die Reichswehr eindringen. Triumphierend meldet der ,, Angriff", daß am Freitagabend ein Verbrüderungsfest zwischen der Berliner SA. und etwa fünfzig Polizei beamten stattgefunden hat. Begrüßungsreden wurden getaucht, schließlich marschierten die Beamten, von Offizieren geführt, an dem Grafen Helldorf, dem Helden des Kur fürstendamms, im Parademarsch vorbei. Wenn der Angriff" von fünfzig Beamten spricht, so werden es noch weniger gewesen sein, und fünfzig Beamte find in dem großen Polizeiheer Berlins ein winziges Häuflein. Die ungeheure Mehrheit der Beamten steht dem neuen System innerlich ablehnend gegenüber, sie hat durchaus nicht den Wunsch, unter dem Oberkommando des Grafen Helldorf auf Beförderung zu dienen. Sie wissen aber auch, daß jeder Beamte, der treu zur Republik steht, auf schwerste Schikanen gefaßt sein muß. So ist ein Zermürbungs- und Zersegungsprozeß eingeleitet, der über kurz oder lang zu einer völligen
Entwaffnung der Staatsgewalt gegenüber dem Hochverrat| zu verstehen ist. Nun, darunter ist das zu verstehen, was beivon rechts zu führen droht.
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Geht dieser Zersegungsprozeß eine Weile weiter, so wird auch für eine Reichswehr , die fest in der Hand ihrer Führer" ist, zum Schutz der Staatsordnung nichts mehr zu tun sein. Die Reichswehr immer vorausgesezt, die optimistischen Auffassungen ihres Ministers bestätigten sichfann im Fall gewaltsamer Zusammenstöße nur eingesetzt werden, um die Polizeikräfte zu unterſtüßen; ihre Wirksam feit setzt voraus, daß die Polizei gegen die Verfassungs- und Gejegesbrecher in der richtigen Front steht.
Im übrigen weiß jedermann, daß die Reichswehr feines wegs darauf brennt, für die bestehende verfassungsmäßige Ordnung ihr Blut zu versprigen. Bei ihr findet die nationalsozialistische Propaganda einen besser vorbereiteten Boden sozialistische Propaganda einen besser vorbereiteten Boden als bei der Polizei.
Auch Groener glaubte sich seiner Reichswehr sicher, bis fie ihm eines Tages unter Schleichers Führung davon marschierte. Herr v. Schleicher mag aufpassen, daß sie nicht auch ihm entgleitet!
Die sozialdemokratischen Arbeiter sind politisch genug geschult, um den Gegensatz zu sehen, der zwischen der gegenwärtigen Regierung und der Nationalsozialistischen Partei besteht. Sie sehen ihn nur vielleicht besser, als die Regierung ihn sieht, die sich einbildet, sie könnte den Faschismus durch fanftes Entgegenkommen und durch Verzicht auf alles, was ihn reizen könnte, an den Staat herangewöhnen und zu einem gesetzlichen Leben erziehen. Der Faschismus wird um der treuen Augen des Herrn v. Schleicher willen seine Pläne und treuen Augen des Herrn v. Schleicher willen seine Pläne und Ziele nicht aufgeben, er wird fortfahren, aufs Ganze zu gehen, und erst dort halt machen, wo er auf einen Willen stoßen wird, der härter ist als der seine.
Daß dieser Wille der Wille der Regierung PapenSchleicher- Gayl sein werde, können jetzt nur noch Kinder glauben. Unter diesen Umständen ist es wirklich schlimmste Heuchelei, wenn die Rechtspresse aufgeregt tut, weil der sozialdemokratische Parteiausschuß am Freitag die Möglichkeiten eines besseren Selbstschußes erörtert hat. Neugierig fragt sie, was unter diesem Selbstschutz
spielsweise gestern vor fünf Wochen zur Anwendung kam, als unsere Reichsbannermache die braun kostümierten Landfriedensbrecher aus dem Vorwärts"- Gebäude hinauswarf. Es wäre ein Irrtum, wollte man glauben, daß man den deutsch en Arbeitern italienisch kommen darf!
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Die Wahlen heute vor einer Woche haben gezeigt, daß der Nationalsozialismus zwar die bürgerlichen Mittelparteien hinwegfegen konnte, daß er aber an die Arbeitermassen links von der Mitte nicht heran kann. Wir berufen uns in diesem Falle gern auf das unverdächtige Zeugnis der„ Kreuz zeitung ", die schreibt:
Wenn die drei großen politischen Gruppen, in
die das deutsche Volt gespalten ist, vorhanden sind, erstens in der
nationalen Rechten, zweitens in dem politischen Katholizismus und drittens in der sozialistischen Linfen, so ergibt eine Betrachtung der Reichstagswahlen von 1924 bis zum 31. Juli 1932, daß der Mandatsanteil der ersten Gruppe von 40,7 Proz. auf
45,3 Proz., also um 4,6 Proz. gestiegen ist, während die dritte Gruppe auf Kosten der Demokraten eine Steigerung des Mandatsanteils um 2,2 Proz., nämlich von 34,3 Proz. auf 36,5 Proz. erreicht wird. Man ist danach durchaus berechtigt zu sagen, daß die Reichs
tagswahl vom letzten Sonntag keine Ueberraschung und eine
Bolkes nicht gebracht hat. Die drei großen Fronten siehen im mesentliche Veränderung der politischen Gliederung des deutschen wesentlichen fest.
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die Front der sozialistischen Linken" eben keine„ Front", Das ist richtig leider nur mit der Einschränkung, daß sondern durch den Kommunismus gespalten ist. Ohne den Kommunismus gäbe es keine faschistische Gefahr! Aber deswegen bleibt die deutsche Arbeiterklasse doch bei einer geschichtlichen Entscheidung und in einer
folchen stehen wir ein Faktor, der nicht übersehen und über den nicht hinweggeschritten werden kann, wenn man nicht die Grundlagen des Staates und der Wirtschaft zerstören will.
Das ist keine Drohung, aber eine Warnung! Wer mit dem Faschismus spielt, der spielt mit Deutschlands Untergang!
Bomben im Arbeiterviertel
Schweigsame Polizei- Die GA. als Täter erkannt
Braunschweig , 6. Auguft.( Eigenbericht.)
Der terroristische Anschlag auf die Arbeiterwohnungen in der Cange Straße hat insgesamt 30 Häuser beschädigt. Die Sprengſtücke sind durch die geschlossenen Fensterläden in die WohKohlenhändler wurde durch ein Sprengstüd am Oberschenkel schwer
nungen gedrungen. Ein in der Parterrewohnung im Bett liegender
verletzt.
Die Polizei, die über die Untat bis heute abend noch keine 3eile veröffentlicht hat, war gezwungen, drei Personen unter Tatverdacht zu verhaften. Es handelt sich, wie wir erfahren, um drei schwerbewaffnete Nationalsozialisten. Der eine, ein gewiffer Hantel aus Rendsburg , wurde als antifaschistisch verfleideter Motorradfahrer erkannt, der seit einigen Nächten die Straßen Braunschweigs mit einer gefälschten Autonummer unsicher macht. Hantel entging mit fnapper Not der Cynchjuffiz der empörten Massen. Seine beiden komplicen find ebenfalls auswärtige S.- Leute, und zwar stammt einer aus Frankfurt a. M. Alle drei haben in der Braunschweiger S.- Kajerne am Torwall ihr Domizil.
Die Spuren des Attentats, feiner Vorbereitung und der Anschläge der letzten Nächte weisen nach diesem Hause, wo Munition, Waffen und Sprengstoff in Hülle und Fülle vorhanden sein dürften. Obwohl diese Tatsachen stadtbekannt sind, hat klagges' Polizei noch
niemals dies Verbrecherasyl durchsuchen dürfen. Haussuchungen fanden stets in Arbeiterwohnungen statt. Um von der Schuld der
Nazis, die derartige Verbrecher zu„ Hilfspolizisten" im Lande Braunschweig machen wollen, abzulenken, hat das Parteiblatt des Herrn Klagges die Stirn, Kommunisten der Tat zu bezichtigen. Die Eiferne Front wird die terroristischen Akte zum Anlaß eines scharfen Profeftes beim Reichsinnenminifterium nehmen. Nächtlicher Feuerüberfall in Pommern . Auf Reichsbannerführer und kommunistischem Funktionär.
Gegen die Wohnungen des Kreisvorsißenden des Reichsbanners Bonnke und des kommunistischen Führers Meier wurden heute früh gegen 3 Uhr mehrere Schüffe abgegeben, verlegt wurde niemand. Nach dem Feuerüberfall wurde ein Motorradfahrer beobachtet, der in schnellem Tempo davonfuhr.