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Morgenausgabe

Nr. 375

A 185

49. Jahrgang

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Teils

Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Donnerstag 11. August 1932 Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschla

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Vorwärts- Verlag G. m. b. H.

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Es lebe die Republik !

Albert Grzesinski an die Polizeibeamten Berlins .

Verfassungstag.

An Stelle einer Rede im Lustgarten.

Von Albert Grzesinski .

Heute mittag wird, wie nun schon traditionell, die Berliner Polizeibeamtenschaft den Ver­fassungstag amtlich im Lust­garten festlich begehen und mit einer großen, eindrucksvollen Parade der Schuhpoli­ze i abschließen. Mehr noch als

früher wird über die Arbeit der

Polizei heute gesagt werden können, daß auch das letzte Jahr wieder beispiellose An­forderungen an sie geftellt hat. Ich, der bis vor kurzem täglich Ich, der bis vor kurzem täglich gezwungen war, das Aeußerste von der Polizei zu verlangen und ihre Tätigkeit ständig beob= achtete, weiß, was geleistet wurde, und ich habe immer wieder den dringenden Wunsch, daß ganz Berlin be= greifen möge, was es der hingebungsvollen Arbeit jeiner Polizeibeamten zu danken hat. Die Feiern der Berliner Polizei waren stets auch zugleich eine Bekundung der Beamtenschaft, daß ihr der Dienst in der Republik , für Volk und Vaterland nicht nur eine Sache der Pflicht, sondern auch des Herzens war. Es wurde gelobt, daß die Berliner Polizei über Not und Ungemach hinaus alle Kräfte her­geben wird, um mitzuhelfen und sicherzustellen, daß Deutsch­ land einer reichlich verdienten besseren und schöneren Zu­tunft entgegengeführt werde, und es wurde durch die Feier gewissermaßen der Schwur auf die Reichs- und preußische Staatsverfassung erneut geleistet.

Die diesjährige Verfassungsfeier ist überschattet von den Ereignissen des 20. Juli 1932, dessen Ablauf von den Beamten der Berliner Polizei wegen ihrer Verbundenheit mit ihren bisherigen Führern ein ungeheures Maß an Selbstdisziplin erforderte. Die bedenkliche, zur Zeit noch der Nachprüfung durch den Staatsgerichtshof der Republit in Leipzig unterliegende Auslegung und Anwen­dung des Artikels 48 der Reichsverfassung hat bis weit in die Beamtenschaft hinein das deutsche Volt erregt. Die aus politischen Gründen erfolgte gewaltsame Entfernung höchster preußischer Staatsbeamten ist als ein die Staatsautorität unheilbar verlegender Akt, als eine rechtlose Gewaltmaßnahme und eine Gefährdung der eigenen Rechte der Beamtenschaft betrachtet worden. Es ist auch Schuld der für die Vorgänge am 20. Juli verantwortlichen Männer, wenn Millionen treuer Republikaner und Deutscher die heutigen offiziellen Ver­fassungsfeiern als nicht ganz ernst, ja beinahe als Ironie empfinden.

Es ist für eine Bevormundung durch eine Minderheit zu| Willen. Und dabei hat Gottfried Keller so recht, wenn er intelligent!

Aus den offiziösen und offiziellen Auslassungen der ver­antwortlichen Männer von heute hört man unter wenig ge­schmackvoller, abfälliger Bezugnahme auf die Regierungs­methoden von gestern immer wieder, daß mit dem Partei­wesen" in der Staatsverwaltung und der Politisierung der Beamtenschaft" Schluß gemacht werden müsse. Nun, sprechen wir es offen aus und bekennen wir uns klar zu den Tat­jachen: Wenn die Staatsgewalt wirklich vom Volke ausgehen soll, dann kann das nur sein, wenn der Volksstaat ein Parteien staat ist! So ifts im demokratischen England und in Frankreich . Denn das Volk entfaltet und entwickelt sich nur in dem vielfältigen Reichtum kämpfender Gruppen, Klassen und Parteien. Dem Deutschen ist ein merkwürdiges Schwanken zwischen Parteiprüderie und Parteifanatismus eigentümlich. Parteipolitit, fagte Radbruch einmal sehr richtig, gehört in Deutschland zu den Dingen, die man tut, aber von denen man nicht gern spricht. Man verwahrt sich bei jeder Gelegenheit dagegen, Parteipolitik zu machen. Man schämt sich der Parteipolitik. Man tut so, als seien die Par­teien etwas, was eigentlich nicht sein sollte. Man verkündet einen Standpunkt über den Parteien- ,, das Vaterland über der Partei" und blickt verächtlich auf den ,, Hader der Parteien" herab als ein sachlicher Arbeit schädliches Gezänk und ein Gemisch mangelnder Einsicht und bösem

-

dichtet:

Was

Wer über den Parteien

sich wähnt mit stolzen Mienen,

der steht zumeist sogar erheblich unter ihnen.".

heute geschieht, ist antirepublikanische Partei politik und gewaltsame Politisierung der Beam­tenschaft. Es ist genau das Gegenteil von dem, was in den letzten dreizehn Jahren preußischer, republikanisch- demokrati­scher Verwaltungsarbeit geschehen ist. Selbst bei einem ver­fassungsmäßig einwandfreien Regierungswechsel wären die nach dem 20. Juli erfolgten Personalveränderungen in der preußischen Verwaltung weit über das gebotene, auch politisch fluge Maß hinausgegangen. Es sind einwandfreie und erst­klassige, hohe und sehr angesehene Sachbearbeiter nicht etwa wegen dienstlicher Unzulänglichkeit, sondern aus rein persön lichen Gründen, oder wegen ihrer noch nicht einmal betätigten politischen Gesinnung abgesetzt oder kaltgestellt worden. Die preußische Staatsregierung hat in den letzten dreizehn Jahren gewiß politische Beamte eingesetzt oder ausgewechselt politische Zusammensetzung der Bevölkerung des jeweiligen Be­-und zwar im Hinblick auf die soziale, weltanschauliche und zirks, wie das der demokratische Staat erfordert und Artikel 86 der preußischen Verfassung vorschreibt. Sie hat aber niemals in den mittleren oder unteren Beamten

Es wird verhandelt!

Hugenberg bei Papen.- Joos und Bolz erwartet.

Die ,, Telunion" meldet am Mittwochabend:

Das Reichskabinett trat am Mittwoch um 17 Uhr zu einer ausgedehnten Sihung zusammen, die bis gegen 19.30 Uhr dauerte. Eine amtliche Mit­teilung über die Sitzung und über die in der Situng ge­faßten Beschlüsse ist nicht erfolgt. In gut unterrichteten Kreisen unterstreicht man immerhin die Tatsache, daß die Entscheidung stärker denn je in der Hand des Reichspräsidenten liege, der seinerseits angesichts der gespannten Lage im Innern wie auch im Hinblick auf die

Heute

gegen Hitler - Papen Fahnen heraus!

Um so inniger werden sich die deutschen Republikaner zu ihren eigenen Feiern zusammenfinden und dabei die Un­antastbarkeit des Werkes von Weimar verkünden. Trotz übler Ereignisse der letzten Zeit, trotz Mord und Terror der Re­aktion darf heute kein Plaz sein für trübselige, nach rück­märts gerichtete Empfindungen. Heute und für die nächste Zukunft gilt es, mit allen Kräften den wahren Staat von Weimar gegen den gefälschten zu verteidigen und alle Kräfte zur Wiederherstellung des wirklichen Volksstaates zu sammeln. Es bleibt wahr und ist immer wieder zu profla mieren: auch wenn die Reaktion noch so droht, das deutsche Volf fann nur in der demokratischen Republik leben und nur auf dieser Staats- Noch für Mittwochabend hat der Reichskanzler v. Papen grundlage seinen Wiederaufbau betreiben. den deutschnationalen Parteiführer Dr. Hugenberg zu

Unmöglichkeit parlamentarischer Mehrheits­bildungen nach wie vor auf eine überparteiliche Präfiidialregierung Wert legt. Die nachfolgenden Verhand­lungen des Reichskanzlers mit den Parteien werden daher auch in dieser Richtung liegen.

einer Besprechung gebeten. Donnerstagnachmittag empfängt der Reichskanzler die Zentrumsabgeordneten Joos und Staatspräsident Bo13- Württemberg. Adolf Hitler war am Mittwoch noch nicht in Berlin . Die Verhandlungen Papens mit Hitler erwartet man für Freitag vormittag.

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Am Mittwoch nachmittag wurde sogar in den Kreisen, die dem Reichskanzler von Papen am nächsten stehen, zuge­geben, daß mit einer Betrauung Hitlers als Reichs­kanzler durch den Reichspräsidenten bereits in den nächsten Tagen, spätestens Anfang der kommenden Woche, gerechnet werden müsse.

Die Fiktion einer überparteilichen Regierung" unter Hitler als Kanzler sollte mit der Begründung aufrechterhalten bleiben, daß Hitler nicht als Führer der Nationalsozialistischen Partei, sondern der nationalsozialistischen Bewegung mit der Regierungsbildung beauftragt werde. apen sollte im Kabinet als Reichsaußenminister bleiben, während Neu­ rath seinen bisherigen Posten als Botschafter in London , der noch immer verwaist ist, wieder einnehmen würde. Als weitere Exponenten der Nationalsozialistischen Partei Berzeihung: Bewegung sollten die Pg.s Gregor Straßer das Reichsinnenministerium und Goering das Verkehrsministerium als fachmännisch qualifizierte Persön­lichkeiten" übernehmen.

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Wie gewöhnlich war am Abend aber alles wieder anders. Man erklärte, eine Hitler - Regierung fomme nicht mehr in Betracht, sondern nur eine mit Nazis um­gebildete Papen- Regierung. Es ist festzustellen, daß auch unter der grundsäglich neuen Art der Staatsführung" der übliche Kuhhandel blüht, ja, daß er sich noch erbärmlicher ausnimmt als früher.