Justiz des„neuen Systems". Sozialdemokraten und Reichsbanner sind Freiwild.
alle von der Staatspartei verlorenen Stimmen aufgenommen hätte, wäre das nur we Niger als ein Viertel unserer Gewinne. Ein Teil der früheren Wähler der Staatspartei hat aber zweifelsfrei das Zentrum gewählt. Man darf also für das ganze Gebiet etwa folgende Berechnung aufstellen: die„marxistische" Front hat etwa 350(XX) Stimmen gewonnen und die Nazis haben 18(XX) verloren, d. h. sie haben aus den bürgerlichen Reserven um 18(XX) weniger Wähler bekommen, als sie an die„Marxisten" abgegeben haben. In anderen Kreisen liegen die Dinge weniger klar, d. h. die gleiche Entwicklung tritt äußerlich weniger klar in Er- scheinung. Daß sie aber vorhanden ist, ergibt sich aus der Tatsache, daß die Nazis weniger gewonnen haben, als das aus den Verlusten der bürgerlichen Parteien und aus der stärkeren Wahlbeteiligung folgen müßte. Von den Aus- nahmen in den evangelischen ländlichen Gebieten haben wir schon gesprochen. Auf diese Weise entsteht das Bild, das im schärfsten Gegensatz steht zum Anspruch der Nazis, eine nationale Bewegung zu sein. Die nationalsozialistische Bewegung hat keine nationalbindende und damit nationalbildende Kraft. Nicht nur werden die Klassengegensätze durch den Nationalsozialismus nicht überbrückt— die Festigkeit der „marxistischen " Front und die Ablehnung der Nazis durch die katholische Arbeiterschaft!—, sondern werden auch die anderen Gegensätze, wie die konfessionellen und die zwischen den Ländern, in bedrohlichem Maße zugespitzt. Ja auch inner- halb Preußens entsteht, als Folge der nationalsozialistischen Bewegung, der klaffende Riß zwischen dem Westen und dem Osten. Es genügt, darauf hinzuweisen, daß die Nazis in Schleswig-Holstein 50,8 Proz., in Osthannover 49,5 Proz., in Frankfurt a. O. 48,2 Proz., in Liegnitz 48 Proz., in Pommern 47,9 Proz. und in Ostpreußen 47 Proz., auf der anderen Seite aber in Köln-Aachen nur 20,2 Proz., in Düsseldorf-West 27 Proz., in Koblenz -Trier 28,8 Proz. und wiederum in Niederbayern nur 20,4 Proz. und in Oberbayern -Schwaben 27 Proz. aller Stimmen haben. Evangelisch gegen katholisch. Osten und Norden gegen Westen und Süden: soll die äußerste Zuspitzung dieser durch Demokratie in starkem Maße gemilderten Gegensätze als „Wiedergeburt der Nation" gelten? Der Nationalsozialismus ist nicht nur nicht sozialistisch, sondern auch nicht national. Er hat gegen sich die sozialistische Arbeiterschaft und er bewirkt über die in jeder Nation unvermeidlichen Klassengegensätze hinaus die Frontbildung innerhalb der Nation! In der sozialistischen Arbeiterschaft hat sich das Verhält- nis zwischen den beiden Parteien wiederum zugunsten der Kommunisten verschoben. Die Kommunisten haben einen Teil der von ihnen an die Nazis verlorenen Wähler wiedergewon- nen und darüber hinaus haben sie seit den Preußenwahlen in einigen preußischen Wahlkreisen auf unsere Kosten zuge- nommen. Das erste stellt einen völlig natürlichen Vorgang dar, da es sich dabei um die Wähler, die zwischen der KPD . und den Nazis schwankten, handelte. Es ist zweifelsohne unser Verdienst, daß der nationalsozialistische Einbruch in die Reihen der sozialistischen Arbeiterschaft abgeschlagen wurde. Wir mußten es aber in Kauf nehmen, daß die erste Auswirkung dieses unseres Erfolges die Rückkehr der früheren kommunisti- schen Wähler zur KPD. sein wird. Unsere Verluste an die KPD. sind auf die Wahlhilfe zurückzuführen, die die Kommu- nisten von der Reichsregierung und namentlich durch die Aktion gegenPreußen bekommen haben. In einigen Teilen Preußens haben wir feit April einen Rückschlag er- litten. Trotzdem befinden wir uns seit Ende des vorigen Jahres in einem unbestreitbaren Aufstieg. Das steht einwand- frei fest in allen Fällen, in denen der Vergleich mit dem Herbst 1931 möglich ist. In Hamburg , Anhalt und Hessen entwickelten sich unsere und die kommunistischen Stimmen seit September 1930 wie folgt(in Tausenden von Stimmen):
Wir sind also weit über unfern Tiefstand im Herbst 1931 hinaus und die KPD. bleibt weit hinter ihrem Hochstand zu der gleichen Zeit zurück.
Sachsen will durchgreifen. Sine Erklärung des Innenministers. Dresden , 11. August. In einer Unterredung mit dem sozialdemokratischen Land- tagspräsidenten Meckel erklärte der sächsische Innen- minister Richter aus die Frage, was die Regierung gegen das Ueberhandnehmen der Anschlagswelle in Sachsen zu tun gedenke, daß er beschleunigt verschärfte Maßnahmen zum Schutze der Be- oölkerung anordnen werde.
Landtag noch im August. Kerrls Antwort an die Sozialdemokraten. Landtagspräsident Kerrl hat die Anträge der Sozialdemo» traten und der Kommunisten auf alsbaldigen Zusammentritt des Preußischen Landtags dahin beantwortet, daß er den Zeitpunkt de» Zusammentritts noch nicht endgültig bestimmen könne, daß aber der Landtag noch vor Beginn der Reichstags- t a g u n g zusammentreten werde. Da der Reichstag spätestens 30 Tage nach der Wahl zusammen- treten muß, in diesem Fall also am 3». August, muß der Preußische Landtag nach dieser Antwort gleichfalls noch im August einberufen werden, falls Herr Kerrl inzwischen nicht durch neue Winkelzüge den Zusammenttitt des Preußenparlaments hinauszögert.
Sozialdemokralcn gegen die Neugliederung von Landkreisen. Die sozialdemokratische Fraktion hat im Preußischen Landtag einen Antrag auf Aufhebung der Verordnung über die Neu- gliederung von Landkreisen eingebracht.
Braunschweig , 11. August.(Eigenbericht.) Ein Schandurteil fällte heute abend der Schnellrichter in h a s s e l fe l d e gegen den Redakteur des sozialdemo- kralischen„harzer E ch o". Richard Salge aus Blankenburg am Harz . Auf Grund der Denunziation eines Nationalsozialisten war Genosse Salge verhaftet worden. Er soll in einer öffentlichen Wahl- kundgebung zu Gewalttätigkeiten ausgereizt haben. Obwohl genügend Zeugen vorhanden sind, die Salges einwandfreies Verhalten bekunden konnten, wurde einem Denunzianten Glauben geschenkt. Der Angeklagt« ist auf Grund der Notverordnung vom Juni dieses Jahres zu einem Jahr, zwei Monaten Ge- fängnis oerurteilt worden. Dieses Urteil ist ebenso un- geheuerlich wie die Verurteilung von 29 Reichsbannerkameraden von demselben Schnellrichter zu insgesamt IIS Monaten Gefängnis, unter denen sich zwei Höchststrasen von 1 Jahr 1 Monat und 1 Jahr Gefängnis befinden. Insgesamt war 73 Reichsbanner- kameraden der Prozeß wegen Landfriedensbruches gemacht worden. 44 Angeklagte wurden freigesprochen. Diesem Prozeß lag die Ermordung des Reichsbannerkameraden Fritz Müller in Hasselfeld « durch SA.-Leut« zu Grunde, der in der Nacht vor den Reichstagswahlen in dem kleinen Harzer Städtchen angefallen worden war und die die dortige republikanische Bevölkerung terrorisiert haben. Gegen die Mörder Müllers istt bisher nicht vorgegangen worden und sie lausen frei herum. Ein Schreckensurteil. Drakonische Gefängnisstrafen gegen Schupobeamte. Dortmund , 11. August.(Eigenbericht.) Die Große Strafkammer des Dortmunder Landgerichts verur- teilte am Mittwoch a ch l Dortmunder Polizeibeamte zu schweren Gefängnisstrafen.
Republik und Freiheit unbeliebt. Nachklang einer sogenannten Derfafsungsfeier. In seiner gestrigen Rede zum V e r f a s s u n g s t a g hat der Reichsinnenminister Baron Gayl gleich zu Beginn für notwendig empfunden, zu begründen, warum die Regierung der Deutschen Republik— selbstverständlich hat er das Wort Republik nicht aus- gesprochen— sich entschlossen hat, den Verfassungstag überhaupt amtlich zu begehen. Klang dies bereits als eine Entschuldigung für einen solchen Entschluß, so ist die neue Staatsführung nachher noch aktiv geworden. Bei allen Verfassungsfeiern bisher hat die Ansprache des Reichskanzlers mit der Aufforderung geendet, in das Hoch auf ,has in der Republik geeinte deutsche Volk" einzustimmen. Herr von Papen hat es geschmackvoll gefunden, an diesem Gebrauch seiner
Jetzt erst recht! Die 3 Pfeile an die Brust! Der Gruß: FreihettS Amtsvorgänger nicht festzuhalten: mit erhobener Stimme brachte er ein Hoch aus auf ,ha» im Deutschen Reiche geeinte Volt"! So hat er das unbeliebte Wort Republik vermieden, wenn es ihm auch gewiß nicht im Sinne lag, das außerhalb der Reichsgrenzen lebende Deutsche Volk nicht hochleben zu lassen. Ganz im Sinne des neuen Scholz-Kurfes im Rundfunk war nachher die Reportage von der Rampe am Platz der Republik . Ein bisher ganz unbekannter Sprecher schwärmte mit rollendem R vom Reichspräsidenten , von dem-„gertenschlanken Reichswehroffizier", dem der Oberbefehlshaber der Wehrmacht die Hand schüttest«, von der Strammhest der Truppe und schließlich von den Hochrufen der Zuschauer. Nach der Abfahrt des Reichspräsi- deuten erklärte der Reporter', nun beginne„das Volk sich aufzulösen"! Er war wohl etwas aufgeregt in seinem neuen Amt, denn er sprach auch von der Sonne, die den Mittag dieses 11. November vergolde. Nichts aber sagte er davon, daß eine starke Gruppe auf dem Platz mehrmals in dröhnend« Freiheit-Ruf« aus-
Den Angeklagten, einem Hauptmann, einem Oberwacht- meister und sechs Polizeiwachtmeistern, wird zur Last gelegt, bei einem Zusammenstoß mit Nationalsozialisten und Passanten am 19. April dieses Jahres aus dem Ostwall und bei der an- schließenden Räumung der Geschäftsstelle der NSDAP , sich der Mißhandlung verschiedener Leute schuldig gemacht zu haben. Das Urteil lautete gegen den Hauptmann Moritz auf vier Monate Gefängnis, gegen den Oberwachtmeister Anders auf ein Jahr Gefängnis und gegen die sechs Wachtmeister aus 8 Monate bis zu einem Jahr drei Monate Gefängnis. Sämtlichen Angeklagten wird, mit Ausnahme des Hauptmanns Moritz, die Fähigkeit zur Be- kleidung öffentlicher Aemter auf drei Jahre abgesprochen. e- Der Verlaus des Prozesses hat ergeben, daß ein Ueberfall- kommando von 22 Polizisten von einer aufgehegten vielhundert- köpfigen nationalsozialistischen Menge umlagert und zum Teil t ä t- lich angegriffen wurde. Mehrere Polizisten konnten nachweisen, daß sie von hinten überfallen und mit Schlagwerkzeugen bearbeitet wurden. Bei dem Versuch, die Jnsultanten zu verhaften, wurden die Beamten von randa- lierenden Frauen gehindert, die ihnen an den Hals sprangen und sich an ihnen festhöngten. Daraufhin gab der leitende Hauptmann den Befehl zum Drein- schlagen. Die Folge war, daß eine Anzahl Personen, darunter auch meherere Unbeteiligte, verletzt wurden. Die Tatsache, daß die nationalsozialistische Menge, die vorher Reichsbanner- Flugblattverteiler mißhandelt hatte, die Polizei provoziert hat, kann nach dem Verlauf des Prozesses als �erwiesen gelten. Um so stärkere Entrüstung muß dieses Skandalurteil gegen Polizeibeamte hervorrufen, die zu schweren Gefängnisstrafen ver- urteilt sind, weil sie es gewagt haben, die staatliche Autorität gegen randalierende Hitler- Banden zur Geltung zu bringen.
brach. Die Rundfunktechnik verschuldete es, daß diefe nicht erwähn- ten Freiheit-Rufe trotzdem aus allen Kopfhörern und Lautsprechern klangen, wie das auch schon vorher am Schluß der Feier im Reichs- tagssaal gegangen war. Vielleicht gelingt es dem neuen Reichs- rundfunkkommissar und Hitler -Mann Dr. Scholz, für künftige Re- portagen ein Mikrophon zu konstruieren, das nur obrigkeit- lich genehmigte Worte und Rufe durchläßt!
„Scham und Trauer..." Hessens Staatspräsident zum Verfassungstage. Darmstadl, 11. August.(Eigenbericht.) Die h e s s i s ch e Regierung hat den Verfassungstag trotz eines durch die Nationalsozialisten herbeigeführten Landtags- beschluffes, den Verfassungstag als gesetzlichen Feiertag aufzuheben, feierlich begangen. In den drei Provinzialhauptstädten Darmstadt , Mainz und Gießen marschierte die Schupo vormittags zur Parade auf. In Darmstadt nahm Staatspräsident Adelung die Parade ab. In seiner Ansprache sagte er u. a.: Scham und Trauer er- füllen jeden wirklich national empfindenden Menschen ob des Tiefstandes des politischen Kampfes in Deutschland , wie ihn selbst der Balkan in seiner schlimmsten Zeit kaum gekannt hat. Die Polizei steht außerhalb der politischen Parteien und darf einer solchen nicht hörig sein. Es hieße die Aufgab« der Polizei ver- fälschen, wenn man ihr einseitig und politisch organisierte sogenannte „Hilfspolizei" angliedern wollte, unter welchem Namen es auch immer sei. Die hessische Polizei hat die Kraft und Mittel, sich durch- zusetzen, den Bürger zu schützen und Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen. Abends fand eine republikanische Massenkundgebung in der Festhalle statt.
Kommunistischer Führer verhastet. Königsberqer Kommunisienblatt verboten. Der Führer der Kommunistischen Partei in Köln , E ck e r tz, wurde auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft oerhaftet. Der Verhaftung ging eine Durchsuchung der Wohnung des Eckertz vor- aus, bei der ein Koffer beschlagnahmt worden war. Ueber den Inhalt des Koffers wird an maßgebenden Stellen Stillschweigen bewahrt. Er soll angeblich neben verbotener Literatur auch hoch- verräterische Schriften enthalten. Der Oberpräsident der Provinz Ostpreußen hat das kommunisti- sche Organ„Echo des Ostens" vom 19. bis 16. August«in, schließlich verboten.
Parteienstaat oder nicht? Ein Rachwort zum Artikel Grzesinskis.
Der„Berliner Lokal-Anzeiger" beschäftigt sich mit dem Aufsatz Grzesinskis zum Verfassungstag. Besonders angetan hat es ihm der folgende Satz: „Wenn die Staatsgewalt wirklich vom Volke ausgehen soll, dann kann das nur sein, wenn der Volksstaat ein Parteienstaat ist." Der„Berliner Lokal-Anzeiger" nennt das ein etwas ver- fpätetes Eingeständnis und bemerkt dazu: Dieses etwas verspätete Eingeständnis ist dankenswert. Wie haben die Machthaber aus der Partei des Herrn Grzefinski, aus der sozialdemokratischen, mit Anklageerhebung und Ver- boten gewütet, wenn man sich den Hinweis darauf erlaubte, daß sie doch wohl auch ein wenig Parteimänner wären. Jetzt, ent- machtet, läßt einer von ihnen die Maske fallen. Solche A n w a n d- lung von Ehrlichkeit verdient Lob. Schade, daß der„Lokal-Anzeiger" sich daran kein Beispiel nimmt und nicht auch Anwandlungen von Ehrlichkeit be- kommt! Er würde sonst anerkennen, daß er sick unter der Re- gierung sozialdemokratischer„Parteimänner' der weitest- gehenden Pressefreiheit erfreut hat. Andererseits würde er zu- geben müssen, daß in Deutschland noch niemals auf dem Ge-
biete der behördlichen Pressebehandlung eine so o f fe n k u n- dige Parteiwirtschaft geherrscht hat wie heutzutage. Um sich dieses Geständnis abzuringen, brauchte er bloß daran zu denken, wofür heutzutage ein republikanisches Blatt ver- boten wird und was sich der„Anariff" alles erlauben darf. Und so würde der„Lokal-Anzeiger, wenn er Anwandlungen von Ehrlichkeit hätte, sehr bald zu der Erkenntnis kommen, daß die angeblich jetzt vollzogene Abkehr vom Parteienstaat nichts anderes als eine konventionelle Lüge ist und daß wir jetzt nicht„überparteilich", sondern de u t s ch n a t i o n a l re- giert werden. Die deutschnationale Partei spielt jetzt die Rolle einer Staatspartei der Rechten: je mehr Mandate sie verliert, desto größer wird ihr Einfluß. Grzefinski, als Sozialdemokrat, hat nicht bloß„Anwand- lungen von Ehrlichkeit", er hat nie geleugnet, daß ein moder- ner Staat ohne Parteien undenkbar ist. Die Taschenspieler von rechts aber wollen alle Parteien abschaffen— ausgenommen die eigene, die dann als angeblich„überparteiliche Macht" die Alleinherrschaft üben soll. Sie können sich darum „Anwandlungen von Ehrlichkeit" nicht leisten, sie wäre ja Selbstmord für sie!