Zu einer Verfassungsrede.
v. Gayl:».Sehet—, so muß eine Regierung über den Parteien schweben!'' Stimme aus dem Volke:».Hm— aber wer hält die Drähte?"
Oer Waffendiebstahl von Kassel . Skandalös mildes Ltrieil.— Sozialdemokratischer Aufklarungsantrag im Landtag.
Siehe, ein Sozialist! Graf Veventlow fordert Verstaatlichung des Vonkwefens und der Großindustrie. Der nationalsozialistische Reichstagsabgeordnete Graf R e v e n t l o w ist einer der wenigen unter den Partei» gängern Hitlers, denen man ihre sozialistische Gesinnung glauben kann. In seinem Eingängerblättchen„Reichswart" veröffentlicht er jetzt einen Artikel, der zum guten Teil den entschiedenen Beifall auch aller marxistischen und internatio» nalen Sozialisten finden kann. Reventlow beklagt darin die Zersplitterung der deutschen Arbeitnehmerschaft auf so viele verschiedene Parteien. Er nennt das„einen unsinnigen, un- heiloollen und sinnlos haarsträubenden Zustand". Dann fährt er fort: Der Kampf der Parteien gegeneinander geht also im Grunde und letzten Endes gegen den Arbeitnehiner. In die Parteien hinein- gebannt, zerfleisch! sich die Arbeitnehmerschaft selbst durch diesen Kampf unausgesetzt, obgleich ihr eigentlicher Gegner für jede ihrer Gruppen, einerlei ivelcher Partei, derselbe ist: der kapilallsmu», der Anspruch und die liebermacht des Arbeit- gebers, zumal des Grohbetriebes, der Kartelle und Truste der Gegensatz und alles was sich aus ihm ergibt, zwischen den Besitzenden und den Nichtbesitzenden ist für den Arbeitnehmer derselbe, einerlei ob er der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei angehört, oder der Kommunistischen Partei. Und schließlich: die Mittel, welche hier wirklich nicht allein Abhilfe. sondern tatsächlich neue und gesunde Zustände schassen könnten, sind auch dieselben und können nur dieselben sein. Die gegen- wärtigen Zustände schreien nicht nur an sich zum Himmel, sondern sind für den Staat, für das Volk und für das Land, für die Nation im Sinne des Wortes unerträglich. Zm Augenblick, wo die gesamte Arbeitnehmerschaft zusammen- steht, zusammengeht und zusammen kämpft, ist mit einem Schlage alles anders. Die Arbeitnehmerschaft bildet dann eine Macht in Deutschland , gegen die niemand auch nur entfernt auskommen kann. Die große gewaltige Aufgabe solcher Einigung müßte den höchsten Ehrgeiz eines deutschen Staatsmannes bilden, wohlgemerkt, einer Per- sönlichkeit, die sowohl Staatsmann als auch in jedem Sinne deutsch wäre. Diese Aufgabe nämlich bedeutet nicht allein den Kampf für den gerechten Anspruch des Arbeitnehmertums, sondern, wir hoben davon oft gesprochen, jene deutsche Einigung, die für wirtliche deutsche Volkswerdung eine Notwendigkeit bedeutet und zwar eine unbedingte. Dazu kommt eins, das Allerwichtigste: die Notwendigkeit einer bis auf den Grund gehenden Aenderung des jetzigen sozialpolitischen und wirlschasilichen Zustandes ist zeitlich eine brennende. Graf Reventlow huldigt dem romantischen Wahn, die Partei, in der sich alle Arbeitnehmer vereinigen, könnte die nationalsozialistische sein! Er schließt mit den Worten: Wie gesagt, eine einzige große für jeden Arbeitnehmer alle Mißverständnisse aufklärende und alle Lügen beseitigende Tat kann die Scheidewände niederlegen und die Arbeitnehmerschaft einigen: die Durchführung des alten Programmpunktee der NSDAP. , verstaalllchung de» Bankwesens und der Großbetriebe. Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion wird den Wünschen Reventlows durch die Stellung der entsprechenden Anträge entgegenkommen. Es wird an den National- sozialisten und den Kommunisten liegen, diesen Anträgen zu einer erdrückenden Mehrheit und zur Gesetzeskraft zu ver- helfen!_
Aufbauwille. i. Erst jetzt wird uns ein Borfall bekannt, der sich knapp vor der jüngsten Reichstagwohl in einer Wilmersdorfer Parkanlage zu- getragen hat. Dort oerteilte ein Hitler -Soldat Hakenkreuzfähnchsn an spielende Kinder. Er wollte auch einen 11 jährigen Jungen damit bedenken, der geistig zurückgeblieben ist, auch nicht sprechen kann. Dieses unglückliche Kind wehrte da» ihm zugedachte Geschenk, mit dem es nicht, anzufangen wußte, ab und da es doch nicht sprechen kann, tat es das gegenüber der aufdringlichen Darbietung schließlich durch einen Stoß, woraus es sich wendete, um wegzulaujen. Worauf der Aufbouwillige dem armen Jungen mit dem genagsl- ten, legalen, absolut umnilitärischen SA.-Stiesel einen Tritt gegen das Rückenende versetzte. Zu Hause rieb das Kind sich immer diese Korpergegend: das fiel den Eltern auf und es gelang ihnen, von anderen Kindern diesen Hergang zu erfahren. Selbstverständlich hatte der Hitler -Mann seine aufbauende Tätigkeit inzwischen anderswohin verlegt. II. Spaziergänger hinter Pichelsberge hatten am gestrigen Freitag das lebhafte Vergnügen, vier junge Radfahrer vorbeikommen zu sehen, die das aufbauwillige Erkennungszeichen des Hakenkreuzes trugen. Im Fahren sangen sie im Chor. Und in ihrem Lied er- tönte es ebenso schlicht wie einfach und ergreifend: Kommt einst die Stunde der Entscheidung, Sind wir ,u jedem Massenmord bereit. So fuhren sie dahin— sangeslustig, friedserttg, gesetzestreu und aufbauwlllig. Nsue Zustiz. Ganz wie vor dreißig Jahren? Dessau , 12. August.(Eigenbericht.) Die Große Strafkammer in Dessau verurteilte am Freitagabend den sozialdemokratischen Redakteur und Reichstagsabgeordneten G Harb S e e g e r wegen Beleidigung des anhaltischen Nazi- Mi nlterpräsidenien Freyberg zu vier Monaten Gefängnis. De: Prozeß spricht eindeutig sür das„neue System" das in der deu. hen Rechtsprechung eingeführt worden ist. Anläßlich der Ermordung des Reichsbannersührer« Feuer» Herd durch nationalsozialistische SA.-Lcute war von der Regierung Frer',erg wenige Tage nach dem Mord eine Regierungserklärung an k e Presse verschickt worden, in der sestgestellt wurde, daß die poliz ilichen Ermittelungen einwandsrei die Schuld d es Reichsbanners ergeben hätten. Daraushin veröffentlichte die Ortskampsleitung Dessau der Eisernen Front, unterzeichnet Gerhard Seeger, ein Plakat, durch da, 500 Mark Belohnung für die Ermitt»
Kassel . 12. August. lEigenbericht.1 In dem Kasseler Waffendicb st ahls- Prozeß wurden am ssreitag die Nationalsozialisten Häger und Voigt zu je fünf Monaten Gefängnis und 75 Mark Geldstrafe verurteilt. Die staatenlose nationalsozialistische Angeklagte Klementine von Bischofshausen erhielt wegen Vergehens gegen das Schußwaffengesetz ganze 3 5 Mark Geld st rase! Der Staatsanwalt hatte gegen die Hauptangeklagte ein Jahr und einen Monat Gefängnis sowie 200 Mark Geldstrafe beantragt. Gegenstand der Verhandlung war der Waffendieb st ahl. der am 6. Dezember 19Zi) bei der Kasseler Schutzpolizei ausgeführt wurde. Es wurden seinerzeit über 80 Pistolen, darunter 48 Mauserpistolen und außerdem 6000 Schutz Munition entwendet. Die Untersuchung der Polizei richtete sich zunächst nur gegen Linkskreise, verlies aber völlig negativ. Am 27. Juli, also vier Tage vor der letzten Reichstagswohl, stellt« sich heraus, daß Nazi, die Diebe gewesen sind. Die Hauptrolle bei diesem Dieb st ahl spielte ein früherer Polizeiwachtmeister, der seinen Dienst quittieren mußte, weil er in Darmstadt die Kan- tinenkasse bestohlen hatte. Dieser Mann wurde noch seiner Rückkehr nach Kassel mit offenen Armen bei der SS., empfangen und bald daraus aus die Führerschule des Braunen Hauses geschickt. Er ist heute flüchtig. Der andere Urheber dieses Wafsendiebstahls ist der jetzige nationalsozialistisch« Landtagsabgeordnete Verne, der heute noch Staffelführer der SS. ist. Angeklagt waren der Kaufmann Max Häger, der Kaufmann Emil Voigt und die chilenische Staatsangehörige Klementine von Bischosshausen, die feit 1926 in Deutsch land lebt, aber noch keine Zeit fand, die Staatsangehörigkeit zu erwerben, obwohl sie an der Erneuerung des Reiches mitarbeitete. Der Kaufmann Häger legte ein umfassendes Geständnis ob und erzählle, daß er bereits vor dem 6. Dezember 1930 von dem
früheren Polizeiwachtmeifter Krick Waisen bekommen hätte, die er bei dem Fräulein von Bischosshausen in Ausbewahrung gab. Von besonderer Wichtigkeit ist der Hergang des großen Waffen- diebstahls. Wie Häger angab, hat er seinem Borgesetzten, dem Stasfelführer und jetzigen Landtagsabgeordneten Verne, Mitteilung davon gemacht, daß er einen Mann kenne, der Waffen besorgen könne. Verne habe daraufhin erklärt, wenn dieser Mann gut sei. dann solle er die Waffen besorgen. Es kam zu Verhandlungen, an denen nach Angaben des Angeklagten auch der Stasfelführer Verne teilgenommen Hai. Räch dem in diesem Kreise ausgeheckten Plan sollte der ehemalige Polizeibeamte während seiner Wache in der Polizeiunterkunft mit Hilfe des An- geklagten Häger die Waffen und Munition aus die Straße schaffen, von wo aus der Mitangeklagte Kaufmann Voigt sie in seinem Kraft- wagen abtransportieren sollte. ver Siaffelführer Verne sollte während der ganzen Zeil Schmiere stehen. Dem Polizeiwachtmeister Krick waren für diese Waffen S00 Mark versprochen worden. Als die Zahlung ausblieb, wandte er sich wiederholt an den Angeklagten Häger. Häger konnte ihm aber kein Geld geben und verwies ihn an Verne. Als es Verne zuviel wurde und er Krick abweisen wollte, bedrohte ihn Häger, den ganzen Laden hochfliegen zu lassen, wobei Verne ihn darauf hin- wies, daß derjenige, der das geringste über die Wafsengeschichte verlauten ließe, über den Haufen geknallt werde. Der Mitangeklagte Kaufmann Voigt oersuchte die Angaben Hägers abzuschwächen und umzubiegen. Es trat aber eine Zeugin auf, die, ebenfalls Nationalsozialistin, unter ihrem Eid bekundete, daß die Angaben Hägers Wort für Wort richtig wären und der Staffelführer Verne unterrichtet ge- wesen sei. Er selbst habe ihr den Hergang so erzählt, wie es der Angeklagte Häger vor Gericht getan hätte. Der Staatsanwalt hielt schließlich Verne für den Urheber der Diebstahlsgeschichte. Gegen Verne wird jetzt ein Verfahren wegen Mein- e i d s eingeleitet werden müssen, denn er hat in der Vorunter- suchung dieser Diebstahlsgeschichte beschworen, daß er an ihr völlig unbeteiligt sei.
lung des Täters ausgesetzt und auf dem bemerkt wurde, daß die Ermittlungen der Polizei einseitig geführt worden wären. Die Behauptung ist inzwischen durch zwei 11 r- teile des Reichsgerichts in Sachen der fozialdemokra- tischen Zeitungsoerbote in Anhalt gerechtfertigt worden. Dem Reichsgericht hatte die anhaltische Razi-Regierung die Akten dieses Reichsbannermordes eingeschickt, da die Verbote mit der Begrün- dung erlassen word-m waren, die sozialdemokratischen Zeitungen hätten über diesen Vorgang unwahre Darstellungen gebracht. Das Reichsgericht erklärte zweimal, daß die vorliegenden Akten des Ermittlungsverfahren» keinen Anhalt zu einer Schuldigsprechung de» einen oder anderen Teiles böten. Da» vestauer Gericht lehnte dennoch sämtliche vcweisanträge der Verteidigung Seegers ab. Zweifellos hat das Gericht dadurch zahlreiche Revisionsgründe geschaffen. Da die Form des Plakat» keineswegs beleidigend war, sondern lediglich die einseitigen Ermittelungen der Polizei festgestellt wurden, standund siel die Anklage mit dem angebotenen Wahrheitsbeweis. Daß das Gericht im Interesse des national- sozialistischen Ministerpräsidenten jeden, aber auch jeden Wahrheits- beweis obiehnte, zeugte von der inneren Unsicherheit des ganzen Versahrens. Die Verteidigung hat gegen das Urteil selbstverständlich Re- vision angemeldet.
Wo der Henker regiert. Demonstration im ungarischen Parlament. Budapest , 12. August.(Eigenbericht.) Auf Verlangen von mehr als 50 oppositionellen Abgeordneten ist heute das Abgeordnetenhaus zur Beratung über die Handels- Politik zusammengetreten, allerdings nach kurzer Sitzung von der Regierungsmehrheit wieder vertagt. Es konnte aber nicht verhindert werden, daß die Sozialisten in Sprechchörcn forderten, daß das Standgericht abgeschafft werden solle, während die un- abhängigen Agrarier dos Beisammenbleiben des Hauses forderten. Als die Sozialisten die Republik hochleben ließen, ertönten Gegenruse:„Wenn Sie die Republik wollen, gehen Sie nach S e o i l l a."(Dort hat man mit den Monarchisten kurzen Prozeh gemacht. Red.) Kurdenprozeß in der Türkei . In A d a n a beginnt dieser Tage der zweite Prozeß gegen die Kurden, die den Ausstand im Sommer 1930 angezettelt haben sollen. Die Zahl der Angeklagten übertrifft noch die aus dem ersten Prozeß, so daß die Verhandlung wiederum in der großen Moschee geführt wird. Der erste Prozeß richtete sich gegen 179 Angeklagte, von denen 84 zum Tode verurteilt wurden.