Smfiem hat reeM! Wie man mJenadie&eMirilälslheorie widerlegen wottle/Qikl es einenJlelher- wind?/ Tiermig Jahre Qelehrlenkrieg/ Sin Jnlerferomeler su rerkaujen. Von Sgon Xarfen
„.. imb das ist der Aethenvindapparat.. Der Besucher der Zeißwerke in Jena , wohl der größten optischen Fabrik der Welt, wird mit diesen Worten in den Keller des Fabrikkomplexes geführt. Ein paar Stufen führen hinunter in einen mittelgroßen Raum, der ausgefüllt und beherrscht wird von einem geheimnisvollen Ungetüm. Wer zwei Stunden durch die Zeißfabrit gewandert ist, hat sich an Ueberraschungen gewöhnt. Er hat Planetarien gesehen, Spiegelteleskop« für hinterindische Sternwarten, Meßgeräte, mit denen der Hunderttausendsie Teil eines Millimeters bestimmt werden kann, Mikroskope von ungeheurer Vergrößerungsfähig- ksit. Stets aber war, bei aller Raffinesse der Konstruktion, der praktische Zweck des Geräts deutlich und sofort erkennbar. Hier jedoch, vor dem„A e t h e r w i n d a p p a r a t", stockt die bunteste Phantasie. Ingenieur K ö p p e n, der Erbauer des Apparates, erklärt sich außerstande, in einem Satz Sinn und Zweck der Konstruktion zu definieren. Es sind die bedeutendsten Probleme der modernen Physik — und, damit zusammenhängend, der Philosophie—, deren Lösung' hier experimentell versucht wurde. Es ging um Beweis oder Wider- legung der ungeheuersten geisteswisjenlchoftlichen Bewegung seit Kopernikus — um Ein st eins Relativitätstheorie. Einen kleinen Ausschnitt aus diesem Wunderwerk menschlicher Denk- kunst mutz man kennenlernen, ehe man begreisen kann, welcher Kamps im Keller der Zeißwerke entschieden werden sollte. Die Suche nach dem Aether . Wir fahren im Eisendahnzug. Der Zug bewegt sich mit 15 Meter Geschwindigkeit in der Sekunde vorwärts, sagen wir einmal van Westen nach Osten, also in der gleichen Richtung, wie sich die Erde um ihre Achse dreht. Diese Erdbewegung, die mit einer Geschwindig- keit von 464 Meter pro Sekunde(am Aequator ) erfolgt, spüren wir nicht: wohl aber kann sie ein Beobachter, der vom Mond aus die Erde steht, erkennen. Für ihn fährt unser Zug mit 15 und 464. also mit fast 480 Meter Geschwindigkeit um die Erdachse. Denken wir uns einen Beobachter auf der Sanne, so werden beide Be- wsgungen verhältnismäßig unwesentlich für ihn erscheinen: was er hauptsächlich erkennt, ist die Bewegung der Erde um die Sonn« mit 30 Kilometer Geschwindigkeit in der Sekunde. Denken wir uns nun noch einen Beobachter auf einem Stern, der nicht zu unserem Sonnensystem gehört, so wird er eine weitere Bewegung er- kennen: die der Sonne samt Erde und anderen Planeten in Richtung des Sternes Wega mit 20 Kilometer in der Sekunde. Und endlich konnte e,n noch viel weiter entfernter Beobachter feststellen, daß das ganze Heer von Sonnen, dos wir Milchstraße nennen, samt unserem Sonnensystem mit 300 Kilometer Selundengeschw'ndigkeit dem Stern Capella zusiit. Welches ist nun-die„wirkliche" Beweguitg, die wir in unserer Eisenbahn mitmachen? Mutz nicht jsder Versuch, sie absolut zu bestimmen, scheitern— einfach daran, daß es keinen ruhenden Punkt im Weltraum gibt, von dem aus die Resultante oller dieser Bewegungen gezogen werden könnte? Für den irdischen Haus- gebrauch mag die Feststellung, daß wir mit dieser oder jener Ge- schwindigkeit im Zug oder Auto fahren, genügen. Sie genügt ober keineswegs dem Naturwissenschaftler, der sich das Ziel gesetzt hat, die Gesetze des Kosmos zu ergründen. Der Gedanke, daß nichts„absolut" sei im Westall. daß kein Punkt nach dem uns geläufigen Bezugssystem Lang«, Breite, Tiefe zu bestimmen ist, mutz den gefühlsmäßigen Widerstand des Menschen wachrufen. In den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts kam hier eins wissenschaftliche Dsnknchtung zu Hilfe, die von einer Reihe führender Physiker vertreten wurde. Diese Physiker nahmen an, der„leere" Weltenraum, der über der Erdatmosphäre beginnt, sei gar nicht leer, sondern erfüllt von einem unendlich seinen, olle andere Materie durchdringenden Urstoff, der auch innerhalb der Luftschicht der Erde vorl>anden sei. Sie nannten ihn Aether . Zu der Annohine, daß es diesen unsicht- baren, unsühkbaren Stoff geben müsse, gelangte man, als man nach einer Erklärung für die Ausbreitung des Lichtes suchte. Was wir Licht nennen, ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem großen Bereich aller Wellen, eingebettet zwischen Ultrarotstrabi en und Radiowellen auf der einen Seite, Ilstraoiolettstrahlen, Röntgen- und-Gamma- strahlen aus der anderen Seite des Spektrums. Alle diese Strahlungen, die sich wie Wasserwellen im Raum fortpflanzen, mußten doch— so schloß die„klassische Physik"— einen st o s s l i ch e n Träger haben. Wasserwellen pflanzen sich im Wasser fort, Schall- wellen in der Lust— und die Licht- oder elektrischen Wellen eben... im„Aether ". Diese Theorie war so einfach und praktisch zur Cr- klärung des Welleneffekts, daß um die Jahrhundertwende kaum einer der großen Physiker chr widersprach. Nur sehste noch der eindeutige Beweis für die Existenz des Aethers und damit der naturwissen- schastlichen Griindlehre, daß im Kosmos keineswegs alles relotin sei, sondern daß jede Bewegung, leder Weltraumpunkt sich vom „ruhenden Aether " aus absolut bestimmen lasse. Michelsons Apparat. Bor vierzig Jahren unternahm der oimerikamsche Physiker M i ch e l s o n seinen berühmten Versuch, die Existenz des Aerhers zu beweisen. Gab es diesen feinen Stoff, in dem die Gestirne wie Inseln schwimmen, so mußten die ihn durcheilenden Sonnen und Planeten— wie ein Auto im Lustmeer— einen„Wind" erzeugen, und dieser Wind mußte auf irgendeine Art meßbar sein. Da nun aber der Aether als Träger der Lichtstrahlen gedacht war, so mußte der„Aetherwind " zugleich diese Strahlen mehr oder weniger„schwanken" lassen, wie eine Flußströmung die Wasserwellen beeinflußt. Micheksons Apparat bestand aus zwei waagerecht liegen- den Metallarmen, die im rechten Winkel zueinander angebracht find: am Scheitel des Winkels befindet sich ein« Lichtquelle, an den beiden Armenden je ein Spiegel, der die Strahlen wieder zu ihrem Aus- gangspunkt zurückwirff, Michelfon sagte sich: der Apparat nimmt samt der Erde an ihrer Vewegung durch den Aether teil. In einer der beiden Armrichtungen muß also ein„A e t h e r w i n d e f s e t t" austreten, das heißt: die durch den Spiegel zurückkommenden Strahlen müssen in der einen Richtung verzögert werden und später wieder im Winkelscheitel eintreffen als aus der anderen Richtung, und die aller- feinsten optischen Hilfsmittel erlaubten es Michelfon, diese winzige zu erwartende Verzögerung festzustellen. Man kann nämlich dos ver- spätete Eintreffen des«inen Strahls durch die sogenannte I n t e r- ferenz nachweifen: durch das Auftreten von Schattenftreifen, wenn Berg und Tal zweier Wsllenzüge aufeinandertreffen. Newton hat dieses Phänomen entdeckt, Michelfon wurde enttäufcht. Wie er auch feinen Apparat zur Erdrichtung drehte� wie er auch prüfte und beobachtete— die Inter
ferenz t r a t n i ch t a u f. Die Lichtstrahlen trafen von beiden Seiten pünktlich ein, von keinem„Aecherwind" verzögert. Einsteins Behauptung. Als Einstein vor fast dreißig Jahren seine ersten Arbeiten ver- öffentlichte, behauptete er: wenn Michelfon keinen Aether nachweisen konnte, fo gibt es auch keinen! Und damit war eine der Grundthefen der Relativitätstheorie festgelegt: die Lag« jedes Punktes im Raum, di« Geschwindigkeit jeder Bewegung ist relativ, von keinem ruhenden Bezugssystem im Weitall aus be- stimmbar. Es läßt sich denken, welche Revolution schon diese eine Behaup- tung Einsteins — ein nur kleiner Ausschnitt aus dem Gebäude feiner Theorie— in der Welt der„klassischen" Physiker erregte. Immer wieder, dis in die jüngste Zeit, hat man versucht, sie experimentell zu widerlegen und damit dos ganze Gebäude der Relativitätstheorie zu unterminieren. Ungeheures Aufsehen erregte daher 1025 die Be- hauptung eines anderen amerikanischen Physikers Miller, er habe bei einer Neuauflage des Michelfon-Dersuchs sowohl zu ebener Erde wie auf einem Berg in Kalifornien einen Aetherwind von etwa zehn Meter Geschwindigkeit in der Sekunde festgestellt! Professor I o o s in Jena machte daher den Vorschlag, den Michelfon-Versuch einmal zur Nachprüfung der Millerfchen Behauptungen mit allen Raffinessen der modernsten optischen Präzisions- technik zu widerholen. Die Zeißwerke stellten ihre Kräfte gern zur Verfügung, Ter Aetherwindapparat tritt in Aktion. Unter Leitung von Ingenieur K ö p p e n wurde der Aether - windapparat konstruiert: ein riesiges waagerechts Kreuz von meterdicken Röhren, durch einen Elektromotor in olle Himmels- richtungen drehbar. Uebsr der Mitte des Apparates Kejindet sich eine Quarz punktlompe, die ihren Lichtstrahl durch ein kompliziertes System von Spiegeln auf einem Weg van 21 Meter Länge durch die Röhren hin- und hersendet, bis er am Sockel des Apparates im Objektiv einer Photokamera landet. Somit war jeder Beobachtungs- fehler des menschlichen Auges ausgeschaltet und die nicht zu be- trügende Platte durfte als einwandfreies Dokument gelten. Die Plattenkassette wurde automatisch während des Drehens des Appa- rates verschoben, so daß die eintreffenden Lichtpunkte auf der Platte
als Streifen erschienen. Zeigte sich auch nur die geringst« W-wsichuiff»- dieser Lichtstreifen von der Geraden, so hatte Miller recht und Ein- stein unrecht: es gab einen Aether . und es gad einen Aeiherwind, der die Lichtstrahlen abzubiegen oermochte! Mit allen erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen ging man zu Werke. Zwei Jahre erforderte die Ausbalancierung des Gerätes, um höchste Präzision zu gewährleisten. Dann begann man mit den Versuchen. Man wählte die Zeit ab Samstag mittag, wenn durch die im Fabrikgebäude arbeitenden Maschinen keine Erschütterung zu befürchten war. Man verlegte die Schalchebel vor den Eingang des Raumes, so daß niemand während der Versuche anwesend zu sein brauchte— man wollte damit die minimalen Temperaturerhöhungen der Lust, die ein menschlicher Körper verursacht, ausschalten. Eine Klaviatur von elektrischen Knöpfen gestattete die Verschiebung der im Innern des Apparates angebrachten Spiegel, die nicht auf Metall, sondern auf langen Ouorzplatten montiert waren, um Wär:neaus- dehnungen des Lichtweges zu vermeiden. Eine halbe Stunde lang wurde der Apparat in Drehung versetzt— immer in 10 Minuten eine volle Drehung—, um jede unprogrammäßige Nebenschwingung auszubalancieren. Erst dann begann man mit der ersten Auf- nähme. Viele Hunderte von Platten wurden aufgenommen, ausgemessen, berechnet, registriert. Für den Laien sieht eine Am- nähme aus wie die andere. Aber auch die Resultate der Prüfung zeigten die Taffache, daß kein einziger Strahl eine metzbare Der- schiebung mm wies: die Genauigkeit des Instruments ließ die Messung eines eventuellen Aetherwinds bis mij anderthalb Meter Sekunden- gefchwindigkeit herunter zu. während Miller angeblich zehn Meter Geschwindigkeit beobachtet hatte. Gab es also trotzdem einen Aether- wind, so mußte er langsamer sein als anderthalb Meter in der Se- künde. Praktisch bedeutet dies aber die nahezu hundertprozentige Sicherheit, daß es keinen Aetherwind— und damit auch keinen Aether gibt! Einstein hat also recht behalten. Das„Jnterferometer". wie der Aecherwindapparat mst feinem wisieiffchaftlichen Namen heißt, steht unbenutzt, unbeachtet von den Physikern im Keller der Zeißwerke. Es hat seinen Zweck erfüllt. Es ist verkäuflich, aber keiner will es haben— weder Herr Miller noch irgendein anderer Gegner der Einsteinschen Theorie. Professor Ivos hat einem Ruf an die Münchener Technische Hochschule stattgegeben: seine Beobachtungsresultate hat er der wifsenfchcrstlichen Welt zur Diskussion unterbreitet. Es scheint immer stiller zu werden um das Für und Wider der Rslativstätscheorie, der Kampf der Gelehrten, vierzig Jahre long mit außerordentlichem Temperament geführt, flaut allmählich ab. Vielleicht war die letzte Etappe im Strest um Einstein und zugleich der Beweis seines endgültigen Sieges das Jnterferometer im Keller zu Jena . Wer will es haben? Wer stellt es auf als sichtbares Zeichen für das endende„Mittelalter ", die be- ginnende„Neuzest" in der Well der Raturertenntnis?
53 lIMmmien Terlpäiumg Die Qefchichle eines AUenials/ Von 3>eier 3tenl
Im Dienstzimmer des Blockpostens 453 schrillte das Telephon. Antoine Renard griff nach dem Hörer. Eine schwache Stimme meldete sich. „Expreß 109, dreiundfünfzig Minuten Vevjpäwng. Begehen Sie die Strecke knapp vor Passieren des Zuges!" „Wer spricht?" brüllte der Streckenwärter in den Apparat. „Lauter— ich versteh« Sie nicht. Fahrdienstleitung in Lorial— sagen Sie?" Ein Krachen und Knistern wie da? von elektrischen Entladungen machte jede Verständigung unmöglich. Renard schrie sich heiser, ober ohne Erfolg Aergerlich legte er den Hörer auf. Er sah nach der Uhr und stellte fest, daß der Expreß 109 Marseille— Avignon— Ba- lence— Lyon fahrplanmäßig in genau einer halben Stunde fällig war. Hatte er 53 Minuten Verspätung, so passierte er den Block- posten 453 nicht vor 22 Uhr 12 Minuten. Antoine Renard schüttelte den Kops. So arg war das Schnee- gestäber nun gerode nicht, daß eine solche Verspätung nötig ge- wesen wäre Oder sollte etwas Besonderes—? Der Streckenwärter mußte Gewißheit haben. In gleichen Abständen ries er Lorial— sechsmal hintereinander gab er das Signal— die Station meldete sich nicht.„Der Sturm hat die Drähte zerrissen", murmelte Renard verdrießlich.„Jh werde.in Avignon anfragen." Eine ärgerliche Stimme fuhr zwischen seine Bemühungen, d>e Station zu erreichen WaK er denn wolle— die Verspätung des Expreß 109? Dreiundfünfzig Minuten— ja, stimmt. Kann noch mehr werden. Nichts weiter als das! Wieder da? Knattern in der Leitung — nicht einmal rückfragen konnte Renard, welche Station die Ver- spätung bestätigt hatte. Antoine. Renard nahm die Lektüre der„Gazette du Lyon", in der ihn der Anruf aus Lorial gestört hatte wieder aus. Aber er war kaum imstande, zwei Sätze zu Ende zu lesen. So Unverstand- lich ihm die innere Unruhe war, es trieb ihn ein unwiderstehlicher Zwang hinaus auf die Strecke. Keuchend kampjte er sich durch den hohen Schnee, bis er das Licht des Signalmaste» durch dos dichte Flocken- wirbeln schimmern sah. „Sonderbar", wunderte sich der Streckenwärter.„Vor einer Stunde ist der Zug nicht zu erwarten und trotzdem zeigt der Block .Frei« Fahrt'." Er prüfte die Zugdrähte de? Signals, klopfte den Schnee von den Rollen, horchte«ine Weil« in dos ab- und auffteigende Heulen des Sturmes hinaus. Dann schritt er die Strecke nordwärts bis zu der Betonbrücks ab, die über den Werkkanal der nahen Papier - fabrik führte Der Schnee hatte das Geländer fast zugeweht, Re- nard mußte jeden Schritt mit aller Vorsicht tun, der Kanal lag 15 Meter tiefer, ein Sturz auf die Eisdecke konnte das Genick brechen. Quer über den Bahndamm führten Fußspuren, knapp daneben andere, nahezu verweht von dem unaufhörlich fallenden Schnee. „Wilddiebe!" vermutete der Streckenwärter und wandte sich zur Umkehr. Der Sturm kniff einem ordentlich in die Ohren. Es war sinnlos, da draußen halb zu erfrieren, wo der Expreß noch gute sechzig Kilometer südwärts durch den Schneesturm stampfte. Antoine Renard sah alle fünf Minuten noch der Uhr.„In einer Viertelstunde wäre er fällig", murmelte er.„aber Lorial mel- dete 53 Minuten Verspätung, gibt eme Stunde und acht Minuten — früher ist mit der Durchfahrt nicht zu rechnen." Nervös horchte der Streckenwärter nach dem Telephon. Nicht das geringste Geräusch— nicht ein, einziges Klingelsignal. Jetzt waren es 12 Minuten. Konnte mit rechtzeitiger Ankunft des Zuges gerechnet werden, müßte Renard jetzt noch einmal die Strecke nachsehen--.
Renard schrack zusammen. Was hatte er nur mit den Fuß- spuren? Er zwang sein Gehirn, genau zu überlegen. Was kümmerten ihn Wilddiebe? Er hatte die Strecke zu bewachen, vom Wächterhaus nordwärts bis zur Betonbrück« und noch Süden bis zum Signalmast. „Der Teufel! Wozu eine Stunde vor Passieren des Zuges schon.Freie Fahrt'?" Der Stteckenwärter sprang auf. Wenn sich der Fahrdienstleiter in Lorial in der Angabe der Verspätung geirrt hätte— oder wenn er selbst falsch verstanden hatte! Mit einem Schritt war Antoine bei der Tür. „Acht Minuten", keuchte er, während er, fo schnell es nur ging, vorwärts hastete. Renard stolperte, fiel, kämpfte sich über heimtückische Schneehügel, glitt aus, riß sich die Hände wund, sah nicht zwei Meter weit, so stoben ihm die Schneeflocken in die Augen. Schwitzend erreichte er den Signalmast. Der Block gab noch immer„Freie Fahrt". In oller Hast zurück! Seine Lungen keuchten, das Herz hämmerte in krampfhaften Schlägen. Vorbei am Wächterhaus, nordwärts bis zur Betnnbrücke! Dreihundert Meter noch— zweihundert! Antoine wußte genau, wo die Distanz- steine standen— hundert Meter, er atmete auf. Kaum daß die Beine noch vorwärts konnten. Bis zu den Hüsten sank er in den Schnee, Endlich vierzig Meter— in der Hölle Namen! Hatte er nickit eben eine Stimme gehört— ein Anruf! Von wem? Der Stteckenwärter stürzte vorwärts— fein Atem pfiff— feine Augen suchten das Schneegestöber zu durchdringen,.. „Hast! Nicht einen Schritt weiter!" brüllte es ihm entgegen. Ein Schuß krachte, kaum zwanzig Meter links, unten an der Sohle des Dammes der dunkle Umriß eine Gestalt, dicht neben der Brücke eine zweite, „In aller Teufel Namen!" schrie Renard, Zwei Revolver gaben ihm Antwort, Ein dritter eröffnete dos Feuer, Ein harter Schlag gegen die rechte Brust brachte ihn zum Sturz Vor feinen Augen wirbelten schwarze Kreise inmitten der weißen Schnee- flocken Die Zähne aufeinandergebissen, kroch der Stteckenwärter auf die rechte Seite des Dammes. Ein Anschlag auf den Expreß. durchzuckte es fein Gehirn, Die Verspätung war eine Finte! Bei den Heiligen de? Himmels, der Zug mußte aufgehalten werden. „Die Signaldrähte!" stöhnte Renard. Seine Lungen versagten. Ein Würgen schnürte ihm die Kehle enger. Seine Rechte wühlte den Schnee auf, mit der Linken suchte er nach der Drahtschere in seinen Taschen, Mit letzter.Kraft schnitt er die Strange durch, jetzt mußte das Signal in die Halfftellung sollen... Ein gellender Pfiff schnitt duech da? Toben de? Sturmes. Hart schlugen die Bremsen gegen die Räder. Expreß 109 hielt knapp vor Blockposten 453, Der Zugführer und zwei Schaffner mochten sich aus die Suche, Fünfzehn Meter vor dem Werkskanal sattben sie Renard. die Hände in den Schnee oerkrampst, flach auf dem Boden liegend. Sein Atem ging nur schwach,' aus der rechten Brustseite sickerte Blut. Keine acht Schritte vor ihm war ein Draht an den Schienen befestigt, der zu einer Batterie unter dem mittleren Brückenpfeller führte. Zwei Sprengladungen sollten in der Sekunde zur Explosion gebracht werden, in der der Erpreß die Brücke passiert«. Bon den Attentätern fehlte jede Spur, sie hotten nichts zurückgelassen als etn Feldtelephon. An einem Telegraphenmast hatten eiserne Kletter- boken tiefe Schrammen in das Hol,; gerissen Die Leitung zum Blockposten 453 war durchschnitten, die Drahtenden hingen zu Boden, Nicht zu verwundern, daß Antoine Renard weder Lorial noch Avignon erreicht hatte. Ungestört hatten ibm die Banditen ihre Weisungen erteilt und seine Anfragen abgehorcht, Um dreiundfünfzig Minuten verspätet setzte der Erpreh 109 seine Fahrt nach Lyon fort. Dem schwerverletzten Streckenwärter rettete eine sofort durchgeführte Operation gerade noch das Leben.