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Morgenausgabe

Rr. 393

A 194

49. Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Sonntag 21. August 1932 Groß- Berlin 15 Pf. Auswärts 20 Pf.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlan

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Vorstoß zum Sozialismus

Unsere Anträge im Reichstag / Von Fritz Tarnow .

In der gestrigen Morgennummer des ,, Vorwärts" sind die Sozialisierungsanträge der neu gewählten Reichstags= fraktion im Wortlaut mitgeteilt worden. Gefordert wird: Verstaatlichung der Schlüsselindustrien( Bergbau, Eisen, Großchemie, Zement).

Berstaatlichung der Großbanken. Aufsichtsamt über das gesamte Bankwesen.

Enteignung des landwirtschaftlichen Großgrundbesitzes zu­gunsten von Landarbeitergenossenschaften und bäuer­lichen Siedlern.

Errichtung und Ausbau von Staatsmonopolen. Errichtung eines Kartell- und Monopolamtes. Errichtung einer zentralen Planwirtschaftsstelle.

Neue Subventionen?

Großagrarier verlangen wieder generelle Zinssenfung.

Es verlautet, daß die Reichsregierung nach Erledigung ihres unzulänglichen Arbeitsbeschaffungsprogramms( man vergleiche den Vorschlag der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion für eine großzügige Arbeitsbeschaffung) beabsichtige, die Frage der 3insherabseßung in Angriff zu nehmen. Sie will aber Schon die Tatsache, daß diese Anträge die Nuganwen angeblich eine allgemeine Herabsetzung nicht defretieren, sondern frei dung des freige wertschaftlichen Aktionspro- willige Vereinbarungen zwischen Gläubigern und Schuldnern för gramms für den Umbau der Wirtschaft darstellen, muß fie vor dem Verdacht schüßen, als ob es sich dabei um die Befriedigung eines bloßen Agitationsbedürfnisses oder etwa nur um ein parlamentarisches Manöver zur Entlarvung des Nazischeinsozialismus, handelte. Die Anträge dürfen auch feineswegs als die Plakatierung von Fernzielen an­gesehen werden, es sind Gegenwartsforderungen, Interessant ist, daß die Reichsregierung mit einem solchen Vor­das heißt, die heute vorhandene ökonomische gehen den Weg beschreiten würde, den die sozialdemokratische Situation wird als reif für sozialistische Reichstagsfraktion in ihrem Gesezentwurf zur Entlastung not­Darin wird die Einrichtung Wirtschaftsumgestaltung in breiter Front leidender Schuldner gewiesen hat. eines Schuldeinigungsamtes gefordert, das die Verhält

angesehen.

dern. Dazu sollen Schlichtungsstellen eingerichtet werden, die aber feine Zwangsschiedssprüche fällen, fondern nur beratend und empfehlend in die Verhandlungen eingreifen sollen. Danach scheint sich also die Reichsregierung jedes Zwangseingriffs enthalten zu wollen und für eine individuelle Zinsjentung entschieden zu haben. und

nisse eines unverschuldet in Not geratenen Schuldners zu prüfen hat, danach einen Einigungsvorschlag macht und eventuell einen Schiedsspruch fällt.

In der Geschichte der sozialistischen Arbeiterbewegung hat die Frage, ob der Weg zum Sozialismus ein revo= Iutionärer" oder ein ,, evolutionärer " sein soll, Auffälligerweise beeilt sich der Deutsche Landwirt mehr als einmal heiße Debatten ausgelöst. Die Gegenfäß- fchaftsrat, von neuem eine generelle Binsjenfung zu ver­lichkeit zwischen diesen beiden Begriffen ist in der Praxis langen. Die Gefahren einer solchen Maßnahme für den landwirt aber gar nicht so groß. Wenn unter revolutionärer Umgeschaftlichen Kredit fennt er sehr genau, aber man dürfe sie nicht staltung die Sozialisierung der Gesamtwirtschaft mit einem Schlage verstanden werden sollte, so hat nicht zuletzt das russische Beispiel erwiesen, daß solche ökonomischen Umstürze undurchführbar sind. In Wirklichkeit handelt es sich auch

nur darum, in welchem Tempo der Systemwechsel abge= wickelt werden kann, und das ist eine Angelegenheit, die nicht allein von der politischen Willensbildung und Entschlußkraft, sondern in viel höherem Maße noch von ökonomischen Vor­aussetzungen abhängt.

überschäzen. Die individuelle Zinssenkung muß er selbst als den gerechteren Weg bezeichnen, er behauptet aber, wegen der Schwerfälligkeit der Durchführung und der Gefahr willkürlicher Entscheidungen(!) müßte eine generelle Regelung vorgezogen

werden.

Eine generelle Zinssenfung zugunsten der Landwirtschaft würde eine neue Subvention zu Lasten der übrigen Wirtschafts­zweige bedeuten. Den Großagrariern ist sie aber recht als Mittel, ihren Besitz auf Kosten der dummen Leute, die ihnen Gelb borgten,

Es war ein tragisches Geschid für die Arbeiterbewegung, die mit heißer Sehnsucht auf den Sturz des kapitalistischen Systems wartete, daß ihr am Ende des Krieges die politische ganzen Welt in der letzten Konjunkturperiode zu viel in­Macht in einem Augenblick zufiel, als die ökonomischen Be- pestiert hat, das heißt zu viel Möglichkeiten einer größeren dingungen für den llebergang zum Sozialismus hoffnungs- Produktion und Versorgung geschaffen hat, findet sie nicht los ungünstig waren. Damals auf den traurigen Ueber­resten einer zerstörten Bolkswirtschaft ein neues Gebäude sozialistischer Wirtschaft aufbauen zu wollen, das wäre ein Versuch gewesen, der mit dem völligen Zusammenbruch der Massenversorgung sehr bald ein unrühmliches Ende gefunden haben würde.

Darum mußte dem Kapitalismus die Aufgabe zufallen, den zerstörten Wirtschaftskampf erst wieder herzustellen. Heute verfügen wir über eine Produktionsgrundlage, die erheblich größer ist als vor dem Kriege. Wenn der Kapi­talismus im gleichen Maße die gesellschaftliche Versorgung verbessern könnte wie er die produktiven Kräfte zur Ent­faltung bringt, wäre es um den Sozialismus wahrlich schlecht bestellt.

wieder heraus aus der Krise. Die ganzen Hoffnungen der fapitalistischen Wirtschaftsführer tonzentrieren sich heute dar­auf, daß doch endlich einmal wieder durch den natürlichen Verfall und die planmäßigen Zerstörungen von Produktions­mitteln und Rohstoffen Raum entstehen müßte für neue Ka­pitalgüter. Darum das krampfhafte Ausschauen nach einem

Ansteigen der Rohstoffpreise, das ein Zeichen für eine Ab­nahme des Sachreichtums wäre.

Die Ueberindustrialisierung, die übermäßige Ausdehnung der Rohstoff- und Lebensmittelerzeugung in der ganzen Welt ist das Unglück des kapitalistischen Systems. Aber gleichzeitig sind damit die Voraussetzungen für den Uebergang zur fozia­listischen Wirtschaft erfüllt. Die historische Aufgabe des Ka­pitalismus bestand in der Entfesselung der produktiven Mit einer Anschaulichkeit wie noch niemals in der bis- Kräfte bis zu dem Punkte, wo er an der Weiterführung herigen Wirtschaftsgeschichte, offenbart sich aber die gräßliche dieser Aufgabe scheitern muß, weil er den Verbrauch nicht Mechanik des kapitalistischen Systems. Jede außerordentliche mitziehen kann. Die historische Aufgabe des Sozialismus Steigerung der produktiven Kräfte führt automatisch nicht ist die Dienstbarmachung der produktiven Kräfte für die zu einem Aufstieg, sondern zu einem Absturz der allgemeinen Deckung des gesellschaftlichen Bedarfs. Biele Anzeichen Lebenshaltung. Nur so lange in der kapitalistischen Wirt- prechen dafür, daß der Zeitpunkt gefom schaft die Investitionstätigkeit gesteigert werden kann, ist die men ist, an dem der Uebergang zur fozia Ausweitung der Gesamtwirtschaft möglich, Ein Stagnieren liftischen Wirtschaftsform und ein Rückgang der Investitionstätigkeit bedeutet Still- lungsgeschichtliche Notwendigkeit gewors stand und Einschrumpfung der Gesamtwirtschaft und der ge­sellschaftlichen Versorgung.

Weil die kapitalistische Wirtschaft bei uns und in der

den ist.

eine entwid=

Ganz anders als in der ersten Nachkriegszeit tönnen heute auch sehr radikale Sozialisierungsmaßnahmen durch­

=

zu halten. Sie scheuen die Nachprüfung durch eine amtliche Stelle, ob ihre Wirtschaftsführung eine Zinsherabsehung als gerecht­fertigt erscheinen läßt. Sie verlangen Opfer von den anderen aber niemand soll die Ursachen ihres Bankrotts feststellen.

-

Daß der Deutsche Landwirtschaftsrat nur auf Subventionen zugunsten der Großlandwirtschaft ausgeht, das beweist eine andere tasse dadurch, daß das Reich die uneinbringlichen Forderungen Forderung. Er verlangt eine Entlastung der Preußen­der Breußenfasse übernimmt. Das wird als Hilfe für die Kredit­genossenschaften bemäntelt; in Wahrheit will man auf diese Weise durch eine Streichung eines Teiles der Schulden von bankrotten Gütern erreichen. Wir müssen verlangen, daß die Reichsregierung sich sehr weit von diesen Forderungen distanziert.

Um Deutschlands Auslandsschulden.

Warmbold gibt beruhigende Erklärungen ab.

Der Reichswirtschaftsminister Dr. Warmbold erklärte in

einer Unterredung mit dem Berliner Vertreter der Associated Preß ,

daß die deutsche Regierung niemals daran gedacht habe, die privaten Auslandsschulden herabzusetzen. Die Verschärfung der De­flation, die das Mißverhältnis zwischen Geld- und Güterwert von Schuldverhältnissen stets verschlimmere, sei keine deutsche, sondern eine internationale Angelegenheit. Die Regierungen sollten durch wirtschaftspolitische Maßnahmen der Inflation entgegen­

arbeiten.

Auch eine Herabsetzung des Zinssages für private Auslands­

schulden würde nicht einseitig von Deutschland geregelt wer­den. Er, Warmbold, hoffe auf eine Einigung mit den Gläubigern. Die Gläubigerländer müßten aber zu der Erkenntnis kommen, daß eine Uebertragung der fälligen Zins- und Tilgungsraten nur in waren möglich sei.

geführt werden, ohne daß Reibungsverluste zu befürchten wären, die eine Einbuße am Wirtschaftsertrage zur Folge haben müßten. Es handelt sich heute ja nicht mehr um eine Krise der Produktionskraft, sondern um eine Organisations­frise. Die vorhandene Fülle brauchbarer, aber brachliegen­der Produktionsfaktoren braucht nur durch eine gar nicht so schwierige Organisation aktiviert werden, um sofort zusätz­lichen Wirtschaftsertrag zu erzielen.

Aus dieser Einschätzung der ökonomischen Lage sind die sozialdemokratischen Anträge entstanden. Daß nun zwar in einer für den Sozialismus ökonomisch so günstigen Situation der politische Einfluß unserer Bewegung zurückgedrängt wor­den ist, daß die kapitalistische Klasse zur Zeit wieder Ober­waffer bekommen hat, das bedeutet gewiß wiederum eine Tragif. Aber ist das politische Fundament der gegenwär tigen Machthaber wirklich eine Realität? Ist es nicht trotz allem eine wichtige Feststellung, daß eine ,, tiefe antikapita­liftische Sehnsucht" durch das ganze Volk geht?

Die Bourgeoisie hat sich in ein sehr gefährliches Spiel eingelassen, als sie mit heller Begeisterung die Nazibewegung aufpäppelte und das sozialistische Aushängeschild ihrer Schüßlinge als einen wie sie glaubte harmlosen Schönheits­fehler mit in Kauf nahm. Die Nazipartei mag sich drehen und winden wie sie will, sie wird sich nicht ewig dem Ver­gnügen bloßer Propaganda hingeben können. Sie wird vermutlich sehr bald bekennen müssen, wie sie in Wirklich­feit zum Sozialismus steht, und daß unsere Sozialisierungs­anträge auch dafür einen geeigneten Prüfstein bilden, ver­mindert ihren Wert ganz gewiß nicht!