Nr.S93* 49. Jahrgang
*1« Sonntag, 24. August 4932
Wenn die Abendsonne hinter den Müggelbergen versinkt, geht der Patriardi von Gosen, der 83jährige Herr Schuster, zu seiner Bank am Bach. Es ist schon geraume Zeit her, seit er Hobel und Säge beiseite legte; Jahr um Jahr hat er den Gosener Bauern die Särge gezimmert, und als sein Werk vollbracht war, ging er daran, als letztes seinen eigenen Sarg zu zimmern. Der greise Mann sah vieles kommen und wieder gehen. Er erinnert sich noch gut der Zeiten, als in Gosen die Webstühle klapperten und die großen Leinwandstücken auf dem Rasen zur Bleiche lagen. Das ist sehr lange her, so alt, wie die Eiche an der Dorfaue. Dem Leinen folgten die Bohnen. Was heute der Beelitzer Spargel ist, das waren einmal die Gosener Bohnen. Morgen an Morgen, Acker an Acker standen um Gosen die Bohnen und die Bauern waren sehr stolz darauf, weit und breit die besten Bohnen zu züchten. Aber als die Ziegel kamen, ging das Paradies der Bohnen verloren. Alt und jung ging fortan in die Fabriken und an den Freitagabenden lagen auf den Tischen oft mehr Taler als zu guter Letzt die Bohnen noch Groschen gebracht hatten. Doch dann kamen schlimme Tage, als niemand in der Welt mehr Ziegel brauchte, als die Männer kein Geld mehr nach Hause brachten und schließlich das Brot knapp wurde, da folgten den Ziegeln die Kühe. Die Männer er-■ xnnerten sich, daß sie in der Jugend auch melken gelernt hatten und so sitzen sie statt in der Fabrik wieder im Stall. Es läßt sich einigermaßen an mit dem Milchoerkauf; auf den Tischen steht wieder Brot und Butter und wer sich in diesem Jahre nicht mehr sein Haus abputzen läßt, der will sich zum nächsten Frühjahr ein Pferd kaufen. Es macht sich mit der Milch besser als mit den Bohnen. Oer Wettlauf der Bohnen. In den bunten Gärten hinter den Bauernhäusern stehen die letzten überlebenden Stauden der Gosener Bohnenzucht und just in diesen Tagen raffen die Frauen die Schürzen und pflücken die pralle Frucht. Ein paarmal für den Mittagstisch und die anderen für das Salzfaß. Berlin sehen diese Schlaraffenbohnen nicht mehr. „2a, aber warum haben Sie die Bohnenzucht aufgegeben?"— „Ich will Ihnen die Wahrheit sagen— meint die Bauerzfrau— weil die Menschen zu bequem wurden. Jede Bohne haben wir an unserem Rücken gefühlt. Das war nicht etwa so. daß wir die Bohnen einfach in den Acker steckten und dann warteten, was dar- aus wurde; dann hätten wir es wohl nie zu den Gosener Bohnen gebracht." Zur Zucht einer guten Bohne gehört Liebe und Ver- stand gleichermaßen, jedesmal am IVO. Tag des Jahres begann der große Start zum Wettlauf der Gosener Bohnen. Dem Sieger winkte ein Preis von 50 Pfennig für das erste in der Berliner Zentralmarklhalle aufgelieserte Pfund grüner Bohnen. An jenem Tage wurden die Saatbohnen in die Kästen gesteckt und obwohl der 100. Tag des Jahres in den mittleren April fällt, zu einer Zeit, wo anderwärts längst die Oefen erloschen sind, knisterte in den Gosener Bauernstuben noch lustig das Feuer in den Oefen. Denn die junge Saat brauchte Wärme. Das soll noch nicht die größte Plage gewesen sein, aber als die jungen Pflänzchen draußen auf dem Felde waren, da mußten sie gehütet werden wie der Augapfel selbst. Jeden Abend bekam jedes Pflänzchen feine Haube, damit es über Nacht nicht friere, und am nächsten Morgen waren die Frauen wieder auf dem Felde und nahmen den Pslänzchen die Hauben ab, damit sie sich der Sonne erfreuen mögen. Und jede Haube bedeutete morgens wie abends einen tiefen Diener zum Acker.„Hat uns manchmal das Kreuz weh getan!" seufzt heute noch die alte Bauers- frau. Aber alle Hauben nutzten nichts, wenn der Nebel kam. Dann liefen die Gosener Frauen spornstreichs zum Dorfkrug und riefen die Männer:„Der Nebel kommt, der Nebel kommt, macht Feuer!" Wenn zu jener Zeit der Nebel in das Müggeltal kam, verstummten alle Fiedeln, der Tanz erstarb und die Aelteren brachen den schön- sten Grand mit Vieren auf der Stelle ab. Alles eilte auf die Felder, und wenige Minuten später sah der Mond auf eine bren- nende Dorfflur herab. Ueberall standen die Feuer, um den Frost zu verscheuchen. Der Mühe winkte schließlich ihr Preis. Das war eine löbliche Sache, den ersten Spitzenpreis für grüne Bohnen kassieren zu können, ober bei diesen vier und fünf Groschen blieb es ja nicht. Die Gärtnerei in Deutschland nahm einen immensen Aufschwung, das schien allenthalben ein angenehmes Handwerk zu fein, die Groß- stadt mit Obst und Gemüse zu oersorgen, aber je mehr so dachten, desto stärker wurde die Konkurrenz. Dann kam der Händler nach Gosen , schloß für zwei Groschen das Pfund ab, und wenn er nach- her in Berlin in die Halle kam, dann bekam er nicht einmal mehr die zwei Groschen. Schließlich kosteten die Gosener Bohnen einen Groschen oder gar nur einen Sechser, und es schien gerade an der Zeit zu sein, daß überall im Osten die Fabrikschlote auf- tauchten, deren dicke Rauchfahnen den Bauern zu winken schienen: .Kommt zu uns!" Die Zeit der Ziegel. Da entstand in Gosen die große Ziegelei, die bis von Westpreußen und Oberschlesien die Männer anlockte. Dann kam die chemische Industrie nach Erkner , die Uferbahn Grünau- Schmöckwitz brauchte Fohrer und Schaffner, die Görlitzer Bahn konnte auch Leute gebrauchen, und schließlich das größte Industrie- zentrum im Osten, jenes Gelsenkirchen an der Spree — Schöne- weide. Hier entstanden die Mammutwerke der AEG und der RAG, der Akkumulatoren- wie der Transformatorensabrik und dazu Kabel- und Messingwerke sonder Zahl.„Es lag Freitags viel Geld auf dem Tisch — sagt die Bauersfrau— die Blänner, Vater und Sohn, gingen in die Fabriken und wir muhten zusehen, wie wir mit der VZirtschc-st ferkig wurden." Inzwischen haben diese Männer längst wieder die Sensen in der Hand und stehen auf den Spree - wiesen zur Nachmahd. Wie es in Schöneweide heute aussieht, braucht an dieser Stelle nicht des langen und breiten erzählt wer- den. In Grünau und Erkner ist es nicht besser. Am allerschlech-
testen geht es der Ziegelei in Gosen : wenn Absatz da ist, rauchen dort vielleicht einmal acht Wochen lang die Schornsteine wie gegen- wärtig. Eine Schicht lohnt sich nicht für eine Ziegelei, also ist man jetzt in zwei Schichten zu je 45 Mann am Schaffen. Es wird voll gearbeitet und dabei haben die Lohnarbeiter am Wochenschluß 24 M. brutto oerdient und die Akkordarbeiter 26 M. Die Abzüge ab hat jeder noch einen Zwanzigmarkschein für eine ganze Woche Mühe und Arbeit in der Hand. Für 1000 Steine gibt es 80 Pf. In der Stunde werden geschafft 2400 Steine, aber der Lohnsatz ist durch drei zu teilen, weil zu einer Kolonne immer drei Mann ge- hören, die zusammen die 2400 Steine pro Stunde machen. Aber noch nicht einmal diesen Zwanzigmarkschein können die Kosener Männer nach Hause tragen, denn es sind wieder 40 Schlesier da. Am Aerger über diese Schlesier wird Gosen noch mal gelbsüchtig werden. Im vorigen Jahr, als die Schlesier wieder wegfuhren aus Gosen , hatten eine ganze Reihe nicht einmal das Fahrgeld, barmherzige Kollegen haben sie mitgenommen in die Heimat, weil sie doch hier nicht bleiben konnten. Diese Schlesier!" Wohltätige Kühe. Als das Krisenunwetter in voller Stärke ins Land der Müggel hereinbrach, begann man in Gosen alle Sparstrümpfe durchzu- stöbern. Die der Großeltern, die der Eltern und die der Kinder. Wer noch 100 Taler aus besseren Tagen fand, atmete auf. Damit gings nach Friedrichsfelde , wo es für 320, 350 oder für 380 M. eine schöne Milchkuh gibt. Heute stehen in den Goseaer Ställen wieder vier und fünf Kühe. Auch der Wiesenbesitzer atmete auf, als endlich wieder die Leute zu ihm kamen, um sich ein paar Mor- gen Wiese zu pachten, denn eine Zeitlang hatte er sich seine Wiesen an den Hut stecken können. Jetzt ist Gosen wieder ZNilchdorf ge- worden. Ein Mann mit vier Kühen melkt morgens 20 bis 21 Liter, mittags 15 bis 16 und abends 16 bis 17 Liter. Um den Absatz braucht sich niemand Sorge zu machen. Die ganze Gegend
zwischen Stralan-Rummelsbnrg und Erkner ist eigentlich nur noch ein einzige» große» Siedlungsgelände, wo zehntausende Familien wohnen. Und da jeder Siedler Sonntags die ganz« Verwandtschaft auf der Klitsche hat, ist der Milchbedarf allein zwischen Köpenick und Erkner schon enorm. Sonntags fahren die Gosener dreimal mit Milch, ohne daß die Wochenendleute genug bekämen. Es ge- hören ja schon«in paar Milchbauern dazu, um nur die Zeltstädte um den Seddinsee zu versorgen. Dann gibt es 24 Pf. pro Liter Milch, lachendes Bargeld! Der Milchgroßhändler würde nur 13 Pf. zahlen, ober durch den direkten Verkauf werden 24 Pf. erzielt. Natürlich ist das nicht alles verdientes Geld. Wer, sagen wir, seine 350 Liter Milch in der Woche verkauft, mühte dafür theoretisch 84 M. erzielen. Wenn die Wohlfahrtskarten nicht dazwischen kämen und das Borgen. Aber auch dann noch müssen über 40 M. pro Woche vom Bauern für Kraftfutter aufgewendet werden: Rübenschnitzel, Biertreber und Kleie. Denn mit aus dem Wasser geholten Sichelkohl kann man wohl zur Not Schweine, aber keine Kühe füttern. Dazu Pachten, Steuern, das Spargeld- fürs Pferd, geschwelgt wird in Gosen gerade nicht. Den Ausgleich schafft aller- dings immer wieder der Acker: Kartoffeln, Brot, Bohnen: im Stall stehen die Schweine, und der beim Bauern überall zu verfolgende Rückzug zur Selbstgenügsamkeit ist auch in Gosen zu beobachten. Das tägliche Brot hat dem Bauern wohl seinen Schweiß gekostet, aber nicht unmittelbar Geld. Das Pferd wird langsam zur Not- wendigkeit, da das Liefern der Milch mit der Handkarre auf die Dauer zu mühselig ist. » So haben sich die Gosener Bauern, nachdem sie ihre Bohnen- zucht aufgegeben hatten und die junge Generation drauf und dran war, ihre Bodenständigkeit zu verlieren, nach manchem Irrweg über das Gröbste gerettet. Wenn wir nicht diese sündhaft teuren Bodenpreise um Berlin hätten, dann wäre eigentlich damit die Richtigkeit der Siedlung bewiesen.
Stralsund , 20. August.(Eigenbericht.) Ter Vorzug des um 6.00 Uhr eintreffenden B e r- liner Eilzuges fuhr bei der Einfahrt in den Bahn- Hof Stralsund auf eine Rangierlokomotive auf. Lbwohl der Zug nur noch eine Geschwindigkeit von 30 Kilometer hatte, war der Anprall doch so stark, daß sämtliche Fensterscheiben des Zuges zersprangen und die Lokomotive schwer beschädigt wurde. 31 Personen wurden verletzt, darunter zwei schwer. Die Tchtververletzten sind der Lokomotivführer H o l l b a ch und der Heizer Schwarz. Tie Verunglückten erlitten Rückgrat-, Kopf-, Lberschrnkelverletzungen und mußten sofort ins Krankenhaus gebracht werden. Die Schuld soll bei dem Fahrdienstleiter liegen, der dem Berliner Zug die Einfahrt freigab, obgleich die Rangierlokomotive auf dem Einfahrtgleis stand. Bon den 30 Leichtverletzten des Eisenbahnzusammenstoßes im Stralsunder Hauptbahnhof konnten 2 7 nach Anlegung von Not-
verbänden wieder entlassen werden. Drei Personen wurden ins Krankenhaus geschafft. Es sind dies der Kaufmann Stepp- kühn aus Müncheberg in der Mark, der Kaufmann U n n e r i ch aus Kyritz hv Pommern und der Musiker P i e r s i g aus Leipzig . Während die beiden ersteren Rippenverletzungen erlitten, trug Piersig eine Rückenverletzung davon. Lm Flugzeug verbrannt. Schreckensflug über dem leipziger Flugplatz. Leipzig , 20. August. Am Sonnabend wurde im Flughafen Leipzig -ZNockau der Slarl für ein Flugzeug der Firma Bahner in Liechlenstein-Calln- berg zum Flug nach Zwickau freigegeben. Der Flieger stieg auf und führte über dem Flugplatz einige Kunstslüge aus. Plötzlich rannte das Flugzeug gegen eine Halle de» Flughafens, explodierte und sehte die Halle in Brand. Das Flugzeug selbst verbrannte, der Flugzeugführer Bader und ein B e- gleiter wurden getötet.
41 Europaflieger in Tempelhof Startbeginn heute früh 7 Llhr. Die 41 Flugzeuge, die am Europarundflug teilnehmen, slar- tele» gestern nachmittag in sieben Staffeln eingeteilt in kurzen Absländen vom Flughafen Staaken nach Tempelhof . Nach einer Ehrenrunde über dem Flugplatz Tempelhof gingen sämtliche Flugzeuge glatt nieder. Nur die einzige weibliche Teilnehmerin, die Engländerin Spooner, hatte kurz nach dem Start eine Benzinstöruag, so daß sie in Staaken notlanden muhte. Für den Langslreckenflug ist alles startbereit. Heute vor- mittag um 7 llhr wird die Flagge zum Start der ersten Maschine gesenkt, der kurz hintereinander die übrigen Teilnehmer folgen. Totensuche auf der„Niobe". Am Sonntag wird die Bergung vollendet. Kiel . 20. August. Die Marinestation der Ostsee teilt mit:„Die Räume des Vor- schiffes der„Niobe" sind inzwischen leergepumpt worden. Es ist gelungen, aus der Segellast die Leiche des Obermatrosen Gefreiten Köster Zu bergen. Zn demselben Raum konnte auch noch die Leiche des Signalgefreiten Rothe festgestellt werden, dessen Bergung aber bei der augenblicklichen Lage des Schiffes noch nicht möglich war. Zur Zeit wird versucht, den größten Unterwasserraum des Schiffes, den mitfchiffs gelegenen Unterrichtsraum der Seeoffiziersanwärter, leerzupumpen. Dazu sind noch sehr umfangreiche und zeitraubende Abdichtungsarbeiten erforderlich. Es besteht bis zum Hell- werden des morgigen Sonntag Aussicht, das Schiff soweit gedichtet und gelenzt zu haben, daß es sich von selbst aufrichtet. In diesem Falle werden auch die übrigen Räume des Schiffes von oben zu-
gänzlich fein. Es wird angenommen, daß bis Sonntag mittag all« Toten geborgen sind. Mit Rücksicht auf die teilweis« sehr entfernt wohnenden Ange- hörigen der Toten ist die Beisetzung, wie gemeldet, auf Diens- tag, 23. August, 16 Uhr, festgesetzt worden. Wie die Marine weiter mitteilt, haben die Angehörigen von 13 der Vermißten die Ueber- führung in die Heimat gewünscht, während die übrigen in dem gemeinsamen Begräbnis auf dem Garnisonfriedhof Kiel beigesetzt werden.
Das Kaulsdorfer Moor brennt! Schwierige Löscharbeiten. hinler den Wasserwerken in Kaulsdorf -Süd erstreckt sich ein umfangreiches wiesen-, woor- und Torfgelände, kurz nach IS llhr stieg aus einem Torfstich plötzlich eine weithin fichtbare Rauchfahne auf. Von kaulsdorsern Bewohnern wurde die Feuerwehr alarmiert. Belm Eintressen fanden die Wehren bereits einen ausgedehnten Brandherd vor. Ein Teil des Topfes brannte und die Flammen hatten inzwischen aus eine angrenzende wiese übergegriffen. Znsgesamt brannte das Gelände in einem Umfange von etwa 2700 bis 3000 Quadratmeter. Aus Berlin wurde ein Löschzug nachalarmiert und mit ver- einten Kräften wurde der gefährliche Brand vo». mehreren Seiten bekämpft. Da die Hydranten ziemlich weit von dem brennenden Torf und Moor entfernt sind, mußten viele Meter Schlauch gelegt werden. Nach etwa vierstündiger angestrengter Tätigkeit war das Feuer zwar eingekreist, aber noch nicht gelöscht. Die Flammen fraßen sich immer tiefer in den Torfboden ein und es ist noch nicht abzusehen, wann der Brand endgüllig erstickt sein wird. Zunächst wird die Brandstelle von einer starken Feuerwehrwache nachts unter Kontrolle gehalten.