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P> Berliner VolkSblatt
Oonnersiag 25. August 1932 Groß-Äerlin 10 Pf- Auswärts 15 pf.
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I
Twütto zum Recht! Regierung in selbslgeschaKener ueriegenheil.
Das erste Berliner Sondergerichtsurteil hat einen zwanzigjährigen jungen Menschen, der k o m m u» n i st i s ch e r Sympathien verdächtig ist, mit einer Zuchthaus- strafe von 10 Jahren getroffen, während der einzige Ange- klagte von der anderen Seite, ein junger National- f o z i a l i st, als Freigesprochener den Gerichtssaal verlassen konnte. Der Kommunist wird beschuldigt, einen Schuß abgegeben zu haben, der glücklicherweise niemanden getroffen hat, der Nationalsozialist soll einen Trommelrevolver weggeworfen
Oer„Angriff" verboten. Wegen Beschimpfung Popens und Anreizung zum Ungehorsam. W\t der Berliner Polizeipräsident milleill. ist das national- sozialistische Berliner Organ„D e r A n g r i s s" wegen Leschimpsung und böswilliger Verächtlichmachung des Reichstanzier» in der Rlitt- wochnummer und wegen Anreizung zum Ungehorsam und zur Auflehnung gegen die Staatsgewalt in den beiden lehten Rummern mit sofortiger Wirkung bi» einschließlich Zt. August diese» Zahre» verboten worden. haben, aus dem ein Schuß abgegeben worden war. Dafür hatte der Staatsanwalt 9 Monate Gefängnis beantragt. Zweifellos hat also der Nationalsozialist mehr Glück ge- habt als der Kommunist. Die Richter sind in freier Beweis- Würdigung zu dem Urteil gekommen, daß der eine schuldig ist, der andere nicht. Ein Rechtsmittel außer der Wieder- aufnähme des Verfahrens, die nur unter ganz besonderen Umständen auf schwierigen Wegen in Gang zu setzen ist, gibt es nicht. Die Serie der Schreckensurteile, an deren Anfang wir jetzt stehen und deren erste Etappen durch die Ortsnamen Brieg , Beuthen und Berlin bezeichnet werden, hat in der Notverordnung vom 9. August ihren Ausgangs- punkt. Diese NotverordnungzwingtdieRichter, über Angeklagte, deren Schuld sie für erwiesen halten, Strafen von ganz grauenhafter Höhe zu ver- hängen. Die Regierung selbst scheint starke Zweifel zu hegen, ob die vor zwei Wochen unter ihrer Verantwortung erlassene Notverordnung wirklich in ihrer ganzen Schärfe durchgeführt werden kann. Sie zeigt keine Neigung, das fünffache Todes- urteil vollstrecken zu lassen, zu dessen Verkündung sie die Beuthener Richter durch ihre Notverordnung vom 9. August gezwungen hat. Die Regierung selbst ist durch dieses von ihr erzwungene Urteil in eine geradezu furchtbare Lage gekommen, denn einerseits schreckt sie aus begreiflichen Gründen vor der Voll- streckung zurück, andererseits aber kann sie keine Gnade üben, ohne den Anschein zu erwecken, als hätte sie vor den schamlos frechen Drohungen der Hitler und Goebbels kapituliert. Niemand kann der Regierung ihre Verantwortung ab- nehmen, niemand kann ihr den Weg aus dem Wirrsal weisen, in das sie geraten ist und zwangsläufig geraten muhte von dem Tage ab. an dem sie der SA. ihr Dasein und ihre Uniformfreiheit wiedergab. Eines aber muh an- gesichts dieser beispiellos verworrenen Situation immer und immer wiederholt werden, daß eine Korrektur der Wirkungen der Notverordnung vom 9. August durch die Re- gierung nur dann denkbar und überhaupt irgendwie zulässig ist. wenn sie nach allen Seiten hin gleichmäßig erfolgt. Wie notwendig eine solche gleichmäßige Korrektur ist, zeigt gerade der Berliner Fall. Würde das Beuthener Urteil korrigiert, das Berliner aber nicht, so würde sich ergeben, daß ein n i ch t e i n m a l bewiesener Schuß in die Luft in Berlin ungefähr ebenso hart bestraft würde wie in Beuthen ein vorsätzlich begangener, feiger und bestiali- sch e r M o rd! Ja. es ließe sich sogar denken, daß die Ver- urteilten von Beuthen bei einer entsprechenden Entwicklung
Reuthen. 24. August.(Eigenbericht.) 3m verlaus des Mittwoch boten die Rationalsozialisten alle» aus, um neue Unruhe unter der Bevölkerung hervorzurufen, was ihnen auch zum Teil gelang. Bereits in den frühen Morgenstunden durchzogen st arte uniformierte SA. - Trupps die Straßen. Beim Eintreffen des Bolivianers R ö h m. der im Austrage Hitlers die verurteilten besuchte, demonstrierten sie vor dem hauptbahnhof, später mehrere hundert Personen stark vor dem Gerichtsgebäude, wo troh Demonstrationsverbots Röhm in Anwesenheit der Polizei eine Ansprache hielt, in der er erklärte, daß da» Urteil nicht vollstreckt würde. 3n den Mittagstunden wurde es in den Straßen der Sladt etwas ruhiger, während in den Abendstunden die Rationalsozialisten ein Extrablatt verbreiteten, in dem sie die ihnen verratene Absicht. sämtliche verurteilten Im Lause der Rächt nach dem Zuchthaus iu Groh-Strehlih zu bringen, unter neuen Gewaltandrohungen zur Kenntnis brachten. Mittels Lastaulos, durch Motorräder und Radsahrerkolonnen zogen sie die SA. in Beuthen zusammen. Unter diesen befinden sich immer mehr Trupps aus dem benachbarten Riederschlesien. Die sorlgesehlen Unruhen in Reuthen haben das Wirtschaftsleben der Stadt bereits schwer geschädigt. Besonder» klagt die gesamte Kausmannschasl, daß die Geschäfte völlig zum Erliegen gekommen sind. Zahlreiche Käufer aus dem benachbarten Ost oberschlesien blieben völlig aus. wie wir erfahren, sind
von Handel und Gewerbe Schrille bei der Regierung geplant, um die baldige Wiederherstellung der Ruhe zu fordern. 3n Sleiwik kam es im verlause de» Mittwoch ebenfalls zu öffentlichen Demonstrationen der zusammengezogenen SA. 3n den Mittagstunden befehle sie die Vürgersteige der Hauptstraßen und bildete dort eir regelrechtes Spalier. Später bei der Abfahrt Röhms und des An- walts Luelgebrune wurde sie am Bahnhos zusammengezogen, hier demonstrierte sie regelrecht und marschierte dann in geschlossenen Trupp» durch die Hauptstraßen in da» Innere der Stadt. Die Bevölkerung, die in überwiegender Mehrheit nicht nationalsozialistisch ist, fühlt sich durch den wachsenden Terror der SA. außerordentlich beunruhigt und fürchtet das schlimmste, wenn nicht bald gegenüber den SA.-Hausen durchgegrissen wird. Die aus Beunruhigung hinzielenden Raziaklionen werden offensichtlich planmäßig organisiert und von Feme- Heine» geleitet. Nazis demolieren das Volkshaus. 3n den Abendstunden des Mittwoch kam es wieder zu großen nationalsozialistischen Zusammenrottungen vor dem Landgerichtsgebäude. Starke Trupps zogen um das Gebäude und forderten die Freilassung der verurteilten. Die Polizei griff dann ein, zer- streute die Ansammlungen und räumte die Beuthener Hauptstraßen mit dem Gummiknüppel. Die Rationalsozialisten hallen während der Ansammlungen in den Straßen mehrere Schaufensterscheiben zertrümmert. Eine starke Gruppe drang zum Volkshaus vor, wo sie die Tür ein- schlüge n und 1(5 Fensterscheiben einwarfen.
der politischen Verhältnisse alsbald wieder die volle Freiheit gewinnen, ja vielleicht nach berühmten Vorbildern die Bänke des Parlaments schmücken könnten, während der arme Junge in Berlin , der den Kommunisten nahestehen und einen Schuh ohne weitere Folgen abgegeben haben soll, im Zuchthaus ver- faulte! Die Eröffnung solcher Perspektiven zeigt, daß es weniger eine Frage des Buchstabenrechts als eine Frage der Politik-ist, was zu allerletzt aus den Urteilen der Sonder- gerichie werden soll. Was geschehen würde, wenn die Natio- nalsozialisten die ganze Macht erlangten, darüber kann ja kein Zweite! bestehen, das kann man jeden Tag in der yational- sozialistischen Presse ausführlich lesen. Dann wird keinem Nationalsozialisten, der einen Andersdenkenden tötet, ein Haar gekrümmt werden, die NichtNationalsozialisten aber, die dann noch wagen, sich zu wehren, werden ganz einfach an die Wand gestellt werden. Trotz der ungeheuren Stimmen- zahl, die die Nationalsozialisten bei den letzten Wahlen auf sich vereiniat haben, wird man nicht annehmen können, daß ein wesentlicher Teil des deutschen Volkes— von den kriminell Veranlagten abgesehen— einen solchen„Rechtszustand" wünscht. Wer aber vor solchen Konsequenzen zurückschreckt, der wird mit uns Sozialdemokraten den anderen Weg gehen müssen, nämlich den Weg, der zu Recht und Gerech- tigkeit und Menschlichkeit zurück führt. Kommt in absehbarer Zeit die Sozialdemokratie zu entscheidendem Einfluß im Staate, dann wird es ihre erste Pflicht sein, den� die Kerkertore zu öffnen, die ungerecht oder zu hart bestraft worden sind. Es gibt heute keinen anderen Weg, dem Recht und der Gerechtigkeit wieder zur Geltung zu verhelfen, als die Stärkung derSozialdemokratischen Partei! Denn der Weg nationalsozialistisch-kommunistischer Amnestie- gesetze dürfte angesichts der augenblicklichen Arbeitsunfähig- keit und Entmachtung der Parlamente im Reich und in
Preußen für absehbare Zeit versperrt sein. Es läßt sich heute auch nicht mehr gut vorstellen, daß etwa die Kommunisten für die sofortige Freilassung der SA. -Leute stimmen könnten, die ihren Parteigenossen in Potempa bestialisch ermordet haben, und daß die Nationalsozialisten als Gegenleistung für die Straflosigkeit von„Rotmord" stimmen könnten. Die Kommunisten werden praktisch auch damit nichts er- reichen, daß sie in den Parlamenten Anträge auf sofortige Freilassung linksgerichteter Verurteilter einbringen. Eine Wendung kann nur herbeigeführt werden durch einen Um- schwung der politischen Machtverhältnisse. Für ihn muß bis zur äußersten Hingabe jeder arbeiten und kämpfen, dem es mit dem Willen, das Unrecht der Sonder- gerichtsbarkeit zu beseitigen, ernst ist!
„Kameraden." Das ist Hitlers Kameraderie. Zu dem Telegramm Adolf Hitlers an die Beuthener Verurteilten, die er„seine Kameraden" nennt und seiner unendlichen Treue versichert, schreibt unsere ober- schlesische Parteizeitung: Hitler spricht in einem Telegramm an die in Beuthen wegen Mord Verurteilten diese an:„Meine Kameraden". Schöne Kameraden sind das! So der wegen Anstiftung zum Mord und wegen dabei bekundeter gemeiner Gesinnung zum Tode und lebenslänglicher Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte ver- urteilte L a ch m a n n. Dieser„Kamerad" Hitlers war noch vor zwei Jahren Kommuni st, vor einem Jahr schrieb er sich an der Spitze einer Zentrums-Mitgliederliste ein und wurde dann vor einigen Monaten Nazijünger. Er ist der I u st i z kein unbeschriebenes Blatt. In seiner Eigenschaft als Gemeinde- Vorsteher hat er sein Amt wiederholt mißbraucht. Er war der typische Dorftyrann. Selbst, sein Verteidiger Luetgebrune mußte zu- geben, daß er den Alkohol liebt« und im Süss wilde Reden führt«. Dies nicht nur, er war auch ein unanständige» Rauhbein. Der Raushandel gehörte zu seiner zweiten Natur.