Morgenausgabe
Nr. 401 A 198
49. Jahrgang
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Teils
Vorwärts
Berliner Boltsblatt
Freitag 26. August 1932 Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.
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Wehrhoheit?
Realpolitik in der Abrüftungsfrage!
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Gewerkschaft und Regierung
Gegen falsche Gerüchte.
Es gehört nun einmal zu den Eigenarten der grundsäglich neuen Staatsführung", daß das deutsche Volk über die Auffassungen und Absichten seiner Regierenden in den großen Problemen der in- und ausländischen Politik zumeist auf Seit Tagen geht die kommunistische Presse, an der Spitze die dem Umwege über die englische, die amerikanische oder die französische Presse informiert wird. So darf man sich Rote Fahne", mit„ Enthüllungen" über eine im Entstehen be darüber nicht wundern, daß man zum ersten Male durch eine griffene Einheitsfront von Leipart bis Straßer hausieren. Meldung der französischen Havas Agentur davon er- Mit eiserner Stirn erklärt man im Karl- Liebknecht- Haus und bei fahren hat, daß Deutschland in den nächsten Tagen durch Münzenbergs, daß der Plan zur Bildung eines Rabinetts seine Botschafter in Paris und London das Problem der Schleicher- Straßer- Stegerwald fix und fertig und deutschen Wehrhoheit" aufrollen wird. In diesem die Tolerierung dieser Regierung durch Sozialdemokratie und Ges Falle beruhte diese Mitteilung zwar nicht auf einem der wertschaften beschlossene Sache sei. neuerdings beliebten Interviews, sondern offenbar auf einer diplomatischen Indiskretion; aber entscheidend ist, daß diese Ankündigung von deutscher Seite nicht offiziell dementiert worden ist.
Das Echo, das diese Havas- Nachricht in Frankreich , und übrigens auch in England, erweckt hat, ist nicht gerade verheißungsvoll. Regierungsoffiziöse deutsche Blätter trösten ihre Leser damit, daß man, besonders was Frankreich angeht, auf diesen Sturm der Entrüstung gefaßt gewesen sei, und daß im übrigen die Stimmung in den Bereinigten Staaten und namentlich in Italien die deutschen Wünsche viel ruhiger und objektiver betrachte. Bezüglich Italien mag das ohne weiteres zutreffen, aber man sollte nachgerade be= griffen haben, daß die Aeußerungen der Zustimmung und der Aufmunterung, die in der faschistischen Presse Italiens in den meisten Problemen den deutschen Forderungen zuteil werden, uns praktisch noch nie etwas genügt haben und daß Mussolini im entscheidenden Augenblick die deutsche Diplo=
das Organ des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes , in ihrer Zu diesem Unfug nimmt die Gewerkschaftszeitung", neuesten Nummer, die Ende dieser Woche herauskommt, Stellung.
Sie weist zunächst darauf hin, daß die Sozialdemokratie bereits Beschlüsse gefaßt hat, die an ihrer oppofitionellen
Stellung zu jeder Rechtsregierung feinen Zweifel zulaffen, und betont dann mit aller Deutlichkeit:
,, Wir erklären nachdrücklichst, daß der ADGB . allen Kombinationen über machtbildungen an Spize des Reiches absolut fern steht und an Berhandder fungen über die Bildung einer neuen oder die Umbildung der gegenwärtigen Regierung unbeteiligt ist. Wenn wir die Art der Anteilnahme des ADGB. an der Gestaltung der politischen Führung im Reiche kennzeichnen wollen, so müssen wir feststellen, daß der ADGB . nur von dem einen Bestreben geleitet ist, feine Unabhängigkeit von jeder Regierung, wie immer fie beschaffen fei, in vollem Umfange ficherzustellen."
matie immer im Stich läßt, weil ihm an einem erträglichen Trendelenburg und Posse.
Um
Verhältnis mit Frankreich doch weit mehr gelegen ist als an einem abenteuerlichen Schutz- und Truzbündnis mit Deutsch - Schwarzkopf, der neue Mann im Reichswirtschaftsministerium land. Und was die Vereinigten Staaten anlangt, so tann man nicht eindringlich genug vor der Illusion Ueber die Gründe des Rücktritts des Staatssekretärs Dr. Trenwarnen, als ob sich die Regierung und die öffentliche Mei- delenburg wird von zuständiger Stelle" folgendes mitgeteilt:„ Im nung in Amerika für irgendwelche Schritte und Bestrebungen Ziele der Wirtschaftspolitik bestand zwischen dem Reichswirtschaftseinsetzen werden, die nicht eindeutig im Sinne der Ab= minister und dem Staatssekretär volle Uebereinstimmung, über das Tempo und die Art der Aktivierung der Wirtschaft jedoch bestanden rüstung liegen. Wer von den USA . eine Unterstüßung irgend Schwierigkeiten. Der Reichswirtschaftsminister tritt für unverzüge welcher Pläne erwartet, die auf eine Angleichung der deutliche Durchführung der Maßnahmen ein, die zu einer Behebung der schen Rüstungen nach oben hinauszielen, für den wird es wirtschaftlichen Schwierigkeiten und zu einer Ankurbelung der Wirtein böses Erwachen geben, wenn er darauf irgendwelche Hoff- schaft führen werden." nungen ſetzt.
Der Gedanke, England von Frankreich in dieser Frage entscheidend trennen zu können, ist nicht weniger verfehlt. Es ist ja gerade der Sinn und der Zweck jenes kon fultatiopattes gewesen, den Paris und London im letzten Stadium der Lausanner Konferenz abgeschlossen haben, eine Einheitsfront vor allem in der Abrüstungsfrage gegenüber dem nationalistisch regierten Deutschland zu bilden. England mag die deutschen Forderungen dazu benutzen, einen stärkeren Druck auf Frankreich im Sinne der Abrüstung aus zuüben, es wird sich aber bestimmt nicht zum Anwalt dieser Forderungen machen: das zeigen schon deutlich die zwar beforgten, aber feineswegs freundlichen konservativen Pressestimmen, die die Berliner Havas- Meldung kommentieren.
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Diese Mitteilung ist so inhaltsleer wie möglich. Die Deffentlich feit kann mit dieser Erklärung gar nichts anfangen. Wir fordern nach wie vor, daß Reichskanzler und Reichswirtschaftsminister sich nicht durch Erklärungen vor dem agrarischen Interessententongreß in Münster festlegen, bevor sie durch Bekanntgabe ihrer wirtschaftspolitischen Absichten die öffentliche Meinung zu diesen Absichten Boise aus seinem Amte scheiden werde, ist inoffiziell tennengelernt haben. Die Mitteilung, daß auch Ministerialdirektor Dementiert worden. Darf Posses Verbleiben in dem Sinne ausgelegt werden, daß ein grundsäglicher Systemwechsel in der Wirtschafts- und Handelspolitik nicht erfolgt?
direktor des vorläufigen Reichswirtschaftsrates und ab 1924 Generaldirektor in Kassel .
Industrieführer beim Reichskanzler.
Am Donnerstag empfing Reichskanzler von Papen eine Reihe von Industrieführern, u. a. die Herren Krupp von Bohlen und Halbach, Geheimrat Bosch und von Siemens. Die Besprechungen galten dem Wirtschaftsprogramm der Reichsregierung.
Das Gespräch mit Kerri.
Der stellvertretende Reichskommissar für Preußen, Dr. Bracht, hat am Mittwoch den Nazi- Präsidenten des Preußischen Landtages , Kerrl, in seiner Dienstwohnung aufgesucht, um mit ihm das Verhältnis der fommissarischen Regierung zum Landtag zu erörtern.
Die ,, Kommissare" stehen auf dem Standpunkt, daß sie nur dem Reichspräsidenten , nicht aber dem Parlament verantwortlich seien. treten, aber hinzugefügt, daß sie selbstverständlich nichts an der Wie man hört, hat Bracht diese Auffassung auch bei Kerrl verTatsache ändere, daß die Regierung gewillt sei, mit dem Landtag in entgegenkommender Weise zusammen zu arbeiten. Die Regierung habe selbst über die Form dieser Zusammenarbeit zu ent scheiden, also 3. B. auch darüber, ob die Verhandlungen zwischen Regierung und Parlament auf schriftlichem Wege vor sich gehen sollen oder ob Regierungsvertreter zur Ausfunfterteilung in die Landtagsfizungen kommen. Weiter wurde auch die Einberufung des Justiz- Untersuchungsausschusses nach Beuthen erörtert. Bracht hat dabei grundsägliche Bedenken gegen die Reise des Ausschusses zum Ausdruck gebracht und auch dagegen, daß der Untersuchungsausschuß jetzt schon in die Angelegenheit eingreifen will, während das Wiederaufnahmeverfahren schon angekündigt ist.
Neuer Borstoß der Sozialdemokraten im Berfaffungsstreit.
Inzwischen nimmt der Verfassungsstreit zwischen der sozialdemokratischen Fraktion des Preußischen Landtags und dem Präsidenten Kerrl seinen Fortgang. Kerrl hat sich über den Antrag, den Landtag zum 16. Auguſt einzuberufen, ſelbſtherrlich hinweggesetzt und die Einberufung erst zum 30. August vorgenommen. Nachdem bereits die Klage beim Staatsgerichtshof schwebte, hat er dann nach Leipzig mitgeteilt, daß durch die von ihm angeordnete Einberufung die sozialdemokratische Klage gegenstandslos ge worden sei.
Diesem Manöver ist die sozialdemokratische Fraktion jedoch mit einem neuen Schriftfaz begegnet, in dem sie darlegt, daß die Einberufung des Landtags zum 30. August als Erfüllung des RechtsAbs. 3 der preußischen Verfassung nicht angesehen werden könne. anspruchs der sozialdemokratischen Fraktion gemäß Art. 17 unrechtmäßig und in Verbindung mit dem Antrag der SozialDie Wahl dieses Tagungstermins durch den Präsidenten müsse als demokraten im Aeltestenrat als verfassungswidrig be= zeichnet werden. Die sozialdemokratische Erklärung ersucht den Staatsgerichtshof um die Herbeiführung einer Entscheidung, wonach der Präsident verfassungsmäßig verpflichtet gewesen sei, dem am 3. August gestellten Verlangen eines Fünftels der Landtagsmitglieder auf Einberufung des Parla
Der Nachfolger Trendelenburgs, Generaldirektor der Landeskreditkasse Schwarzkopf in Kassel , ist bereits ernannt. Er ist 48 Jahre alt, war 1915 bis 1916 einer der engsten Mitarbeiter des deutschnationalen Kriegsfinanzministers Dr. Helfferich, hat sich am Ausbau der Kriegswirtschaft beteiligt, war durch Ballin nach dem Krieg im Vorstand der deutschen Levantelinie, dann General- ments zu entsprechen.
Das deutsche Rüstungsproblem ist und bleibt also in erster Linie eine deutsch - französische Angelegenheit. Im Reichswehrministerium scheint man das wohl begriffen zu haben und deshalb wurden ja unverbindliche Borverhandlungen zwischen deutschen und französischen Militärfachver- Schon jetzt läßt sich allerdings feststellen, daß die deutsche ständigen in Genf bereits eingeleitet. Allerdings, wie es Deffentlichkeit durch Schlagworte auf Ziele festgelegt scheint, ohne besonderen Erfolg. Indessen gibt es zumindest wird, die schlechterdings unerfüllbar sind und übrigens, wie eine Kategorie von Franzosen , die den deutschen Umbil- es scheint, gar nicht von der Reichsregierung erstrebt werden. dungs" wünschen nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber- Dazu gehört z. B. der Ausdruck Wehr hoheit". Wenn stehen: das sind- wen wird es wundern? die französi- dieses Wort einen Sinn hat, so doch nur den einer völligen schen Rüstungsindustriellen, die Morgenluft Souveränität, also Selbständigkeit und Handlungsfreiheit, wittern, nachdem sie lange Zeit unter dem Alpdruck der Deutschlands auf diesem Gebiete. Wenn wir recht unterrichtet internationalen Abrüstungspropaganda gestanden haben. find, sind die Pläne des Reichswehrministers von Zwischen dem Comité des Forges" und der deutschen Stahl- Schleicher viel fonkreter, begrenzter und auch real industrie laufen zwar wenig sichtbare, aber um so festere politischer als dieses nationalsozialistische Schlagwort. Fäden, die wiederum zu den Generälen und Regierungen Sonst hätte es ja auch gar keinen Sinn, mit den Franzosen beider Länder führen. Das allein erklärt schon, warum selbst überhaupt verhandeln zu wollen, denn eine hundertprozentige die nationalistischen Blätter Frankreichs einer Aussprache mit Rüstungsfreiheit wird Deutschland schon im Hinblick auf das Deutschland über die deutschen Forderungen nicht grundsätz- zahlenmäßige Uebergewicht seiner Bevölkerung und auf seine lich ablehnend gegenüberstehen, allerdings schon jetzt einen industrielle Uebermacht nicht gewährt werden. Schleichers ganzen Katalog von Gegenforderungen formulieren, Bestrebungen gehen offenbar nur dahin, die deutsche Reichszu denen die Auflösung aller militärischen Verbände, die mehr durch eine fürzere Dienstzeit und durch ein größeres Internationalisierung der Luftschiffahrt und natürlich auch Ergänzungstontingent sowie auch durch eine entsprechende, ein ,, Ost- Locarno" gehören. Die Unterhaltung verspricht dem- mit den Armeen anderer Staaten vergleichbare Bewaffnung nach sehr lebhaft zu werden, nach außen und nach innen! ausbauen zu können.
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Man wird zu diesen einzelnen Forderungen- ebenso zu den angekündigten Gegenforderungen der Vertragsmächte noch öfter Stellung zu nehmen Gelegenheit haben, sobald sie öffentlich zur Diskussion stehen. Aber schon jetzt sei hier auf einen grundsäglichen Punkt hingewiesen: der diplo matische Kampf, den Deutschland zu führen gedenkt, wird ein so schwerer sein und berührt so viele Probleme der Innenund Außenpolitit, daß er nur dann Aussicht auf Erfolg hat, wenn das deutsche Volk in seiner großen Mehrheit Ver= trauen zu. der Regierung hat, die in seinem Namen ver= handelt. Eine Regierung, von der das Ausland von vornherein weiß, daß sie im eigenen Volt nichts oder fast gar nichts hinter sich hat, wird und kann auf diesem Gebiet gar nichts erreichen. Damit ist schon gesagt, daß wir die Regierung von Papen für nicht geeignet halten, derartige schwierige Probleme erfolgreich zu lösen. Man fomme uns auch nicht mit dem Argument, das wir schon zu Beginn der Lausanner Konferenz hörten und das man abermals gegenüber dem Ausland durchklingen läßt: daß in diesen Fragen das deutsche Volk ein mütig sei. Das ist einfach nicht wahr! Die Nationalsozialisten z. B. verstehen unter