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Brachi als Obrigkeit. Eine bibelfeste Begrüßungsrede. In der rheinischen Krupp -Stadt Essen findet gegenwärtig der deutsche Katholikentag statt. Zu ihm sind fast alle katho- tischen Würdenträger aus dem Laien- wie aus dem Priesterstande erschienen. Der Reichskanzler von Papen ist jedoch fort- geblieben. Er hat sich mit einem Telegramm begnügt. Selbstverständlich wird eine so große Veranstaltung von dem Oberbürgermeister der gastgebenden Stadt begrüßt Nun ergab sich das Wunder, daß als Oberbürgermeister zur Begrüßung der gleiche Dr. Bracht austrat, der in seiner zweiten Eigenschaft als kommissarischer Diktator von Preußen seine katho- tischen Glaubensgenossen Hirtsiefer , Schmidt und Steiger kurzerhand aus ihren Ministerämtern hat entfernen lassen, um nun hier in Essen die gleichen Glaubensgenossen als willkommene Gäste zu begrüßen. Bracht zog sich dabei aus der peinlichen Affäre, indem er sich aus den Apostel Paulus berief, der in seinem Brief an die Römer schrieb:Seid Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über euch hat; denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott !" Wenn dieser Satz Ewigkeitswert haben soll, dann war doch wohl die verfassungsmäßige preußische Regierung auch Obrigkeit im Sinne des Rümerbrieses? Wie kamen denn die katholischen cherren von Papen und Dr. Bracht dazu, diese Obrigkeit, die nicht außer von Gott sein konnte, Knall und Fall aus dem Amte zu jagen und nun für sich selbst dieUnter- tänigkeit" zu verlangen, die man nach Paulus der Obrigkeit schuldig sei? Wir haben begreiflicherweise keine Neigung, uns in diese inner- katholischen Auseinandersetzungen zu mischen. Aber es interessiert doch, daß in der Arbeiterstadt Essen schon bei der Eröffnung des Katholikentages demonstratio gegen die Papen-Theorie vom Wohlfahrtsstaat" Stellung genommen wurde. Die beiden Eröffnungskundgebungen, die von den diesjährigen Präsidenten des Katholikentages, dem Badischen Minister Baum- g a r t n e r und dem Vorsitzenden des Gesamtverbandes der Christ- lichen Gewerkschaften Bernhard O t t e geleitet und durch Reden aus- gefüllt wurden, standen im Zeichen der Sozialpolitik. Sowohl Baumgartner als auch Otte befürworteten den Wohlfahrtsstaat als sittliche Pflicht. Aus Wesen und Zweck des Staates folge, so führte Baumgartner aus, daß er nicht nur Rechtsstaat sei, d. h. seine Tätigkeit darauf beschränken dürfe, seinen Bürgern Rechtsschutz zu gewähren, im übrigen aber alle Kräfte schrankenlos walten zu lasten. Ein solcher Staat verletze das sittliche Prinzip und sei ein Abfall von der sittlichen Idee des Staates. Da der Staat die organisierte Gemeinschaft des ganzen Volkes sei, sei es eine heilige Pflicht, Wohlfahrtsstaat für alle zu fein, d. h. er habe das Wohl aller Schichten und Stände des Volkes zu hegen und zu pflegen. Der Staat habe Sozialpolitik im tiefsten und umfassendsten Sinne zu treiben, damit er nach dem Grundsatz der ausgleichenden Gerechtigkeit jedem gebe und sichere, was ihm nach Leistung, Recht und Gerechtigkeit gebühre. Otte bemerkte:Wir würden über die großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die zwangsläufig von sozialen chärten und Ein- griffen begleitet sind, leichter hinwegkommen, wenn die verschiedenen Volksschichten untereinander von stärkerem Gemeinschaftsgeist be- seelt wären. Die öffentliche Verlautbarung, wonach die moralischen Kräfte im Volke durch denWohlfahrtsstaat" gefährdet sein sollen, steht im Widerspruch zur christlichen Sozialausfassung." Herr v. Papen , der anfänglich auch an den Eröffnungssitzungen des Katholikentages teilnehmen wollte, ist in Esten nicht erschienen. Als�einer der Gründe seiner Abwesenheit ist die Miß- stimmung der Zentrumsarbeiterschast und die Gefahr von Demon- strationen gegen ihn zu betrachten.

Ein �undfunkskandal. Hohcnzollernpropaganda unter Mitwirkung der Reichswehr . Der sozusagen noch republikanische Rundfunk hat uns in den letzten Wochen manches tolle Stück zugemutet. Mit derSen- dung" Potsdam , die am Freitagabend die Berliner Funk- stunde vereint mit Königswusterhausen , Ostmarkenrundfunk, Danzig und Schlesien verbreitete, hat er den Bogel abgeschlossen. Die Sen- dung schwelgte in jzohenzollerntum: man war bemüht, möglichst auch nicht die geringste Lebensäußerung irgendeines Mit- gliedes des preußischen Königshauses unerwähnt zu lasten. Nicht nur von Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. wurde endlos sal- badert, sondern auch ER, der Verflossene, und seine Familie mar- schierten feierlich auf. Mit in ehrfurchtsvollem Zittern untertänig ersterbender Stimme wurde immer wiederder Kaiser " vorgestellt: hier ritt er, dort stieg er vom Pferde, da ging er zu Fuß. Und seine Söhne, wie reizend, marschierten bei der Parade als kleine Leutnants in Reih und Glied.Wir kannten damals nur eine Fahne!" belehrte ein ehemaliger Osfizier im chörbild seinen Enkel. Und dann schilderte er die Uniformen und ließ keine aus, und auch schulfrei gab es bei der Parade, und es war immer schönes Wetter.Muß das damals schön ge- wesen sein!" sagte der kleine zukünftige Staatsbürger der Deutschen Republik, weil das Hörbild ihm dos vorschrieb. Sollte hier das Vorbild von staatsbürgerlicher Erziehung der Jugend gs- geben werden, wie Freiherren sie auffassen? Militärmärsche schmetterten stundenlang. Die Musik lieferte die Reichswehr . Auch einen Leutnant und 30 Mann zum Aufziehen der Wache. Das gab ein paar hübsche, knarrende Kommandos:Rechts um!" Heute und gestern sind geheimnisvoll ver- tauscht, und alles scheint zu sein, wie es ein st gewesen war", klang es in die Ohren der Hörer. Es scheint wirklich so. Aber die Reichswehr stellte nicht nur die Schau- spieler für die historische Aufführung. Wir durften auch an einem richtigen Manöver teilnehmen, konnten Schüsse und Maschinen- gewehrgeknatter hören und uns von einem General erzählen lassen, wie die Armee der Republik die Tradition der p r e u ß i- schen Vergangenheit in Ehren hält. Diese Art der Rundsunkreportage ist ein öffentlicher Skandal. Die Beteiligung der Reichswehr ist ein Mißbrauch der auf die Republik vereidigten Mannschaften. Daß die Hörer sich Veranstaltungen dieser Art nicht gefallen

Tolerierung statt Koalition. Die Verhandlungen des schwarz- braunen Blocks.

Schon am 8. oder g. September wird der Reichspräsident in Berlin eintreffen. Er wird dann das Reichstagspräsidium unter Görings Führung empfangen. Nach diesem Empfang sollen die innerpolitischen Entscheidungen getroffen werden. Die Verhandlungen zwischen Zentrum und Nationalsozialisten scheinen schon ziemlich weit gediehen zu sein. DerBayrische Kurier" schreibt zu der gemeinsamen Erklärung von Zentrum und Nazis über ihre Verhandlungen: Bei allen Gerüchten, in denen behauptet werde, die Verlaut- barung habe nur den Zweck, die völlige Ergebnislosigkeit der bis- her geführten Besprechungen zwischen Zentrum und NSDAP , zu verschleiern, handle es sich um reine Kombinationen. Die Be- sprechungen würden Mitte der n ä ch st e n Woche ebenso intensiv weitergeführt werden wie bisher. Es sei also falsch, wenn behauptet werde, das Zentrum habe eine Vertagung der Verhandlungen auf unbestimmte Zeit beantragt. Im ganzen habe man den Eindruck, daß die Verhandlungen schon ziemlich weit in das Gebiet sachlicher Einzelheiten vorgedrungen seien." Die Ullstein-Presse teilt mit, daß in den bisherigen Befprechun- gen der Plan erörtert worden sei, den Reichstag und die Programm- erklärung des Reichskanzlers um mehrere Monate zu vertagen. Damit würde eine Abstimmung über die Mißtrauensanträge und über die Anträge zur Aufhebung der Notverordnungen umgangen werden. In der Praxis würde ein solcher Plan die Tole- rierung der tliegierung Papen und ihrer Notverord- nungen durch Zentrum und Nationalsozialisten ge- meinsam bedeuten!

[ Solche Pläne stehen im Widerspruch zu dem Theaterdonner, den Hitler am Donnerstag im Sportpalast gegen Papen losgelassen hat Das will aber nichts besagen! Bis vor kurzem war das Zen- trum für die Nationalsozialiften die schwarze Pest der Separatisten und Vaterlandsverräter und heute verhandeln die Nazis mit dem Zentrum und bezeichnen das Zentrum als eine Partei dernatio- nalen Rechten". papen-partei geplant. Es schweben Pläne, um den Stahlhelm, der am Wochenende in Berlin eine große Parade abhält, als Kern einer neu zu bildenden Papen-Partei zu gewinnen. Sie soll Deutschnationale, Stahlhelm, Deutsche Volkspartei und jene Gruppen des Bürgertums umfassen, die von den großkapitalistischen Plänen Popens entzückt sind, z. B. die Kreise des Hansabundes. Eine Goebbels-Ziache. Am Donnerstagabend wurde der Presse von den Unterhändlern für die schwarzbraune Regierungskoalition ein Be- richt über Stand und Ziel ihrer Verhandlungen übergeben. Alle Berliner Zeitungen haben diese nationalsozialistisch-zentrümlichen Mitteilungen veröffentlicht. Wer aber am Freitag dieses Kommu- niqud seinen Lesern verschwiegen und unterschlagen hat, ist das Berliner NaziblattDer Angriff". Wahrscheinlich, weil Nazi-Goebbels persönlich an den Verhandlungen nicht beteiligt und auch nicht als Minister in Aussicht genommen ist. Man benötigt ihn zwar als Agitator, aber sobald es um ernstere Dinge geht, wird er wie ein Holzklotz beiseitegeschoben. Seine Rache ist die passive Resistenz gegen die, die sich o h n e i h n zu Höherem berufen fühlen.

Reichstag vertagt. Zwischen den Gihungen.- Tagung der sozialdemokratischen Veichstagsfraktion.

Nach dem der Reichstag sich am Dienstag konstituiert und ein sozialistenreines Präsidium unter dem Vorsitz des Nationalsozialisten G ö r i n g gewählt hat, ist er sofort bis auf weiteres voraus­sichtlich bis zum Ende der nächsten Woche vertagt worden. In dreitägigen Verhandlungen beschäftigte sich die sozial» demokratische Reichstagsfraktion mit der gegen- wärtigen politischen und wirtschaftlichen Lag«. Es wurden eingehend alle Aufgaben erörtert, die von der Fraktion in der nächsten Zeit zu lösen sind. Einen Tag vor dem Wiederbeginn der Reichstagsverhandlungen wird die Fraktion zu neuen Be- ratungen zusammentreten. Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion hat die Zahl ihrer Vorsitzenden von 3 auf 4 erhöht. Zu den bisherigen Vorsitzenden Breitscheid , Dittmann und Wels tritt der bisherige Reichstagspräsident L ö b e, der künftig noch mehr al» bis- her Gelegenheit haben wird, seine reichen politischen und parlamen- tarischen Ersahrungen in den Dienst der Partei zu stellen. Zu den bisherigen Mitgliedern des Fraktionsvorst andes: Aufhäuser, Braun, Crispien, Graßmann, Hertz, Hildenbrand, Hilfer- ding, Frau Juchacz , Keil, Severing, Sollmann, Stampfer sind neu- gewählt worden: Ebert, Frau Psülf, Schumacher und Vogel. Zum Geschäftsführer der sozialdemokratischen Fraktion wurde wieder Genosse Hertz bestimmt. Kein Sozialdemokrat im Präsidium. In das Präsidium des Reichstags find als Schrift- führer acht Nationalsozialisten, drei Zentrums- Mitglieder und ein Deutfchnationaler gewählt worden. Die Kommunisten hatten auch hier, wie bei der Wahl der Prä- sidenten, ohne Rücksicht auf die Gesamtsitution ihre eigenen Kandi- daten ausgestellt. Durch dieses Verhalten ist den Nationalsozialisten die Mehrheit der Schristführer ausgeliefert worden. Das Zentrum hatte für die Kandidaten der Sozialdemokratie gestimmt. Lobe Vorsitzender des Lleberwachungsausfchusses. Zum Vorsitzenden des Ueberwachungsausschufses wurde der bisherige Reichstagspräsident L ö b e gewählt. Die Sozial­

demokraten sind in diesem Ausschuh mit sechs Mitgliedern vertreten. Dem Ueberwachungsausschuß kommt besondere Bedeutung zu, da er bei einer Auflösung des Reichstags bis zu den Neuwahlen die Rechts der Volksvertretung zu wahren hat. Im alten Reichstag hatte der Nationalsozialist Gregor Straßer den Vorsitz inne: man wird sich erinnern, daß er alles getan hat, um den Zusammentritt des Ausschusses und die Erörterung der von der Regierung Papen er- lasienen Maßnahmen zu verhindern. Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, in dem die Sozialdemokratie sieben Sitze hat, wurde Dr. F r i ck von den Nationalsozialisten, Stellvertreter der Sozialdemokrat Scheide- mann. Vorsitzender des Haushaltsausschusses war bis- her der Sozialdemokrat Heimann. Jetzt ist der Nationalsozialist Reinhardt zum Vorsitzenden und H e i m a n n zum Stellvertreter gewählt worden. In diesem Ausschuß haben die Sozialdemokraten acht Vertreter. Zum Vorsitzenden des Ausschusses für die G e- schäftsordnung, in den die Sozialdemokratie sechs Mitglieder entsendet, wurde der Zentrumsabgeordnet« Bell, zu seinem Stell- Vertreter der Kommunist Schumann gewählt. Ein Gensationsroman. Das Mittagessen als politischer Konfliktsfall. Ein Berliner Sensationsblatt hat Erfindungen über heftige Konflikte in der sozialdemokratischen Reichstagssraktion veröffent- licht. Die Erfindungen knüpfen an zwei Tatsachen an: daß die Ge- nossen Ebert, Schumacher und Genossin Toni Pfülf zum Fraktionsvorstand zugewählt wurden, und daß nach einer Rede Severings eine Pause von einer Stunde eintrat. Die findigen Leute, die auf Konflikte in der sozialdemokratischen Reichstagssraktion lauern, haben soweit ganz richtig gehört. Nur: die Wahl des Fraktionsoorstands hat vor der politischen Debatte stattgefunden und von einem Konfliktsfall war keine Rede, und die Pause nach der Rede Severings trat ein, weil es 1 Uhr mittags war und die übliche Pause zum Zwecke des Mittogsesiens begann. Daraus hat das Sensationsblatt einen dramatischen politischen Roman gemacht. Wem wollte es mit seinen Erfindungen dienen?

lassen, dürften Telephonarufe und Zuschriften empörter Rund- funkteilnehmer den Sendern sehr rasch klar machen. Auch bei uns meldeten sich telephonisch bereits zahlreiche Hörer, von denen ein Teil ausdrücklich erklärte, daß sie nicht der Sozial- demokratischen Partei angehörten, aber als ehemalige Kriegsteil- nehmer über diese Sendung empört seien und ein Sprachrohr in die Oeffentlichkeit suchten. Naz'provokaiion am offenen Grabe. Bei der Beerdigung des ermordeten Beichswetirgefreiten. Magdeburg ,?. September.(Eigenbericht.) An der Beerdigung des am Sonntag ermordeten Reichswehr - gesreiten Niemann-Magdeburg , der sich in Freundes- und Bekannten- kreisen größter Wertschätzung erfreute, nahm eine riesige Menschen- menge teil. Bei der B e i s e tz u n g s s e i e r l i ch k e i t provoziert« ein uniformierter SA.-Mann in frecher Weise einen Zwischenfall. Er trat an die offene Gruft und warf unter dem RufHeil Hitler!" einen Blumenstrauß in das Grab. Die Angehörigen des Toten ver- baten sich dies« Frechheit sehr entschieden. Mehrere Teilnehmer an

der Trauerfeier nahmen eine drohende Haltung gegen den SA. -Mann ein, der von der Polizei in Schutzhaft genommen werden mußte. Der Zwischenfall ist um so provozierender, als ein SS.-Mann in dem dringenden Verdacht steht, der Mörder des Reichswehr - gefreiten zu sein. Von den beiden verhafteten SS.-Leuten ist der SS. -Führer Müller inzwischen aus der Hast entlassen worden. Die Untersuchung gegen ihn wird aber weitergeführt. Der SS. -Mann Vogt befindet sich wegen dringenden Tatverdachts weiter in Haft. Müller und Vogt genießen als Rauf- und Trunkenbolde den denkbar schlechtesten Ruf. Die preußische..Verwaltungsreform" ist am Freitag von der kommissarischen preußischen Regierung fertiggestellt worden. Sie sieht u. a. die Zusammenlegung preußischer Ministerien, eine Eni- lastung der Oberpräsidien durch Uebertragung eines Teils ihrer Auf- gaben auf die Regierungspräsidien und eine Stärkung der Stellung der Landräte vor. Das Ziel dieser Verwaltungsreform, die auf dem Verordnungswege in Kraft gesetzt werden soll, ist die Zurück- dränguna der Selbstverwaltung zugunsten der Bürokratie. Also rückwärts auf der ganzen Linie. Der Reichslagspräsidenl Goering hat sich den Beamten des Reichstags vorgestellt.