Einzelbild herunterladen
 
  
7tr. 409/41 5 49 Iahrganq
1. Beilage des Vorwärts
Sonnabend, Z. September 1932
k�aek drei Tagen. DasVorwärts"- Verbot und die Berliner   Arbeiter. Eine Rüdeschau.
Zum zweitenmal in wenigen Wochen ist derB o r- wärts" durch ein Verbot der Regierung von Popen und ihrer Untergebenen dem Berliner   Arbeiter vor- entholten worden. Zum zweitenmol Hot er gefehlt. Ms uns am Abend des 30. August das Verbat durch einen Beamten des kommissarischen Berliner   Polizeipräsidenten übermittelt wurde, hatten wir nicht mehr die Möglichkeit, unsere Leser so rasch, wie wir es gewünscht hätten, zu unterrichten. Arbeiter und Ange- stellte, die abends amVorwärts"-Haus« vorüberkamen, ersuhren die aufsehenerregende Maßnahme durch den Aushang einer Sonder- ausgäbe in dem Schausenster unserer Hauptexpedition. Es bildeten sich sofort erregt diskutierende Gruppen. Am nächsten Morgen fanden unsere Leser dann in ihrem Briefkasten oder durch den Tür- schlitz hindurch ein ganz dünnes Exemplar desVorwärts". Es war der einzige Bogen, der nur ein« einzige Meldung enthielt: nämlich die, daß der Herr kommissarische Polizeipräsident von Berlin  unser Blatt wieder einmal für drei Tage verboten hat. Nun, die Berliner   Arbeiter und Angestellten haben dieses Dokument deutscher Geschichte au» dem Jahre 1332 nicht im Brief- kästen stecken lassen. Sie haben es mit in die Betriebe ge-
nommen, sie haben es auch den Kollegen, die nicht Sozialdemokraten sind, gezeigt. Allgemein hörte man da die Aeußerung: so etwas von P r e s s e k n e b e l u ng ist in Berlin   unter G r z e s i n s k i niemals vorgekommen! Aber nicht nur die Arbeiter und Angestellten, die in die Betriebe gingen, sondern auch die Hausfrauen, die mit ihren paar Pfennigen Kostgeld an den Ständen oder in der Markthalle einkauften, vermißten bei den Zeitungshändlern ihr Blatt und ent- deckten mir die Ankündigung des Verbotes. Einer unserer Leser hörte dabei diesen Ausspruch:Na, n» ist derVorwärts" schon wieder verboten, die Herren da oben müssen doch eine mächtige Angst haben." lind eine zweite Familienmutter antwortete:Herr von Pape» führt uns herrlichen Zeiten entgegen." Auch auf den Berliner   Stempelstellen war das neue Verbot desVorwärts" Anlaß zu lebhasten Diskussionen. Ein Verbot, ein Verweis, wieder ein Verbot in so kurzer Zeit die Sogialdemokraten unter denStempelbrüdern" konnten mit gutem Recht daraus hinweisen, daß das System Papen-Melcher in der Sozialdemokratie und imVorwärts" einen besonders g e f ä h r- lichen Gegner sieht. DerVorwärts" läßt die Sache der Arbeiterschaft nicht im Stich, die Arbeiterschaft läßt denVorwärts" nicht im Stich.
Schräder zurückgetreten! Erregung unter den Funktionären des Polizeibeamten- Verbandes. Ernst Schräder, der erste Borsitzende des Verbandes Preußi- scher Polizeibeamten, hat seinen Posten verlassen. Bereits vor längerer Zeit trat Schräder, wie damals mitgeteilt wurde, aus Gesundheitsrücksichten einen Urlaub an. Mit Ge- sundheitsrücksichten wird auch der jetzige Schritt begründet.' Man geht aber wohl nicht fehl in der Annahme, daß Schräder nicht nur wegen seiner Erkrankung den Vorsitz niedergelegt hat, sondern daß noch andere Gründe bei seinem Entschluß maßgebend gewesen sind. Bisher ist über die Nachfolge Schräders noch nicht entschieden worden. Nicht nur der Rücktritt des Verbandsvorfitzendsn, sondern auch der seltsame Kurs, den der Polizeibeamtenverband unter der der- zeitigen Führung des stellvertretenden Vorsitzenden Bredeck, nimmt, hat unter den republikanischen Funktionären, und das ist weitaus die Mehrzahl, größte Erregung hervorgerufen. Be- sonders stark ist die Empörung im Gau W e st. Es ist zu erwarten, daß die schon in nächster Zeit stattfindende Sitzung des Verbands- Vorstandes und des Verbands-Ausschusses«ine Klärung bringen wird. Da erst im kommenden Frühjahr eine Verbandstagung ab- gehalten wird, auf der ein neuer 1. Vorsitzender gewählt werden kann, wäre es im Interesse des Verbandes nur zu wünschen, wenn sich für die wichtige Wahl ein früherer Termin finden ließe. Seit den Vorgängen des 2 0. Juli, an dem die gewalt- fame Absetzung der preußischen Regierung erfolgte, hat die Preu- ßische Polizeibeamten-Zeitung mit dem stellvertretenden Vorsitzenden Bredeck niemals ein Wort der Abwehr gegen die schamlosen und gemeinen Beschimpfungen der Polizeibeamten in dem Berliner   na- tionalsozialistischen Sudelblatt gefunden. Die Aufhebung des Ver- bots der Betätigung von Beamten in der NSDZlP. wurde als eine Bereinigung der innerpolitischen Verhältnisse" begrüßt und das Bekenntnis abgelegt, die Polizeibeamtenschaft müssedem Umstand gebührend Rechnung tragen", daß es der nationalsozialistischen Be- wegung gelungen sei, sich von den kleinsten Anfängen zu dieser Stärke zu entwickeln. Der jetzige Vorsitzend« Bredeck verstieg sich in einer Betrachtung über die verfassungsändernden Pläne der Re- gierung sogar zu der Behauptung, daß die Heraussetzung des Wahl- alters, die Aenderung des Wahlsystems und die Errichtung einer 2. Kammeran dem Grundsatz» der Weimarer Verfassung   nicht rütteln". Schon Ansang Juli, als die Nationalsozialisten im Preußischen Abgeordnetenhause die Auslösung des Schrader-Derbandes und die Konfiskation des Verbandsvermögens beantragten, behauptete die nationalsozialistische Presse, daß Schräder von seinem Urlaub nicht mehr an die Verbandsführung zurückkehren werde, weil man ihn alsSündenbock in die Wüste geschickt" habe. Der Verband setzte diesen Behauptungen kein klares Dementi entgegen. Wohl aber war in dem Verbandsorgan unter Leitung des stellvertretenden Vor- sitzenden, Kriminalkommissar Bredeck, nicht mehr die klare r e< publikanisch-demokratische Haltung zu beobachten, die Schräder stets eingenommen hatte. Die Wendung des Kurses bei der Führung des Verbandes ist zu offensichtlich, als daß die Funktionäre mit blinden Augen daran vorübergehen könnten. 83 000 Polizeibeamte sind in dem Verband organisiert es ist höchste Zeit, daß der derzeitigen Leitung des Verbandes im Interesse der Organisation und seiner Mitglieder etwas scharf auf die Finger gesehen wird. Llnglücksfall einer Berliner   Redakteurin. Prag  . 2. September. Am Mittwochabend wollte die Redokteurin desBerliner Tage- blotts" Marianne L e n z i a n von Zlin  , wo sich die größten euro­ päischen   Schuhsabrikcn Batos befinden, mit dem Schnellzug nach Berlin   zurückreisen. Als sich der Zug im Bahnhof in Bewegung setzte, sprang sie in dem Glauben heraus, daß der Zug bereits
abfahre und ihr Begleiter noch nicht im Zuge sei. Durch das Tritt- brett wurde sie unter die Räder eines Wagens geschleudert. Der Schaffner des Zuges packte die Herausspringende an der Schulter und zog sie hoch, so daß sie gerettet wurde. Trotzdem erlitt die Redakteurin an einem Fuß, an der Nase und am Kops Verletzungen. Sie wurde in dos Bata-Spital gebracht.
Schulklasse wegen Ruhrerkrankungen geschlossen. Aus Ersuchen des zuständigen Kreisarztes wurde die achte Klaffe der Ersten Gemeindeschule in Berlin-Niederschönhausen   am Bismarck- platz wegen Ruhrerkrankungen bis 8. September 1932 geschlossen.
Vandalen!
Nazis gegen Frauenplastik.- Kunst ist ihnen fremd. In einer Nacht wurde auf einem Platz in Caputh   die dort von der Gemeindeverwaltung aufgestellte, von einem Einwohner gestiftete PlastikDie Kauernde" vollständig zertrümmert. Die Landeskriininolpolizei Berlin   ermittelte als Täter den 23jöhrigen Nationalsozialisten Bootsbauer Erich S t o y k e aus Neukölln und den 24jährigen Schneider Ludwig Gramm aus Caputh  . Die Täter mußten sich vor dem Potsdamer Schöffengericht wegen vorsätzlicher schwerer Sachbeschädigung eines öffentlich ausgestellten Kunstwerkes verantworten. Stoyke, der als Anstifter in Frage kam, erklärte vor Gericht, daß er als Nationalsozialist an der FrauenplastikAnstoß" genommen hätte. Er wäre bei dem Anblick der nackten Frauengestalt in solchen Zorn geraten, daß er mit einem Schmiedehammer, den er vorher in ein Tuch gehüllt hatte, und der ihm von Gramm gebracht worden war, auf die Plastik losgeschlagen habe. Der andere Nazi meinte, daß er die Kauernde alsunsittlich" empfunden habe. Daß er mit seiner Ansicht nicht allein dastehe, wollte er mit der Mitteilung be- weisen, daß man der Kauernden schon öfter des Nachts ein Hemd übergezogen hätten. Der Staatsanwalt hielt eine Geldstrafe für diesen Vandolismus nicht am Platz« und beantragte gegen Stoyke 6 Wochen Gefängnis und gegen Gramm 4 Wochen Gefängnis. Das Schöffengericht er» kannte bei Stoyke auf 4 Wochen und bei Gramm auf 3 Wochen Gefängnis. In Caputh   hatte seinerzeit die'rohe Zerstöning des Kunstwerkes die Einwohnerfchast stark erregt.
Brennender Asphali. Lavastrom zerstört Bahnkörper.- Gebäude in Gefahr. Paris  , 2. September.  (Eigenbericht.) Ein schwerer Brand ist aus dem Bahnhof von Tain im Rhone  - tat ausgebrochen. Mehrere Waggons mit Vollasphalt gerieten durch Funkenwurf in Brand. In glühenden Lavabächen ergoß sich der brennende Asphalt über die Geleise bis zu dem Bahnhofs- gebände hin. Der Feuerwehr gelang es nur mit äußerster Mühe, die Gebäude zu schützen. Der Brand selbst wurde mit Hille von Sand und Kies nach mehrstündiger Arbeit gelöscht. Eine schwere Rauchwolke hüllte die Stadt in nächtliches Dunkel.
Kampf um das siadtpariamanl. Das ziel der Arbelierfeinde.- Neuwahlen oder Orbeilsieisiung?
Noch hat die Stadtverordnetenversammlung ihre Arbeit nicht wieder aufgenommen, aber schon haben sich die zunächst einzeln vorgetragenen Angriffe gegen ihren Fortbestand zu einem wahren Trommelfeuer verdichtet. Allein die hochossiziöseBörsen-Zeitung  " hat in einer einzigen Woche nicht weniger als fünf Artikel gebracht, in denen Gründe und Scheingrllnde für eine Auflösung oder Ausschaltung der jetzigen Berliner Stadtverordnetenversammlung und der Bezirksversamm- lungen zusammengetragen werden. Warum gerade jetzt? Und warum gerade Berlin  ? Man bemüht sich gar nicht mehr um irgend- welche Verschleierung: die jetzigen Gemeindeparlamente sollen nicht mehr die fälligen Stadtratswahlen in Zentrale und Bezirken vornehmen. Für allgemeine kommunale Neuwahlen in ganz Preußen glaubt man offenbar nicht oder jedenfalls nicht zeitig genug die Zustimmung des Landtags und Staatsrats zu erhalten. Deshalb animiert man die kommissarische Regierung, wenigstens die B e r- l i n e r Parlamente auf Grund des Ausnahmeparagraphen der Städteordnung aufzulösen. Formell wäre das zweifellos möglich. Sachlich ist es völlig ausgeschlossen. Denn diese Auslösungsbefugnis ist der allerletzte Aus- weg,>den das Gesetz dem Kabinett eröffnet, wenn einer völlig arbeitsunfähigen Stadtverordnetenversammlung gegenüber alle anderen Mittel der Staatsaufsicht versagt haben. Von alledem kann in Berlin   mit keinem Worte die Rede sein. Das Stadtporlament hat vielmehr eben erst vor den Ferien in engster Zusammenarbeit mit dem Magistrat und den Allssichts­behörden selbst in der jetzigen schwierigsten finanzpolitischen Situation durch seinen Ermächtigungsbeschluß die Grundlage für eine ordnungsmäßige und sparsame haushaltswirtschast während der Uebergangsmonate gelegt. Der Umlageverteilungsbeschluh hat die Genehmigung des Ober- Präsidenten erhalten. Es ist zum mindesten zweifelhast, ob eine neu gewählte Stadt- verordnetcnversammlung ebenso arbeitsfähig sein würde. Aber hier liegt der Hase im Pfeffer sie s o l l ja gar nicht arbeiten, sie soll bloß wählen. Und die jetzige soll nicht mehr wählen. Die bauernschlaue Rechnung sieht so aus: Nach einer Neuwahl gibt es die alteE t a t s m e h r h e i t" nicht mehr. Allerdings eine sozialdemokratisch- kommunistische Mehrheit, aber die geht in Personalfragen nicht zusammen. Dann kann bei jeder Stichwahl eine nazi-deutschnationale Minderheit die gespaltene Links- Mehrheit übertölpeln. Es kann also in Zukunft ganz ungestört eine ganz einseitig reaktionäre Personalpolitik ge- trieben werden. Darum: Neuwahlen! An etwas anderes als an Personen fragen wird überhaupt nicht gedacht. Was aus der übrigen Arbeit der Stadtverordneten wird, kümmert diese Sorte Reformer überhaupt nicht. Es ist das verantwortungslose st e Spiel, das überhaupt denkbar ist. Interessant nur, daß ausgerechnet Mitglieder der Volks-
partei, die bei dieser Gelegenheit den Anschluß nach rechts nicht verpassen möchten, sich zu Wortführern eines solchen Planes machen! Die Sozialdemokratie hat darauf haben wir schon unmittelbar nach den Reichstagswahlen hingewiesen als Partei nichts bei einer Neuwahl der Stadtverordnetenversammlung zu fürchten. Sie würde weder an Sitzen noch an Einfluß verlieren. Die Zeiten, in denen Berlin   gegen den Willen der Arbeiterschaft verwaltet werden konnte, sind dahin. Es gibt Mittel und Wege genug, um einen dicken Strich durch die bauernschlaue Rechnung jener Einbläser zu machen. Einer, der klüger ist als die volksparteilichen Klopsfechter, Hot das sofort erkannt: der verbissene Reaktionär Dr. Steiniger. Er warnt vor demRezept" solcher Neuwahlen. Und er hat dafür gleich zwei bessere Rezepte zur Hand: Neuwahlen aus Grund eines neuen Wahlrechts oder aber Suspension der Stadt- und Be- zirksparlamente und Staatskommissariat des Oberbürgermeisters unter starker Staatsaufsicht" undmit möglichster Unabhängigkeit auch vom Magistrat". Hier wird, wie man sieht, ganze Arbeit gemacht. Die Parole Wahlrechtsänderung oder Ausschaltung aller parlamentarischen und kollegialen Körperschaften wird glattweg auch für die Gemeinden proklamiert. Dann kann allerdingszurzeit auf Neuwahlen der freiwerdenden Stadtratsstellen unbedenklich ver- zichtet werden". So weit sind wir erfreulicherweise denn doch noch nicht. Und die Berliner   Sozialdemokratie wird dafür sorgen, daß es so weit nicht kommt. Sie wird zunächst in Ruhe wieder an ihre Arbeit in der Stadtverordnetenversammlung gehen und abwarten, ob die Börsen-Zeitung  " recht hat mit ihrer Behauptung, daß sowohl Herr von Papen wie Dr. Bracht nicht zögern werden, deneinfachen Verwaltungsakt" der Neuwählen durchzuführen. Es will uns aller- dings scheinen, als gäbe es augenblicklich in allen Gemeinden und in Berlin   im besonderen wichtigeres zu tun, als zum fünften Mal innerhalb eines Zahres zu wählen. Der schlecht verhohlene Drang nach derFutterkrippe" ist jedenfalls nicht Grund genug, alle übrige kommunale Arbeit auf Wochen hinaus ruhen zu lassen. Mehr als je zuvor braucht in dieser Notzeit die Berwaltungsarbcit der Stadt die öffentliche Kontrolle und Kritik der ge- wählten Vertretung ihrer Bürgerschaft. Ihre Aus- schaltung ist ein gefährliches Experiment, vor dem nicht genug gewarnt werden kann. Nächste Sitzung am IS. September. Roch Beendigung der Sommerserien wird die Stadtverord­netenversammlung zu ihrer nächsten Sitzung am 15. September zusammentreten. Mit der Verabschiedung des Etats wird man sich in dieser Sitzung noch nicht beschäftigen. Zur Beratung steht neben einer großen Anzahl kleinerer Vorlagen die Frage der städtischen Gesellschaften und Gesellschaftsbeteiligungen.