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Nr. 44 9 49. Jahrgang

2. Beilage des Vorwärts

Dienstag. 6. September 4932

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vor ihr ausbreiten. Man kann doch nicht aufgucken, man kann doch keine ansehn, die kein Gesicht hat! Pfanne mit klebrigen Brat- kartoffeln, Dame ohne Unterleib, schmutziges Bett, Gestank nach ranziger Margarine,

?! Gilgi steht unten auf der Straße und reibt sich ihr Handgelenk. Hat der Junge einen Griff! Macht der sich das Leben schwer! Und den um Rat fragen! Der hat selber Rat nötig. Jeder für sich, Gott für uns alle. Gilgi zieht aus ihrem Täschchen ein kleines Notiz- buch: Fräulein Margarethe Täfchler, Thie- boldsgaffe. Da wird man jetzt Hingehn. Es interessiert einen ja schließlich, das Wesen zu sehen, das einen zur Welt gebracht hat. War gar nicht so einfach, den Namen von zu Haus rauszukriegen, die Adresse hat sie sich selber gesucht. Karneval liegt in der Luft... wie kütt die Mösch, die Mösch, die Müsch bei uns en die Köch... aus einem Fenster plärren Ostermanns diesjährige Schlager. Gilgi geht die Domstraße entlang, am Hauptbahnhof vorbei Samstag abend das kriecht und wimmelt, hetzt und jagt, sie überquert den Domplatz, muß sich die Mütze festholten, daß sie nicht fortweht. Gott sei Dank, jetzt steht sie vorm Savoy-Hotel, hier ist es weniger stürmisch. Sie streicht sich den Trenchcoat glatt und die Haare, gibt der kleinen Basken- mutze wieder den richtigen Sitz. Biegt in die Hohestraße ein Menschen, Menschen das schiebt sich die schmalen Bürgersteige ent» lang, man kommt nur langsam vorwärts. Verkehrsordnung einhalten! Rechts gehen! Man wird ganz kribbelm, wenn man ge- wohnt ist, lange, flotte Schritte zu machen. An der Passage stehen ein paar trübselige Nutten, sie sehen brav, bieder und schlecht gelaunt aus, ohne Schminke und Attropin könnte man sie für entlassene Telephon- beamtinnen halten. Gilgi geht durch die Schildergasse.Blumen Blumen!" Ein verfrorenes, kleines Mädchen steht an der Ecke.Gib man'n Strauß her". Gelbe Mi- mofen, wem soll sie die schenken? Sie wird sie der Mutter mitnehmen, die freut sich vielleicht. In der Thieboldgasse ist's dreckig und dunkel. Es dauert eine Weile, ehe Gilgi die richtige Hausnummer gefunden hal. Im Hausflur stinkt es nach faulem Fisch und alter Wäsche. Gilgi steigt eine Treppe rauf. noch eine, das Haus lebt: irgendwo kreischt eine Frau, weint ein Kind, schimpft ein Mann. Vor einer Tür liegt einKölner Stadt-Anzeiger "... un wenn selvs der janze Fastelovend an Auszehrung engon soll, die Häresitzung der Große Kölner krige die Miesmächer nit kapot! An dem Humor und dem Festhalten ererbter kölscher Art rennen sie sich den Schädel ein... Oh, du goldner, rheinischer Humor!Hütt Sau- kerl doch als widder et janze Stempelgeld versöffe", schreit eine Frau. Das Haus lebt, das Haus atmet. Gilgi werden die Beine schwer. Warum ist sie hergekommen, was will sie hier? Ufff, sie kriegt keine Luft. Schlapp machen gilt nicht. Da hängt ein schmieriges Zettelchen: Fräulein Margarethe Täfchler. Damenschneiderin, zweimal schellen. Gilgi schellt. Schluff schluff schluff kommt's näher wie das stinkt hier im Haus, mir wird schlecht tapp tapp topp noch wär's Zeit, umzu... Wer is da?" Warum wird denn nicht aufgemacht! Es do jemand?" Ja." Wer?" ..Ich." Zu wem wollenst?" Zu Fräulein Täfchler." Eine Sicherheits- kette rasselt, die Tür öffnet sich:.Kommense erein. Fröllein, man muß hier so vorsichtich sein wegen de Einbrecher. Vorjestern Habense nebenan en ärm Frau niederje- schlagen, de Menschen sin esu schläch heutzu- tach, kommense hier erein, Fröllein." Ist sie das, ist sie das, ist sie das? Gilgi preßt den Mimosenstrauß an die Brust. Es fällt ihr nicht ein, Herzklopfen zu haben, es fällt ihr nicht ein. aufgeregt zu sein. Da ist ein Zim- mer mit einem schmutzigen Bett, gegenüber ein Gasherd, eine Pfanne mit ein paar kal- ten, klebrigen Bratkartoffeln drauf. Vorm Fenster steht eine schwarze Probierpuppe, die Dame ohne Unterleib. So leben wir. so leben wir, so leben wir alle Tage.. ..Setzense sich man, Fröllein." Die Frau fegt ein paar schmierige Wäschestücke vom Stuhl. Ein feines Mädchen! Wenn die bei ihr arbeiten lassen will und was soll sie sonst wollen? Fräulein Margarethe Täfchler, Damen­schneiderin. zweimal schellen man muß sie ansehen. Gilgi man ist hergekommen, um sie anzusehen. Weg die Augen von der Dame ohne Unterleib, da steht die Alte in der Ecke und plinkt nach dem Ofen, wo eine

gerupfte Katze liegt, Miß, miß, miß lockt sie und macht dazu einen schauerlich krum- men Zeigefinger wie die Knusperhexe aus Hänsel und Gretel". Miß, miß, miß will das Fräulein ein Kleid arbeiten lassen? Miß, miß, miß. Jeder will gern einen guten Eindruck machen, dann und wann. Zieht die eine sich schnell'neu seidenen Schlafrock über, lockt die andre'ne Katze hinterm Ofen vor. Miß, miß, miß das ist sie, das ist sie. Gilgi klammert die Fin- ger um den Mimosenstreuß und spricht: ja. sie hat gehört von Fräulein Täfchler, sie ist ihr empfohlen worden, sie will sich jetzt was von ihr nähen lassen, ein Kleid mit Jäckchen, und den Stoff hat sie gleich mitgebracht. Das ist sie. Sie ist mager und vertrocknet. und ein Gesicht hat sie gar nicht, das hat sie verloren. Sie hat eine Bademütze, eine helle Bademütze auf dem Kopf, graugelbe Haar- strähnen hängen drunter vor. Mötz han ich auf wejen der Kopfschmerzen, hau ich ne kalte Umschlag drunger." Und Gilgi empfiehlt Aspirintabletten und besieht sich die Modejournale, die die Hexenfinger

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feuchte Wände und morscher Fußboden. Elegante Welt". Schönheitsnummer. Die schöne Großmama schreibt ihrer Enkelin: Karneval, ach, der war zu unserer Zeit noch toll und köstlich, trotz der Maske war ich immer umschwärmt, denn man sah genug von meinem schönen Teint(dessen ganzes

Geheimnis die Pfeilringpflegc war)... Miß Germany 1931...das hättense auch werden können, Fröllein!" Und der Kopf mit der Bademütze lacht, das ist aber nicht wahr, das ist gelogen, das Lachen. Und der Kopf beugt sich und ist jetzt dicht neben Gilgis. Ich kann den Geruch nicht mehr vertragen, ich muß mir'ne Ziga- rette anstecken. Das Licht ist schlecht, man kann nichts rich- tig erkennen, wie kann man hier nähen! Das Nicht-Gesicht hat rote Augen, das sind keine Augen, das find ent- zündete Lider, die weh tun. Die schöne Groß- mama schreibt ihrer Enkelin... Du, du, du warum läßt du dir das gefallen! Warum wohnst du hier, warum lebst du hier? Tot- schlagen sollte man dich, wenn du zufrie- den bist! Nebenan spielt ein Grammo- phon: Trink, trink, Brüderlein trink... Warum bist du zufrieden? Lasset die Sor­gen zu Haus... Warum? Trink, trink... Abgefunden, abgefunden. Bin's nicht anders gewohnt Kenn' nur das Lied von den graublassen Stunden. Gibt's was, das Mühe lohnt?(Fortsetzung folgt.)

iU Mundslage ynelancJtolifcher Rückblick/ Ton Srich Preuße

Die Sonne tropfte Feuer aui die Erde. Der Asphalt glühte. Es war zu 5hause und draußen unerträglich. Der Schweiß rann in Strömen. Vor mir lauerte die Schreibmaschine. Die oberste Tostenreihe reicht vom ß bis zum. In den nächsten Reihen liegen nebeneinander die Typen bis zum. Nun braucht man nur die Tasten anzuschlagen und die Berichte und Feuilletons trudeln aus der Maschine.. Aber es war nicht möglich zu arbeiten. Ich flüchtete in den Schreber- garten, der meinen Wirtsleuten gehört. Da blühten die Gladiolen, Montbrctien, Dahlien und Astern. Die Rosen setzten die zweiten Knospen an. Das Bohnenkraut hing verdorrt an den Stangen. Der Kürbis war wohlauf und schickte sich an. den Garten zu erobern. Hinter den breiten und rauhen Blättern sahen d>« gelben und grünen Köpf« hervor. Die Hitze brütete schlaff und matt. Ich saß in der Laube, und mein Gehirn begann zu fließen. Ein fetter Brummer hielt auf dem Manuskriptpapier Siesta. Flog, aufgeschreckt, einige Runden und setzte sich beharrlich wieder aus dieselbe Stelle. Bis er in Ruhe gelassen wurde. Ich trollte wieder noch Hause und suchte einen Waschzuber hervor Das Wasser aus der Leitung war schon schaumig, eh« es kalt lief. Aber dann ließ sich's aushalten... Abends, wenn es sich etwas abgekühlt hatte und somit die Möglichkeit gegeben war, zu ar- beiten, störten die Laussprecher. Aus fast jedem Fenster knarrte, quäkte und psiss das. Seit die Sender nun unter dem neuen Kurs lausen, ist es besonders erbaulich, alle diese kleinen Apparate. die nur den Ortssender sassen können, einstimmig dieWacht am Rhein " und ähnliche schön« Lieder kreischen zu hören. Weiß der Teufel, welches Vergnügen die Leute dabei haben, ihre miserablen Lautsprecher an die geöffneten Fenster zu stellen und sie mit größter LausstärkeLieb Vaterland. magst nchig sein" brüllen zu lassen. Ich floh in den Garten. Auf dem freien Platz an der Laubenkolonie aber hatte sich ein Wanderzirkus niedergelassen. Die Musiker bliesen mit Vehemenz: O Mona, o Mona... Die Wachhunde machten ihnen Konkurrenz. Und so heulten sie vereint den Mond an. der breit und behäbig über den Himmel schaukelte. Ich entwich in den Friednchshain Ein leiser Wind verwehte. Die Luft war feucht und schwül. Eine Welle Blumenduft und Rasen- otem flutete durch den Park Es roch welk und erdig. Irgendwo sang ein Vogel im Schlaf: Zück- zllck-zück-zllck-ri-ri-pi-ping. Ein blosser Mond über- zog die Baumkronen mit fließendem Silber. Bogenlampen überspülten die Alleen mit Licht. Auf den Bänken unter den Lampen saßen die unentwegten Skatbrüder. Diskussionsgruppen standen beisammen Junge Leute lutschten an Waffeltüten. Aus dem Dunkel der Anlagen stieg Mädchenlachen aus. Die Nächte waren voller Schwüle. Der Straßenlärm pochte in den Halbschlaf hinein. Morgens um 6 Uhr begannen die Lautsprecher zu röhren. Später kamen die Müllkusscher und bollerten mit den Aschkübeln. Da brannte schon die Sonne heiß und sengend Eines Morgens kam der Töpfer. Er meinte. der Oien müsse umgesetzt werden. Da bin ich ausgerückt und habe eine Sommerreis« unter- nommen.

Ich fuhr nach Hamburg , nach der Heimat. Der Zug war kaum besetzt Es hat heute kein Mensch Geld zum Reisen. Wie hat sich Hamburg in einem Jahr, als ich zuletzt dort war, verändert! Einstmals strömte die Welthafenstadt«ine unbändige Kraft aus. die lebensvoll über die Meere drängte. Jetzt pulsiert in den Straßen ein Leben, dem das unerbittliche Verhängnis der Arbeitslosigkeit seinen Stempel ausdrückt. Wo sonst die Arbeit ihr ehernes Lied donnerte, grinst die nackte Fratze der Not. Gegen die mächtigen Kontorpaläste prallt der Rhythmus eines toten Geschehens Ich fuhr über die Elbe nach Harburg-Wil- helmsburg. Eine aufblühende Industriestadt van über lOOOOO Einwohnern ist zum Feiern ver- urteilt. Die Fabriken haben keine Austräge. Die Arbeiter drängen sich, wie in Berlin , vor den Stempelstellen und warten in den Wohlsahrts-

ämtern. Trübe szoffnungslosigkeit umdüstert die Gesichter. Meine Schulkameraden von srüher, Bürgersöhne. sind fast alle arbeitslos und stehen alle, aber auch alle bei Hitler . Eine trübe Metaphysik verschleimt ihre Gedanken. Die gewissenlose Hetze, die hier tagtäglich von einer faschistisch aufgemöbelten Meute von Lokalblättchen, die krüher im General- anzeigergenre schrieb, besorgt wird, ist nicht ohne Folgen geblieben Eine.Unterhaltung mit Bc- .kannten nahm etwa folgenden Verlaus: nachdem sie mein Abzeichen der drei Pfeile gesehen hatten, meinten sie:Daß du noch nicht vernünftig ge- worden bist". Als ich die Absicht äußerte, in nächster Ze-t für immer nach Harburg zu kommen, warnten sie(und kamen sich dabei ungeheuer gut- mlltig vor. daß sie mich warnten):Bleib bloß in deinem Berlin ! jhier wird nächstens aufge- räumt... Alle hiesigen Sozis werden aufge-

Johann ZPinneberg Schreibt an denfflerrnffieichskansler

Hochverehrter Herr Reichskanzler, gestatten Sie, daß ich mich vorstelle. Ich bin der Johannes Pinneberg aus dem Buch von Hans Fallada :Kleiner Mann was nun." Ja, ich bin mit meinem Lämmchen und mit meinem Murkel von Duchsrow nach Berlin ge- kommen, habe hier bei Mandel in der Konfektion gearbeitet, konnte die Quote nicht erreichen und wurde entlassen. Seit 16 Monaten bin ich nun erwerbslos. Ich wohne in einer Laube, die mir mein Freund Heilbutt sozusagen umsonst zur Verfügung gestellt hat. Meine Frau geht nähen und ich, junger Mann von 2b Jahren, bin bei meinem Murkel, der schon Beppo sogen kann. allein und warte, warte! Sehen Sie. sehr geehrter Herr Reichskanzler, ich bin nur ein kleiner Mann. Bin in Pommern ge- boren, habe die Volksschule besucht und dann war ich in der Lehre! Nachher kam das mit Lämmchen. die beste Frau auf dieser Welt. Nun hörte ich, denn eine Zeitung kann sich unsereins nicht kaufen und auch fürs Radio reicht das Geld nicht(für Frau und Kind habe ich knapp l? M. die Woche), daß die alte Zeit kommen soll, und ich habe sie ausgehoben, die Zeitungen aus der Straße, und dachte, nun wird es besser, denn es sagten die Leute:Der Pape», das ist ein starker Mann, der wird es schaffen." Da habe ich mich gefreut und Hoffnung geschöpft und zu meinen, Lämmchen gesagt:Siehst du, da hast du es mit deinen Kommunisten, die machen es nicht, aber unser Reichskanzler, der gibt uns Arbeit und Brot, der läßt uns wieder Menschen werden". Und dann, Herr Reichskanzler, haben wir zu- sammengesessen und Pläne geschmiedet und waren ganz ordentlich glücklich. Nun würde es doch nur noch wenige Tage dauern, dann hat das Elend ein Ende. Aber nun warte ich schon mit meinen: Lämurche« und unserem Murkel sehr lange

und es passiert nur nichts, sondern als ich dos letztemal bei der Krise war, da haben sie mir 2 Mark weniger gegeben. Der Beamte war barsch und sagte:Jetzt wird Schluß gemacht mit dem Wohlfahrtsstaat". Als ich ihn so fragend anguckte. hat er mir noch gesagt:Ja, ja, das hat der Reichskanzler gesagt" Aber das ist sicher nicht wahr, obwohl Lömmchen aber über Lämmchen will ich nichts sagen. Und dann sollte ich doch recht bekommen. Eines Tages sah ich die ersten mit solchen neuen schönen Anzügen und da mar ich atemlos zu Lämm. che» gelaufen und habe ihr gesagt:Siehst du, Lämmchen, die Regierung hilft doch, jeder be- kommt einen neuen Anzug". Aber Lämmchen hat nur gesagt:Junge, Jung«, du bist ein Einsaltspinsel". Ja und nun höre und lese ich auch manchmal so viel von dennationalen Belangen", von der Einheit der Nation und dem Interesse der Staats- autorität. Da denke ich immer eben, daß wir, die vielen Arbeitslosen, gemeint sind aber Läinm- chen sagt wieder,es sind nur die Generäle ge- nieint". lind weil ich nun mich das erstemal mit meinem Lämmchen richtig gezankt habe, schreibe ich, Io° Hannes Pinneberg aus Ducherow , jetzt Berlin , an den Herrn Reichskanzler und frage an, wie es nun mst unseren Belangen ist, wann die alten llnterstützungssäize ausgezahlt werde» und wann es Arbeit gibt, denn, und darin muß ich Lämmchen wieder recht geben, die Uniformen, die Geiöehre und der Kommandoton können uns nicht satt machen. Aber verzeihen Sie, Herr Reichskanzler, das ist nur die bescheidene Ansicht eines kleinen Mannes der nur fragt: was nun? Hochachtungsvoll Johannes Pinneberg aus Berlin , z. Zt. Siedlung Grünheide .