Situationen.
„Das werden wir schon schassen, du Verräter Deutsch- lands. du Systetn-ftanaillei"
Legalität und Legitimität. Das Staatsrecht und der Verfassungskonflikt. Wir wissen seit Marx und Lassalle, daß für die Beurteilung des „Geistes" einer Verfassung die tatsächlichen politischen und wirtschaftlichen Machtverhältnisse entscheidend sind. Somit kann also die verfassungspolitische Situation eines Landes nicht im luft- leeren Raum bestimmt werden: auch das Verfassungsleben einer Nation ist der getreue Ausdruck der bestehenden Klassenspannungen. Zeigen die Klassen und sozialen Gruppen einer Nation so tief- greifende Wandlungen wie im Deutschland des letzten Jahr- zehnts, so müssen sich diese Wandlungen auch in der oerfassungs- politischen Situation des Landes auswirken. Man mutz es be- grüßen, wenn sich die beamteten Lehrer des Verfassungsrechtes diesen Wandlungen nicht in einer falschen und vornehmen Zurück- Haltung entziehen und die Verfassungstheorie in die lebendige Dyna- mit der großen politischen und sozialen Auseinandersetzungen ein- schalten. Nur eine Theorie, die sich der stets verändernden Praxis zu bemächtigen wagt, ist fruchtbar und mit lebendigem Inhalt er- füllt. Gewiß bestehen hier ungeheure Gefahren. Je erschütterter die soziale Stabilität eines Volkes ist, um so mehr gerät eine Staats- und Verfassungstheorie, die wie ein Seismograph diese Erschütte- rung festhalten möchte, in Gefahr, selbst erschüttert zu werden. Dieser Gefahr wird nicht ein jeder gewachsen sein. Es ist nur menschlich- allzumenschlich, den Mantel nach dem Winde zu hängen. Aber im Bewußtsein der Gefahr, daß die Wissenschaft auch sür niedrige Interessen des Tages mißbraucht werden kann, ist es gleich- wohl wichtig festzustellen, daß eine Staats- und Verfassungstheorie, die den Aufgaben ihrer Zeit(aber keiner hauchdünnen Ober- schicht) diente, nur die großen Traditionen ihrer Wissenschaft sinn- gemäß und würdig zu verwalten hätte. Kein Geringerer als Thomas H o b b e s hat im 17. Jahrhundert das Beispiel ge- geben, wie die wissenschaftliche Staats- und Verfassungslehre an dem lebendigen Ringen der Nation teilzunehmen habe: Thomas Sjobbes, der ehedem die Rechte des Königs mit der Feder verteidigt hatte, begrüßte die Revolution, die der bisherigen Spannung zwischen dem König und den ständischen Gewalten ein Ende zu machen schien„durch Etablierung der Republik von England, ohne König und chaus der Lords". Freilich hat die Staatsrechtslehre im Zeitalter des Spät- kapitalismus nicht mehr die ungebrochene Kraft des frühen Ratio- nalismus. Der Rationalismus des 17. Jahrhunderts war kritisch und revolutionär, die Staatsrechtslehre der Gegenwart ist kritisch und reaktionär. Carl Schmitt , den wir hier als Repräsentanten der modernen Staatstheorie betrachten wollen, unternimmt in einer soeben(im Verlag Duncker und Humblot) erschienenen Schrift unter dem Titel„Legalität und Legi- t i m i t ä t" den Versuch, die Verfassungskrise der Gegenwart in ihrem Gesamtzusammenhang zu umreißen. Wir sagen mit Absicht Verfassungskrise,.weil der tatsächliche Wandel der Reichs- Verfassung(trotz des unveränderten Wortlautes des Verfassung?- textes) heute von niemandem mehr bestritten werden kann. Die Verfassungskrise muß vor allem darin erblickt werden, daß die ordentliche Gesetzgebung durch den Reichstag in den letzten Jahren immer mehr durch die außerordentliche Gesetz- gebung ausgeschaltet worden ist. Carl Schmitt unterscheidet drei außerordentliche Gesetzgeber der Weimarer Verfassung: 1. Die qualifizierte Mehrheit, die Zweidrittelmehrheit, kann, formal konsequent zu Ende gedacht, alle materiellen Bestimmungen der Weimarer Verfassung aufheben Die Zweidrittelmehrheit stellt also gegenüber der einfachen Mehrheit des Reichstages einen außer- ordentlichen Gesetzgeber dar.„Der zweite Teil der Weimarer Ver- sassung enthäü ein in seiner gapzen cheterogenität(Ungleichartigkeit) bisher kaum bewußt gewordenes, viel weniger durchdachtes Reben- einander verschiedener Art von Legalität und ein Stück einer Gegen- Verfassung.... Für das heutige deutsche Staatsrecht, das sich mit diesem Widerspruch abfinden muß und die neutrale Mittelstroße eines wertfreien Funktionalismus beibehalten möchte, stellt sich infolgedessen dos merkwürdige Ergebnis ein, daß die grundlegenden bürgerlich-rcchtsstaatlichen Prinzipien von allgemeinzr Freiheit und Eigentum nur die Slprozentige„niedere" Legalität, die Rechte von Relegionsgesellschasten und Beamten(bei erfolgreicher Aktualisierung auch die von Gewerkschaften), dagegen die„höhere" ß7prozentige Legalität für sich haben." Dieser Widerspruch besteht in der Tat. 2. Der zweite außerordentliche Gesetzgeber ist das selbständige Volksgesetzgebungsoerfahren,' durch das ein Gesetz durch Volks- entscheid auf Volksbegehren zustande kommt. Damit tritt an Stelle des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens ein Gesetzgebungs- verfahren der unmittelbaren Plebiszitären(durch Volkswahl) Demokratie. Beim verfassungsändernden Volksentscheid genügt die einfache Mehrheit der Stimmberechtigten. 3. Der dritte außerordentliche Gesetzgeber ist der Reichspräsi- dent, der sich selbst aus die Legitimität der plebiszitären Volkswahl stützt. Die Notoerordnungs„maßnahmen" des Reichs- Präsidenten haben in einer zehnjährigen Praxis g e s e tz v e r- tretenden Charakter erhalten.. Damit ist wiederum ein neuer Faktor in das parlamentarische Legalitätssystem der Weimarer Ver- sassung hineingetragen worden. Ueberblickt man die Schwierigkeiten, die in dem Vor- handensein der drei außerordentlichen Gesetzgeber neben dem parlamentarischen Legalitätssystem liegen, so wird die zusammenfassende Feststellung Carl Schmitts nicht weiter über- raschen: „Angesichts der verzweifelten Lage, in der die Weimarer Verfassung entwarfen und redigiert werden mußte, wäre es un- billig, ihren Urhebern solche Diskrepanzen zum Vorwurf zu machen. Andererseits freilich ist es auch nicht zulässig, sich den Erfahrungen zu verschließen, die ein ereignisreiches Jahrzehnt verfassungsrechtlicher Entwicklung vermittelt hat. Deshalb sollte man sich heute der Erkenntnis' jener Widersprüche nicht länger entziehen." Soweit die kritische Tendenz in Carl Schmitts Untersuchung. Welche positiven Wege möchte nun Schmitt beschritten sehen, um die Widersprüche des Weimarer„Systems" zu über- winden? Er sieht in der Legitimität der Volkswahl, des Plebiszits, die„einzige Art staatlicher Rechtfertigung, die heute allgemein als gültig anerkannt sein dürfte" Freilich könne das Volk nur Ja oder Nein sagen, es könne nicht beraten, deliberieren oder diskutieren: es könne nicht regieren und nicht ver- walten. Carl Schmitt hat eine ganz romantische Vorstellung des „Volkes", die jeder Massenerfahrung bar ist. Aber hat man einmal eine solche Auffassung vom Volt, dann muß man konsequent weitergehen und diesem Volk die nötigen plebiszitären Frage- stellungen„von oben" stellen lassen. Carl Schmitt wird in diesem Zusammenhang durchaus unmißverständlich, wenn er in bezug auf die Regierung von Papen— aber ohne sie zu nenen— schreibt: „Auch eine Regierung, die statt aus die parlamentarische Legalität oder auf die plebiszitäre Legitimität eines gewählten Präsidenten sich aus die Kräfte des Heeres oder des Beamten- tums stützen wallte, brauchte die plebiszitäre Legitimität als Sanktion/ weil es heute nun einmal keine andere Sanktion gibt. Aber sie müßte sich auch'entstlchcßen. die plebisütäre Frage von sich aus zu stellen, und das mit der ganzen Gefahr des Miß- erfolges." An dieser Stelle offenbart Carl Schmitt den aktuellen
Wechselnde
„herunter mit dir schwarzer Pest vom Regierungssihi Fort mit dem System! Nieder die Verfassung!"
„ha! Politische Erbschleicherei! Ieht hat der falsche Diktator sich raufgeseht!"
Justiz! Mn krasser Fall aus Hamburg . Hamburg , 1l). September.(Eigenbericht.) Das Hamburger Landgericht bestätigte am Sonn- abend als Berusungsinstai\z ein wegen Beleidigung auf 3 Monate lautendes Gesängnisurteil gegen den Redakteur des„ham- burger Echo" Johannes Richter. Die Beleidigung wurde in der Kritik an einem Schnellrichter erblickt, der am gleichen Tage einen Nationalsozialisten, der einen Totschläger bei sich führte, zu 30 Mark Geldstrafe, aber einen jugendlichen kommu- nistischen Arbeiter, der einen Schlagring in der Tasche hatte, zu einer Woche Gefängnis verurteilt hatte. Diese Kritik bestand in der Ueberschrift:„Bei den Nazis wird alles entschuldigt." Schon die Einleitung des Offizialverfahrens durch die ham- burger Justizbehörden hat seinerzeit großes Aufsehen erregt. Noch mehr aber das Urteil, durch das. wenn es Verallgemeinerung findet, in Zukunft jede Justizkritik unterbunden sein würde. Rechtsstehende Blätter, wie die„Kölnische Zeitung ", schrieben außerordentlich scharf gegen das Urteil. Die Berufungsverhandlung am Sonnabend war beispiellos. Der Vorsitzende, ein Ferienrichter, hatte keinerlei Kenntnis des Akteninhalts. Wiederholt unterbrach er den angeklagten Redakteur mit
Zweck seiner Schrift. Das autoritär gestellte Plebiszit„von oben" soll uns aus der verfassungspolitischen Krise der Gegenwart herausführen! Man kann sich vorstellen, wie der Verfassungs- entwurf einer„substanzhaften Ordnung", von der Adelsregierung der Deutschen Republik zum Plebiszit gestellt, aussehen würde. Man sieht, zu welchen Konsequenzen die autoritär gerichtete Staatslehre kommt. Es wird Ausgabe der Sozialdemokratie sein, das deutsche Volk in groß angelegter Agitalionskampagne aus die Gefahr hinzuweisen, die Ihm droht. Es soll entmündigt werden, che es noch in den Genuß seiner Mündigkeilsrechle gelangt ist. Das Volk darf nur ja sagen, wozu es ja sagen soll, bleibt der Herren- schicht überlassen. Darüber köuneu alle schönen Phrasen über Ver- anlwortuug vor Gott und Nation nicht hinwegtäuschen. J. P. M.
V t
„Lieber Zentrumsmann, hilf mir doch die Verfassung gegen den schützen!"
polternden Bemerkungen, er wolle keine politischen Reden hören (in einem ausdrücklich politischen Prozeß). Auch die Ausführungen des Verteidigers, Rechtsanwalt Dr. Katz, wurden vom Vorsitzenden unterbrochen. Wieder neue Oauerverboie! Belohnung für den Nachweis illegaler Schriften. Auf Grund der Verordnung des Reichspräsidenten gegen politische Ausschreitungen vom 14. Juni 1S32 hat der Polizeipräsident die in Berlin erscheinende periodische Druckschrift„S A Z.", Sozia- listische Arbeiter-Zeitung, das Organ der Sozialistischen Arbeiterpartei, mit sofortiger Wirkung bis- zum 31. Oktober 1932 einschließlich verboten. Wie die Justizpressestelle mitteilt, ist die Zeitung„I u st i z und Rech t", die unmittelbar nach dem Verbot der„Roten Fahne" in gleichem Druck und mit ähnlichem Inhalt erschien und scharfe An- griff« gegen die Justiz enthielt, auf Antrag der Staatsanwaltschaft I durch Beschluß des Amtsgerichts Berlin-Mitte als verbotswidriges Ersatzblatt auf Grund Z 16 der Nowerordnung vom 16. Juni 1931 am gestrigen Sonnabend beschlagnahmt worden. Der Polizeipräsident hat ferner die periodische Druckschrift „Roter Block" mit sofortiger Wirkung bis zum 8. März 19 3 3 einschließlich verboten. Der Polizeipräsident hat gleichzeitig die Druckschrift„Jugend- Internationale" mit sofortiger Wirkung bis zum 8. März 1933 einschließlich verboten. Prämien für Anzeiger. Der Polizeipräsident hat ferner eine Bekanntmachung erlassen. in der«ine Belohnung bis zur Höhe von 590 Mark demjenigen zugesichert wird, der der Polizei Hersteller und Vertreiber illegaler, innerhalb des Polizeibezirks Groß-Berlin erscheinender kommunistischer Schriften sowie Herstellungsorte und Her- stellungseinrichtungen für solche Schriften so nachweist, daß«in« strafgerichtliche Verurteilung erfolgen kann.
Fast wie ein Trompetenstoß klingt eine Washingtoner Meldung, wonach Staatssekretär Stimson mitgeteilt hat, daß der amerikanische Botschafter in Tokio von dem japanischen Außenminister Utschida wegen der japanischen Pressekampagne gegen die Filiale der National Cith Bank in Lsaka die Einleitung einer Untersuchung und hiernach die Berösfentlichung einer Erklärung gefordert hat, durch die die National Cith Bank von jeglichem Verdacht gereinigt werde. Die Pressekampagne wirft nämlich dieser amerikanischen Bank Photospionage vor, während nach amerikanischer Erklärung lediglich zu Reklamezwccken Aufnahmen von der Entwicklung Lsakas gemacht worden seien. Die japanische Pressekampagne gefährde nicht nur das Prestige und die Geschäfte der Bank, sondern auch das Leben und Eigentum ihrer amerikanischen Angestellten. Zugleich wird aus Washington mitgeteilt, was Außenminister Utschida geantwortet hat: Die Untersuchung sei bereits im Gange und sobald dos Ergebni-s feststehe, werde er die Angelegenheit im Litiste der Ausführungen des amerikanischen Botschafters sorg- fältig prüfen.
Washingtoner Blätter bezeichnen diese Affäre als symptomatisch für die bedrohlich werdende antiamerikanische Stimmung im japanischen Volke. * Natürlich ist für das herrschende amerikanische Kapital die Sicherheit seMes Aussandsgefchäsies von größter Bedeu- tung. Man will offenbar einer gefährlichen Fremdenhetze von vornherein entschieden entgegentreten. Dabei mag der unleugbar erfolgreiche chinesische V o l k s b o y k o t t gegen amerikanische Waren der Washingtoner Regierung als warnendes Beispiel vorgeschwebt haben. Japan hat durch seine gewalttätige, brutale und rechts- widrige Aktion gegen China selbst sein Recht darauf geschmälert, seine Staatshoheit auch von einem Stärkeren unangetastet zu sehen. Man muß von dieser Washingtoner Fanfare den Eindruck haben, daß sie aus der Empörung über den japanischen Landraub an China entsprungen ist, der durch die Errichtung des mandschurischen „Staates" nur notdürftig maskiert ist. Zweifellos ist auch der große Wandel der Nordamerika - nischen Politik in der Richtung auf eine Berständigung mit S o w j e t r u ß� a n d auf das japanische Vordringen in China zurückzuführen.