®ei,a*e HiwIHpiiII Montag, 12. September 1932
Die verpfuschte deutsche Revolution VeitValentins Geschichte von 48-49— ein aktuelles Buch<-* Von Hermann Wendel
Der zweite Band von Veit Valentins„Geschichte der Deutschen Revolution von 1848— 184 3"(Verlag Ullstein, Berlin ), der das groß angelegte Werk würdig abschließt, läßt wie der erste, eher noch mehr als der erste, den Anhänger des historischen Materialismus hier und da den Kopf schütteln. Nicht daß sich kleine Fehler eingeschlichen haben: der Kroatenbanus I e l a t s ch i t s ch(S. 73) hatte mit den Slowenen nichts zu tun, sondern mit den Slawoniern, der tschechische Schriststeller H a w- l i t s ch e k(S. 188) war doch etwas mehr als nur ein„Natur- bursche und Schimpfgenie" und„hemdärmeliger Fanatiker", nicht Heinrich Heine (S. 133), sondern Georg W e c r t h verewigte den Fürsten L i ch n o w s k y als Schnapphahnski, und daß„Revolution und Konterrevolution in Deutschland"(S. 631) nicht, wie das Titel- blatt ansagt, von Karl Marx , sondern von Friedrich Engels stammt, wissen wir aus beider Briefwechsel. Aber sind solche Schnitzer bei dem stattlichen Umfang des Buches: 773 Seiten Lexikonformat, so gut wie unvermeidlich, so fordert die Geistes- Haltung Valentins dort, wo er der Märzbewegung den Charakter einer„bürgerlichen Revolution" abspricht, sachlichen Widerspruch heraus. Obwohl er zugeben muß, daß„der Altlibera- lismus von 1348/43" auch nur „der Ausdruck eines klasseninleresses und eines klafsenwillens" war, und daß im Vordergrund das städtische Bürgertum stand, meint er,„die Agrarrevolten, die Handwerker- und Arbeiterasso- ziationen, das Streben nach neuen Formen und Bedingungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens in Deutschland " hätten geradezu das Schicksal des Ganzen entschieden. Aber Mn solches zu er- weisen, gleitet er auf dem Boden fester Begriffsbestimmungen aus, indem er„bürgerlich" und„unbürgerlich" einander gegenüberstellt. Er verwendet also Ausdrücke aus der Sphäre, wo der Pfahlbürger mit dem Kunstzigeuner hadert, während in Oekonomie und Politik die Gegensätze heißen: bürgerlich und proletarisch. Eine Ueberbetonung dieses Widerstreits: proletarisch gegen bürgerlich vermeidet Balentin mit Bedacht, denn er weiß nur zu genau, daß in dem Deutschland , in dem die Landwirtschast ihren Vorrang noch unbestritten behauptete, das Kleinbürgertum nicht nur ziffernmäßig das eben erst auskommende Proletariat überwog: er weiß sicher auch, daß die Arbeiter, durchweg im Dunkel tappend über ihre Lage und ihr Ziel, vielfach wie aus der Berliner Versammlung vom 26. März 1848, die Einreihung unter die Proletarier entrüstet als Ehrenkränkung ablehnten: er hebt ja selbst gelegentlich hervor, daß „die Sozialrevolutionäre eine ganz kleine Minderheit, die Kommu- nisten eine noch kleinere" bildeten. Wenn er gleichwohl mit einer Wendung gegen die„marxistische Orthodoxie" hilflos mit der Stange im Nebel herumfahrende Kleinbürger wie S t r u v e, H e ck c r und F r ö b e l in den Topf: Sozialismus und Kommunis- mus wirft, so weckt das doppeltes Bedenken in einer Zeit, da wieder politische Kurpfuscher auf ihre Salhenschachteln und Tinkturflaschen die Etikette: sozialistisch kleben. Der sranzösische Historiker Andre L i ch t e n b e r g e r, der die Große Revolution gründlich und mit negativem Erfolg nach sozialistischen Spuren durchforscht hat, be- merkt einmal sehr richtig:„Ein Hungernder, der ein Brot stiehlt, ist so wenig ein Sozialist wie ein Hund, der einen Knochen stiehlt". Ebenso ist nicht der ein Sozialist, der rauhbautzig gegen Erschei- nungen oder Auswüchse des Kapitalismus raunzt, sondern nur, wer im Sinne der Entwicklung, das ist: mit dem Ziel der Ver- gesellschaftung der Produktionsmittel an der Ucberwindung der kapitalistischen durch die sozialistische Ordnung arbeitet. Solche Sozialisten aber waren 1848/43 sehr, sehr dünn gesät. Einwände dieser Art haben nichts zu schaffen mit dem impo- tenten Gezeter derer, die das Buch Valentins ergrimmt, weil es mit einer durchschlagenden wissenschaftlichen Leistung das Jahr- zehnte geübte Monopol der Gegenrevolution auf literarische Be- sudlung der Revolution durchbricht. Unerträglicher noch als sich selber zur Lächerlichkeit verdammende Herunterreißerei wirkt die Hochnäsigkeit, mit der aus dem Ungeist der Prosessorenzunst heraus ein Hochschullehrer wie Fritz Härtung in der„Historischen Virteljahresschrist" Valentin„wohlwollend" auf die Schulter klopft: ganz brave Arbeit, 2— 3,„starker Anlauf zu der dringend notwendigen gründlichen Geschichte der deutschen Revolution"— wie riecht diese säuerliche Anerkennung nach dem Unmut, daß hier ein Berufener das Jahr 48/43 nicht schwarzweißrot, sondern schwarz- rotgold behandelt hat. Die Neider und Verkleinerer spüren ja selbst, daß es sich bei dem Werk um einen gewaltigen Wurf handelt, um dos Epos eines großen Möllens und verfehlens, um eine Darstellung, die, in die Tiefe gehend, den Zusammenhang der Handlungen ebenso ins Licht rückt wie das Profil der Handeln- den. Wieder finden sich viele Kabinettsstückchcn liebevoll eindring- licher Personenmalerei wie das Porträt des Generals W r a n g e l, des Degens der preußischen Gegenrevolution, der„alles andere als ein bedeutender Feldherr oder auch nur begabter Truppensührer" war: Ein Kavallerist von der Art. die am liebsten das Pferd ins Bett nimmt, in seinen jungen Jahren ein verwegener Dresch- slegel, verdankte W r a n g e l seine Erfolge angeborener Gerissen- heit: er war aber noch schlauer als gerissen, noch verschlagener als schlau: jeder ernsteren militärischen Bildung, jedem politischen und geistigen Interesse blieb er völlig fremd: groß war seine schauspielerische Begabung, kraft deren er sich nun schnell den Berliner Dialekt aneignete, den er früher nie gesprochen hatte: so kopierte denn dieser pommersche Filou den Mecklenburger Blücher und übersetzte jene legendäre Figur der Freiheits - kriege durch seine clownhafte Person in das revolutionäre Berlin von 1848. Vor allem aber ist das Werk für uns Zeitgenossen einer anderen verfahrenen oder besser festgefahrenen Revolution von gerade- zu erschreckender Aktualität. Auf weiten Strecken gleicht Valentins Schilderung dem Spiegel, aus dem uns die Ver- säummsse der deutschen Demokratie seit November 1318 ansehen. Oft läuft es uns beim Lesen kalt über den Rücken: dkostra causa axiitur! Um unsere ureigenste Sache geht es hier! Eine Erkennt- nis wie diese:„Die Macht ist vor allem untreu. Sie will täglich neu gewonnen und betätigt werden. Nur der Gebrauch erhält sie blank und geschliffen. Sie dient nur dem, der sie mit der festen Hand ergreist. wehe dem. der sie besitzt und nicht gebraucht!
Sie wendet sich gegen ihn"— ist diese Erkenntnis für unsere Groß- väter mit den Heckerhllten oder für unsere Generation zu Papier gebracht? Als die deutsche Nationalversammlung in Frankfurt zusammen- trat, sollte in der Paulskirche das alte Deutschland begroben werden,„ein Klassenstaat mit unzähligen ständischen, gesellschaft- lichen, geistigen Vorurteilen, voller Hochmut und Mißtrauen, voller Unterdrückung und Ausbeutung, eine malerifch-barocke Welt des Sondertums, der Kleinmeisterei, der persönlichen, patriarchalischen Verbundenheit, der ehrpusseligen und biederen Brutalität". Aber denen, die zu dieser Aufgabe von der Geschichte ausgerufen waren, stand„eine dreifache Dynamik" entgegen: die des dynastischen Partikularismus, die der außenpolitischen Kräfteverteilung und die des fozialrevolutionären und kommunistischen Gedankens. Wird diese, wie oben dargetan, von Valentin überschätzt, so waren die beiden anderen um so lebendiger und leibhaftiger. Namentlich erwies sich die ererbte Kleinstaaterei als der Fluch dieser und nicht nur dieser Revolution:„Es gab nicht eine deutsche Revolutions- bewegung, nein, es gab Lübecker , Anhaltiner, mecklenburgische und noch viele, viele andere Revolutionen und Revolutiönchen", die der schlimmste Feind der Revolution waren. Zwar krachte es in der morschen Kleinstaaterei:„mit einem kräftigen Stoß wäre sie zu zerschlagen gewesen. Es war aber niemand da. der diesen Stoß wagle. Der deutsche Partikularismus rettete sich". Ein einziger deutscher Fürst dankte im Revolutionsiahr freiwillig ab und vereinigte sein Land mit dem eines größeren Nachbarn und Vettern: Fürst Hein- r i ch 72. von Reuh-Lobenstein-Ebersdorf. Durch den Tod des letzten Herzogs der Anhalt-Köthener Linie hätte 1848 auch ein Zusammen- schluß Dessaus , Röthens und Bernburgs zu einem„anhaltinischen Reiche" nahegelegen, aber er scheiterte an dem„bernburgischcn Patriotismus". Denn nicht nur die Fürsten , sondern auch die Untertanen klebten, wie die Fliegen am Leim, an ihrer Sonderstaatlichkeit: selbst die wütigen Revoluzzer vom Schlage Struves sahen das Deutsch- land der Zukunft als eine Föderation von nicht weniger als 23 Republiken vor sich, und vor dem Einheitsstaat schraken sonst ganz vernünftige Politiker wie vor Mord und Totschlag zurück. Auch herrschte noch bei den Besten ein durch nichts begründeter Optimismus,„das zugleich selbstbewußte und kindliche Vertrauen. daß alles doch noch gut werden müsse", kennzeichnend die deutsche Verballhornung der wuchtigen französischen Revolutions- losung: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, die auf die Darlehnsschuldscheine der Gesellschaft deutscher Republikaner in Biel gedruckt war: Freiheit, Bildung, Wohlstand! Die Annahme Valentins, daß die deutsche Revolution so„ge- mütlich" verlausen sei, weil dem Deutschen der Terxorgedanke fern- liege, wird durch das terroristische Wüten der Braunhemden anno 1932 widerlegt. Jenes Geschlecht hatte vielmehr Angst vor der eigenen Courage, gewiß auch aus vorläufig kaum begründeter Furcht vor der nachrückenden Arbeiterklasse. Wenn es in Deutsch - land auch nicht so trostlos aussah wie in Oesterreich , wo acht Wahl- bezirke die Beteiligung an der Reichstagswahl mit der Begründung ablehnten, sie seien mit den bestehenden Gesetzen zufrieden, und seien neue nötig, solle sie der Kaiser allein geben, so blieb doch der reaktionäre Appell an„die Urtriebe des deutschen M i tt e l st ä n d l e r s", die Hetze gegen alles„Rote", die Frage? Was habt i h r gemein mit solchem Auswurf der Menschheit, mit solchen Anarchisten und Verbrechern? nicht ohne Wirkung. Als die Gegenrevolution im Sattel saß, war„die große deutsche Gut- mütigkeit" im Grunde herzensfroh, sich„nach soviel Tollheit, Ge- wühl, Geschrei" wieder an den Familienofen setzen zu können: ein paar schlichte Bürger Berlins antworteten auf die Frage, wie ihnen der Belagerungszustand behage, es sei ein Zustand wie jener unter
Friedrich Wilhelm III., und sie seien damit zufrieden. Hosfentlich dauere er recht lange! Berlin und Preußen waren eben der wunde Fleck der deutschen Revolution. Trotz der Niederlage der Königsmacht in der Barrikadenschlacht des 18. März war es noch verdammt lebendig: das„historisch gewordene Preußen des Land- adels, der Geheimräte, der Ritter vom Schwarzen und Roten Adler- orden, dies von den Hohenzollern aus dem Nichts zusammen- gesparte, zusammenkommandierte, zusammencroberte Preußen". In diesem vorwiegend agrarischen Lande gab neben der Bürokratie und dem Militär, das schon im Mai 1848 in Mainz , also unter den Augen der Frankfurter Nationalversammlung , Proben seiner bürger- feindlichen Schneidigkeit ablegte, das Junkertum den Ton an, ein Fossil aus verklungenen Zeiten:„Daß Menschen zur Miete wohnten, daß sie keine„selbstgelegten" Eier, keine sclbstgewachsenen Aepfel, keine selbstgeschossenen Hasen aßen, erschien ihm verächtlich". Aber bei aller Komik hatte dieser altpreußische Adel eins: einen „wachen Instinkt für das politische Kommando", und da er mit Friedrich Wilhelms II '. Generaladjutanten Leopold v. Gcrlach fand, daß Preußen schon durch die Stein-Harden- bergsche Agrargesetzgebung„kommunistisch revolutioniert" worden sei, wandte er sich erst recht gegen die deutsche Freiheit-- und eben- so gegen die Einheitsidee des Jahres 48.„Zwischen Hingabe an die deutsche Sache", hieß es in einer Adresse aus Halle,„und dem Landesverrat an Preußen liegt nur eine schmale Grenzlinie". Da die Gegenrevolution, ausgehend vom Rittergut und vom Gardercgiment täglich Zuzug aus Bourgeoisie und Mittelstand erhielt, kam sie, nicht zuletzt durch die Uneinigkeit der revolutionären Kräfte, obenauf. Einmal in Berlin so weit, marschierte Preußen, seine Armeekorps im Frühjahr 1843 gegen die Reichsoerfassungsbcwegung in Baden und in der Pfalz entsendend, gegen dse deutsche Revolution über- Haupt, und da es als antirevolutionäre europäische Großmacht ernst genommen werden wollte, mußte nach Nieder- werfung der Unruhen Blut fließen: daher die Standrechteleien in Rastatt und Mannheim , die für lange den preußischen Adler in Süddeutschland verhaßt gemacht haben. Aber nie wären die gegenrevolutionären Mächte ohne die Rückendeckung durchs Ausland so rasch ans Ziel gelangt. Die . Gesinnung Frankreichs , namentlich nach der Pariser Juni- schlacht, drückte sich in dem Satz des„Journal des Dcbats" aus: „Wir haben an unserer Grenze lieber die preußische Pickelhaube als die rote Mütze." Obwohl es ihr an komischen Einzelzügen nicht mangelt, war die deutsche Revolution von 1848/43 alles andere als eine Posse in Krähwinkel: sie hat zuviel wenschenglück und zuviel Blut gekostet, als daß sie auf die Lachmuskeln wirken könnte. Valentin schätzt die Zahl der während der Bewegung gewaltsam ums Leben Ge- kommenen auf fünftausend, den Verlust an Volksvermögen auf zwölf Millionen Gulden: dazu ließ der Fehlschlag der Erhebung und die Roheit ihrer Unterdrückung die Ziffern der überseeischen Auswanderung anschwellen: in dem Jahrfünft nach der Revolution kehrte fast jeder vierzigste Deutsche dem Vaterland für immer den Rücken. Schlimmer noch war die geistige Wirkung. Da es der Gegenrevolution gelang, dem deutschen Volk die Ueberzeugung von seinem Mangel an politischer Begabung aufzudrängen, leidet Deutschland seit 1848 unter einem politischen Minder- wertigkeitskomplcx, der noch keineswegs abreagiert ist. Wir brauchen uns nur im Jahr 1332 hellen Auges umzuschauen und wir erkennen, wie recht Valentin mit seiner betrüblichen Feststellung hat:„Verkniffene Revolutionen bekommen schlecht: die Revolution von 1848/43 hat sich nicht voll durchsetzen können, und das geht dem deutschen Volke bis heute nach."
J. P. Mayer:
Sozialism us als Gegenwartsaufgabe
Die deutsche Sozialdemokratie ist entschlossen, die Anträge der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion zur Grundlage einer mäch- tigen Volksbewegung für den sozialistischen Ausbau zu machen. Es gilt, die antikapitalistische Massenstimmung, die die Mehrheit des deutschen Volkes zutiesst ersüllt, in einen positiven sozio- l i st i s ch e n Gestaltungswillen umzusormen. Die Basis dieser so- zialistischen Aktion kann nur der niarxistische Sozialismus sein, der jeden Scheinsozialismus enthüllen und niederkämpfen muß. Freilich dars man sich diese Ausgabe keineswegs als leicht vorstellen. Es handelt sich hier nicht um eine einmalige agitatorische Aktion, vielmehr muß ein umsassender Erziehungsprozeß eingeleitet werden, der den Inhalt der sozialdemokratischen Anträge in die großen Traditionen unserer Bewegung organisch einordnet. Die Anträge über den Umbau der Wirtschaft können nicht mit den Sozialisierungsideen von 1318 verglichen werden: es hieße von vornherein die Wirksamkeit unserer Anträge ausheben, wollte man in ihnen gleichsam nur die neu aufgeputzten alten Sozialisierungs- pläne sehen. Unsere Anträge gehen von einer grundsätzlichen Neu- orientierung unserer Bewegung aus bzw. sie müssen erst i n d a s Licht einer solchen grundsätzlichen Neuorientie- rung gerückt werden. Eine bestimmte historische Epoche der sozialdemokratischen Politik hat ihr Ende gefunden. Es ist die deutliche Absicht der neuen Anträge— gleichgültig, ob sie in diesem Reichstag zur Abstimmung gelangen oder nicht— den Massen des deutschen Volkes klarzumachen, daß es nur einen sozialistischen Aus- weg aus der gegenwärtigen Wirtschaftskrise gibt. Selbst eine neue weltwirtschaftliche Konjunkturperiode, die sich in Deutschland infolge der kauskrastmordenden Politik der Popen-Regierung ohnehin in wesentlich geringerem Grade auswirken könnte als in anderen hoch- industrialisierten Ländern, würde von einer Arbeitslosigkeit begleitet
sein müssen, die wesentlich größer wäre als die nach der letzten Konjunkturperiode im Jahre 1927. Die Produktivkräfte der Wirt- schaft sind im organisierten Kapitalismus in einem derartigen Aus- maß entwickelt worden, daß der Bedarf in wesentlich kürzerer Frist befriedigt werden könnte. Es gibt auf die Dauer keine kapital! st ischen Mittel, der Krise Herr zu werden. Die sozialistische Bewegung tritt somit in das Stadium der Verwirklichung. Der Sozialismus wird zur brennenden Frage der Gegenwart, einer gegenwärtigen Ordnung des deutschen Lebens. Gewiß wäre es falsch, zu glauben, daß die Epoche, die jetzt einsetzt, gleichsam von heute auf morgen das kapitalistische Chaos in eine sozialistische Ordnung überführen könnte. Selbstver- ständlich handelt es sich auch hier um einen geschichtlichen Entwicklungsprozeß, dessen Dauer kürzer oder länger sein kann, je nach der Stärke des Widerhalls, den die Aktion der Sozial- demokratie in der nächsten Zukunst beim deutschen Volk findet. Wir sagen mit Absicht: im deutschen Volk. Denn es handelt sich ja gerade darum, die Ideen des marxistischen Sozialismus in jene gesellschaftlichen Gruppen und Schichten zu tragen, die heute nur ein falsches und bewußt entstelltes Bild unserer sozialistischen Ausfassung kennen. Es gilt, dem Handwerker, dem Angestellten. dem Bauern, dem Kleinhändler, dem Angehörigen geistiger Berufe konkret, d. h. anschaulich klarzumachen, was unser Sozialismus will und wie wir den Weg seiner Verwirklichung sehen. Der marxistische Sozialismus ist keineswegs allein an das Industrie- Proletariat gebunden, wenn er auch historisch in einer bestimmten geschichtlichen Lag« des Jndustrieproletariats entstanden ist. Gerade weil der Marxismus mit seiner Deutung der kapitalistischen Eni- wicklung recht behalten hat, wird er heute seine Kraft beweisen: Unter seiner Fahne müssen sich die antikopitalistisch gestimmten Massen des deutschen Volkes sammeln.