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BERLIN Mittwoch

14.September 1932

Redaktion u. Expedition: Berlin SM 68, Lindenstr. 8

Kel. A7 Donhoff 292–297

Der Abend

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Nr. 434

B 209 49. Jahrgang

Das Volk gegen Sozialreaktion!

Aber Unternehmer mit KPD . Hand in Hand

In ihrem hemmungslosen Kampf gegen die Sozial­demokratie wenden sich die kommunisten auch gegen das von der Sozialdemokratie eingeleitete Bolks­begehren gegen Sozialreaktion. Sie befinden

sich dabei freu und bieder an der Seite des Unternehmertums. In demselben Augenblick, in dem die kommunistische Presse triumphierend erklärt: Herr von Papen und die Unter­nehmer werden sich diesen Volfsentscheid gern gefallen lassen", beginnt in der bürgerlichen Presse bereits der Feldzug gegen die Zulässigkeit des sozialdemo­fratischen Volksbegehrens!

In der Kölnischen Zeitung "( Nr. 502) wird behauptet, das Volksbegehren der Sozialdemokratie widerspreche dem Artikel 73, Abjazz 4, der Reichsverfassung, in dem es heißt, daß über den Haushaltsplan usw. nur der Reichspräsident einen Volksentscheid veranlassen könne. Das Blatt fügt hinzu und es scheint damit die Meinung offizieller Stellen wiederzugeben:

,, Es ist also nicht damit zu rechnen, daß das Begehren auf Aufhebung der sozialpolitischen Ermächtigung zugelaffen wird."

Die Kommunisten sind also sehr schnell Lügen gestraft worden. Das Boltsbegehren der Sozialdemo fratie ist nicht eine Maßnahme zur Rettung der Bapen- Not­verordnung, sondern zum Schuße der Arbeit= nehmerklasse vor Tarifbruch und Lohn abbau. Daher macht das Unternehmertum mobil, um der Regierung die Ablehnung des Voltsbegehrens nahezulegen. Eine solche Haltung der Reichsregierung zu dem sozial­demokratischen Volksbegehren ließe sich aber weder mit dem Wortlaut noch mit dem Sinn des Artikels 43 der Reichs verfassung rechtfertigen. Das sozialdemokratische Volfs begehren bezieht sich nicht auf den Haushaltsplan". Die Rölnische Zeitung" glaubt, sich auf den Staatsrechtslehrer Anschüz berufen zu können. Aber sehr zu unrecht. Anschütz schreibt zwar:

,, Der Zweck des Absages 4 wird nur dann erreicht, wenn man die Begriffe Haushaltsplan, Abgabengesetz, Besoldungsordnung" meit auslegt und insbesondere unter Haushaltsplan" nicht bloß das Etatgesetz, sondern jedes Gesetz versteht, das infolge der in ihm angeordneten Einnahmen oder Ausgaben den Staatshaushalt irgendwie wesentlich beeinflußt."

Selbst wenn man Anschütz darin zustimmt, daß die erwähnten Begriffe meit auszulegen seien, so wird dennoch das sozialdemokratische Volksbegehren nicht als ein Haushaltsgesetz angesehen werden können. Würde man das tun, so würde man praktisch jedes Volksbegehren unmöglich machen können. Es gibt kein Gesetz, das nicht irgendwie auf die öffentlichen Finanzen, also auf den Haus­haltsplan, einmirft. Anschütz betont deshalb selbst zwei wichtige Einschränkungen. Und zwar müssen die in dem Volksbegehrengesetz angeordneten Einnahmen oder Ausgaben den Staatshaushalt direkt und außerdem wesentlich ,, be­einflussen".

Beides ist aber nicht der Fall. Die sozialpolitischen Teile der Notverordnung, die beseitigt werden sollen, treffen nicht den Staatshaushalt, sondern die selbständigen Einrichtungen der Sozialversicherung, die zum allergrößten Teil mit dem Staatshaushalt überhaupt nichts zu tun haben, und die Sozialpolitik! Der größte Teil der sozialpolitischen Bestimmungen aber hat überhaupt keine finanziellen Auswirkungen auf den Staats­haushalt; er betrifft nur die prinatwirtschaftlichen Beziehungen zwischen Unternehmern und Arbeitern. Er schafft nur die Grundlage für Tarifbruch und Lohnabbau.

Das sozialdemokratische Boltsbegehren muß also zu­gelassen werden, wenn man die Bestimmungen der Reichsverfassung als rechtsgültig und rechtsverpflichtend ansieht. Für diesen Standpunkt wird die Sozialdemokratie die Kräfte des gesamten werftätigen Bolkes einzusetzen wiffen, selbst wenn die Kommunisten ihrer Rolle als Handlanger der Schwerindustrie und der Sozialreaffion treu bleiben.

Zur Bölkerbundsversammlung in Genf werden Hauptdelegierte der deutschen Regierung der Außenminister Freiherr von Neurath, der Gesandte von Rosenberg und Ministerialdirektor Gauß sein. 21s stellvertretende Delegierte werden genannt Freiherr Werner von Rheinbaben , Böppert und von Weizsäcker .

Deutschbewußtes Recht!

,, Verfassungsbruch": grobe Beschimpfung!

Das Reichsgericht zum ,, Vorwärts"-Verbot.

XII. V. 139/32.

Beschluß.

In der Verwaltungssache betr. das vom Polizeipräsidenten in Berlin am 30. August 1932 ausgesprochene Verbot der in Berlin erscheinenden Tageszeitung Vorwärts" hat das Reichsgericht, 4. Strafsenat, in der Sitzung vom 6. September 1932, an der teilgenommen haben:

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der Reichsgerichtsrat Dr. Baumgarten als Vorsitzender, die Reichsgerichtsräte Helber und Dr. Sonntag, der Kammergerichtsrat Dr. Günther und der Oberlandsgerichtsrat Flor, auf die Beschwerde des Verlags

beschlossen:

Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen. Gründe:

In dem beanstandeten Artikel heißt es: ,, Es ist ein Pro­

gramm des Verfassungsbruchs, das Herr von Papen gestern in Münster entwickelt hat."

Das Verbot bemerkt hierzu: In Nr. 406 B 198 vom

Montag, dem 29. August 1932,... wird auf der ersten Seite eine Abhandlung zu dem Programm des Herrn Reichskanzlers gebracht, das hier als das Programm des Verfassungs­bruches bezeichnet wird. Diese Charakterisierung, die keinerlei tatsächliche Unterlage hat, stellt eine grobe Be­schimpfung und böswillige Verächtlichmachung des Herrn Reichskanzlers dar."

-

aus­

Es kann hiernach nicht anerkannt werden, daß wie die Beschwerde ausführt die Verbotsbegründung unzu­lässigerweise vermieden habe, die den Verbotsgrund bildende Stelle anzugeben. Das Verbot sagt vielmehr ganz drücklich, daß die ungerechtfertigte Charakterisierung des vom Reichskanzler in Münster aufgestellten Programms als eines Programms des Verfassungsbruchs als grobe Beschimpfung und böswillige Verächtlichmachung des obersten Reichsbeamten beanstandet werde. Wenn es dem, Vorwärts" auch, wie in der Beschwerde ausgeführt ist, weniger auf die

Person des Reichskanzlers als auf die Sorge um Wahrung der Verfassung angekommen sein mag, so ändert das doch nichts an der Tatsache, daß die beanstandete Ausdrucksweise mit dem durch gesperrten Druck hervorgehobenen Ausdruck ,, Verfassungsbruch" für den Reichskanzler den schweren Vor­wurf enthält, er sei sich seiner eidlich gelobten Pflicht, der Reichsverfassung die Treue zu halten, nicht bewußt gewesen. Es kommt nicht darauf an, von welchen Beweggründen sich der Verfasser hat leiten sollen, vielmehr ist lediglich ent­scheidend, welcher Eindruck auf den unbefangenen Leser hervorgerufen wird.

Der ungerechtfertigte schwere Vorwurf des Verfassungs­bruchs

enthält aber, wie die Verbotsverfügung zutreffend ausführt, eine Beschimpfung und böswillige Verächtlichmachung des

Reichskanzlers.

Das erlassene Verbot war demnach gemäß§ 6 Abs. 1 Ziff. 2 der Verordnung des Reichspräsidenten gegen politische Ausschreitungen vom 14. Juni 1932( RGBl. I S. 297) gerecht­fertigt. Auch die Dauer des Verbots war nicht zu be­anstanden.

gez.: Baumgarten, Halber, Sonntag, Dr. Günther, Flor. Ausgefertigt gez.: Wedekind, Ministerialamtmann, als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle.

An den Vorwärts"-Verlag G. m. b. H.,

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in Berlin SW 68.

Verfassungsbruch- keine Beleidigung!

Stimme aus einem anderen Saale des Reichsgerichts

,, Die Aeußerung, ein Minister habe die Verfassung gebrochen, ist nicht schlechthin ehrverletzend. Sofern diese Aeußerung nur die Behauptung in sich schließt, der Minister habe verfassungswidrig gehandelt, kann sie lediglich die Auffassung des Aeußernden über eine auf dem Gebiete des Verfassungsrechts liegende, nicht zweifels­freie Rechtsfrage wiedergeben."

Erster Senat des Reichsgerichts in einem Urteil vom 14. April 1931.

Der Bluttag von Eckernförde

31 Nationalsozialisten auf der Anklagebank wegen des Sturmes auf das

Gewerkschaftshaus

Kiel, 14. September. ( Eigenbericht.)

Vor dem Kieler Sondergericht begann am Dienstag der große and friedensbruch prozeß gegen die Nationalsozialisten, die am sogenannten Deutschen Tag " am 10. Juli das. Gewerkschaftshaus in Eckernförde stürmten und völlig demolierten.

Bei dieser bisher in Deutschland wohl beispiellos dastehenden ge­meinen Tat wurden die beiden sozialdemokratischen Landarbeiter Bues und Junge von den vertierten SA.- und SS.- Horden erstochen. Außerdem wurde eine Anzahl Genossen schwerer und leichter ver­legt. Die Nationalsozialisten, von denen sich zwei Haupttäter durch die Flucht der Verhandlung entzogen haben, stellen nur einen Bruchteil der Schuldigen dar. Ob sich die Mörder der beiden sozialdemokratischen Landarbeiter unter den Angeklagten be­finden, weiß man nicht. Anklage wegen Mordes oder Totschlags ist gegen teinen der Angeklagten erhoben wor­den. Die Anklage lautet vielmehr nur auf schweren Landfriedens bruch, verbotenes Waffentragen und Beteiligung an einer Schlägerei, bei der Menschen den Tod gefunden haben. Zwei der National­sozialisten sind außerdem wegen Rädelsführerschaft angeklagt.

Zusammen mit den 31 Nationalsozialisten fizzen 4 junge An­gehörige der Eisernen Front auf der Antlagebant. Unter ihnen ist der Neffe des erstochenen Landarbeiters Bues. Die vier jungen Genossen haben sich nach dem Sturm auf das Edern­förder Gewerkschaftshaus und nachdem sie lange durch National­sozialisten auf Lastautos hin und her gehegt worden sind, in maß loser und berechtigter Erbitterung gegen einige Nationalsozialisten zur Wehr gesetzt. Die Anklage wirft ihnen gemeinschaftliche Körper­verlegung vor.

Der erste Verhandlungstag, an dem nur die Angeklagten ver­nommen wurden, enthüllte schon ein entsetzliches Bild dieses Blut­fonntags, obwohl zweifellos die Angeklagten mit der vollen Wahr­heit zurückhalten. So geben alle angeklagten SA.- Leute und GS.. Leute zu, bei den Zusammenrottungen dabei gewesen zu sein. Die menigsten aber geben eine Beteiligung an den Gewalttaten zu. Sie wollen fast alle erst dazu gekommen sein, als schon alles vorbei war. Die in Saft befindlichen Nationalsozialisten haben sich aber in ihren ersten polizeilichen und richterlichen Bernehmungen selbst und auch gegenseitig belastet, so daß ihnen das jezige Leugnen nicht mehr viel nüßen wird.

In geradezu viehischer Weise, ift auf den alten Landarbeiter