Der Abend
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Nr. 434
B 209 49. Jahrgang
In ihrem hemmungslosen Kampf gegen die Sozialdemokratie wenden sich die kommunisten auch gegen das von der Sozialdemokratie eingeleitete Bolksbegehren gegen Sozialreaktion. Sie befinden
sich dabei freu und bieder an der Seite des Unternehmertums. In demselben Augenblick, in dem die kommunistische Presse triumphierend erklärt:„ Herr von Papen und die Unternehmer werden sich diesen Volfsentscheid gern gefallen lassen", beginnt in der bürgerlichen Presse bereits der Feldzug gegen die Zulässigkeit des sozialdemofratischen Volksbegehrens!
In der Kölnischen Zeitung "( Nr. 502) wird behauptet, das Volksbegehren der Sozialdemokratie widerspreche dem Artikel 73, Abjazz 4, der Reichsverfassung, in dem es heißt, daß über den Haushaltsplan usw. nur der Reichspräsident einen Volksentscheid veranlassen könne. Das Blatt fügt hinzu und es scheint damit die Meinung offizieller Stellen wiederzugeben:
,, Es ist also nicht damit zu rechnen, daß das Begehren auf Aufhebung der sozialpolitischen Ermächtigung zugelaffen wird."
Die Kommunisten sind also sehr schnell Lügen gestraft worden. Das Boltsbegehren der Sozialdemo fratie ist nicht eine Maßnahme zur Rettung der Bapen- Notverordnung, sondern zum Schuße der Arbeit= nehmerklasse vor Tarifbruch und Lohn abbau. Daher macht das Unternehmertum mobil, um der Regierung die Ablehnung des Voltsbegehrens nahezulegen. Eine solche Haltung der Reichsregierung zu dem sozialdemokratischen Volksbegehren ließe sich aber weder mit dem Wortlaut noch mit dem Sinn des Artikels 43 der Reichs verfassung rechtfertigen. Das sozialdemokratische Volfs begehren bezieht sich nicht auf den Haushaltsplan". Die Rölnische Zeitung" glaubt, sich auf den Staatsrechtslehrer Anschüz berufen zu können. Aber sehr zu unrecht. Anschütz schreibt zwar:
,, Der Zweck des Absages 4 wird nur dann erreicht, wenn man die Begriffe Haushaltsplan, Abgabengesetz, Besoldungsordnung" meit auslegt und insbesondere unter Haushaltsplan" nicht bloß das Etatgesetz, sondern jedes Gesetz versteht, das infolge der in ihm angeordneten Einnahmen oder Ausgaben den Staatshaushalt irgendwie wesentlich beeinflußt."
Selbst wenn man Anschütz darin zustimmt, daß die erwähnten Begriffe meit auszulegen seien, so wird dennoch das sozialdemokratische Volksbegehren nicht als ein Haushaltsgesetz angesehen werden können. Würde man das tun, so würde man praktisch jedes Volksbegehren unmöglich machen können. Es gibt kein Gesetz, das nicht irgendwie auf die öffentlichen Finanzen, also auf den Haushaltsplan, einmirft. Anschütz betont deshalb selbst zwei wichtige Einschränkungen. Und zwar müssen die in dem Volksbegehrengesetz angeordneten Einnahmen oder Ausgaben den Staatshaushalt direkt und außerdem wesentlich ,, beeinflussen".
Beides ist aber nicht der Fall. Die sozialpolitischen Teile der Notverordnung, die beseitigt werden sollen, treffen nicht den Staatshaushalt, sondern die selbständigen Einrichtungen der Sozialversicherung, die zum allergrößten Teil mit dem Staatshaushalt überhaupt nichts zu tun haben, und die Sozialpolitik! Der größte Teil der sozialpolitischen Bestimmungen aber hat überhaupt keine finanziellen Auswirkungen auf den Staatshaushalt; er betrifft nur die prinatwirtschaftlichen Beziehungen zwischen Unternehmern und Arbeitern. Er schafft nur die Grundlage für Tarifbruch und Lohnabbau.
Das sozialdemokratische Boltsbegehren muß also zugelassen werden, wenn man die Bestimmungen der Reichsverfassung als rechtsgültig und rechtsverpflichtend ansieht. Für diesen Standpunkt wird die Sozialdemokratie die Kräfte des gesamten werftätigen Bolkes einzusetzen wiffen, selbst wenn die Kommunisten ihrer Rolle als Handlanger der Schwerindustrie und der Sozialreaffion treu bleiben.
Zur Bölkerbundsversammlung in Genf werden Hauptdelegierte der deutschen Regierung der Außenminister Freiherr von Neurath, der Gesandte von Rosenberg und Ministerialdirektor Gauß sein. 21s stellvertretende Delegierte werden genannt Freiherr Werner von Rheinbaben , Böppert und von Weizsäcker .
Deutschbewußtes Recht!
,, Verfassungsbruch": grobe Beschimpfung!
Das Reichsgericht zum ,, Vorwärts"-Verbot.
XII. V. 139/32.
Beschluß.
In der Verwaltungssache betr. das vom Polizeipräsidenten in Berlin am 30. August 1932 ausgesprochene Verbot der in Berlin erscheinenden Tageszeitung Vorwärts" hat das Reichsgericht, 4. Strafsenat, in der Sitzung vom 6. September 1932, an der teilgenommen haben:
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der Reichsgerichtsrat Dr. Baumgarten als Vorsitzender, die Reichsgerichtsräte Helber und Dr. Sonntag, der Kammergerichtsrat Dr. Günther und der Oberlandsgerichtsrat Flor, auf die Beschwerde des Verlags
beschlossen:
Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen. Gründe:
In dem beanstandeten Artikel heißt es: ,, Es ist ein Pro
gramm des Verfassungsbruchs, das Herr von Papen gestern in Münster entwickelt hat."
Das Verbot bemerkt hierzu:„ In Nr. 406 B 198 vom
Montag, dem 29. August 1932,... wird auf der ersten Seite eine Abhandlung zu dem Programm des Herrn Reichskanzlers gebracht, das hier als das Programm des Verfassungsbruches bezeichnet wird. Diese Charakterisierung, die keinerlei tatsächliche Unterlage hat, stellt eine grobe Beschimpfung und böswillige Verächtlichmachung des Herrn Reichskanzlers dar."
-
aus
Es kann hiernach nicht anerkannt werden, daß wie die Beschwerde ausführt die Verbotsbegründung unzulässigerweise vermieden habe, die den Verbotsgrund bildende Stelle anzugeben. Das Verbot sagt vielmehr ganz drücklich, daß die ungerechtfertigte Charakterisierung des vom Reichskanzler in Münster aufgestellten Programms als eines Programms des Verfassungsbruchs als grobe Beschimpfung und böswillige Verächtlichmachung des obersten Reichsbeamten beanstandet werde. Wenn es dem„, Vorwärts" auch, wie in der Beschwerde ausgeführt ist, weniger auf die
Person des Reichskanzlers als auf die Sorge um Wahrung der Verfassung angekommen sein mag, so ändert das doch nichts an der Tatsache, daß die beanstandete Ausdrucksweise mit dem durch gesperrten Druck hervorgehobenen Ausdruck ,, Verfassungsbruch" für den Reichskanzler den schweren Vorwurf enthält, er sei sich seiner eidlich gelobten Pflicht, der Reichsverfassung die Treue zu halten, nicht bewußt gewesen. Es kommt nicht darauf an, von welchen Beweggründen sich der Verfasser hat leiten sollen, vielmehr ist lediglich entscheidend, welcher Eindruck auf den unbefangenen Leser hervorgerufen wird.
Der ungerechtfertigte schwere Vorwurf des Verfassungsbruchs
enthält aber, wie die Verbotsverfügung zutreffend ausführt, eine Beschimpfung und böswillige Verächtlichmachung des
Reichskanzlers.
Das erlassene Verbot war demnach gemäß§ 6 Abs. 1 Ziff. 2 der Verordnung des Reichspräsidenten gegen politische Ausschreitungen vom 14. Juni 1932( RGBl. I S. 297) gerechtfertigt. Auch die Dauer des Verbots war nicht zu beanstanden.
gez.: Baumgarten, Halber, Sonntag, Dr. Günther, Flor. Ausgefertigt gez.: Wedekind, Ministerialamtmann, als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle.
An den Vorwärts"-Verlag G. m. b. H.,
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Verfassungsbruch- keine Beleidigung!
Stimme aus einem anderen Saale des Reichsgerichts
,, Die Aeußerung, ein Minister habe die Verfassung gebrochen, ist nicht schlechthin ehrverletzend. Sofern diese Aeußerung nur die Behauptung in sich schließt, der Minister habe verfassungswidrig gehandelt, kann sie lediglich die Auffassung des Aeußernden über eine auf dem Gebiete des Verfassungsrechts liegende, nicht zweifelsfreie Rechtsfrage wiedergeben."
Erster Senat des Reichsgerichts in einem Urteil vom 14. April 1931.
31 Nationalsozialisten auf der Anklagebank wegen des Sturmes auf das
Gewerkschaftshaus
Kiel, 14. September. ( Eigenbericht.)
Vor dem Kieler Sondergericht begann am Dienstag der große and friedensbruch prozeß gegen die Nationalsozialisten, die am sogenannten„ Deutschen Tag " am 10. Juli das. Gewerkschaftshaus in Eckernförde stürmten und völlig demolierten.
Bei dieser bisher in Deutschland wohl beispiellos dastehenden gemeinen Tat wurden die beiden sozialdemokratischen Landarbeiter Bues und Junge von den vertierten SA.- und SS.- Horden erstochen. Außerdem wurde eine Anzahl Genossen schwerer und leichter verlegt. Die Nationalsozialisten, von denen sich zwei Haupttäter durch die Flucht der Verhandlung entzogen haben, stellen nur einen Bruchteil der Schuldigen dar. Ob sich die Mörder der beiden sozialdemokratischen Landarbeiter unter den Angeklagten befinden, weiß man nicht. Anklage wegen Mordes oder Totschlags ist gegen teinen der Angeklagten erhoben worden. Die Anklage lautet vielmehr nur auf schweren Landfriedens bruch, verbotenes Waffentragen und Beteiligung an einer Schlägerei, bei der Menschen den Tod gefunden haben. Zwei der Nationalsozialisten sind außerdem wegen Rädelsführerschaft angeklagt.
Zusammen mit den 31 Nationalsozialisten fizzen 4 junge Angehörige der Eisernen Front auf der Antlagebant. Unter ihnen ist der Neffe des erstochenen Landarbeiters Bues. Die vier jungen Genossen haben sich nach dem Sturm auf das Edernförder Gewerkschaftshaus und nachdem sie lange durch Nationalsozialisten auf Lastautos hin und her gehegt worden sind, in maß loser und berechtigter Erbitterung gegen einige Nationalsozialisten zur Wehr gesetzt. Die Anklage wirft ihnen gemeinschaftliche Körperverlegung vor.
Der erste Verhandlungstag, an dem nur die Angeklagten vernommen wurden, enthüllte schon ein entsetzliches Bild dieses Blutfonntags, obwohl zweifellos die Angeklagten mit der vollen Wahrheit zurückhalten. So geben alle angeklagten SA.- Leute und GS.. Leute zu, bei den Zusammenrottungen dabei gewesen zu sein. Die menigsten aber geben eine Beteiligung an den Gewalttaten zu. Sie wollen fast alle erst dazu gekommen sein, als schon alles vorbei war. Die in Saft befindlichen Nationalsozialisten haben sich aber in ihren ersten polizeilichen und richterlichen Bernehmungen selbst und auch gegenseitig belastet, so daß ihnen das jezige Leugnen nicht mehr viel nüßen wird.
In geradezu viehischer Weise, ift auf den alten Landarbeiter