1932
Der Abend
Erscheint täglich außer Sonntags Zugleich Abendausgabe des ,, Borwärts". Bezugspreis für beide Ausgaben 75 Pf. pro Woche, 3,25 m. pro Monat( davon 87 Pf. monatlich für Zustellung ins Haus) im voraus zahlbar. Poft bezug 3,97 m. einschließlich 60 Pf. Postzeitungs- und 72 Pf. Postbestellgebühren.
Spätausgabe des„ Vorwärts
"
Anzeigenpreis:
Die 1fplt. Mim. meterzeile 30 t. Die Reklamezelle toftet 2 Mart. Rabatte n. Tarif.
10 Pf.
Nr. 436
B 210 49. Jahrgang
Meißner nimmt das Wort
Bemerkenswerte Feststellungen
des Staatssekretärs beim Reichspräsidenten
Wahre Demokratie!
Von Dr. Otto Meißner, Staatssekretär beim Reichspräsidenten .
,, Das deutsche Volk hat sich diese Verfassung gegeben." Auf diesen Worten liegt der Hauptton; damit wird in den Eingangsworten der Verfassungsurkunde feierlich bekundet, daß diese neue Verfassung unseres Vaterlandes
Staatssekretär Dr. Otto Meißner
des Ausdruck einer vollen und wahren Demo. tratie, einer echten Voltsherrschaft sein soll.
Das Deutsche Reich der neuen Verfassung ist eine repräsentative demokratische Republit, und ihre politische Form ist im wesentlichen im Parlamentaris: mus gefunden worden.
Das überragende und wichtigste Organ, in dem sich die vom Volke ausgehende Gewalt äußert, ist der Reichstag , der die volle Gesetzgebungsgewalt und die ständige Kontrolle über die Regierung hat. Zwischen dem Präsidenten und dem Reichstag steht die Reichsregierung, die das Bindegli ed ist zwischen dem Reichspräsidenten , der sie ernennt, und dem
Reichstag, dem sie in allen Handlungen verant wortlich und dessen Vertrauen Voraussetzung für ihre Tätigkeit ist.
Der Reichstag gliedert sich in Fraktionen, die sich nach der Zugehörigkeit der Abgeordneten zu den politischen Parteien zusammensetzen. Die Verfassung erwähnt zwar Parteien, Parteizugehörigkeit und Fraktionen nicht; in dem von ihr aufgestellten Grundsatz der Verhältnis wahl ist aber auch das politische Parteisystem und das auf ihm beruhende Fraktionssystem stillschweigend mit anerkannt. Partei ist, nach der Definition des Staatsrechtslehrers Rehm, die Gesinnungs- und Kampf gemeinschaft einer Gruppe von Menschen, die das Streben vereinigt, gemeinsame Gesinnungen und Interessen gegen anders Gesinnte, anders Interessierte durchzusetzen. Die Parteien sind es, die in der modernen Politik, ins
besondere bei der Verhältnis- und Listenwahl, die Wahlen| Selbständigkeit des Präsidenten nach Möglichkeit zu be= beherrschen; die Parteiliste wird in erster Linie schneiden, aus der Besorgnis heraus, daß er vom Wähler gewählt, nicht der Kandidat;
die Partei ist in erster Linie die Trägerin des Vertrauens des Wählers,
erst in zweiter Linie der Kandidat. Nach den Parteien setzt sich der Reichstag in Fraktionen und auf Grund des Mehr heitsverhältnisses der Fraktionen die Regierung zusammen. Die Republik zeigt verschiedene Formen, die wir als parlamentarische, als Präsidentschaftsrepublik und als Republik mit follegialer Spize bezeichnen; als Beispiel der ersteren Form, bei der das überwiegende Schwergewicht beim Parlament liegt, sei Frankreich erwähnt, als Beispiel der zweiten, bei welcher der Präsident einen erheblichen Anteil der Staatsgewalt innehat, Nordamerika und als Beispiel der dritten Form, bei der die Macht des Präsidiums unter ein Kollegium geteilt ist, die Schweiz und die Hanjestädte.
neben dem Parlament eine Macht erlangen könnte, die sich mit den Rechten des Reichstags und mit den Grundsätzen einer vollen Demokratie nicht vereinbaren ließe;
eine dritte Strömung ging dahin, an Stelle eines Präsidenten ein direkt aus dem Reichstage hervorgegangenes Kollegium zu setzen. Das Schlußergebnis war die zwischen den beiden ersteren Strömungen vermittelnde Schaffung einer selbständigen Zentralgewalt, des Reichspräsidenten , neben welche die aus dem Reichskanzler und den Reichsministern bestehende Reichsregierung tritt. Die Verfassung kennt also als Träger der Volkssouveränität den Reichstag und den Reichspräsidenten , beide verbunden durch die welche vom Reichspräsidenten Reichsregierung, ernannt wird und gleichzeitig das Vertrauen des Reichstags haben muß.
Während der Beratungen der Nationalversammlung . und des Verfassungsausschusses war die Frage der Stel- Nachschrift der Redaktion: Wir entnehmen diese lung des Reichspräsidenten eine stark umstrittene; außerordentlich michtigen Darlegungen dem bei Reimar Hobbingdrei Strömungen famen zum Ausdrud: Die eine war Berlin erschienenen Buche:„ Die Reichsverfassung, darbestrebt, die Stellung des Präsidenten stark zu heben, seine gestellt von Dr. Otto Meißner, Oberregierungsrat und Referent eigene Entschlußmöglichkeit und seine selbständige Verant- beim Reichspräsidenten ". Dr. Otto Meißner ist noch heute wortlichkeit zu steigern; eine zweite war geneigt, die Staatssetretär beim Reichspräsidenten .
Raubüberfall auf Geldtransport
Geldtransport der BVG. vor dem Rathaus Charlottenburg überfallen Beamter erschossen
Zentrum Berlins hat. Das Auto stand in den gestrigen späten Abendstunden einige Zeit unbewacht in der Landshuter Straße. Diese Gelegenheit benutzten die Räuber und stahlen den Wagen. Es besteht kein Zweifel, daß das Auto eigens zur Ausführung des Wildweststreiches gestohlen wurde.
Ein toller Ueberfall wurde heute früh vor dem Charlottenburger Rathaus in der Berliner Straße auf einen Geldtransport der BVG. verübt. Zwei Beamte der BVG. hatten auf der Girokasse 101 der Berliner Stadtbank 33 100 M. abgehoben. Als die Beamten die Betriebsinspektor Meyer von der BVG. und ein zweiter BVG.Kasse, die sich im Gebäude des Rathauses befindet, verBeamter betraten gegen 49 Uhr den Kassenraum der Girokasse, um einen Scheck über 33 100 M. zu präsentieren. Die Summe ließen, und gerade die Straße betreten hatten, stürmten vier mit Pistolen bewaffnete Männer aus einem Privat: sollte heute im Betriebsbahnhof in der Helmholtzstraße für. Lohnauto heraus auf sie zu, und eröffneten ein regelrechtes zahlungen verwandt werden. Meyer erhielt das Geld in 50-, Schnellfeuer. Einer der BVG.- Beamten, der Be- 20- und 10- Mark- Scheinen. Die beiden Beamten legten das Geld triebsinspektor Meyer brach mit einem Kopfschuin eine lederne Aktentasche und aus Sicherheitsgründen verstauten blutüberströmt zusammen. Der ihn begleitende Beamte sie die Tasche dann noch in eine hölzerne Kassette, die sie vererlitt glücklicherweise nur einen Streifschuß. Die Räuber schlossen. Wenige Minuten nach ½9 Uhr verließen die beiden benutzten die Verwirrung, eine hölzerne Kassette, in der sich das Geld befand, zu ergreifen, und in dem Auto die Flucht zu ergreifen. Es gelang ihnen, mit der Beute in Richtung Sächsische Straße- Kurfürstendamm zu ent kommen. Bei der Flucht gaben die Täter aus dem Auto noch mehrere Schüsse ab, offenbar um etwaige Verfolger einzuschüchtern. Betriebsinspektor Meyer, der bewußtlos ins Westendkrankenhaus eingeliefert 3wei der Banditen ergriffen jetzt die Kassette, während die anderen wurde, ist kurze Zeit nach seiner Aufnahme an den Folgen des schweren Kopfschusses gestorben.
Alles genau vorbereitet!
Alle Umstände lassen darauf schließen, daß der Ueberfall bis in alle Einzelheiten aufs genaueste vorbereitet war. Zu threm lleberfall benutzten die Banditen eine dunkelblaue Mercedes - BenzLimousine mit dem Erkennungszeichen IA 16 393. Wie schnell von der Bolizei ermittelt werden konnte, gehört der Wagen der Firma Friedrich Minoug, die ihre Büroräume An der Stechbahn im
Männer den Kassenraum. Offenbar hat sich einer der Banditen in der Girokasse aufgehalten und ist den Beamten auf dem Fuße ge= folgt. Vermutlich auf ein verabredetes Zeichen stürmten plötzlich die Burschen heran, die sämtlich Pistolen in den Händen hielten. Die Räuber eröffneten sofort ein Schnellfeuer, so daß der Betriebsinspektor gar nicht dazu kam, seine Waffe zu ziehen. Mener brach schwer getroffen zusammen.
beiden den Rückzug deckten. Sie flüchteten über den Fahrdamm und sprangen in das dort bereitstehende Auto. Nachdem die Täter aus dem Wagen noch etwa 5 bis 6 Schüsse abgegeben hatten, rasten sie mit Vollgas davon.
Der erschossene Leiter des Betriebsbahnhofs ist 56 Jahre alt. Er wohnte auf dem Bahnhof in der Helmholzstraße und steht seit 1902 im Dienste der Gesellschaft.
Jagd hinter den Banditen.
Als Meyer durch den Kopf geschossen zusammenbrach, ließ er die Kiste fallen. Die Begleiter wurden zu Boden geschlagen. Sie sagen aus, daß sie Fußtritte in den Rücken bekamen. Als die