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Der Abgeordnete Paul Löhe mar oon der sozialdemokratischen Fraktion bestimmt morden, im Reichstag die Stimme des merktätigen Volkes zu Gehör zu bringen. Die schnelle Auflösung des Reichstags hat das oerhindert, I nzmischen hat der Reichskanzler von Papen die Erklärung, zu deren Verlesung im Reichstag er gleichfalls nicht gekommen ist, durch den Rundfunk verbreiten lassen. Hier ist die Antmort, die Paul Löhe dem Reichskanzler öffentlich gibt. Verbreitet sie in allen Häusern und Wohnungen des arbeitenden Deutschlands !
Herr Reichskanzler! Sie haben in Ihrer Rundfunkrede laute Klage erhoben, weil sich die deutsche Bolksoertretung angeblich ge- weigert habe, Ihre Erklärung, die„Erklärung einer nationalen Regierung", anzuhören, und Sie haben dieses Verhalten des Reichstags vor dem deutschen Volke beschwerdeführend festgestellt. Soweit dieser Vorwurf eine Berechtigung hat, liegt die erste Schuld nicht an der Volksvertretung, sondern an Ihnen. Ihre wiederholten Drohungen, dem Reichstag jede Beschlußfassung un- möglich zu machen, waren die Ursache. Sie waren entschlossen, vor jeder entscheidenden Abstimmung die Auflösung des von Ihnen selbst gerufenen Parlaments vorzunehmen und diese Drohungen haben die Nervosität hervorgerufen, die den Reichstagspräsidenten Göring zu seiner vielleicht anfechtbaren Prozedur oerleiteten. Mit der Furcht vor der plötzlichen Auslösung hat Herr Göring nach seinem eigenen Geständnis die rasche Abstimmung gerechtfertigt, und Herr Göring war doch der mit Jubel begrüßte Reichstags- Präsident der großen, nationalen Mehrheit, um deren Bildung gerade Sie. Herr Reichskanzler, sich so ausdauernd bemühten, der zuliebe Sie die erste Reichstagsauflösung im Juni dieses Jahres vorgenommen haben. Wir Sozialdemokraten hätten es vorgezogen. Aug in Auge mit Ihnen uns über die politischen und wirtschaftlichen Fragen aus- einanderzusetzen. Lange genug haben wir darauf warten müssen. Wir hätten es auch vorgezogen, das Herzensbündnis der schwarz- braunen Koalition vor dem deutschen Volke heller zu beleuchten. Die Parteien des Reichstags sind durch Ihr und des Herrn Göring Verfahren in die gleiche unangenehme Lage gekommen wie Sie, und werden es noch schwerer haben, die Antwort auf Ihre Rede an alle Volkskreise heranzutragen. Trotzdem werden wir uns der Aufgabe mit Eifer unterziehen, mit dem Ernst und der Gründlich- keit, welche die Not der Zeit gebietet und die wir auch in Ihrer Rede nicht vermissen. Wir stellen aber mit Befriedigung fest, daß Sie«inen erheb- lichen Teil Ihrer Ausführungen nicht mehr gegen den verruchten „Marxismus ", sondern gegen die„nationalen Parteien" richten mußten, die Sie selbst gerufen haben. Welches Ziel hatte die hinter- hältige Verdrängung der Regierung Brüning? Welche Aufgabe sollte der von Ihnen gerufene Reichstag erfüllen? Sie wollten die„auf-
bauwilligen Kräfte"— so hieß es wohl, ehe das liebevoll« Echo aus Goebbels schüchternem Mund Ihnen entgegentönt«— zur Mitarbeit heranziehen, die gefährlichen Einflüsse des Marxismus unter- drücken und die Schwierigkeiten einer straffen Staatsführung im Reich und in Preußen beseitigen. Wenn Sie sich heut« Rechenschaft ablegen, so müsien Sie sich eingestehen: Es ist glänzend gelungen, die seit zwölf Jahren funk- tionierende Regierungsmaschine in Preußen zu zerschlagen, aber eine bessere an ihre Stelle zu setzen, sicherer« Regierung?- vechältnisse zu schaffen, diese Frag« wird außer Ihnen wahrschein- lich nur Herr Dr. Bracht, aber sonst niemand in Deutschland bejahen. Das andere Ziel? Am Beginn Ihrer Kanzlerschaft stehen Ver- beugungen vor den Nationalsozialisten, stehen Versprechungen Hitlers über die Tolerierung Ihrer Regierung, stehen voreilige Versicherungen von der gelungenen„nationalen Konzentration". Was konzentriert sich heute noch um Sie. Herr Reichskanzler? Ich will nicht davon reden, daß der„Angriff" Sie die„kleine, volks- fremde reaktionäre Adelsclique" nennt, das hätten Sie im„Vor- wärts" vielleicht auch lesen können. Aber wenn das nationalsozia- listische Blatt Ihre Regierung„größenwahnsinnige Reaktionäre und egoistische Saboteure des nationalen Freiheitswillens" nennt, so wäre wohl eine andere Zeitung bei dieser maßlosen Beschul- digung verboten worden. Die nationale Konzentration wird im „Angriff" so dargestellt: „Wir sollten den Dreck wegfegen, Sie treten dann, geschnie- gelt und gebügelt, als vornehme Kavaliere, etwas breitstelzig und angedooft in die gute deutsche Stube." Sie sehen, man beherrscht im nationalen Lager nicht nur die Sprache des Asphalts, sondern auch die des Klubs„Jmmertreu". Der Vorwurf der Verteidigung von Posten und Pfründen, den Sie in Ihrer Rede dem System der Parteiherrschaft machen. bleibt Ihnen selbst nicht erspart, und der„Angriff" hält Ihnen die Frage entgegen:„Gibt es etwas Unanständigeres als diese politische Erbschleicherei? Wer Ihre Regierung befürwortete, wurde oon den Nationalsozialisten„Schuhputzergarde" und der Stahlhelm „Nachtwächter der Reaktion" betitelt. Haben Sie nach alledem den Eindruck, Herr Reichskanzler, daß die„nationale Konzentra- tion" mit etwas anderem als einem Fiasko geendet hat?
Nein, Herr Reichskanzler, Sie sitzen wirklich nur noch auf den Spitzen der Bajonette
und werden bald merken, wie ungemütlich es sich daraus sitzt, zu- mal wenn Herr Schleicher es ist, der Ihren Sessel mit diesen Ge- räten auswattiert hat. Da scheinen schon andere unbequem gesessen zu haben. Sie wollten den Marxismus schwächen und unterdrücken. Die sozialdemokratische Fraktion ist mit 136 Abgeordneten aus dem allen Reichstag ausgeschieden, mit 133 in den neuen wiedergekehrt. Der kleinen Einbuße stehen 11 neue kommunistische Mandate gegenüber. Wenn Sie den Marxismus als Gesamtheit nehmen, wie es oft be- liebt wird, dann ist auch hier ein Defizit vorhanden. Gewiß, Sie haben den Einfluß sozialdemokratischer Staatsfunktionäre gemindert und beseitigt unter Formen, die sich noch rächen werden. Wenn Sie aber glauben, damit das Wachstum und die Kraft der sozialistischen Ideen geschwächt zu haben, dann dürften Sie Enttäuschungen er- leben, die auch Größeren, wie Bismarck , und Kleineren, wie Wilhelm II. , nicht erspart geblieben sind. Sie alle glaubten uns schon niedergeritten zu haben. Unsere geschichtlich begründete Bewegung ist nicht ans Amtsvorsteher und Landräte, auch nicht aus INinister gegründet, ihre Wurzeln sitzen tief und fest in Millionen deutscher Volksgenossen. die ihrem Ideal um so treuer dienen, je mehr Gefahren ihnen drohen und die sich eines Tages auch entwundene Positionen wieder holen werden. Hot doch erst jetzt Herr Straßer in Dresden die Befürchtung geäußert, Ihre Maßnahmen würden zwar kein«„Be- lebung der Wirtschaft", wohl aber eine„Belebung des Marxismus " zur Folge haben. Ueberhaupt: wo sitzen jetzt überall Marxisten? Es gibt rote Marxisten, es gibt schwarze Marxisten, Herr von Papen beschuldigte in Münster die Nationalsozialisten marxistischer Aus- fassungen, und die Deutschnationalen bescheinigen Herrn Hitler marxistische Methoden. Während Sie den Drachen Marxismus mausetot geschlagen wähnten, wächst ihm jedesmal ein neuer Kops. Nur einer ist's, der blieb von Fehler frei, Herr Dingeldey, die Deutsche Volkspartei . Dafür ist bei ihr aber von Volk nichts mehr zu sehen. Herr Reichskanzler! Sie machen sich politisch an eine Ausgabe heran, die unerreichbar ist, an die Ileberwindung einer Bewegung, die unüberwindlich ist. Schon 1936 löste Herr Brüning den Reichs- tag gegen die Sozialdemokratie auf und flüchtete sich mit Treviranus, Schiele und Schlange in unsere Duldung. 1932 löste der Reichskanzler von Papen den Reichstag auf und flüchtet sich in den Schutz des Reichspräsidenten , weil auch ihm die Ueber- Windung sozialistischer und marxistischer Tendenzen nicht gelungen ist. Im Gegenteil! Herr Straßer hat im Mai von der antikapita- listischen Sehnsucht gesprochen, die vielleicht 95 Proz. unseres Volkes bewußt oder unbewußt erfaßt hat. Lege ich das Wahlresultat zu- gründe, und darf ich mich nicht nur nach den Namen der Parteien, sondern auch nach den Reden der Herren Reventlow, Straßer und Stöhr richten, dann hätte schon dieser Reichstag 37 Proz. Ratio-
nalsozialisten, 22 Proz. demokratische Sozialisten, 14 Proz. bolsche- wistische Sozialisten umfaßt, zusammen 73 Proz. antikapitalistischer Abgeordneter. Dabei würden vielleicht das Zentrum und die Christ- lichsoziale Partei noch Einspruch erheben, wenn sie ohne weiteres ins andere Lager verwiesen werden. Und nur die Deutschnationalen blieben übrig. Mag Führerwille und Gönnereinsluß die Echtheit des„natio- nalen" Sozialismus oft fraglich erscheinen lassen, daß große Teile ihrer Wähler Anhänger antikapitalistischer und sozialistischer Ge- dankengänge sind, daran zweifle ich nicht. freilich werden sie eines Tages eine fürchierliche Eni- täufchung erleben. Die Nationalsozialisten sind wie wir«in Ergebnis geschichtlicher Entwicklung. Als die kapitalistische Produktion dem Arbeiter den ihm ge- bührenden Anteil an den Früchten seiner Arbeit vorenthielt, wurden die Arbeiter Sozialisten, Sozialdemokraten. Als der Krieg den Gegensatz ins Ungeheuerliche steigerte und die Verachtung des Menschenlebens im Kampf der Interessen her- beiführte, wurde ein Teil in gewissem Sinn« radikalisiert, sie wur- den Bolschewisten. Als Kriegsfolge, Inflation und Wirtschaftskrise auch den Hand- werker, Kaufmann, Bauern und Kleinbürger entwurzelten, wurden auch sie reis für sozialistische Gedankengänge, die ihnen in nationalem Gewände um so annehmbarer erschienen. Alle dies« Gruppen sind keine Zusallserscheinungen, auch keine Frücht « agitatorischer und demagogischer Talente, sondern Ergebnisse wirtschaftlicher Entwick- lung. Diese Tatsachen oeranlassen uns, über allen politischen Streit hinweg mit Anträgen vor den Reichstag und das deutsche Volk zu
treten, Anträgen von weittragender wirtschaftlicher und Anträgen sozialpolitischer Natur, die das Uebel an der Wurzel packen, die nicht die Symptome kurieren, sondern dem Votsland, unter dem alle kapitalistischen Länder leiden, für unser Land mit kühnen Mitteln entgegentreten. Herr Reichskanzler. Sie haben sich das Wort„Gemeinnutz gegen Eigennutz" zu eigen gemacht. Ihr Appell an den privaten Unter- nehmer ist ein Appell an den Eigennutz, der versagt hat für die große Masse unseres Volkes, der sich bewährt haben mag für einige wenige, der die anderen darben läßt. Wir sehen ihm den Appell an den Gemeinsinn, an die Solidarität des Volkes, an das Prinzip der gegenseitigen Hilfe, an den Sozialismus entgegen. Sie rufen die private Initiative des Unternehmers, die fteien Kräfte der Privatwirtschaft auf. Aber die sind es ja, die o e r s a g t haben, versagt haben in aller Well! Es ist doch nicht ein Mangel an Gütern,«in Walten der Natur, es sind doch nicht übermenschliche Gewalten, die Not. Elend und Krieg« herbeigeführt haben. Es ist der Mangel menschlicher Einrichtungen, der Mangel wirtschaftlicher Organisation, die sich in den Händen der Unternehmer befindet. Es gibt doch Roggen und Vieh, Brot und Fleisch genug für alle Deutschen ! Es gibt Weizen, Kaffee, Zucker, Baumwolle genug in der Welt! Die überschüssige Kohle türmt sich zu Halden, das Holz verrottet im Wald, die Erde ist reich an Baustoffen aller Art— es ist die heutige Form der Produktion und Güteroerteilung, es ist die kapitalistische Produktionsweise, die Sie anrufen, die das alles un- genützt läßt. Wie können Sie vou dieser Seite Rettung erwarten? Ich nehme nicht an, daß Sie sozialistische Tendenzen und „Marxismus " als Sündenbock für die Krise hinstellen wollen, oder gar den Parlamentarismus und die Demokratie. Denn Sie wissen wie wir, auch in den Dereinigten Staaten, wo es keinen marxistischen Einfluß gibt, herrscht die Krise. Auch in Ungarn , wo er ausgerottet ist, herrscht die gleiche Not. Auch in Italien , wo es keine Demo- kratie gibt, hat die Krise die gleichen tiefen Wunden geschlagen. Wohin wir auch blicken, soweit die kapitalistische Wirtschaftsordnung reicht, so weit reicht die Krise. Und je höher sich diese Produktions- weis« entwickelt hat, um so stärker ist die Krise. Erst die Umwand- lung dieser Wirtschaftsform kann die Arbeitslosigkeit und ihre Folgen bannen. Nicht die Unmöglichkeit, die Unfähigkeit oder der Unwille der Unternehmer, zu produzieren, ist schuld an der heutigen Stockung, sondern die mangelnde Saufkraft. Und diese Kaufkraft wird durch Ihre sozialpolitischen Maßnahmen, durch den neuen Lohndruck weiter geschwächt. Vier Monate Regie- rung Papen sind«in« ununterbrochene Kette von Anschlägen und Herausforderungen für die minderbegüterten und besitzlosen Bevöl- kerungs kreise: herabsehung der Löhne, Lockerung der Tarife, Kürzung der Renten, Kürzung der Arbeitslosenunterstützungen. Verschlechterung der Unsallbezüge. Einschränkungen bei Kriegsverlehten, Witwen und Waisen. Die Wirtschaft muß weiter zusammenschrumpfen, denn die Be- lebungsversuche, die Sie mit Ihren Plänen verbinden, sind von höchst zweifelhafter Gestalt, sie heben die Stillegungen nicht aus. Wir müssen eine größere Aufgabe ernsthast in Angriff nehmen. Zunächst die Linderung der augenblicklichen Not durch Rückgängig- machung der Verschlechterungen in der Lebenshaltung, die Sie ungesetzlich und verfassungswidrig verhängt haben. Darüber hin- aus muß der sofortige organische Umbau der Wirtschaft in Angriff genommen werden. muß die Verstaatlichung der maßgebenden und beherrschenden Industtien sowie der Geldinstitute kommen, damit die deutsche Wirt- schaft planmäßig zum Wohle der Allgemeinheit arbeiten kann. Dieser Umbau ist nicht nur für die 6 Millionen Arbeitslosen not- wendig, wenn auch für sie in erster Linie, er ist unumgänglich für alle, die morgen in ihrer Existenz bedroht sind, er allein kann auch dem Mittelstand helfen, der unbarmherzig in die Krise hinein- gerissen wird.
Ihr Versuch, die Wirtschaft zu beleben, geschieht auf Kosten der Arbeitenden,
zum Wohle der Unternehmer, denen alle Vergünstigungen zugute kommen. Und das Echo Ihrer Rede auf der Börse und in der Industriepresse zeigt: Festtage für die Reichen, Fasttage für die Armen werden die Folge Ihrer Belebungsversuche sein. Wir lehnen sie mit aller Entschiedenheit ab, und wenn daraus politische Schwierigkeiten erwachsen, dann sind sie von Ihnen selbst durch den unnötigen Regierungswechsel, durch die überflüssigen Aus- lösungen des Reichstages herbeigeführt worden. Es wäre ein höchst gefährliches Beginnen, diese Schwierig- leiten durch Dehnung, Beugung oder Bruch der Verfasiung von Weimar überwinden zu wollen, zu der sich der Herr Reichspräsident
immer wieder bekannte, welche die Minister beschworen, die die einzige Grundlage unseres staatlichen Lebens ist. Wir Sozialdemokraken warnen, diese schiefe Ebene zu belrelen, es ist nicht abzusehen, wieviel dann ins Gleiten kommt. Jeder Versuch einer Aenderung des Wahlgesetzes oder der Verfassung darf nur auf dem gesetzmäßigen Boden unternommen werden, sonst entbinden sie auch den Bürger oon der Gesetzmäßigkeit. Herr Reichskanzler, laden Sie vor dem deutschen Volke und der deutschen Geschichte nicht Verantwortungen ans