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Beilage

Freitag, 16. September 1932

Der Abend

Spalausgabe des Vorwärts

Um die Strafrechtsreform

Nazis in der IKV.- - Hochzüchtung als Rechtsproblem

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Die diesjährige Tagung der deutschen Landesgruppe der Inter­nationalen Kriminalistischen Vereinigung dieser Versammlung von Theoretikern und Praktikern, die seit Jahrzehnten maßgebend ist für den Fortschritt im Strafrecht- stand unter einem Doppelzeichen: dem der internationalen Zusammen arbeit und dem der Strafrechts- ,, Autarkie"!

Zum ersten Male erflangen auf einer Tagung der deutschen Landesgruppe der JKV. die völtischen Schlagworte vom deutschen" Strafrecht im Gegensatz zum internationalen". Die jahrelangen Bemühungen, besonders der neutralen Staaten, die Strafrechtler der ehemals feindlichen Länder wieder unter ein Dach zu bringen, blieben bis zum Mai d. J. erfolglos. Die Strafrechtler der Entente hatten sich in einer selbständigen internationalen Assoziation für Strafrecht" zusammengefunden, die neu tralen Staaten blieben beiden Vereinigungen fern. Im Mai d. I. ist es nun dank der Initiative des Völkerbundsrats endlich gelungen, jämtliche internationalen Organisationen, die sich so oder so mit der Bekämpfung von Verbrechen befassen, in eine gemeinsame Dachorganisation, im

Internationalen Büro für Strafrecht- Bereinheitlichung" zusammenzubringen. Die Vertreter dieser Organisationen sollen in Zukunft gemeinsame Konferenzen abhalten, im übrigen bewahrt jed Vereinigung ihre volle Selbständigkeit. Die Tagung in Frant furt a. M., der zum ersten Male ein französischer somie ein belgischer Strafrechts- Professor beiwohnten, erklärte sich für den Beitritt zu der neuen Dachorganisation. Die Dänen und Norweger haben unterdes ihren Wiedereintritt in die IKV. bereits fundgetan, die Strafrechtler anderer Länder dürf= ten voraussichtlich bald folgen.

In Frankfurt hatte eben Prof. Delaquis sein Referat über internationale Zusammenarbeit beendet, als der Wiener Prof. Graf v. Gleispach zur Ueberraschung der Tagungsteilnehmer den Versuch unternahm,

nationalsozialistisches Strafrechts- Programm zu entwickeln, das den bisherigen friminalpolitischen Anschauungen der JKV. ins Gesicht schlug. Er erklärte als

Zwed des Strafrechts die Hochzüchtung der deutschen Volks­gemeinschaft

und forderte die Entfernung fremder Rechtsgedanken aus dem deutschen Strafrecht. Er sprach sich gegen die überstarke Berück­fichtigung der Persönlichkeit des Täters aus und für die absolute Betonung der Interessen der Gesellschaft; er identifizierte sich, wenn auch in verkappter Form, mit jenen Leuten, die nach den Todes­urteilen in Beuthen in zynischer Weise den strafrechtlichen Grund satz aufgestellt haben, es komme mehr darauf an, wer der Täter jei und aus welchen Beweggründen er handelte, als darauf, was er getan!

Gleispach verlangte schließlich für den besonderen Teil des Strafgesetzbuches Festlegung neuer strafrechtlicher Tat­bestände, wie die Ehre und Würde des deutschen Volkes, die Fruchtbarkeit der deutschen Rasse(!), das deutsche Boltstum" schlechthin. Zur Rechtfertigung dieser Forderungen be= rief er sich auf die neuen Geistesströmungen auf dem Gebiete der Kultur, der Wirtschaft und des Rechts".

Der aggressive Vortrag Gleispachs war gewissermaßen die Ant­wort auf das vorangegangene Referat des Berliner Profeffors Kohlrausch zum Thema: Soll die Strafrechtsreform fortgeführt werden? Prof. Kohlrausch sprach sich gegen eine Novellen gesezgebung aus; er erflärte, daß die kriminalpolitischen An­schauungen, die in den Entwürfen niedergelegt seien, auch heute noch in keiner Weise ihre Richtigkeit eingebüßt hätten, er polemi­fierte gegen die Nationalsozialisten, die nicht nur der heutigen Zeit, sondern auch dem heutigen Staat überhaupt den Beruf zur Gesetz­gebung absprechen, sich auf die sogenannte tiefere Rechtsüber zeugung" beriefen, in Wirklichkeit aber bis heute noch über kein eigenes Strafrechtsprogramm verfügten. Der Umstand, daß beide Redner trotz des Abgrundes, der zwischen ihren kriminalpolitischen Auffassungen flaffte, sich auf eine gemeinsame These geeinigt hatten, die die Forderung der Fortführung der Strafrechtsreform enthielt, rief Prof. Dr. Rad bruch- Heidelberg auf den Plan. Er habe er­wartet, daß die Versammlung

schärfften Protest gegen die Notverordnung erheben würde, die eine Abartung der Gerichtsver= fassung und des Strafrechts darstelle. Das sei nicht geschehen, statt dessen habe Gleispach ein faschistisches Strafrechtsprogramm entwickelt. Er, Radbruch, sei nach Frankfurt gekommen in der Absicht, für die Fortführung der Strafrechtsreform zu stimmen; Gleispachs Vortrag zwänge ihn aber, entgegen seiner ursprünglichen Absicht zu handeln; man könne nicht wissen, ob nicht am Ende ein faschistisches Strafrecht herauskäme.

Was Prof. Gleispach in verkappter Form vorgebracht hatte, wurde durch den Mund des jungen Göttinger Privatdozen ten Dr. Scharfstein in seiner ganzen Nacktheit enthüllt. Dieser zog gegen die sozialistischen" Gedanken ins Feld, die seit der Revolution in das Strafrecht und in den Strafvollzug eingedrungen seien; er forderte die Wiedereinführung des Vergeltungs- und Ab­schreckungsprinzips.

Vielsagend war die Abstimmung über die von Gleispach vor­gelegten Thesen. Die Versammlung erklärte sich zwar einstimmig für die Festhaltung an den bisherigen friminalpolitischen Zielen der JKV., nahm aber mit einer Mehrheit von zwei Stim men(!) bei einigen Stimmenthaltungen den Zusaz an, der eine gewisse Beeinflussung der Strafrechtsreform durch die neuen Geistes­strömungen anerkennt. Für die Fortführung der Strafrechtsreform sprach sich zwar eine große Mehrheit aus, jedoch waren die Stimm­enthaltungen in diesem Falle besonders zahlreich. Das Abstim­mungsergebnis fiel gegen eine Novellengefeggebung aus, einstimmig wurde nach wie vor die Rechtsangleichung zwischen dem deutschen und österreichischen Strafrecht gefordert.

Der weltanschauliche Riß, der durch die Versammlung ging, zeigte sich auch bei der Behandlung des Hauptthemas der Tagung:

Schwangerschaftsunterbrechung und Unfruchtbarmachung.

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eine Zufalls- und Klassenstrafe

Während Frau Dr. Bender- Breslau aus Gründen sozialer In| medizinalrat Dr. Hagen, beide aus Frankfurt a. M. ,, entgegen. ditation die völlige Freigabe der Schwangerschaftsunterbrechung in Prof. Rad bruch brach mit großer Wärme eine Lanze für den ersten drei Monaten forderte, lehnten besonders Prof. Kirsch die Aenderung des§ 218. Er jei nicht für die Abtreibung, ſondern stein- Bremen und der Gynäkologe Prof. August Maier- Tübingen gegen die Abtreibungsstrafe, weil es die Schwangerschaftsunterbrechung aus sozialen Gründen( soziale Indiktion) rundweg ab. Der erstere berief sich auf die Erfahrungen in Rußland , wo die Schwangerschaftsunterbrechung aus bloßen sozialen Motiven gleichfalls nicht mehr gestattet sei, und bezeichnete eine Freigabe der Schwangerschaftsunterbrechung aus sozialen Gründen als eine Umkehrung des Naturgemäßen; der andere, Prof. Dr. Maier, glaubte sich als Bußprediger aufspielen zu dürfen, er forderte Zucht und Selbstbeherrschung.

sei. Die russischen Erfahrungen wie auch die größere Betonung des sozialen Gesichtspunktes gegenüber dem individualistischen habe ihn jedoch veranlaßt, von seiner früheren Forderung der völli­gen Freigabe der Abtreibung in den ersten drei Monaten abzu­gehen.

Einig waren die Aerzte in der Forderung, daß die bestehende Ein erschütterndes Bild von den Folgen des Verbotes der Ab- Rechtsunsicherheit besonders auf dem Gebiete der Unfruchtbar­treibung aus sozialen Gründen entrollte der Berliner Prof. Liebmachung aufhören müsse; es gehe nicht an, daß in Offenburg das mann, der an Hand statistischen Materials aus eigener Praxis verboten sei, was in Zwickau als erlaubt gelte. Dieser Forderung nachwies, daß 77 Proz. der Frauen, bei denen er es ablehnen trug Prof. Dr. Dohna in seinem juristischen Referat zu dem Pro­mußte, die Unterbrechung vorzunehmen, sich diese trotzdem ander- blem Schwangerschaftsunterbrechung und Unfruchtbarmachung Rech­wärts haben vornehmen lassen. nung. Der Inhalt seines Vortrages fand in den von ihm, Prof. Dr. Radbruch und Justizrat Dr. Löwenstein beantragten und von der Tagung angenommenen Thesen ihren Niederschlag. Die These von der Unterbrechung der Schwangerschaft aus sozialen Gründen wurde mit einem Stimmenverhältnis von 3: 2 angenommen.

In erster Linie waren es auch Aerzte, die die Unfruchtbar machung aus sozialen Motiven ablehnten. Besonders galt das für den Münchener Prof. Dr. med. Rüdin, der auf Grund eines umfangreichen psychiatrischen Materials sich für die Un­fruchtbarmachung und Schwangerschaftsunterbrechung aus euge= nischen Gründen aussprach. Den Rednern, die im Interesse der Bermehrung des deutschen Volkes die Schwangerschaftsunterbrechung und die Sterilisierung aus sozialen Gründen ganz ablehnten, traten mit großer Entschiedenheit Frau Henriette Fürth und Stadt­

Hier zeigte sich der in der deutschen Landesgruppe der JKV. bestehende Riß; zwei auseinanderstrebende Teile werden hier fünstlich zusammengehalten: Der eine Teil steht zu den besten Traditionen der JKV. und ihres Begründers Prof. Liszt ; der andere entwickelt sich immer mehr nach rechts. L. R.

Hofsängertum unserer Zeit

Von Anneliese Hewig

Als das Radio erfunden war und sich zu verbreiten begann, hörte man oft zur Begründung dessen, wie herrlich weit wir es ge­bracht haben, den Ausspruch: Jetzt wird gute, hochwertige Mufit, von ersten Künstlern vorgetragen, bis ins ärmste Haus dringen; die Zeit des unvollkommenen Kunstgenusses wird vorbei sein. Diese Prophezeiung scheint in vieler Hinsicht erfüllt. Es gibt billige Radioapparate; ein tüchtiger Arbeiter kann sich selbst einen her­stellen; die Gebühren erläßt man den Erwerbslosen weitgehend; selbst bis in die ärmsten Häuser hat sich das Radio einen Weg ge­bahnt; und das ohrenbetäubende Geklimper klavierübender höherer Töchter" erflingt immer seltener.

In dieser Zeit der technischen Hochkonjunktur nun, da greift eine Sache immer mehr um sich, die ans Mittelalter gemahnt: das Hoffängertum. Menschen, die aus bitterster Not feinen Aus­weg mehr wissen, gehen mit Mandolinen, Gitarren, Harfen, Lauten, Drehorgeln, ja auch ohne Instrumente von Hof zu Hof und singen wie die Bänkelsänger früherer Jahrhunderte. Die alten Bänkel­fänger hatten einen Sinn; sie wurden mit Freuden empfangen; brachten sie doch Sensation, Erlebnis, Neuigkeiten in den kleinsten, entlegensten Dorfwinkel. Sie boten Genuß; man zahlte ihnen gern feinen Groschen. Sie erfüllten all das, was heute Zeitungen, Kino, Radio, Bibliotheken zusammengenommen tun, im guten wie im schlechten Sinne.

Bor 40, 50 Jahren, ja noch vor 20 Jahren war der Orgel­mann" ein Erlebnis, eine Abwechslung, zum mindesten für die Kinder, wenn er auch längst nicht mehr die Bedeutung hatte wie die Moritatenfänger der alten Zeit. Aber er war auch schon ein rechtes Bild der Not und des Elends: meist ein alter, schwacher Mann, einarmig oft oder blind, ein Opfer des siebziger Krieges, für das der durch Frankreichs Tributzahlung reich gewordene Staat nicht oder nicht auskömmlich sorgte, oder ein Opfer eines Betriebs­unfalls, für den der kapitalistische Unternehmer die Verantwortung ablehnte. Wie ist es mit den Hoffängern der Jeztzeit? Es find vielfach junge Menschen beiderlei Geschlechts, die arbeiten können und arbeiten möchten, die ohne Freude, die in letzter Berzweiflung diesem seltsamen Erwerb nachgehen, weil alles andere vergebens war. Wie seltsam mutet es an, das Hoffängertum des 20. Jahr­hunderts! Wie ein hohn auf die Zeit des Radios, der Technik, der Maschine, des Kinos, der Zeitungen.

Ich wohne im dritten Stockwerf eines Miethauses im Berliner Norden; mein Fenster mündet auf einen von vier großen Häusern begrenzten Hof. Die Bewohner find nüchterne, praktische, auf die Gegenwart eingestellte Großstadtmenschen, vielfach erwerbslos, furz: ein Milieu, in das verlogene Romantik und Sentimentalität nicht zu passen scheint. Da ertönt Musik auf dem Hof; und wieder, mie so oft, erklingt das Lied von der Rasenbank am Elterngrab". Der Sänger, ein junger Mensch, trägt das Lied mit sehr ernstem Gesicht langsam und rührselig vor. Kaum aber hat er den Hof ver­lassen, so erscheint ein junges Mädchen. Sie spielt mit guter Technik auf ihrer Gitarre; ihre Stimme ist schreiend und häßlich. Sie ver­sucht sich an leichteren Volksliedern. 3wei junge Männer, die als nächste kommen, singen zweistimmig ein Lied, das an Sentimen­talität auch die ,, Rasenbank am Elterngrab" noch in den Schatten stellt: Eine Mutter weint am Grabe ihres Kindes: Die fühle E- erde, sie hat kein Herz, fie fühlet ni- icht der Mutter Schmerz." Hier, im Norden Berlins , spielen sie schmalzige, sentimentale Lieder von Dorf, Heimat, Elternliebe, Rückkehr ins Vaterhaus, ver­logenes, kitschiges Zeug durchweg. Im vornehmen Westen freilich find Kriegslieder einträglicher. Da gibt die ,, Gnädige" gern einen Sechser, wenn die ,, Wacht am Rhein" erklingt, um die ,, vater­ländische Gesinnung, die im Volk leider so selten geworden ist", zu unterstützen.

Auf einen jungen Menschen kann ich mich besinnen, der in der Stadtbahn sang, ein frischer, intelligent aussehender Junge. Er mochte ein tüchtiger Metallarbeiter gewesen sein und war wohl sicher politisch organisiert. Als er die Gitarre ergriff, stand auf seinem Gesicht zu lesen: Denkt ja nicht, daß ich den Kram ernst nehme; wenn die Not nicht wäre..." Er bemühte sich auch gar nicht, etwas Neues, Unbekanntes, etwas Rührendes vorzutragen. Er sang schnell und ausdrudslos Der Mai ist gefommen", ohne Vortrag,

ohne innere Anteilnahme. Ich glaube, er wollte alle mitfühlen lassen, wie sinnlos eine Gesellschaftsordnung ist, die einem jungen, gefunden, kräftigen Menschen keine andere Erwerbsmöglichkeit gibt. Er sagte: Da der Staat keine Arbeit für uns hat, sehen wir uns leider gezwungen, auf diese Weise unser Brot zu erwerben." Als der Zug hielt, brach er seinen Gesang mitten im Vers ab und ging in das nächste Abteil. Vielleicht hätte er lieber gesungen: ,, Wacht auf, Verdammte dieser Erde, die stets man noch zum Hungern zwingt." So aber sang er tonlos und gleichgültig ,, Der Mai ist gekommen" und brach mitten im Vers ab...

Wer mohl die Anflage gefühlt hat, die darin lag? Die gleiche Anklage, die ungewollt und unbewußt von jedem jungen Menschen ausgeht, der arbeiten möchte und nicht arbeiten darf...?

Wohin treibt Deutschland ?

Leopold Dingräve, ein Mitglied des Tat"- Kreises, stellt sich diese Frage in einer unlängst erschienenen Schrift( Verlag Eugen Diederichs , Jena ). Wer von uns hätte sich diese Frage noch nicht gestellt? Deutschlands soziales Gesicht hat sich allen sichtbar seit dem 14. September 1930 völlig verändert. Angestellte, Hand­werfer, Bauern, Mittelständler sind in einem Maße in Bewegung geraten, daß eine völlige soziale und ökonomische Neuordnung Deutschlands zu einer Frage der nächsten Zukunft wird. Dingräve versucht in einem knappen Rückblick auf die deutsche Nachkriegs­geschichte die Linien der kommenden Entwicklung abzugrenzen. Biele und entscheidende Zusammenhänge sind richtig gesehen. Man wird gut tun, sich mit der Schrift Dingräves ernst auseinander­zusetzen, wenn man auch die Vorstellung der Dritten Front" und die Möglichkeit für eine kleine Gruppe, den Einsatz künftiger Ge­staltung deutscher Geschichte zu formen, nicht teilt. Dingräves Arbeit ist vor den letzten Reichstagswahlen erschienen; man muß das ausdrücklich betonen, um die Feststellung, daß die seitherige innenpolitische Entwicklung im wesentlichen richtig vorausgesehen wurde, entsprechend zu würdigen. Die kapitalistische Rest gruppe von Großgrundbesig und Großindustrie hat sich auf dem Rücken der nationalsozialistischen Bewegung( wie es ja auch Herr Goebbels ,, treuherzig" bestätigt) der Staatsführung bemächtigt; sie benutzt die Gegensäge zwischen Zentrum, Nationalsozialisten und Sozial­demokratie zur vorläufigen Aufrechterhaltung ihrer Macht.

Auffallend ist die Beurteilung, die Dingräve der Reichs= mehr zuteil werden läßt. Es scheint, als ob neuerdings die Tuch­fühlung des Tat"-Kreises mit Reichswehrkreisen besonders eng ist; inzwischen hat der Tat"-Kreis ja auch mit der Täglichen Rund­schau" eine Tageszeitung zu seiner Plattform gemacht, und da be­fanntlich Tageszeitungen Geld fosten, ist die Frage nach dem Woher der Mittel nicht uninteressant. Die Reichswehr wird ausdrücklich nicht zur kapitalistischen Restgruppe gerechnet. Die Reichswehr , so wird ausdrücklich gesagt ,,, baute an einem geistig und praktisch geordneten Bezirt, während die übrigen Bezirke des nationalen Lebens ohne Ausbau blieben... Nicht nur von dem Offizier in leitender Stellung, auch von dem durchschnittlichen Reichswehr­offizier wird eine so exakte Bemühung um die verschiedensten Ge­biete, auch die nichtmilitärischen, eine solche Totalität(!) der Bil­dung verlangt, daß diese Schicht von Menschen nicht für Zwecke, die ihnen wesensfremd sind ,,, benutzbar" erscheint". Dingräve macht sich ausdrücklich zum Interpreten sozialer Neigungen der Reichs­mehr. Da taum anzunehmen ist, daß die Sympathie nur einseitig ist, wird man politisch folgern dürfen, daß sich die geistige Leitung der Reichswehr einen Anschluß an eine etwaige soziale Umgruppie­rung offen halten möchte.

Dingräve sieht die kommende Entwicklung in Richtung auf eine antikapitalistische Volksgemeinschaft. Sehr gut. Nur wird ent­scheidend sein, wem es gelingt, die antikapitalistischen Massen­ftimmungen auf sich zu vereinigen. Daß wir hier anderer Meinung find als Dingräve, ist nur selbstverständlich. Je fruchtbarer und tief= greifender die Erneuerung des marristischen Sozialismus vorges trieben wird, um so eindeutiger gehört die Zukunft der deutschen Sozialdemokratie. J. P. M.