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Morgenausgabe

Nr. 449

A 219

49. Jahrgang

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Teils

Vorwärts

Berliner Bolksblatt

Freitag

23 September 1932 Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Hentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlan

Redaktion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Fernspr.: Dönhoff( A 7) 292-297. Telegramm- Adr.: Sozialdemokrat Berlin .

Vorwärts- Verlag G. m. b. H.

Kämpfe gegen Lohnabbau.

Entschlossene und erfolgreiche Abwehr.

Die auf Grund der Papen - Notverordnung vom 5. September| ausgebrochene Lohnabbaufeuche ist jetzt in Berlin nicht mehr auf die Metallindustrie beschränkt, sondern hat auch schon auf andere Industrien übergegriffen. Sie wird aber überall von der Arbeiter­schaft mit Erfolg bekämpft. Die Kunststeinwerke Gebr. Friesede in der Chauffeestraße hatten am Mittwoch einen Anschlag herausgebracht, in dem sie ab Donnerstag auf Grund der Notverordnung einen Abbau der Tariflöhne für die 31. bis 40. Wochenarbeitsstunde um 20 Pro 3. ankündigten, mit der Be­gründung, fie hätten gegenüber dem Durchschnitt der Monate Juni, Juli und August über 25 Pro3. neue Arbeiter eingestellt.

Die Belegschaft nahm gestern die Arbeit einfach nicht wieder auf.

Ihrem Verlangen, den Anschlag wieder zurückzuziehen, kam darauf die Firma schließlich nach, so daß bereits am Donnerstag von der Nachmittagsschicht die Arbeit wieder aufge­

nommen wurde.

Abbau der Tariflöhne für 10 Arbeitsstunden um 40 Pro3. verlangt, weil sie im Durchschnitt der letzten drei Monate angeblich 23,5 Proz. neue Arbeiter eingestellt hat. Die Belegschaft ist fest entfchloffen, sich dieses Cohnabbaudiktat nicht gefallen zu lassen und wird eine Streitabstimmung durchführen.

Bostschecktonto: Berlin 37 536.- Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten, Lindenstr. 3. Dt. B. u. Disc.- Ges., Depofitent., Jerufalemer Str. 65/66.

Landtag mit Unterbrechungen.

Der vernebelte Kotau der Nationalsozialisten.

Am Donnerstag haben die Nazis im Preußischen Land­tag ihren Kotau por Papen Bracht , den sie tags vorher versprochen hatten, pünktlich ausgeführt. Sie

haben Pfötchen gegeben und durch Annahme eines Antrags, der die Beamten zum Gehorsam gegen die kommissarische Re­gierung verpflichtet, solange diese sich in den Grenzen der Verfassung hält, ihren gemeinsam mit den Kommunisten ge­faßten früheren Beschluß aufgehoben, der die Beamten zum Ungehorsam gegen Papen- Bracht aufforderte.

Wenn die Nazis feige zu Kreuze friechen, so geschieht das natürlich nicht, ohne daß durch fürchterlichen Theaterdonner bei ihren Anhängern der Glaube er­wedt wird, man habe einen siegreichen Heldenkampf geliefert. Dreimal mußte der Nazipräsident Kerrl die Sigung aufheben, weil seine eigene Fraktion gegnerischen Red­nern durch systematischen Lärm das Reden unmöglich machte. zweimal war der Deutschnationale Steuer das Die Parteilichkeit des Präsidenten Kerri nahm dabei Dimen Opfer, das dritte Mal der Staatsparteiler Nuschke.

Bei der Metallfirma Walter Callmann in der Greifs- standskraft der Hilfsarbeiter zu erproben. Die Cöhne follten ab fionen an, die jedem die Schamröte ins Gesicht treiben walder Straße wurde von der Betriebsleitung an die Belegschaft

das gleiche Anfinnen gerichtet: 20 Pro3. Cohnabbau für zehn Arbeitsffunden wegen angeblicher Einstellung von mehr als 10 Pro3. neuer Arbeiter. Die Belegschaft beantwortete die Forderung am Mittwoch mit der Arbeitsniederlegung, worauf die Firma am Donnerstag ihr

Lohnabbaudekret zurückzog und die Belegschaft die Arbeit wieder aufnahm.

In der Metallwarenfabrik Emmrich u. Schöning in der Prinzenstraße bedurfte es gar nicht der Arbeitseinstellung, um einen von der Firma auf Grund der Notverordnung verlangten, aber nicht präzisierten Lohnabbau zu verhindern. Die Belegschaft, die refflos im Deutschen Metallarbeiterverband organisiert ist, hat die Firmen­leitung nicht im Zweifel darüber gelaffen, daß sie jeden Verfuch, die Tariflöhne auch nur für eine Arbeitsstunde zu fürzen, mit der Arbeitseinstellung quiltieren würde. Durch die Vermitt­lung eines Bertreters des Metallarbeiterverbandes gelang es, die Firma zur Preisgabe ihrer Forderung zu bewegen.

In der Spinnstoffabrik Zehlendorf , die 545 Arbeiter und Arbeiterinnen beschäftigt, wird von der Firmenleitung ein

Kerri läuft zu Papen .

Man will sich wieder vertragen... Die Dortmunder Tremonia", das Zentrumsorgan, berichtet, daß die Nationalsozialisten wieder an das 3entrum herangetreten sind, um über die Wahl eines Ministerpräsidenten in Preußen zu verhandeln. Der Plan der Nationalsozialisten jei jeßt, Hitler zum preußi­schen Ministerpräsidenten wählen zu lassen.

Weiter meldet die Tremonia":

Ein Streif in der Buchdruckerei Otto Elsner, bei dem zunächst nur das Buchdruckereihilfsperional be­teiligt ist, droht den gesamten Betrieb mit einer Belegschaft von 800 Personen zum Stillstand zu bringen. Der Streif hat seine 800 Personen zum Stillstand zu bringen. Der Streit hat seine Ursache in einem verbindlichen Schiedsspruch, der den Reichstarif­vertrag der graphischen Hilfsarbeiter wohl bestehen läßt, aber die Löhne um 4,76 bis 11,62 Pro3. abbaut. Dieser Schiedsspruch wurde gefällt, nachdem die Vertreter der graphischen Hilfsarbeiter unter profeft das Schiedsgericht verlassen hatten, so daß der Schlichter offenbar von den Unternehmern vorgeschoben, den ersten Verfuch Dr. Kimmich andere Bertreter ernannte. Die Firma Elsner war mit der Durchführung des Lohnabbaus zu machen, um die Wider­heute um zwei Mark gekürzt werden. Die Forderung des Personals mußten, der von einem Parlamentspräsidenten auch nur den an die Firma, die Ankündigung des Lohnabzuges zurückzu- Schein einer unparteilichen Geschäftsführung erwartet. ziehen, lehnte die Firma ab. Hierauf trat das Hilfspersonal gestern Reinem seiner randalierenden Parteifreunde frümmte Kerrl nachmittag geschloffen in den Abwehrstreit. Der gesamte ein Haar. Als aber der Staatsparteiler Nuschke, der vor= maschinelle Betrieb der Firma liegt infolgedessen ftill. Wegen eines her von dem Fraktionsführer der Nazis, Herrn Kube, als Falles von Streifbruch ist die Abteilung Chemigraphie eben- Filslaus im Hause Mosse " bezeichnet worden war, seine falls stillgelegt. Auch die Abteilung Buchbinderei ruhte vor- Entgegnung mit den Worten begann: Ich beabsichtige nicht, übergehend. Bei einsetzenden Maßregelungen besteht die Gefahr, daß der Gesamtbetrieb zum Stillstand kommt. Die Leitung der auf das Niveau des Abgeordneten Kube herabzusteigen", da Uttion befindet sich fest in Händen der freigewerkschaftlichen Betriebs- genügte diese Selbstverteidigung Herrn Kerrl , der das infame ohne funktionäre. Bisher streifen etwa 150 Arbeiter und Arbeiterinnen. Schimpfwort Kubes ungeahndet gelassen hatte, um vorausgegangenen Ordnungsruf- Nuschke furzer Der Streif im Gußstahlwerk Wittmann hand von der Sigung auszuschließen. in Hagen - Hafpe,

über den wir gestern furz berichteten, ift erfolgreich be­en det. Die Wertleitung hat die Ankündigung einer Cohnkürzung, die auf Grund der Notverordnung in Verbindung mit Neuein­stellungen erfolgen follte, zurüdgezogen. Die Kündigung der 400 ausftändigen Arbeiter wurde zurückgenommen, so daß die Belegschaft gestern nachmittag wieder die Arbeit aufnahm.

tags, drei amtliche Stenographen, der Reichstagspräfident selbst und ein Schriftleiter des Lotal- Anzeigers" als Zeugen vernommen. Da­bei stellte sich bald heraus, daß über die sekundenschnell sich ab­widelnden Vorgänge ein genaues Bild nicht mehr hergestellt werden kann, auch nicht mit Hilfe der Schallplatten. Ein Schrift führer sagte aus, der Kanzler habe sich vor dem Beginn der Ab­ſtimmung zum Wort gemeldet, zwei befundeten, es sei erst nachher geschehen und dies behauptet auch der Reichstagspräsident selbst. Der Direktor des Stenographischen Büros hat die Wahrnehmung ge­macht, daß Wortmeldung und Abstimmungsbeginn gleichzeitig erfolgte, die Schallplatte gibt den Riesenradau wieder, den die Flügelparteien gänge, die sich zum Teil als Gesten Handaufheben, Hinlegen der Auflösungsurkunde vollzogen.

Inzwischen hat der preußische Landtagspräsident Kerri, wie erst veranstalteten, aber nichts Wesentliches zur Ermittlung der Bor­

jetzt bekannt wird, im Laufe des Dienstags den Reichs­fanzler von Papen aufgesucht, um nochmals mit diesem eine Rücksprache wegen der Berhältnisse in Preußen zu führen. Wie wir zuverlässig erfahren,

foll der Reichskanzler dem Präsidenten Herrl nahegelegt haben, mit der Erledigung all dieser Dinge zu warten bis nach den Reichstagswahlen. Es werde sich dann sicherlich schon ein Weg der Berständigung zwischen Reichsregierung und Nationalsozialistischer Partei finden laffen.

Der Landtagspräsident hat sich aber offenbar mit dieser mündlichen Zusicherung des Reichskanzlers von Papen nicht begnügen wollen, sondern sich eine schriftliche Bestätigung erbeten, die aber vom Reichskanzler von Papen verweigert worden ist. Wie die Dinge im Augenblick stehen, ist zu erwarten, daß es in Bälde zu einem Ausgleich der Gegenfäße zwischen Reich und der Bolfsver tretung in Preußen kommt."

Nachdem die Nazis sich zum Kotau entschlossen hatten, ist Herr Kerrl sofort zu Papen gelaufen, um politische Ge­schäfte zu machen. Man ist auf dem besten Wege, sich wieder mit den ,, feinen Leuten" zu vertragen, und die feinen Leute" find wieder gnädiger gestimmt.

Die Vorgänge im Reichstag.

Vor dem Untersuchungsausschuß.

Der Ausschuß zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung, der sich als Untersuchungsausschuß fonftituiert hat, segte gestern nach mittag die Bernehmungen fort, über die wir bereits im Abendblatt berichteten. Es wurden drei amtierende Schriftführer des Reichs­

stellen:

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Als Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme fann man feft­1. Der Reichskanzler hatte sich verspätet zum Wort gemeldet. 2. Die Auflösung hat trotzdem im Augenblick der Uebergabe

formale Rechtswirksamkeit.

3. Deshalb find die inzwischen vollzogenen Abstimmungsergeb. niffe zwar politisch wichtig, aber formell unwirksam. 4. Daß die Auflösung selbst dem Geist und Sinn der Verfassung nicht entspricht, hat der Ausschuß in einer Entschließung mit allen gegen zwei Stimmen festgestellt.

An diesen Ergebnissen wird auch durch weitere Vernehmungen, die für Dienstag, 15 Uhr, geplant sind, nichts mehr geändert werden. Die Ladung der weiteren Zeugen, darunter des Reichskanzlers, des Reichsaußenministers, des Reichsinnenministers und des Staats­sekretärs der Reichskanzlei, sollen nunmehr in der von der Straf­prozeßordnung vorgeschriebenen Form erfolgen. Gesetzlich sind die so Geladenen zum Erscheinen verpflichtet und sie würden sich beim Ausbleiben zweifellos eines Verstoßes gegen Verfassung und Gesetze schuldig machen auch wenn eine weitere Aufklärung des Tat bestandes durch die Vernehmung nicht mehr zu erwarten ist. Politische Bedeutung hat also diese Vernehmung nicht mehr.

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Das find die Aufrechten". Das preußische Ministerium des Innern hat dem deutschnationalen Rechtsanwalt Dr. Everling auf Anfrage mitgeteilt, daß einer Wiederaufnahme der Tätigkeit des Bundes der Aufrechten" nichts im Wege ſtehe. Der Bund der Aufrechten " ist im Juli 1922 in Preußen verboten worden, er hat die Aufgabe, die monarchisch gesinnten Kreise zu sammeln. Das find die Aufrechten", die es gar nicht erwarten tönnen, bis sie wieder vor einem Kaiser fazbudeln können. Viel Vergnügen.

Schon vorher hatte das Verhalten Kerrls die sozialdemo­fratische Fraktion veranlaßt, Unterbrechung der Sigung und Einberufung des Aeltestenrats zu verlangen. Mit Fug und Recht geißelte Genosse Leinert den ungeheuerlichen Standal, daß dreimal am gleichen Tage der Präsident des Hauses von seiner eigenen Fraktion zur Aufhebung der Sitzung veranlaßt worden war. Allerdings habe der Präsident von seinen um­fangreichen Machtmitteln teinerlei Gebrauch gemacht, sondern befriedigt lächelnd zugesehen, daß seine Fraktion so etwas fertigbekomme. In der dann anschließenden Sizung des Aeltestenrats gab der Präsident nur unverbindliche Erklärun­gen ab. Er brüstete sich einmal wieder mit seiner ,, Unpartei­lichkeit". Wie er sie gemeint hatte, das bewies gleich darauf der Ausschluß des Abg. Nuschke.

Aber all dies lärmende Theater kann doch nicht die Tat­sache aus der Welt schaffen, daß die Nationalsozialisten am Schluß der Sitzung die bittere Pille gehorsam fchludten und ihren Unterwerfungsantrag zur Annahme brachten. Die Sozialdemokratie beteiligte sich an dieser Ab­ftimmung nicht. Sie hatte den früheren Beschluß der Nazi­Rozi- Koalition, der die Beamten zur Gehorsamsverweigerung aufforderte, nicht mit gefaßt. Sie hatte nunmehr aber gar feine Ursache, den Urhebern wieder von ihrem eigenen Be schluß herunterzuhelfen. Es wäre der Sozialdemokratie auch gleichgültig gewesen, wenn eine Beschlußunfähigkeit ent­standen wäre. Aber hier sprang noch das Zentrum für die Nazis ein, indem es Enthaltungsstimmzettel abgab, die die Beschlußfähigkeit sicherten. Der deutschnationale Antrag, der unbedingten Gehorsam der Beamten fordert, war vorher gegen die Antragsteller abgelehnt worden, die Sozialdemo fratie hatte auch hier nicht mitgestimmt.

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Der Mittwoch und Donnerstag werden schwarze Tage in der Geschichte des Nationalsozialis= mus bleiben. Der Lärm, den sie in der Sizung verursacht haben, ist rasch verhallt. Die Tatsache ihrer Unterwerfung unter Papen Bracht bleibt als Dauerergebnis be­stehen, und viele Anzeichen sprechen dafür, daß es bei diesem ersten Schritt nicht bleiben wird. Vielleicht aber ist auch diese Unterwerfung der erste Schritt zur Verbrüderung. Man mag gegen den Deutschnationalen Steuer, den jungen Mann Hugenbergs, allerhand einzuwenden haben. In einem hatte er doch recht: Herr Rube, der jetzt so wortgewaltig gegen Aristokratie und Reaktion schmettert, hat als Sekretär des konservativen Führers von Heydebrand der Aristokratie und der Reaktion treu gedient, er hat das altpreußische Drei­flaffenwahlrecht und das Herrenhaus bis zum letzten ver= teidigt, der Wegdahin zurück ist für Kubenicht schwer!