- 4» Jahrgang s!» Jrcifns, 2S.©epfemS« 1932
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„Das wirst du. Es gibt Dümmere und Gefühlsärmere als dich, mein niedlicher Junge. Auch sonst— in anderen Dingen— hast du die Augen noch zu wie'n neugebore- ner Säugling, aber ich werde dich schon sehen lehren." Er küßt sie in den Nacken und hal eine kindische Freude an seinem beginnenden Erzieherwerk. „Oh Martin!" Gilgi hebt einen Cervantes in Originalsprache vom Teppich aus—„du sprichst Spanisch, Martin? Wundervoll. Das Buch werden wir zusammen lesen, das ist eine gute Uebung für mich, wo ich doch spanisch lerne, um später einmal.. Gilgi wacht am nächsten Morgen mit dem Gefühl auf, daß ungeheuer Einschneidendes und Wichtiges passiert ist. Neben ihr liegt Martin. Jeden Morgen, wenn sie aufwacht, wird Martin neben ihr liegen. Der ruhige Schlaf nebeneinander, nicht mehr von Angst und Aufregung durchsetzt, wird das fadendünne Zufallsband zwischen ihnen stärker und fester werden lassen. Sie knipst das Licht an, sieht auf den Wecker: nein, vor einer halben Stunde braucht sie nicht aufzustehen.--- Hübsch ist das, so still nebeneinander zu liegen. Man denkt und spricht sich nicht auseinander, man atmet sich zusammen. Man ist sehr vereint, sehr zueinander gehörig in dieser unwachen, leise durchatmeten Stille. Sein Gesicht ist dicht neben ihrer Schulter, das Kinn ist schon wieder ganz rauh. Sie legt ihm die Hand auf die Brust und beobachtet lief zufrieden, wie sie sich leise hebt und senkt. Vorsichtig tastet sie über seinen Schenkel: da ist die Narbe von dem Krokodil, das ihn gebissen hat. Es hat fast etwas Erhebendes, neben einem Mann zu liegen, der in Columbien von einem Krokodil gebissen wurde. Wenn es ihn ganz aufgefressen hätte? Entsetzlich. Man muß dem Krokodil noch dankbar sein für seine Genügsamkeit. Ach wie gut, daß er lebt. Und mir gehört. Ein richtiger leben- diger Mensch gehört mir. Tuck— tuck— tuck, an Schläfen und Hals kann man den Pulsschlag fühlen— mir gehört ein leben- diger Mensch. Ich werde ihn behalten, ich will, daß ich ihn behalte... Bummm— bummm— bumm— was ist das?„Martin!"— sie rüttelt an seiner Schulter—„Martin! Es hat geklopft, Martin!"—„Herein!" ruft Martin, wie einer, für den Klopfen unter allen Umstän- den ein Problem ist, das man mit„Herein" » restlos löst Die Tür öffnet sich: ein be- häbiges weibliches Wesen erscheint mit einem Tablett:„Isch hau als immer de Kaffe..." Das Wesen bemerkt Gilgi. Beide betrachten sich mit leichtem Staunen. Marlin entschließt sich zum Halbwachwerden:„Lassen Sie das Tablett nicht fallen, Frau Boß— und— wenn Sie so gut sein wollen— noch eine Tasse für die Dame!" „Morgen, mein Gilgichen. Was denn? Wer die Frau ist? Die kommt ein übern andern Tag zum Reinemachen und läßt sich dann aus dunklen Gründen nicht davon ab- bringen, mich zu nachtschlafender Zell mit dem Kaffee zu wecken. Wie? Daß sie dich gesehen hat? Warum soll die gute Frau dich denn nicht sehen? Solange du nicht bei ihrem Mann im Bett—" Frau Boß steht in der Küche, dreht ein zartes, zerbrechliches Täßchen in den braven, rauhroten Fingern und überlegt, wozu sie sich entschließen soll: empört zu sein oder tolerant:„Js alles menschlich", sagt sie laut in ihre Ueberlegungen hinein. Sie spricht mit Leidenschaft„sch" aus— inan hat da den Mund so schön voll—„is alles menschlich". Diesmal bekennt sie sich nicht nur zum phonetischen Reiz, sondern auch zum Inhalt des Satzes. Man muß nicht so sein, is alles menschlich. So kann es vorkomme», daß die ethische Entschlußkraft durch Vorliebe für Zischlaute beeinflußt wird. „Sie sind so verändert, Krön", sagt die kleine Behrend auf dem Büro. Merkt die das auch schon? Gilgi läßt die Taften fliegen. Es ist wohl nichts Neues, daß eine vor lauter Liebe ganz anders wird. Schlimm ist nur, daß man zur einen Hälfte verändert ist, zur anderen nicht, und jetzt besteht man aus zwei Hälften, die ganz und gar nicht zu- sammen passen, immer im Streit miteinander liegen, und keine will um Haaresbreite nach- geben. Alles ist gut, dachte man, als man zu Martin zog. Nichts ist gut. Vielleicht will man zuviel. Man will sein ganzes bisheriges Leben behalten, mit seiner Freude am Weilerkommen, seiner gut geölten Arbeits- Methode, mit seiner harten Zeiteinteilung, seinem prachtvoll funktionierenden System.
Und man will noch ein anderes Leben dazu, ein Leben mit Martin, ein weiches, zer- flossenes, bedenkenloses Leben. Und das erste Leben will man nicht, das zweite kann man nicht aufgeben. Tick— tick— tick— und jetzt muß man schon wieder radieren, das wird dann so ein ekelhafter Fleck auf dem Durchschlag. Ja, und da dachte man, was für ein wunderbares, tüchtiges Mädchen man wäre, und jetzt findet man sich keine drei Groschen wert. Und wer weiß, ob's dem Marlin nicht morgen oder übermorgen ein- fällt, daß ein Mädel wie die Olga viel besser zu ihm paßt. Und man bekommt die Ge- danken gar nicht mehr richtig zusammen für die Arbeit. Muß denken, was tut er jetzt, was wird er gleich tun, vor neun Uhr abends
„Sie, Herr! Sie sind ein Gauner— ein Betrüger!" Diese höfliche Anrede galt dem all- mächtigen Chef der Weltfirma S. Kuhnert u. Co. Jeder Situation im Leben gewachsen, stand er dieser völlig hilflos gegenüber. Dieser fremde Eindringling hatte ihn einfach überrumpelt und überhäufte ihn nun mit den ausgesuchtesten Be- lcidigungen:„Was fällt Ihnen denn ein, Sie ganz gemeines Aas, Leute wie mich zu nasführen?! Gibt Ihnen Ihre kapitalistische Stellung in dieser Welt das Recht, Ihrer Frau falschen Schmuck um den Hals zu hängen?! Das ist eine Niedertracht sondergleichen! Das ist offensichtlicher Betrug! Nicht ich— sondern S i e gehören ins Gefängnis! Das ist Vorspiegelung falscher Tatsachen— nämlich jener Tatsache, daß Sie keineswegs über diesen Reichtum verfügen, den Sie der Welt vortäuschen. Diese falschen Perlen"— damit warf er respekt- los ein Päckchen auf den Schreibtisch, ein unan- sehnliches Päckchen, nach dem Herr Kuhnert instinktiv schnell griff, um es zu öffnen, Tatsächlich, es war das Perlenhalsband feiner Frau, das er ihr zum letzten Geburtstag geschenkt hotte. Ueberall, wo sie es trug, hatte es solches Aufsehen erregt, bis es vor zwei Tagen vom fleischigen Halse der Frau Generaldirektor ver- schwunden war. Diebstahl oder Verlust— darüber war man sich bisher noch nicht klar. Jetzt... Der Fremde schimpfte empört weiter: „Diese falschen Perlen sind für mich der unleug- bare Beweis, daß alles, wie Sie sind und haben, bloßer Schein ist. Mit diesem Scheine eröffnen Sie sich Beziehungen und Kredite. Totsache aber ist, daß Sie— bankrott sind!" Herr Kuhnert kauerte wie ein Häufchen Elend in seinem dickgepolsterten Generaldirektorensessel. Glasig starrten seine Augen nach dem Manne, der mit geradezu unheimlich nachtwandlerischer Sicher- heit Dinge ihm ins Gesicht geschleudert hatte, die im Grunde nur leider allzu wahr waren. Freilich, was das Halsband betraf, so hielt es selbst seine Frau für echt, und was seinen Bankrott anging, so konnte er ihm gerade noch so lange entgehen, als man ihm im guten Glauben an fein sicheres Unternehmen noch Kredite gewährte. Was aber wollte der Fremde von ihm— dieser Dieb, der überdies noch die Dreistigkeit hatte, sich über die Wertlosigkeit der Beute zu beschweren. „Ach so," folgte Kuhnert einem plötzlichen Ein- fall,„Sie drohen mir mit Enthüllungen, Sie wollen sich schadlos halten, indem Sie mich jetzt erpressen... es liegt Ihnen dabei gar nichts daran, als Dieb von der Polizei gefaßt zu werden." � „Nicht im geringsten," war die prompte Ant- wort,„und im übrigen werden Sie sich hüten, mich des Diebstahls zu bezichtigen." Kuhnert konnte diesen Faustschlag nicht parieren. Er fühlte sich vollständig in der Hand dieses einen Menschen, dem es sichtlich Spaß bereitete, den Schicksalslenker zu spielen. Plötzl-ch standen vor Kuhnerts Augen deutlich sichtbar der Skandal und dessen Folgen. Spott, Hohn, Rück- zug aller ihm wichtigen Persönlichkeiten, Miß- trauen der Geschäftsfreunde gegen feine Kredit- Würdigkeit— und erst seine Frau! Wenn sie ei fährt, daß dieses Halsband, ja nahezu ihr ganzer Schmuck, den er ihr in den letzten Jahren geschenkt hatte, talmi ist! Talmi seine Existenz, aller Glanz und Bombast, mit dem er sie und sein Leben umgab! Wenn dieser Schwindel auffliegt...! Unausdenkbar!! Noch dazu jetzt, wo die Verhand- lungen mit der Internationalen Kreditbank knapp vor dem Abschluß stehen! Also hieß es jetzt, diplo- matifch sein, den Mann mundtot zu machen— ganz einfach— Opfer zu bringen. „Sie wünschen Geld?"„Nein," lächelte der Fremde. Kuhnert, freudig überrascht, fragte mit verdoppelter Freundlichkeit:„Vielleicht eine Stelle in meinem Betrieb?" Der Fremde schlug eine helle Lache an. Also das auch nicht. Ja, was tonnte denn der Mann
seh' ich ihn nicht— noch viele Stunden sind's bis neun. Aber ich muß heute mal wieder zur Mittelstraße und was für mich arbeiten. Und wenn's dann soweit ist, geh' ich doch nicht.— Und heute morgen hat er mir so flüchtig Adieu gesagt und gestern abend... Meier u. Schröder sollen den Vertreter vor- beischicken— als ob das so wichtig wäre— und bitten wir Sie höflichst... Herr Reuter ist blaß und sorgenvoll, hat gar kein Interesse mehr für hübsche Mädels. „Das hätten Sie auf Postkarten schreiben sollen, Fräulein— kostet dann nur halbes Porto— wir müssen sparen." Sparen! Die dicke Müller mit ihrem sorg- fältig gepflegten Spürsinn erzählt von drei Wechseln, die zu Protest gegangen sind.„Und Großmann ist bankrott, da verlieren wir auch wieder Geld, und eine Pleite zieht die andere mit sich." Sie greift schwermütig nach ihrem Butterbrot, und man hat das Gefühl, sie ißt's nicht, sondern beerdigt es in ihrem Mund, immerhin mit gewissem Genuß. „Haben Sie schon gehört, Fräulein Krön, daß Höhne gekündigt ist?" fragt die stille Mendt in der Mittagspause. Höhne ist erster Buchhalter.„Ja, weil er doch so hohes Äe- halt hat, und Kaiser kriegt nur 180 und kann Höhnes Arbeit gut mitmachen."
noch wollen...?— Lange Pause. Dann nahm der Unbekannte unaufgefordert in einem Sessel Platz, schlug lässig die Beine übereinander und steckte sich eine Zigarre in den Mund, das vollendete Bild eines Mannes, der gewohnt ist, mit Leuten wie Kuhnert zu konferieren:„Herr Kuhnert, ich verlange nichts von Ihnen, im Gegen- teil, ich gebe Ihnen sogar noch etwas— nämlich einen wohlgemeinten Rat." Kuhnert dachte angesichts dieser Wendung un- willkürlich an einen spannenden Kriminalroman, der an Unwahrschcinlichkeit diese Situation bei weitem nicht übcrtrefsen konnte. „Ihr Rat," sragtc er freundlich sein Gegen- über. „Sagen Sic Konkurs an," war der gute Rat des Fremden,„läutern Sie ihr schwer belastetes Großkapitalistengewissen, lassen Sie von dem Schwindel ab, mit dem sich die Welt gegenseitig betrügt und ruiniert, und stürzen Sie sich nicht in neue Betrügereien, die Ihnen ja doch nur den Schlaf rauben und Sie dahin bringen, wohin Sie ja eigentlich schon längst gehörten, nämlich ins—" Kuhnert ließ ihn nicht ausreden. Er fürchtete sich vor diesem Wort, das ihm schon längst zur qualvollen Vision geworden war. Fassungslos, erregt schrie er sein tiesstes Gcschästsgeheimnis aus sich heraus:„Die Internationale Kreditbank ermöglicht es mir, wieder hochaktiv arbeiten zu können!" Der Fremde schüttelte ganz entschieden ver- neinend den Kopf. Dann begann er in völlig ver- ändertem Tone:„Ich muß Sie endlich über den
„Er hat doch drei Kinder, der Höhne?" „Tut ja dem Chef selber leid— aber was will er machen!" Und alle sind furchtbar rück- sichtsvoll zu Herrn Höhne. Wenn sie mit ihm sprechen, dann mit buttersanfter gesenkter Stimme wie zu einem Kranken, der nicht wissen soll, daß er unheilbar ist, der aber durch die aufdringlich zarte Behutsamkeit, mit der man ihn anfaßt, unfehlbar drauf kommen muß. Gilgi hat Herrn Höhne nie ausstehen können, weil er so'n blödsinniger Schlagwortemann ist: früher war's besser— unterm Kaiser — die neuen Zeiten— Fluch der Technik. Jetzt tut er ihr leid. Wird da aus dem Betrieb rausgewirbelt, wer weiß, wo er wieder Beschäftigung findet. Als Gilgi nachmittags aus dem Büro kommt, wird sie von der Täschler in Empfang genommen. Die hat mir gerade noch gefehlt. Schon einmal hat sie vorm Büro gewartet, herausspioniert hat sie, wo Gilgi arbeitet. Die ist der reinste Detektiv, wie aus einem Wallace-Roman entsprungen. Den Kopf mit einem abenteuerlichen Hut beladen, tippelt sie neben Gilgi her.„Habenfe wat erreicht?" „Nein." „Habense noch kein Ield?" „Nein." (Fortsetzung folgt.)
wahren Sachverhalt aufklären: Ich bin kein Dieb, ich arbeite im Erkundigungsdienst der Internatia- nalen Kreditbank. Meine Ausgabe war es, ein Bild über Ihre Kreditwürdigkeit zu gewinnen. Ich habe das Halsband Ihrer Frau nicht gestohlen, sondern sie hat es tatsächlich verloren— vor meinen Augen— und da kam mir die Idee, das sensationelle Schmuckstück auf seine Echtheit prüfen zu lassen und daraus meine Schlüsse. zu ziehen. Sie sehen, dies ist mir glänzend gelungen. Meine Ausgabe ist erfüllt." Damit erhob er sich rasch und ging zur Tür. Geistesgegenwärtig sprang Kuhnert aus und hielt ihn an der Tür fest:„Werden Sie mein Teil- haber!"— Wieder eine Pause eisigen Schweigens. In diesen Sekunden entschied sich das Schicksal der Firma Kuhnert.--- Vierzehn Tage später wurde der Kredit der Internationalen Kreditbank flüssig— in der nächsten Aussichtsratssitzung thronte an der Seite Kuhnerts der Fremde, der niemand anderes war als--- Hier bricht der Schriftsteller A. G. Lehmann, der diese Geschichte für ein Kriminalmagazin schrieb, ab. Die Pointe fehlt ihm, die Pointe, wer der Fremde in Wirklichkeit sei— vielleicht dach ein Dieb— ein Betrüger, der sich auf diese Weise ein Dircktorenpöstchen geschaffen hat.— Oder hat er sich bloß korrumpieren lassen? Da fällt es dem Schriftsteller erleuchtend ein, und er schreibt: ... als einer von den vielen Zeitgenossen, die um den Betrug der Großen wissen und gerne mittun, wenn sie sich für sich selbst Vorteil davon versprechen.
Hülhun Qurdus:
3)ie ffiriefe des leisieti SEaren
Die Leningrader und Moskauer Schlösser des letzten russischen Zaren könnten anregend wirken aus jeden Schriftsteller, der von schauerlichen Detektivgeschichten lebt. Unterirdische Gänge, in den Wänden geheimnisvolle Tresors, Tische und Schränke mit Geheimfächern. Die Zaren von Rußland scheinen vieles zum Verstecken gehabt zu haben! Seit fünfzehn Iahren herrschen die Sowjets in Rußland . Seit fünfzehn Jahren sind die Schlösser zu Arbeiterwohnungen und Kinder- asylen geworden und nur historisch wertvolle Teile der Gebäude hat man zu Museen gemacht. Seit fünfzehn Jahren also wird in den Geheimfächern nichts mehr versteckt, sondern nur nach wertvollem historischen Material gesucht und trotzdem ist noch nicht alles gesunde»! Die besondere Kommission, die zur Untersuchung der Schlösser ernannt worden ist, findet in versteckten Wandfächern und in den riesigen Archiven immer wieder Unbekann- tes und z. T. für die russische Geschichte sensationelles Material. Es gibt in Moskau ein„Rotes Archiv", das die Veröffent- lichung dieser gefundenen Dokumente übernommen hat. Jetzt erst ist es Historikern möglich, die Ge- schichte Rußlands unter der Herrschaft des Zaren- tum- so zu schildern, wie sie wirklich war. In den Dokumenten, die die Monarchen versteckten (und man kann es verstehen, daß es in ihrem Interesse war, vieles zu verstecken!), sieht man den Zarismus in all seiner Brutalität, sieht man die Organisation, die von der Dynastie zur Unter- drllckung des Volke- geschaffen wurde. Man sieht die Arbeit der„O ch r a n a", der Geheimpolizei des Zaren, die unter seiner persönlichen Leitung, natürlich hinter den Kulissen, stand. Durch die Dokumentensunde der letzten Jahre hat der Zaris- mus wahrhaftig vor der Weltgeschichte nichts ge- wonnen. Das monarchistische System zeigte sich im grellsten Licht: seine Freunde werden über viele Dokumentenfunde nicht wenig entsetzt ge- wejen sein.
Soeben kommt wieder die Meldung von neuen Dokumcntenfunden aus dem Privatarchiv de- Zaren. Es handelt sich um Prioatbriefe des Zaren Nikolai H. an seine Mutter Feodrowna, die bekanntlich dänische Prinzessin war. In diesen Privatbriefen ist der Zar so ossen und spricht so ungeschminkt, wie er es nie sonst in Briefen an seine Freunde tat. Der Zar vertrug sich sehr gut mit seiner Mutter und sie war in politischen An- gelegenheiten für ihn oft sehr ausschlaggebend. Er schrieb ihr über alles und nahm kein Blatt vor den Mund, denn wer dachte wohl damals im Haufe der Romanows , daß diese Briefe später von einem„Roten Archiv" dem ganzen russischen Volke unterbreitet werden würden! Die Freunde des russischen Zaren versuchten oft seine politischen Fehler mit seiner persönlichen Schwach- heit und Energielosigkeit zu entschuldigen. Es scheint aber, als ob der letzte Zar seine politischen Fehler ganz im Gegenteil in einem Uebermah an Energie beging oder richtiger: in einem Ueber- maß an Herrschsllchtigkeit. In einem Brief schreibt der Zar an seine Mutter voller Haß über die Duma(das russische Parlament) und erzählt, wie er in wenigen Minuten einen Minister abgesetzt habe, weil dieser im Parlament eine Rede ge- halten habe, die an einer Stelle und nur an einer Stelle dem Zaren nicht ganz gefallen habe. In beinahe jedem Brief bricht der Haß des Zaren gegen das Parlament aus. In einem Schreiben droht er, die Linksparteien zu züchtigen, weil sie bei dem Hoch auf das Herrscherhaus nicht mit einstimmten! Nur eine Macht gab es, vor der der Zar sich beugte: die Kirche. Er fürchtete sie und folgte jedem ihrer Befehle. Selbst als der Zar seinen Bruder verheiraten wollte, berief er erst den Kirchenrat zu sich, um zu hören, ob die Geistlichkeit mit der gewählten Braut ein- verstanden sei. Das„Jawort" der Kirche teilte er sofort seiner Mutter mit. Beschämend ist ein Brief des Zaren an feine Mutter, in dem der
Sriedr. XicMneker:*DilS*Pa*l6ilhälsbflil(l