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BERLIN Sonnabend 24. September

1932

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Der Abend

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Nr. 452

B 218 49. Jahrgang

Wohlfahrt für Unternehmer

Die neuen Unterstützungs- Einrichtungen

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,, Alu"," Kru" und Wohlu" drei Worte, ebenso unsinnig mie das mit ihnen verbundene Schicksal. Millionen verfluchen die privatkapitalistische Welt, die sie zu Arbeitslosen, Krisenfürsorge­und Wohlfahrtsunterstügung verurteilt. Und dennoch: auch hier spiegeln sich Boltsmacht und Sozialrechte.

Bei den Maiwahlen 1928 erstarkte die Sozialdemokratie; sie stellte den Reichskanzler Hermann Müller und drei weitere Mi­nister, darunter den Arbeitsminister Wissell.

Wie sah es damals in Deutschland aus?

Der Sturm auf das staatliche Schlichtungswesen wurde abgeschlagen. Die Nordwestliche Gruppe des Vereins Deut scher Eisen- und Stahlindustrieller mußte beigeben. Severing schrieb die Bedingungen vor, die Ausgesperrten waren aus Reichsmitteln unterstützt worden. 194 000 Tertilarbeiter und-arbeiterinnen kämpften um ihre Tarife und um Lohnerhöhungen. 50 000 Werft­

arbeiter, 600 000 Bauarbeiter, 600 000 Reichspostler und Staats­arbeiter, die Bergarbeiter, Holzarbeiter, Buchdrucker und Eisen­bahner fie alle erneuerten zum Teil ihre Tarifverträge bis zum Jahre 1930 und erhöhten ihre Löhne.

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Nach den Ermittelungen des ADGB. betrug der tariflich fest­gesetzte Stundenlohn der männlichen Vollarbeiter, im Durch

schnitt:

Juni 1928 Dezember 1928 Juni 1929

Dezember 1929

99,9 Pf.

.

102,2 Pf.

105,3 pf.

. 107,1 Pf.

Im Jahre 1928 wurde nach sechs Monate langem harten Kampf der sozialreaktionäre Angriff auf Leistungsabbau in der Arbeits­losenversicherung abgeschlagen. Gegen die Verbesserungs­novelle zur Arbeitslosenversicherung stimmten Deutschnationale, Völkische ( Nazi), Mittelständler und Kommunisten. Die Krisen fürsorge wurde ausgebaut. Der soziale Angestelltenschutz wurde verbessert, für die älteren Angestellten wurde eine besondere Novelle erreicht, die die Wartezeiten verkürzte und eine Herabsetzung der Altersgrenze durchführte. Der Fünf Uhr Ladenschluß am Weihnachtsabend wurde erzwungen. Aus Mitteln der Lohnsteuer wurde eine Erhöhung der In palidenrenten und eine Verbesserung der Knapp­schaftsversicherung geschaffen. Die Unfallversiche rung wurde erweitert, der Schwangeren und Wöchne rinnenschuh weiter ausgestaltet.

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Das war fozialdemokratische Gegenwartsarbeit, das waren marristische Leistungen durch den Reichstag für das Bolf! Die Septemberwahlen 1930 und 107 Nationalsozia listen machten weiteren sozialen Aufbau unmöglich; von der sich verschlechternden Konjunktur getrieben, begann das Kabinett Brü­ning zu sparen und abzufnapjen; die Sozialdemokratie stand in der Abwehr.

Mit den Julimahlen 1932 rückten 230 National= sozialisten in den Reichstag , mit ihnen 90 Kommunisten. Schon vorher war mit Hilfe der Nationalsozialisten und nur durch ihre Tolerierung das Kabinett von Papen ans Ruder gekommen. Die privatkapitalistische Offensive gegen den Wohlfahrtsstaat begann. Die Papen - Notverordnung vom 14. Juni 1932 belastet die minderbemittelten Volksschichten mit rund 1500 Millionen Mark!

Zur rücksichtslosen Kürzung aller Unterstützungen trat die weitreichende Herabstreichung aller Renten. Reiner, nicht einmal die Kriegermaisen wurden verschont. Dazu kam die Erhöhung der Krisensteuer für Beschäftigte und die Salzsteuer.

Die zweite Notverordnung vom 4. September Sattel gesetzten Herren, schuf neue, völlig anders geartete Sozial­

1932 des Kabinetts der feinen Leute", der von den Nazis in den unterstützungen".

England auf der Kompromißfuche

Aber Frankreich noch unnachgiebig

Paris , 24. September. ( Eigenbericht.)

Die Sonnabendblätter melden aus Genf , Henderson habe auf seinen Plan, am Dienstag dem Büro der Abrüstungskonferenz ein Memorandum über die Abwesenheit Deutschlands zu unter­breiten, verzichtet. Er habe in einer Vorstandssigung des Büros festgestellt, daß er mit seiner Ansicht allein dastehe.

Diese Nachricht wird in der französischen Presse günstig tom­mentiert. Andererseits wird der Unterredung des englischen Außenministers mit dem Reichsaußenminister große Bedeu tung beigelegt. Der Genfer Berichterstatter des ,, Matin" bemerkt dazu: Es ist sicher, daß Sir John Simon gegenwärtig eine Lösung sucht, die Deutschland an dem Austritt aus dem Völkerbund verhindern soll. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, daß der englische Außenminister bereits einen Plan ausgearbeitet hat, der Deutsch­ land zwingen foll, fein Wiederaufrüftungsprojekt aufzugeben. Für den Augenblick zeigt sich Sir John Simon jedoch sehr zurückhaltend, da er seine Karte nur mit Aussicht auf Erfolg spielen will." Bertinag weiß im Echo de Paris" näheres über die Unter­redung der beiden Außenminister mitzuteilen. Er meldet, daß Gir John Simon und von Neurath das ganze englische Memorandum besprochen und sich besonders mit dem Teil V des Dokuments be­schäftigt hätten. Dieser Teil enthalte zwei Hauptideen: die mili­tärischen Klauseln des Versailler Vertrags müßten in das Ab­rüstungsabkommen hineingearbeitet werden, damit später Sieger und Besiegte des Weltkrieges in gleicher Weise auf mili­tärischem Gebiet behandelt werden. Die am stärksten bewaffneten Staaten müßten ihre Rüstungen soweit als möglich herabsehen, und die am schwächsten Bewaffneten dürften sie nicht erhöhen. Pertinar bemerkt, daß demnach der erste Teil der englischen Note, in dem festgestellt werde, daß Deutschland die Abrüstung der anderen nicht als ein Recht beanspruchen dürfe, keine große Bedeutung habe. Im übrigen erklärt das Echo des Paris ", daß der englische Außen­minister seinen deutschen Kollegen aufgefordert habe, sich sobald wie möglich mit Paul Boncour und Herriot zu treffen. Der Engländer scheine sogar seine Dienste für das Zustandekommen dieser Unter­redungen angeboten zu haben.

wenn sie das wollen. Man rechnet damit, daß auf die ,, Amor" etma 300 Millionen Mark franke Bankenforderungen übertragen werden. Aber zur Krisenfürsorge" gehört auch die Wohlfahrts­unterstügung".

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Deswegen wird jetzt für die Banten noch eine zweite Einrich­fung geschaffen, die Jfi", das Industriefinanzierungsinstitut,

mit einem Aktienkapital von 50 millionen Mark.

In diese, ebenfalls mit öffentlicher Finanzkraft aufgebaute, Einrich. tung sollen die Banken diejenigen ihrer Aktienpakete bringen, auf denen sie in der Not der Zeit fizen geblieben sind, oder die sie als

Abdeckung für ihre Forderungen übernehmen müssen. Es handelt sich also um eine Art Genesungsheim" für Beteiligungen der

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Banten an Aktiengesellschaften.

Man sieht, Einfluß des Reichstages, des Reichstages, sozialdemokratische Stimmenzahl und Sozialgesetzgebung für das Volk gehören ebenso zusammen, wie 230 Naziabgeordnete, Kabinett von Papen und ,, Wohlfahrts"-Notverordnungen für das Privatkapital. Steuergut: scheine ,,, Amor" und Ifi" sind Kreditschöpfungen zur Anfurbelung der privaten sogenannten Initiative, statt daß diese Mittel plan mäßig für öffentliche Aufträge in Stadt und Land, Kleinstwohnungen Jetzt haben wir die Steugu", die Steuergutscheine. und Straßenbau, Meliorationen und Elektroverteilungsnetze ver­ In Höhe von 1500 Millionen Mark werden sie 1932/33 den großen wendet würden. Nach diesem Plan würde Arbeit geschaffen, nach Steuerzahlern als 40 Prozent Ermäßigung ihrer Steuerpflicht so- Papens Methode werden Geschäfte gemacht. Als eigentliche An­fort beginnend zufließen. Die kleineren Umjaz, Gewerbe- Grund- regungsmedizin für die Unternehmer, gewissermaßen als ,, Kola­steuerzahler sollen ihre Steugu"-Unterstüßung erst im September pillen", gibt es dazu noch Lohnabbau. 1933 erhalten wenn es dann der Zustand der Reichsfinanzen noch erlaubt.

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Für die Banten wird die Amor", die Amortisationskaffe geschaffen.

In diesem Krisenfürsorgeinstitut, oder richtiger, in diesem ,, Kranken­haus", das mit Reichsmitteln und Reichsgarantien ausgestattet wird, dürfen die Banten ihre eingefrorenen Kredite abgeben, um dafür gute Wechsel zu erhalten. Sie dürfen sich ihre faul gewordenen Runden aber nach der wirtschaftlichen Genesung auch wiederholen-

Wir brauchen einen starten Reichstag zur Wahrung der Volks: rechte! Wer das Parlament schwächt, zerstört den sozialen Aufbau! Kurt Heinig .

Reichswahlleiter ernannt.

Der Reichsminister des Innern hat zum Reichswahlleiter wieder den Präsidenten des Statistischen Reichsamts Dr. Wagemann und zu seinem Stellvertreter den Direktor im Statistischen Reichsamt, Geh. Regierungsrat Meifinger, ernannt.

Der Wunsch Englands, eine Kompromißlösung zu finden, wird auch in einer Genfer Meldung des Journal" bestätigt. Der Berichterstatter befürchtet aber, daß ein solches Kompromiß für Frankreich un annehmbar sei. Das gehe aus der sehr erregten Unterhaltung hervor, die Simon mit Paul Bon­ cour gehabt habe. Der Bertreter Frankreichs habe ohne Zweifel

den englischen Außenminister wissen lassen, daß gewisse Konzeſſionen für Frankreich unmöglich seien.

Herriot verzichtet vorläufig auf Enthüllungen. Paris , 24. September.

Herriot bedeutsame Erklärungen über die künftige Haltung der fran­Der Kabinettsrat am Freitag findet besondere Beachtung, da zöfifchen Regierung in der Abrüftungsfrage abgegeben hat. Obgleich über diese Erklärungen nichts in die Deffentlichkeit gedrungen ist, glauben eine Reihe von Blättern doch aus sicherer Quelle zu wissen, Herriot habe seine Kollegen von dem Entschluß unterrichtet,

daß er

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vorläufig auf die Veröffentlichung der Schriftstücke über die angeblichen Geheimrüstungen Deutschlands verzichte.

Dieser Entschluß, so betont der innenpolitische Berichterstatter des Echo de Paris", bedeute aber nicht, daß die französische Regierung die Absicht aufgegeben habe, eine internationale Unter­fuchung über den augenblicklichen Rüstungsstand Deutschlands zu fordern.

Im Laufe des Kabinettsrats hatte Herriot eine dreiviertelstündige telephonische Unterredung mit dem Führer der französischen Ab­ordnung in Genf , Kriegsminister Paul Boncour , der sich an­geblich über den Gang der Dinge sehr optimistisch äußerte und be­sonders die vorzügliche Zusammenarbeit mit dem englischen Außen­minister Sir John Simon unterstrich, der im Gegensatz zum Präsidenten der Abrüstungskonferenz die französische These unterstütze.

Streif in der Spinnstoffabrik.

Abwehr gegen Notverordnungslöhne.

In der Spinnstoffabrit 3ehlendorf ist gestern und heute früh eine Urabstimmung durchgeführt worden, die mit mehr als Dreiviertelmehrheit den Streitbeschluß ergeben hat. Grund der Notverordnung einen Abbau der Tariflöhne für die Die Abstimmung wurde eingeleitet, nachdem die Firmenleitung auf 31. bis 40. Wochenarbeitsstunde um 40 Pro 3. angekündigt hatte, mit der Begründung, sie habe innerhalb der in der Notverordnung

festgesetzten Frist 23,3 Pro3. neue Arbeiter eingestellt.

Der Arbeiterrat der Firma hat mehrmals mit der Firma ver­handelt, um eine Zurücknahme der Abbauforderung zu erreichen. Die Verhandlungen blieben jedoch ergebnislos. Von den Betriebs­handwerkern ist bereits heute vormittag nach dem Bekanntwerden des Abstimmungsergebnisses die Arbeit niedergelegt wor­den. Die übrige Belegschaft dürfte noch im Laufe des Tages die Arbeit einstellen. In der Spinnstoffabrik Zehlendorf , die durch­gehend in drei Schichten arbeitet, find ungefähr 500 Ar­beiter und Arbeiterinnen beschäftigt.

Neues von der Börse.

Freundlicher Rentenmarkt. Aftien bleiben vernachlässigt. Zum Wochenende zeigte an der heutigen Börse der Renten­markt ein durchaus freundliches Aussehen. Es lag eine ganze An­zahl Aufträge des Publikums vor, die der Tendenz von vornherein ein festes Gepräge gaben. Sehr beruhigend hat auch die Tatsache gewirkt, daß die Regierung endgültig von einer allgemeinen Zins­senfung bei den Rentenwerten Abstand genommen hat. So konnten die günstigen Folgen der Senkung des Reichsbanfdiskonts und des entsprechenden Abbaues der Bankzinsen sich auf dem Rentenmarit