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BERLIN  Donnerstag 29.September

1932

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Der Abend

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Zuchthaus für Notwehr

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Nr. 460

B 222

49. Jahrgang

Ungeheuerliches Urteil gegen einen jungen Sozialdemokraten

Magdeburg  , 29. September.  ( Eigenbericht.) Das Erweiterte Schöffengericht in Magdeburg  , unter dem Vorsitz des Landgerichtsdirektors Pippig man muß sich den Namen merken!-, verurteilte den 21jährigen Schlosser Willi Natje aus Magdeburg  wegen Vergehens gegen die Verordnung des Reichs präsidenten vom 9. August 1932 zu 1 Jahr und 1 Monat Zuchthaus. Der Staatsanwalt hatte gar 2 Jahre Zuchthaus beantragt. Der Angeklagte wurde aus der Anklagebank heraus sofort verhaftet. Der junge Mann, Anhänger der Eisernen Front, war am 24. August mit einem Nationalsozialisten in Streit geraten. Der Nazi hatte von ihm verlangt, er solle sein Mist gabel- Abzeichen" ablegen. Gemeint waren die drei Pfeile der Eisernen Front. In dem Streit, der sich daraus entspann, schlug Natje den Nazi ein oder zweimal mit der Faust auf den Kopf. Dafür verhängt ein Gericht der grundsätzlich neuen Staatsführung" 13 Monate Zuchthaus  !

Als das Schreckensurteil verkündet wurde und das Gericht auch die sofortige Verhaftung des Verurteilten anordnete, bemächtigte sich der Zuhörer eine verständ­liche Erregung. Ein Republikaner rief dem Verurteilten den Freiheitsgruß zu. Dafür wurde er vom Vorsitzenden in einer Art ange: schnauzt, wie man es selten in einem Gerichtssaal gehört hat.

Selbstverständlich wird jetzt schon alles getan, um den jungen Menschen aus der Haft zu befreien.

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Die Notverordnung vom 9. August sagt im§ 3 u. a.: Mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren wird, someit die Tat nicht nach anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist, bestraft:

1. mer aus politischen Beweggründen eine gefährliche Körperverlegung(§ 223a des Strafgesetzbuches) oder eine schwere Körperverlegung(§ 224 des Strafgefeßbuchs) begeht...

Der hier angezogene§ 223a des Strafgesetzbuchs spricht von Körperverletzung ,, mittels einer Baffe, insbesondere eines Messers oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs, oder mittels eines hinterlistigen Ueberfalls oder von mehreren ge= meinschaftlich oder mittels einer das Leben gefährdenden Behand­lung". Von alledem ist in diesem Falle nicht die Rede. Und von entstandenem Siechturn, das nach§ 224 strafverschärfend wirft, schon gar nicht.

Das Urteil des Schöffengerichts wirkt gerade deshalb so auf­peitschend, weil es den Begriffskompler des§ 223a in einer bisher faum gefannten Art auf eine einfache Schlägerei anwendet, ohne gleichzeitig das Recht der Notwehr gegen einen rechtswidrigen Angriff in Betracht zu ziehen.

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Man vergleiche mit diesem Urteil das in die Geschichte der neudeutschen Justiz eingehen wird die milden Strafen, die das Berliner   Gericht gegen die nationalsozialistischen Rowdys ver­hängte, die den Reichsbannerführer Wölfel gemeinschaftlich überfallen und ihn gemeinschaftlich viehisch mißhandelt

hatten!

Zwei weitere Urteile.

Unerträgliche Unterschiede in der Strafzumessung.

I.

Königsberg, 29. September.  ( Eigenbericht.) Am 1. August, am Tage nach der Reichstagswahl, wurde der jüdische Kaufmann Kurt Bach in Neidenburg   von Nationalsozialisten überfallen, es wurden ihm mittels Gummifnüppeln, Totschlägern, Schulterriemen und Messern zahlreiche Schlag- und Stich munden beigebracht. Nachdem er sich einige Zeit später wieder auf dem Wege der Besserung befand, rief man ihm nach: ,, Schade, daß sie dich nicht totgeschlagen haben!"

T

Dieses rohe Verhalten gelegentlich der organisierten national­sozialistischen Ausschreitungen gegen die Juden in Neidenburg   fand nunmehr seine gerichtliche Sühne. Die angeklagten Nationalsozia listen wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt. Prostka, der den ersten Schlag hinterrücks gegen den Verletzten führte, erhielt sechs Mo nate, Busch und Böhm, die an der Schlägerei führend beteiligt maren, vier und drei Monate Gefängnis, Pfahl einen Monat Gefängnis. Dem Nebentläger Bach wurde außerdem

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Herriot   und Cecil reden

Während Neurath   im D- Zug saß

Genf  , 29. September.  ( Eigenbericht.)

In Erwartung der großen Rede Herriots war der Saal der Völkerbundsversammlung zum ersten Male während dieser Tagung brechend voll. Indessen brachte diese Rede nur eine große Enttäuschung. Herriot   betrachtete es als seine Hauptaufgabe, den Pessimismus zu bekämpfen und er strich alle Erfolge des Bölkerbundes einschließlich Lausanne   und Stresa   be= sonders heraus. Mit betonter Zurückhaltung vermied er es, auf das ,, brennendste Problem" einzugehen, nämlich die Lage der Abrüftungskonferenz, mit der Begründung, die Würde dieser Bersammlung dürfe nicht gestört werden durch Ermähnung von brennenden Dingen, deren Nennung allein schon sie verschärfen müsse.(!) Hierauf gab er dem Völkerbund ein Programm, das wiederum den Willen Frankreichs   zeigen ſollte, an der Versailler   Ordnung Europas   und der Welt nicht rütteln zu lassen, sowie unter feinen Umständen eine weitere Lösung zu dulden, als sie in den strengen Regeln des Versailler Vertrages und des von ihm abhängigen Völkerbunds vorgesehen sei. Der Völker­ bund   müsse die Geheimdiplomatie, die Allianzen und jede Art von Hegemonie beseitigen, sowie das gleiche Recht für alle Staaten errichten, ob groß oder klein. Zu diesem Programm, für das der Völkerbundspakt, und nur er allein, der Weg sei, stehe Frankreich   ohne jeden Hintergedanken.

Auf diese Rede wird von deutscher   Seite keine Antwort erfolgen. Als zweiter Redner erklärte

Lord Cecil- England

die Verständigung zwischen Frankreich   und Deutschland   als unbedingt notwendig, doch müsse die Welt den beiden Völkern dabei helfen. Es müsse Voraussetzung sein, daß der Wille zum Frieden vorhanden sei, sonst könne feine Maschinerie des Friedens arbeiten. In der Abrüstung gebe es jetzt kein Ausweichen mehr. Die Völker erwarten ein Ja oder Nein. Wenn keine Abrüstung herauskäme, dann sei das unendlich viel schlimmer, als wenn gar nicht angefangen morden sei, dieses Problem in einer Konferenz zu behandeln. Die Nationen müßten

abrüsten oder untergehen,

schloß Cecil seine bemerkenswerten Ausführungen und er fügte daran an ein weiteres Bekenntnis zum Bölkerbund, dessen Kosten noch

Staatsrat beschließt Einspruch.

Der preußische Staatsrat hat heute mit 74 gegen 6 Stimmen der Kommunisten beschlossen, gegen den Beschluß des Landtages, die Neuwahl der Gemeinde­vertretungen bereits am 6. November stattfinden zu

lassen, Einspruch zu erheben.

eine Buße von 200 m. zugesprochen und die Befugnis, das Urteil veröffentlichen zu lassen. Sämtliche Verurteilten, mit Ausnahme von Böhm, wurden sofort verhaftet und der Strafvollstreckung zugeführt.

II.

Beuthen  , D.-S., 29. September.

Das Beuthener Sondergericht verhandelte heute gegen sechs Arbeiter, die am 5. Auguſt( also vor dem Erlaß der Notver­ordnung über die Sondergerichte. D. Red.) einen Polizei beamten, der sie wegen nächtlicher Ruhestörung verwarnt hatte, überfallen, entwaffnet und mit seinen eigenen Waffen schwer mißhandelt hatten. Das Gericht verurteilte wegen versuchten Totschlags einen Angeklagten zu zwölf Jahren Zuchthaus und zehn Jahren Ehrverlust, einen Angeklagten zu elf Jahren 3uchthaus und zehn Jahren Ehrverlust, einen zu acht Jahren 3uchthaus und acht Jahren Ehrverlust und zwei weitere An­geflagte wegen gefährlicher Körperverlegung zu zwei bzw. drei Jahren Gefängnis. Ein Angeklagter wurde freigesprochen. Der Staatsanwalt hatte insgesamt 60 Jahre 3uchthaus beantragt.

nicht so hoch seien wie die eines einzigen großen Kriegsschiffes. Die Pessimisten, die aus Anlaß der Wirtschaftskrise eine Einschränkung der Völkerbundsarbeit für notwendig erklärten, müßten sich aber überlegen, daß ihre eigenen Rüstungen die Völkerbundsarbeit am meisten hinderte.

Wollte Neurath   bleiben?

Die Abreise des Reichsaußenministers von Gens trotz der noch heute morgen angekündigten Rede Herriots in der Vollversammlung des Völkerbundes hat in Frankreich   außerordentlich ver= stimmt. Die Kommentare der Pariser Presse sind von einer seltenen Unhöflichkeit und Schärfe. Ein Bericht der offiziösen Havas­Agentur aus Genf   geht so weit, zu behaupten, die dringende Kabinettsfizung", wegen derer Neurath Genf verlassen mußte, sei extra zu dem Zweck erfunden worden, den französischen   Minister­präsidenten zu kränken. Ein anderes Blatt dagegen nimmt Neurath  gewissermaßen persönlich in Schuß, indem es behauptet, der Außenminister habe die Absicht gehabt, aus Höflichkeit gegenüber Herriot   in Genf   zu bleiben, doch sei ihm auf Anfrage von Berlin  aus die sofortige Rückkehr befohlen worden.

scheint es, ais ob sie im wesentlichen zutreffen dürfte. Denn Diese letzte Behauptung läßt sich zwar schwer nachprüfen, doch bei der Nachricht, daß Herriot  , entgegen seinen ursprünglichen Absichten, das Wort in der Generaldebatte am Donnerstagvormittag doch ergreifen würde, und dies der deutschen   Delegation offiziell habe mitteilen lassen, hat WTB. aus Genf   sofort gemeldet, daß unter diesen Umständen Herr von Neurath seine Abreise vielleicht doch verschieben würde. Tatsache ist ferner, daß er daraufhin sehr ausführlich mit dem Reichskanzler telephonient hat, und daß erst nach diesen Gesprächen mitgeteilt wurde, daß der Abreisebeschluß Neuraths doch endgültig sei. Diese zu­fammenhänge lassen gewisse politische Schlußfolgerungen zu.

Uebrigens scheint die Mißstimmung sich nicht auf franzöfifche Kreise zu beschränken, sondern auch andere Delegationen empfinden diese Haltung als eine Brüskierung des Völkerbundes überhaupt. Es ist, seitdem Deutschland   dem Völkerbund angehört, noch nie dagewesen, daß der deutsche Hauptdelegierte der Generaldebatte in der Jahresversammlung nicht einmal beiwohnte. Der Matin" dürfte mit seiner Bemerkung, daß die Regierung der Barone an­scheinend entschlossen sei, den Völkerbund nunmehr genau so zu behandeln, wie den Deutschen Reichstag, die Empfindungen der meisten Delegationen gekennzeichnet haben.

Drahtseilbahn abgestürzt.

Förderseil geriffen, feine Person verletzt. Tambach- Dietharz  ( Thüringen  ), 29. September.) An der Drahtseilbahn der Hartsteinwerte Tambach- Dietharz  , die den Speicher am Bahnhof mit dem Steinbruch verbindet und etwa 7,5 kilometer lang ist, riß aus noch nicht geklärter Ursache unweit der Berladestelle das Förderseil. Alle 108 beladenen Förderkörbe, jeder etwa 12 Zentner schwer, stürzten aus einer Höhe von 40 Meter in die Tiefe. Glücklicher­weise sind dabei Menschen nicht zu Schaden gekommen. Ein an der Strecke auf einem Mast arbeitender Aufseher konnte sich im letzten Augenblid durch Abspringen retten. Mehrere auf das Feld nieder stürzende körbe gefährdeten dort beschäftigte Erntearbeiter. Ein: Landstraßenüberbrückung wurde von einem der Körbe durchschlagen. Ein Wagen stürzte vor den Augen zweier Touristen nieder; die mit dem Schrecken davonkamen. Der Betrieb ist für einige Tage stillgelegt.

Vom christlichen Staat. Rosenberg gegen Papen  .

Wir lesen im Völkischen Beobachter":" Daß Herr von Papen sein Amt als von Gott   gegeben" betrachtet, mag einer orientalischen Auffassung entsprechen, die deutsche Nation erblickt ihn als zu Unrecht auf dem Stuhl des Reichstanzlers fizen."