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Morgen- Ausgabe

Nr.463 A 226 49. Jahrg.

Redaktion und Verlag: Berlin   SW 68, Lindenstr. 3

Fernsprecher: A7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammadresse: Sozialdemokrat Berlin  

Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

SONNABEND

1. Oktober 1932

V

Jn Groß Berlin   10 Pf. Auswärts...... 15 Pf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des redaktionellen Teils

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Heute kein Umzug

Der heutige Umzugstag wird in Berlin   das Straßenbald nur wenig verändern, denn außer den kleinen, sogenannten wilden" Fuhren wird

man

teine anderen Möbelwagen sehen. Die freigewerkschaftlich organisierten Berliner   Möbeltrasportarbeiter haben gestern in einer geheimen Abstimmung den Streit für heute früh beschlossen, weil die Unternehmer den Neuabschluß des gestern ebenfalls abgelau­fenen Mantel- und Lohntarifs ver­schleppt haben.

Von den Möbeltransportarbeitern war nach der Kündigung dieser Tarise durch die Unternehmer die Wiederherstellung der Entloh­nung gefordert worden, die vor dem jetzt abge= laufenen Lohntaris, also am 1. Januar d. J., be­standen hat und die für die ständigen Ar­beiter einen um 5 M. pro Woche höheren Lohn als jetzt und für die un ständigen Ar­beiter einen um 1,30 M. pro Tag höheren Lohn vorjah. Die Unternehmer haben bis jetzt ihre Wünsche noch nicht bekanntgegeben und sind jeder Tarifverhandlung mit dem Ge­jamtverband ausgewichen.

Auf Antrag des Gesamtverbandes wurden end­lich zum 3. Oktober vom Schlichtungsausschuß

Die Möbeltransportarbeiter streiken

Vorverhandlungen angesetzt, die aber, entsprechend einem Wunsche der Unternehmer, wieder auf unbestimmte Zeit vertagt worden sind, weil die Unterhändler des Vereins Berliner   Möbeltransporteure wegen der augen­blicklich starken Umzugstätigkeit angeblich teine Zeit zu Berhandlungen haben.

Die Taktik der Unternehmer, die Tarifverhand­lungen solange zu verschleppen, bis die Um­zugstonjunktur vorbei ist, hat nicht den von ihnen gewünschten Erfolg gehabt. In einer Branchenversammlung am Donnerstag wurde der Beschluß gefaßt, den Unternehmern in die Parade zu fahren. Die Möbeltransportarbeiter setzten in dieser Versammlung für Freitag in den Betrieben eine Ur abstimmung an und beschlossen wei­ter, die Arbeit am Sonnabend nicht wieder auf= zunehmen, wenn eine Streifmehrheit erzielt wird. Da die Abstimmung die statutarische Mehrheit er­gab, wird ab heute früh die Arbeit verweigert.

Streit bei Kempinski

Die bekannte Firma kempinski hat am Mittwoch in sämtlichen ihrer Berliner   Betriebe einen Anschlag herausgebracht, in dem sie ein­

Kulturdokument aus Anhalt  

Der Staatsanwalt an die Witwe

Am 10. Juli murde in Ziebigt bei Dessau   der Hundertschaftsführer des Reichsbanners, der 35­jährige Genosse Feuerherdt, Ingenieur bei den Junkers- Werfen, von Nationalsozialisten brutal niedergeschossen. Als er mit seinen Kameraden von einer Studentenfeier in Zerbst   auf dem Rade zurückkehrte, mußte er das Dorf passieren, in dem Hakenkreuzler ein Konzert veranstalteten. Als sie der Reichsbannerleute anfichtig wurden, sperrten fie die Straße und fielen mit Revolvern, Tot­schlägern, Gummifnüppeln und Biergläsern über sie her. Feuerherdt lag als erster in seinem Blute, die Ortspolizei war zu schwach, den Ueberfall zu verhindern, als als fremde Polizeikräfte kamen, flüchteten die Bluthelden. Gegen sie wurde ein Verfahren eingeleitet, welches der Staatsanwalt in Dessau   jetzt mit folgendem unglaublichen Briefe an die Witwe des Getöteten abschließt:

4 J. 1381/82. An die

Witwe Frau With. Feuerherdt

in

Dessau   Siedlung, Lindenplatz 5.

Ich habe das Verfahren gegen die­jenigen, welche den Tod Ihres Mannes herbeigeführt haben, eingestellt. Die Ermittlungen nach den in Betracht kom­menden Personen waren ergebnislos. Außerdem ist der Tod Ihres Man= nes durch einen rechtswidrigen Angriff auf andere von ihm selber ver= schuldet worden.

Dessau  , den 23. September 1932. Der Oberstaatsanwalt. J. V. gez. Lämmler.

Beglaubigt

Kutsche, Justizsekretär.

Die herrschende Pressefreiheit gestattet uns nicht, das unerhörte Schreiben eines nationalsozialisti­schen Staatsfunktionärs an die Witwe eines Erschlagenen so zu würdigen, wie das nötig wäre. Wir müssen es durch sich selbst wirken lassen, aber mir glauben, das genüge auch für jeden menschlich Empfindenden. Ohne Anrede, ohne eine Spur von Rücksichtnahme auf die Lebensgefährtin, die ihren Mann in den besten Jahren durch erbärm­

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liches Rowdytum verliert, ohne ein Urteil über diese Totschläger selbst selbstverständlich! aber mit der klatschenden, höhnisch wirkenden Behauptung er war ja selber schuld! Das ist der Trost, den der Dessauer Staatsanwalt der trauernden Witwe in die Ohren schreit.

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Man bemühe sich nur einen Augenblick vorzu stellen, ob der Mann sich erlaubt hätte, ein gleiches an die Witwe eines erschlagenen Stahlhelmers, Nazimannes oder sonstigen staatstreuen" Opfers zu schreiben, um die ganze Menschlichkeit dieses Briefes zu beurteilen.

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Löblich unterworfen

Der nationalsozialistische Ministerpräsident von Anhalt   war am Donnerstag mutiger als am Frei­tag. Am Donnerstag ließ er verkünden: zu Hinden­burgs Geburtstag wird nicht geflaggt. Am Freitag aber hieß es: ,, Da jedoch die Möglichkeit besteht, daß diese Stellungnahme zu Weite rungen gegenüber Anhalt   führen könnte, hat der Herr anhaltische Ministerpräsident, um Aus­mirkungen zuungunsten des Landes zu verhüten, sich entschlossen, dem Wunsche der Reichsregierung Rechnung zu tragen." Es wird also doch ge= flaggt! Die Rebellenposse hat keine achtund­vierzig Stunden vorgehalten.

Die Lahusenfreunde

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Die Nazis haben den Wirtschaftsverbrecher Lahusen, der immer noch auf seine Aburtei­lung wartet, von sich abzuschütteln versucht bis Herr Lahusen die Hitler  - Anwälte Frant II und Luetgebrune als seine Verteidiger berief.

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Die Hitler Anwälte haben die Haft entlassung des G. K. Lahusen gefordert. Der Betriebszellenleiter der NSDAP.   in Delmenhorst  , dem Siz der Stammfabrik der Nord­ wolle  , nahm sich die Hitler  - Anwälte zum Vorbild und trat ebenfalls öffentlich für die Haftentlassung Lahusens ein.

jeitig ab 3. Oktober die Herabsehung der Arbeitszeit von 48 auf 44 und teilweise 42 Stunden verfügt. Sie begründet diese Maßnahme damit, daß sie Arbeitslose ein­stellen wolle.

Die Betriebsräte und die Vertreter der Ge­werkschaften haben der Firma tlar zu machen versucht, daß auf diesem Wege schon rein technisch eine Mehreinstellung nicht möglich sei, sondern daß diesem Zweck nur die Ein­führung der Fünftage woche dienen tönne. Dagegen würde sich das Personal nicht wehren.

Diesen begründeten Argumenten gegenüber zeigte sich die Firma jedoch unzugänglich, so daß die Tariforganisationen gestern in drei Beleg­schaftsversammlungen eine Abstimmung durchführen ließen, die mit erdrückender Mehrheit den Streitbeschluß ergab. Da der Streit erst heute mittag beginnen soll, hat die Firma Kempinski also noch Gelegenheit, fich mit ihrer Belegschaft mit Hilfe der Gewerkschaften zu verständigen. An der Bewegung sind etwa 2500 gaftwirtschaftliche Arbeitnehmer beteiligt.

proleten nichts, aber das Eintreten des Nazi- Be­triebszellenleiters mußte ihnen die Augen öffnen. Deshalb wurde dieser Betriebszellenleiter seines Amtes enthoben und aus der Partei aus­geschlossen.

Der Nazi Arbeiter, der für die Haft­entlassung Lahusens eingetreten ist, fliegt aus der Partei. Die Nazi- Anwälte, die feinen Leute", die dasselbe tun, bleiben nach wie vor hochgeehrte Pgs. und dürfen dazu noch die Riesen­honorare des gestürzten Nordwollefönigs ein­stecken.

Gähnende Leere

Während die sozialdemokratischen Wahlver­sammlungen im Rheinlande schon jetzt, noch sechs Wochen vor der Wahl, gewaltige Besucherzahlen aufweisen und oft überfüllt sind, ist in den Ver­sammlungen der Nationalsozialisten gähnende Leere. In A a chen war ihre letzte Versammlung im großen Saale des Westparks halbleer. Die Arbeiter fehlten völlig. In Kerpen   bei Köln  im Braunkohlengebiet, einem Orte von 4200 Ein­wohnern, waren in eine Naziversammlung noch nicht zehn Leute gekommen. In der letzten nationalsozialistischen Betriebszellenversammlung in Godesberg   waren drei Mann erschienen.

Papen in Insterburg  

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Gutsbesitzer unter sich

Auf seiner Reise durch den Insterburger Land­freis war Reichskanzler von Papen Gast des Fregattenkapitans   a. D. Hundert mard Wittgirren. Bei einem zwanglosen Imbiß wurde der Reichskanzler von Gutsbefizer Hundertmarck, dem Führer des Kreislandwirt­schaftsverbandes Insterburg, mit einer kurzen An­sprache begrüßt. Im Verlauf der Unterhaltung wurde der Kanzler darauf hingewiesen, daß die für die ostpreußischen Notstandsgebiete bisher in Aussicht gestellten 500 000 Mark zu gering seien. Der Kanzler sagte zwar nicht zu, stellte aber in Aussicht, daß die Erhöhung dieses Be­trags auf rund eine Million in Aus­sicht genommen werden könne.

Kurze Unterredung beim Imbiß mit erfreu Von den Hitler  - Anwälten wissen die Nazi- lichem Ausgang für die ostpreußischen Gutsbesitzer!

Neue Rüstung!

Die neue Form, in der sich der ,, Vor­wärts" heute seinen Lesern darbietet, ist das Ergebnis sorgfältiger Ueberlegungen und Vorbereitungen. Man mag sie als ein Symbol dafür nehmen, daß die Partei und ihr Zen­tralorgan nicht am Alten hängen bleiben wollen, sondern mit der Zeit zu gehen entschlossen sind. Der viergespaltene Zei­tungssatz gibt die Möglichkeit, das Blatt nicht nur lebendiger und übersichtlicher zu gestalten, sondern zugleich auch seinen Kampfcharakter stärker zu betonen. Mehr denn je bedarf das arbeitende Volk im Kampfe um seine Menschenrechte be­währter Führer und schneidiger Waffen. Der ,, Vorwärts" legt eine neue Rüstung an, um besser kämpfen zu können gegen die poli­tische und wirtschaftliche Despotie des Kapi­tals für ein demokratisches, ein sozialistisches Deutschland  !

Wir rufen unsere Freunde im Reich, wir rufen vor allem das arbeitende Berlin  , mit einzutreten in diesen Kampf. Vorwärts unter dem sturmerprobten Banner der So­zialdemokratischen Partei! Vorwärts mit dem Vorwärts"!

Roles Schweden  !

Die sozialistische Minderheits­regierung Hansson am Werke Von unserem Korrespondenten

Stockholm  , Ende September. Das Ergebnis der schwedischen Reichstags= wahlen war nicht nur ein Mißtrauens­votum gegen die inzwischen zurückgetretene Regierung Hamrin. Die vierzehn von der Sozialdemokratischen Partei ge= wonnenen Mandate sind zu gleicher Zeit ein deutliches Symptom für die im Bolte immer tiefer und breiter wachsende antikapitalistische Gesinnung. In fast allen Wahlkreisen haben sich die sozial­demokratischen Stimmen um 20 bis 25 Broz. vermehrt. Mehr als der Mandatzuwachs be= weist diese Tatsache, wie sehr die Ueberzeu­gung an Boden gewinnt, daß nur mit ſozia­listischen Mitteln ein Ausweg aus Wirtschaftskrise gefunden werden kann.

Länger als zwei Jahre war das ver­gangene bürgerliche Kabinett am Ruder. Durch den Fall Kreuger hatte es seinen Kapitän auswechseln müssen. Ministerpräsi­dent Ekman war eines der Opfer des Riesenskandals. Ob aber Hamrin oder Ek­mann: man wird vergebens nach irgendeiner staatsmännischen Tat dieser verflossenen Re­gierung suchen. Hilflos haben die bürger­lichen Minister der Krise gegenübergestan­den, und sie haben nicht einmal den Versuch unternommen, die Arbeitslosigkeit zu min­dern. Es zeugt für den Mut und für das Verantwortungsbewußtsein der Sozial­demokratie, daß sie sich selbst als Min­derheitsregierung nicht gescheut hat, in Schwedens   schwerster und dunkelster Stunde die Führung des Landes zu übernehmen. Es wird eine Kampfregierung sein, in des Wortes wahrster Bedeutung. Die wichtigsten und einschneidendsten Reformen sind not­wendig, damit wenigstens die schlimmsten Wunden, die die Krise dem Land und dem Bolk geschlagen hat, geheilt werden können. Vor allem gilt es der Arbeiterschaft den Unterschied zwischen einer rein bürgerlichen und einer sozialistischen   Regierung zu zeigen. Bisher war es die Arbeiterklasse, auf deren Rücken die Krise tanzte. Mehr als leere Versprechungen haben die Arbeiter nicht be­