kommen. Es ist die vornehmste Aufgabe der sozialistischen Regierung, wenigstens die A r» beitslosenversicherung einzufüh- ren. Dieser Plan hat bereits die bürgerliche Presse zu heftigen Attacken getrieben, aber die Sozialdemokratie weiß, daß ihr nichts in den Schoß fallen wird und jede Reform nur unter schweren Kämpfen durchzusetzen ist. Daß die neuen Männer, aus denen sich die jetzt vierte sozialistische Regierung Schwedens zusammensetzt, aus dem für ihre Aufgabe notwendigen Holz geschnitzt sind, beweist ihre Vergangenheit. Jahrzehntelang haben sie in Partei und Gewerkschaft die verantwortlichsten Aemter innegehabt. Diese sozialdemokratischen Minister sind in und mit der Arbeiterbewegung aufgewachsen, und sie wissen, daß Politik und Regierung nicht ge- leitet werden können von plötzlichen Ein- fällen und Eingebungen, sondern von klarem politischen Willen und Wollen, gegründet auf der Kenntnis der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnisse. In einer schlichten, aber wirkungsvollen Form hat das neue Kabinett im Rahmen seiner Antrittserklärung die bedeu- tendsten Maßnahmen umrissen, die es zu unternehmen gedenkt, um die Krise zu lösen. Wie sehr die neue Regierung allen halben Maßnahmen abhold ist, verrät vor allem die Besetzung zweier Ministerien: des Kriegs- und des Kultusministeriums. Die Rechts- presse bezeichnet beide Männer als Erzfeinde� der ihrer Obhut anvertrauten Institutionen' und empfindet beispielsweise die Ernennung Arthur Engbergs zum Kultusminister als„einen Schlag ins Gesicht des gesamten bürgerlichen Schweden ". Daß das Kriegs wesen in erster Reihe von den beabsichtigten S p a r m a ß- nahmen betroffen werden soll, hat die Re- gierung in ihrer Erklärung ausdrücklich her- vorgehoben. Der neue Handelsminister Fritjof E k m a n hat bisher noch kein staatliches Amt innegehabt. Er ist Organisator des schwedischen Metallarbeiterverbandes. Viele Jahre hat er diese Gewerkschaft, die ihrer Bedeutung nach die ausschlaggebende Kör- perschaft innerhalb der schwedischen Arbeiter- bewegung ist, geleitet. Ekman wird selbst von der bürgerlichen Presse als ein Mann gerühmt„von reifem Verstände und im Be- sitze umfassender Kenntnisse auf dem Ge- biete der schwedischen Industrie und der Ar- beiterfragen". Vor der Bildung der sozialdemokratischen Minderheitsregierung hat sich der jetzige Mi- nisterpräsident H a n s s o n um einen Links- block bemüht und zu diesem Zwecke ein- gehende Verhandlungen mit den Vertretern der Freisinnigen Volkspartei gepflogen. Man hat jedoch von ihm Konzessionen und Zu- sicherungen verlangt, die die Integrität seines auf dem Prinzip des Freihandels aufgebauten Programms gefährdet hätten. So hat sich Hansson zu einer Regierung ohne die Freisinnigen entschlossen. Er wird im Parlament manche Klippe zu umschiffen haben. Immerhin kann seine Re- gierung in gewissen Fragen auch auf einige Abgeordnete des linken Bürgertums zählen.
Aeußerste Not Ltuck Nassau kann keine Unterstützungen zahlen Irankfurt a. 211., 30. September. Eigener Bericht Die Stadt Hanau steht vor der<5 i n st e l l u n g der wohlsahrtszahlungen. Die Stadl- verordnetensihung am Donnerstag hatte sich fast ausschließlich mit Anträgen der Fraktionen über Hilfsmaßnahmen für die in Fürsorge stehenden Personen zu befassen. Einstimmig angenommen wurde eine Entschließung, in der die Stadtverord- netenversammlung die Aufmerksamkeit der Staats- regierung aufs neue auf die unhaltbaren Zustände lenkt, die sich für die Stadl Hanau aus der unzureichenden Berücksichtigung ergeben. Obwohl Hanau mit seiner Erwerbslosenzisser an der Spihe in Preußen steht, seien seit Monaten aus dem Notsonds des Staates Mittel nicht mehr nach Hanau geslossen. Das große Sterben Die Bestrebungen, für die bevorstehende Reichs- tagswahl einen„Block der Mitte" zu schaffen, in dem alle Splitterparteien außerhalb des Zentrums vereinigt werden sollten, sind e n d- gültig gescheitert. Die Volkspartei hat sich wieder von hugenbcrg ins Schlepptau nehmen lassen und die C h r i st l i ch- S o z i a l e n wollen allein sterben, ohne sich mit anderen da- bei zu belasten. Da die Demokraten für sich allein auch keinen„Block" bilden können, ist die ganze„Mitte" wieder im Zustand der Atomi- sicrung.
Irrsinn der Autarkie Die Dresdener Tagung des Vereins für Sozialpolitik
Am Mittwoch und Donnerstag hat der V e r- ein für Sozialpolitik in Dresden seine 60. Tagung unter dem Vorsitz von Prosessor S o in b a r t abgehalten. Es war wohl die Tat- fache, daß der Verein für Sozialpolitik heute im Bewußtsein des öffentlichen Lebens auch nicht annähernd mehr die Rolle spielt, die er in den ersten Jahrzehnten seines Bestehens eingenommen hat, die Sombart zu einigen Aeußerungen über den Wandel der Aufgabe des Vereins für Sozial- Politik veranlaßten. Bei der Gründung bildete das Thema der Untersuchungen die Fabrikarbeiterfrage, das Ziel die Besserung ihrer Lage. Das Pro- blem sei ein sittliches Problem gewesen, das Be- streben des Vereins ein ethisches. Durch das prak- tische Eingreifen der Arbeiterklasse sei das Pro- blem dann ein politisches und der Kampf ein politischer geworden. Der Verein sei nicht in die Arena des politischen Kampfes hinabgestiegen und suche— neutral— durch wissenschaftliche Unter- suchungen politische Maßnahmen vorzubereiten. Ein„Marxist", als der sich Sombart stets be- zeichnet, hätte eigentlich wissen müssen, daß die Durchsetzung eines sittlichen Zieles immer nur auf politischem Wege möglich ist. Auch die Frage der
„Neutralität" hätte wohl einer Erläuterung be- dürft. Jedenfalls ist es gerade diese Neutralität, die nun schon seit Jahrzehnten eine einheitliche Stellungnahme des Vereins für Sozialpolitik zu den brennendsten Fragen der deutschen Wirtschaft verhindert und die Bedeutung des Vereins stark herabgesetzt hat. Gleichwohl verdienen die Verhandlungen dieses Vereins Beachtung dann, wenn bedeutsame Persönlichkeiten zu Worte kommen. Das Thema der diesjährigen Tagung lautete: „Deutschland und die Weltkriege". Der Höhepunkt der Tagung war nach maßgeb- licher Meinung das Referat des Genossen Dr. L e d e r e r, der über„Autarkie oder Welt- Wirtschaft" sprach. Lederer stellte fest, daß in der Entwicklung der Außenhandelszahlen eine Tendenz zur Autarkie nicht im geringsten zu er- kennen sei. Lediglich die Schrumpfung der Wirt- schaft tn ihrer Gesamtheit spiegle sich in der Schrumpfung des Welthandels wider. Deutschland sei in seiner Rohstoffversorgung unbedingt vom Auslande abhängig. Wenn die deutsche Einfuhr von 14 auf 7 Milliarden Mark gesunken, die Ar- beitslosigkeit auf mehr als 6 Millionen gestiegen
sei, so seien das beides Zeichen für den Rückgang der Tätigkeit der deutschen Volkswirtschaft. Wie aber wolle man glauben, daß man die Arbeits- losigkeit beseitigen könne, wenn man die Einfuhr vollends drossele? Die Kontingentspolitik be- zeichnete Lederer als einen„Tanz auf den Hühneraugen unserer besten Freunde", die soviel deutsche Fertigwaren abnähmen, daß das Passi- vum im Verkehr mit Uebersee(Rohstoffe!) mehr als aufgewogen werde. Selbstgenügsamkeit und Abschließung seien keine deutschen , allenfalls chinesische Gedanken. Keiner der sonst zu Worte kommenden Redner befürwortete die Autarkie ohne Einschränkung. Auch Professor von D i e tz e, der einer ge- mäßigten Autarkie das Wort redete, betonte die Abhängigkeit der deutschen Volkswirtschaft von ausländischen Rohstoffen. Wer diesen Zusammen- hang nicht begreife, für den seien 150 Jahre Arbeit der nationalökonomischen Wissenschaft vergebens gewesen. In der protektionistischen Abschnürung der Länder gegeneinander erblickte er eine nur vorübergehende Krisenerscheinung.— So ist die Tagung ihrem Gesamteindruck nach als Kund- gebung gegen den Irrsinn der Autarkie zu werten.
Benvandlungskttnstler! Nazjgautag mit Krawall
Goring , gestern so, heute so, morgen wieder anders Herr Göring ist zugleich Faschist und orthodoxer Fanatiker des demokratischen Parlamentarismus. Das ist eine Glanzleistung, aber Herr Göring übertrifft sich in ähnlichen Leistungen täglich selbst. Kürzlich hat er seinen Parteifreunden ausein- andergesetzt, daß wohl Hunderttausende von Wählern den Nazis davonlaufen würden. Jetzt erklärt er Auslandsjournalisten, daß die NSDAP . dem Wahlausgang mit großem Vertrauen«nt- gegensehe. Früher galt das Zentrum als „schwarze marxistische Pest", jetzt erklärt Göring vor amerikanischen Journalisten: „Ein Gegensatz zwischen Nationalsozialisten und Zentrum habe zu der Zeit bestanden, als das Zentrum mit den Sozialdemokraten ver- bunden war. Das sei nicht mehr der Fall und infolgedessen könne eine enge Zusammenarbeit zwischen den beiden Parteien erfolgen." Was wird Herr Göring morgen und über- morgen erklären? Er ist ein Genie der Wand- lungsfähigkeitl
Hitlers feine Leute Fünfundzwanzig von der Adelsclique Ritter von Epp von dem Bach-Zalewski von Corswant von Flotow von Iagow Freiherr von Kitzinger von Levetzow von Lingelsheim Dr. von Renteln Graf zu Reventlow Baldur von Schirach von Sybel von Tschammer und Osten von Ulrich Freiherr von Wangenheim *** Freiherr von Eltz-Rübenach ' Dr. Freiherr von Gregory Graf von Helldorf von Kalben Freiherr von Kamme von Neindorf Freiherr von Reibnitz von Wedel-Parlow von Woyrsch August Wilhelm Prinz von Preußen Was sind diese 25 Namen? Die Mitglieder einer Adelsgesellschaft?, eines Herrenklubs? I wo, es sind bloß die aus dem Fraktionsverzeichnis des Reichstages und des Preußischen Landtages aus- geschriebenen adeligen Mitglieder der national- sozialistischen Fraktionen dieser beiden Parlamente. 212» diesen 25 Namen sind natürlich die Hochadligen. die bei der„Arbeiterpartei" eine maßgebliche Rolle spielen, noch lange nicht erschöpft. Es gibt da noch den Josua Erbprinz zu Waldeck- Pyrmont , den Prinzen Friedrich Christian zu Schaumburg-Lippe. den Grafen Solms-Laubach . den Freiherrn von Reichenau, den General von Liebert, den Eduard Herzog von Coburg — von den bürgerlichen Generälen wie Litzmann und den bürgerlichen Kapitalisten wie Fritz Thyssen ganz zu schweigen. Die Adligen der preußischen Nationalsozialist!» schen Landtagssraktion haben jetzt einen Aufruf an den preußischen Adel erlassen, Adolf Hitler sei der wahre Führer des preußischen Adels. Er allein, nicht Papen, nicht Schleicher und nicht Gayl. Wir haben keine Kompetenz, uns in diesen Streit der„feinen Leute" einzumischen. (Au» de« neuesten Heft der kozialdemokattschen Dt-tulstonszeltschrlft„Da» Frei« Wo er".)
Schlägerei im Wiener Rathaus
2V i en, 30. September. Eigener Bericht Anläßlich des Gautages der Hakenkreuz l e r gab es am Freitag in 2vien Z u- s a m m e n st ö ß e. die schließlich mit einem blutigen Tumult im Gemeinderat endeten. Die Hakenkreuzler, die durch den Mißerfolg ihrer Tagung uind dadurch, daß in den Straßen Wiens fast nur Leute mit den drei Pfeilen zu sehen waren, nervös wurden, zogen nachmittags ihre Leute vor dem sozialdemo- kratischen Berbandsheim in Mariahilf zusammen. Sie überfielen das Heim. Es kam zu einer schweren Prügelei zwischen ihnen und den sozialdemokratischen Schutzbündlern. Es sind auch mehrer« Schüsse gefallen, von denen aller- dings niemand getroffen wurde. Im Laufe der Zusammenstöße wurden mehrere Schutzbündler und Hakenkreuzler verwundet. Schließlich wurden die Nazis von den Schutzbündlern davongejagt. Unter den Hakenkreuzlern, die bei diesem Zu- sammenstoß beteiligt waren, befand sich auch der
Führer der Wiener Hakenkreuzler, der nationalsozialistische Gemeinderat Frauen- feld. Dieser ging nun mit der nationalsozia- listischen Gemeinderatsfraktion ins Rat- haus, wo am Freitag die erste Gemeinderatssitzung der Hcrbstsession stattfand. Im Sitzungssaal be- nahmen sich die Hakenkreuzler äußerst p r o v o- zierend. Sie forderten, daß wegen der Zu- sammenstöße in Mariahilf die Sitzung abge- brochen werde. Als einer der Hakenkreuzabgeord- neten im offenen Saal eine Hundepeitsche zog, sprangen die Sozialdemokraten von ihren Sitzen, stürzten auf die Hakenkreuzabgeordneten los und schlugen sie buchstäblich aus dem Saal hin- aus. Es herrschte ein ungeheurer Tumult. Stühle und Tintenfässer flogen gegen die Abge- ordneten, und in wenigen Minuten war der Sitzungssaal von den Hakenkreuzabgeordneten vollkommen gesäubert. Einige der Naziabgeord- neten wurden bei der Prügelei unerheblich verletzt.
Scherl gegen Nazis Gekränkte Uiehe klagt• Die Hugenberg-Blätter haben bis vor kur- zem über alle Schändlichteiten der Haken- kreuzler den Mantel verstehender Liebe gebreitet. Für sie war, solange nur „Marxisten" totgeschlagen und„marxistische" Häuser gestürmt wurden, alles in bester Ordnung. Erst als auch der Stahlhelm mit den Schulterriemen der SA. intime Bekannt» schaft machte, begann man im Scherl-Hause etwas unruhig hm- und herzurücken. Schließ- lich hat der Boykottbefehl des Herrn G o e b- b e l s gegen die Hugenberg-Presse dem Faß den Boden ausgeschlagen. Jetzt erscheint eine Flugschrist des Scherl-Verlages:„Der „Nationalsozialismus und wir." Darin liest man: Dankbarkeit in der Politik ist eine seltene Blume. Wir erwarten sie nicht. Aber doch dursten wir erwarten, daß man statt ihrer nicht, wie es seit Monaten geschieht, geradezu die unerhörtesten Angriffe und die bedenkenlosesten Ver» leumdungen uns würde zuteil werden lassen. Angriffe, die in den letzten Wochen auf«ine penetrante Weise den Geschmack sehr schäbigen Konkurrenzkampfes und die bösartigen Merkmale unlauteren Wettbewerbes trugen. Nach jenem seit- samen„parlamentarischen" Muster sucht man auch eine nationale Presse niederzuschreien, der die Nakionalsozialisten noch vor kurzem publizistisch fast alles zu verdanken hotten. Glaubt man wirtlich, durch Parteibefehl seine Leute auf die Dauer einer Presse hörig erhalten zu können, die ihren Lesern nicht einmal den elementarsten publizistischen Dienst leistet, indem sie ihnen vor allem einmal sagt, was ist? Glaubt
man, durch den Abtreibungsversuch gegen die nationale Presse zu erreichen, daß künftig wirk- lich kein Parteigenosse erfährt, was Herr Hitler gesprochen hat, indem man nur Blätter zu ihnen dringen läßt, die in kitzligen Fällen ihren Führer einer tollen Zensur unterwerfen und das Wesentliche seiner Rede, wie im Falle Hitler -Hindenburg , unterschlagen? Will man er» zwingen, daß eine grob fälschende Bild» b« r i ch t e r st a t t u n g, wie die des„Illustrier» ten Beobachters", über die Eröffnungssitzung des Reichstages unberichtigt bleibe? Will man er» zwingen, daß die Parteigenossen wieder und wie» der nichts erfahren über die innige Zusammenarbeit der Nationalsozialisten mit den Kommunisten im Reichstag und im Landtag und zuletzt im Ueberwachungsausschuß? Nichts auch über die bedauerliche Politik des unzeitigen Vorprellens und der fortwährenden beschämenden Rück» züge: Rückzüge, die die Berechtigung jener Kritik beweisen, die man uns als„Gemeinheit" so schwer verübelt, daß man vor keiner Beschimp- fung gegen uns zurückscheut Zum Schluß spricht jedoch die Flugschrift die Hoffnung aus, daß die NSDAP , wieder „zur gesunden Vernunft" zurückkehren werde. Trotz alledem, in Treue harr ich dein!
Die feindlichen Brüder. Eine deutschnationale Aeußerung in der Danziger Stadtbllrgerschaft, „daß sich in den Reihen der SA. das Verbrecher- tum organisierte", beantwortete die nationalsozia- listische Fraktion, wie der„Angriff" meldet, mit dem geschlossenen Auszug aus der Stadtbürger- schaft.
Izdc Jfaeäu des„Mocwäcts" Uom* au tiu&u PteüaüsscUcci&eu des„Vow/ads" ieäueUuieu DIE BEDINGUNGEN WERDEN IN DER SONNTAGS- AUSGABE DES„VORWÄRTS" VERÖFFENTLICHT