Abend- Ausgabe
Nr. 464 B 224 49. Jahrg.
Redaktion und Verlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3
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Vorwärts
BERLINER
VOLKSBLATT
SONNABEND
1. Oktober 1932
Jn Groß Berlin 10 Pf. Auswärts...... 15 Pf.
Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des redaktionellen Teils
,, Blutherrschaft“
Judenangst im Braunen Hause
,, Es riecht nach Pulver, und es wird gefochten merden... Wer zuerst schießt, der ge= minnt!" So sprach jüngst der stets muntere Oldenburg Januschau in 3oppot. Man legte es zum übrigen, ohne viel darüber nachzudenken, ob dieses Maschinengewehrgerede auf Bolen, Franzosen oder Marristen zielte. Schließlich waren es doch nur Worte.
Aber siehe da! Nun kommt der Völkische Beobachter" herbeigestürzt und schreit 3etermordio. „ Die Reaktion will auf Nationalsozia listen schießen lassen... Wir fragen den Reichspräsidenten am Vorabend seines 85jährigen Geburtstags, ob er sofort auf die Erwartungen auf eine Blutherrschaft seinerseits(!) eindeutig zu antworten gedenkt."
Tragisches Mißverständnis! Wenn der Janu schauer schießen will, dann bestimmt nicht auf feinen Signachbar im Reichstag, Goebbels , mit dem er sich so oft zärtlich unterhalten hat! Aber auchlehrreiches Mißverständnis!
Jahrelang bestand die Politik der NSDAP . fajt ausschließlich darin, daß sie ihre Gegner mit dem Erschießen, Erhängen, Köpfen oder Tottreten bedrohten. Noch bei den letzten Verhandlungen hat diese edle Sorte von Politi! eine erhebliche Rolle gespielt. Man kann darüber iegt im„ Stahlhelm " folgendes lesen:
Herr Hitler hat in den Verhandlungen, die Mitte August mit den Beauftragten des Reichs präsidenten stattgefunden haben, nicht nur den Reichskanzlerposten für sich verlangt, sondern darüber hinaus, sozusagen als Borleistung ge fordert,
daß ihm vor der Amtsübernahme drei Tage lang die Straße( unter Zurückziehung der staatlichen Machtmittel) für seine SA. freigegeben würde."
Die nationalsozialistische Presse hat bisher stets jede Aeußerung der Mißbilligung und des Abscheus gegen solche verbrecherische Pläne als ,, Judenangst" bewijzelt und verhöhnt. Kaum aber wird und sei es nur mit dem Munde der Spieß umgedreht, da erhebt sich schon im Braunen Hause ein gellendes Angstgeschrei..
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,, Wer zuerst schießt, der gewinnt!" Dieſe ſolide
Raubmördertheorie des alten Januschauers ist die Theorie aller Gewaltpolitiker und Diktaturapostel. Man hat sie uns so oft in die Ohren ge= brüllt, daß wir gegen sie schon ziemlich abge= stumpft sind. Um so erstaunlicher ist, wie empfindlich das nationalsozialistische Trommelfell auf sie reagiert!
Eine sizilianische Besper ist für sie eine Kleinigfeit. Sie wollen nur vom Reichspräsidenten die Garantie, daß ihnen selber dabei nicht das geringste passieren wird!
Dela eröffnet
Müggelsee, der zukünftige Wasserflughafen
Heute vormittag um 10 Uhr fand in der Ehrenhalle die Eröffnung der Deutschen Luftsportausstellung 1932( Dela) vor einer stattlichen Anzahl geladener Ehrengäste statt, unter denen man Vertreter der Reichs- und Staatsbehörden, der Wissenschaft und Wirtschaft und des Diplomatischen Korps bemerkte.
Im Namen der Stadt Berlin begrüßte Oberbürgermeister Dr. Sahm die Erschienenen. Neben dem vorbildlichen Berliner Flughafen in Tempelhof sei im Westen Berlins der Flughafen Staaten geschaffen worden, der der Ausbildung von Flugzeugführern diene. Dieser Flughafen sei auch als Zentralluftschiffhafen ausersehen. Südosten werde gegenwärtig der Flughafen Johannisthal durch eine große Anzahl von Erwerbslosen wieder instandgesetzt. Erforderlich sei auch, daß Berlin neben seinem Landflughafen einen geeigneten Wasserflughafen befize, und hierfür sei schon vor Jahren der Müggeljee in Aussicht genommen. Auch dem Aufschwung des Segelflugiports trage Berlin Rechnung, und auf dem Segelflugplatz in Gatom merde dieser Sport eifrig betrieben. Es sei notwendig gemorden, auch außerhalb Berlins in
Der Streif der Ziehleute
Heute früh hat der Streit der Möbeltransportarbeiter, wic wir in unserer Morgenausgabe bereits gemeldet haben, auf der ganzen Linie eingesezt. Die Unternehmer, die alle Mittel angewandt hatten, um die Verhandlungen über den Neuabschluß des Tarifvertrages bis nach der Umzugs periode zu verschleppen und sich schon schmunzelnd die Hände rieben, sind wie aus den Wolfen gefallen. Der schnelle und entschlossene Gegenschlag des Ge= samtverbandes fam den Internehmern völlig überraschend.
Merkwürdig- oder auch nicht- ist, daß die Unternehmer, die bis jetzt so sehr beschäftigt waren, daß sie nicht einmal eine Kommission zu Verhandlungen schicken konnten, nunmehr in Scharen sich auf dem Gesamtverband einfinden, um möglichst sofort einen Tarifvertrag ab= zuschließen. Von Lohnabbau ist keine Rede mehr. Diese etwas späte Erkennt: nis hätten die Unternehmer billiger haben können, ohne ihre Kunden in schwere Ungelegenheiten zu stürzen.
Wenn im Straßenbild Berlins am heutigen Vormittag noch fahrende Möbelwagen zu sehen waren, dann handelt es sich hierbei um Fuhrwerke, die zu den Fuhrhöfen der einzelnen Unternehmer zurücktransportiert wurden. Infolge des Andrangs von Ziehfuhren zum heutigen Quartalsmechsel hatten nämlich die Transportarbeiter in den gestrigen späten Abendstunden die Möbelwagen gleich vor die Häuser gefahren, von wo aus heute früh der erste Umzug erfolgen sollte. Von hier wurden dann, als der Streifbeschluß in ganz Berlin bekannt war, die leeren Wagen wieder abgeholt. Es handelt sich also hierbei nicht, wie vielfach irrtümlich angenommen murde, um eine Durchbrechung des in geheimer Abstimmung gefaßten Streifbeschlusses.
Wie vorauszusehen, wird der Ausstand der
der Nähe von Trebbin einen weiteren Sammelflughafen zu schaffen. Berlin , die Arbeitsstätte des Pioniers der Luftfahrt, Otto Lilienthal , merde auch fünftig bemüht bleiben, seine Stellung im Luftfahrtwesen zu erhalten und auszubauen. Nach dem Vorsitzenden des geschäftsführenden Präsidiums der Dela, Staatsministers a. D. Do= minifus, sprach als Vertreter der Reichsregierung Reichsverkehrsminister Freiherr EIB v. Rübenach.
Den Abschluß der eindrucksvollen Feier bildete das Finale Allegro con brio" aus der 7. Sinfonie Ludwig van Beethovens und das Deutschlandlied.
Statt edler Frauen...
Von Knigge und vom Misthaufen
der
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Willst du erfahren, was sich ziemt, so frage nicht wie Goethe das empfiehlt bei edlen Frauen an, sondern lies den Lokal- Anzeiger". Dort findest du ausgiebige Berichte über die Auseinandersetzungen innerhalb Harzburger Front. Und wenn diese emporstrebenden und aufbauwilligen Kräfte nicht über den ge= ziemenden Ton verfügen, ja wer dann eigentlich?! Du liest dort von Stintbomben und Niespulver, womit die Nazis eine deutschnationale Versammlung in der Schönhauser Allee ausgeräuchert haben, du findest dort die Ausdrücke
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..So eine Schweinerei, bürgerlicher Misthaufen, gemeines bürgerliches Pad",
mit denen der nationalsozialistische Stadtverordnete rez in Detmold seine deutschnationalen
Die Unternehmer stellen sich um
organisierten Möbeltransportarbeiter von kleinen Fuhrleuten und Gewerbetreibenden ausgenugt, die ihre Fahrzeuge für Umzüge zur Verfügung stellten. Trotzdem kann keine Rede davon sein, daß durch diese„ wilden" Fuhren der Streik der Or ganisierten in nennenswertem Umfange beeinträch tigt wird. Verständlich ist allerdings, wenn Mieter, die bereits zum Umzuge alles gepackt hatten. nicht sonderlich über diesen plöglich ausgebrochenen Streit erbaut sind. Sie müssen zwischen ihren bereits gepackten Kisten und Körben noch einige Tage, zum mindesten über Sonntag und Montag, sigen. Dafür können sie sich bei den Unternehmern bedanken. Vielfach hatte man in der alten aufzugebenden Wohnung auch schon die Zähler für das Licht abgemeldet, so daß man heute abend Notbeleuchtungen einrichten muß.
Demgegenüber kämpfen die Transportarbeiter um einen gerechten Lohn. Sie erhalten für ihre schwere Arbeit heute nur noch 8,50 M täglich, wovon noch die Steuern und die Sozialversicherungsbeträge abgehen. Wenn sie die zentnerschweren Gegenstände schleppen sollen, müssen sie natürlich anständig essen. Inzwischen hat der Schlichter eingegriffen und die Parteien zum Montag vormittag 10 Uhr zu Verhandlungen geladen. Vorher treten die streifenden Möbeltransportarbeiter zu einer großen Streitversammlung zusammen. Diese Versammlung findet statt am Sonntagvormittag um 10 Uhr im Restaurant Vittoriagarten, Bilmersdorf, Wilhelmsaue 112-114. Hier wird die Streifleitung über den Stand der Bewegung Be richt erstatten.
Schiffahrtsfrieden
Erfolg der Gewerkschaften
Hamburg , 1. Oftober. Die Tarifverhandlungen in der Seeschiffahrt fanden gestern ihren Abschluß. Durch Vereinbarung dem Schlichter der Nordmark, Dr. Stenzel, haben sich die Parteien auf eine vorläu
Kollegen tituliert hat. Gelüstet dich nach einer Ergänzung, so schlage den Angriff" auf, der finnig bemerkt, daß ein deutschnationaler Dis tuffionsredner in einer Naziversammlung mit dem Zwischenruf Blödsinn" tituliert wurde ,,, der Zwischenruf ,, Blödhammel" tituliert wurde, ,, der nicht von ihm widerlegt werden konnte."
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Everling niedergebrüllt
Vom Harzburger Bruderkriegsschauplatz liegt heute ein Schlachtbericht der Hugenbergschen TU. aus Stettin vor:
In einer deutschnationalen Versammlung, in der Reichstagsabgeordneter Dr. Everling sprach, tam es zu großen Tumulten. Bei den einleitenden Worten des Versammlungsleiters fezten von den im Saal anwesenden Nationalsozialisten Zwischenrufe ein, die sich schließlich zu einem Tumult steigerten, so daß die Polizei eingriff und einige Zwischenrufer aus dem Saal wies. Als Dr. Everling seine Rede begann, ver= stärkten sich die Zwischenrufe. Schließlich erhob sich der Stettiner Kreisführer der Nationalsozialisten, Landtagsabgeordneter Czirniot und erklärte, daß die Nationalsozialisten sich nicht länger provozieren lassen würden. Nach dem Absingen des Horst- Wessel - Liedes räumten sie dann auch zum größten Teil den Saal; die deutschnationalen Versammlungsteilnehmer stimmten das Deutschlandlied an. Dr. Everling hielt dann, von nur noch wenigen Zwischenrufen unterbrochen, fein Referat.
Everling, der Fürstenanwalt, wird sich im Innern gefragt haben, ob es sich wirklich für seine fürstlichen Mandanten gelohnt habe, das durch seine Arbeiter erstrittene Geld in dieser Partei anzulegen!
fige Fortdauer der Tarife bis zum 30. November geeinigt.
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Dieses Abkommen ist ein großer Er folg der Gewerkschaften. Die Unternehmer hatten ganz exorbitante Forderungen sowohl hinsichtlich des Lohn- wie des Manteltarifes gestellt. Es war das nun schon seit Jahren übliche Abbauprogramm, das die Arbeitgeberverbände bei allen Verhandlungen präsentieren und auf das einzugehen die Schlichtungsbehörden stets nur zu bereit gewesen sind. Der energische Widerstand der Gewerkschaften gegen den Abbau der Tariflöhne, den die Notverordnung den Unternehmern gestattet, die Entschlossenheit, nunmehr jedem weiteren Lohnabbau mit allen gewerkschaftlichen Mitteln sich zu widersezen, haben ihren Eindruck nicht verfehlt. Jede Verschlechterung hätte unvermeid= lich die Stillegung der deutschen Seeschiffahrt zur Folge gehabt.
Angesichts dieser geschlossenen Front aller beteiligten Gewerkschaften haben die Unternehmer in letzter Stunde den Rückzug angetreten. Und das war das klügste, das sie tun fonnten.
Erfolg bei Kempinski
Der Konflikt in den Kempinski- Betrieben ist noch heute beigelegt worden. Nachdem der Firmenleitung der Streitbeschluß ihrer Belegschaft bekannt wurde, erklärte sie sich schriftlich bereit, die Anschläge zurückzuziehen, in denen sie diktatorisch eine Herabsetzung der wöchentlichen Arbeitszeit von 48 auf 44 und teilweise bis auf 42 Stunden verfügt hatte.
Durch die Zurücknahme dieses Dekrets, die durch einen neuen Anschlag in den Betrieben bekanntgemacht wird, ist das Ziel der Bewegung erreicht. Die Belegschaft hat durch ihr einmütiges Zu sammenstehen einen pollen Erfolg gehabt.
Den Nachbarn im Streit erstochen
In der Auguststraße spielte sich heute früh zwischen zwei Mietern ein blutiger Streit ab, der mit dem Tode des 34jährigen Arbeiters kaczmaret endete.
Kaczmarek und der 36 Jahre alte Arbeiter Kurt Wiese wohnen auf einem Flur, Tür an Tür. Schon seit langer Zeit besteht zwischen den beiden Männern heftige Feindschaft und wiederholt fam es in letzter Zeit zu schweren Auseinandersetzungen. Auch heute früh gegen 8 Uhr gerieten die feindlichen Nachbarn wieder aneinander. Es kam zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf Wiese seinen Gegner durch einen Herz= st ich niederstreckte. Der Schwerverletzte lief in seiner Todesangst noch die Treppe hinunter, brach aber im Hausflur bewußtlos zusammen und wurde sofort ins Krankenhaus gebracht, wo er bald nach der Einlieferung starb. Der Täter ist festgenommen worden. Bei seiner Vernehmung behauptete er, in Notwehr gehandelt zu haben. Kaczmarek sei mit einem Gummifnüppel auf ihn eingedrungen und in höchster Not habe er zu einem Küchenmesser gegriffen, um seinen Gegner abzuwehren.