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ZWEITE BEILAGE

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IRMGARD KEUN :

Vorwärts

Gilgi

eine von uns

,, So- und wenn wir nur einen Funken Phantasie haben, dann bringen wir's fertig, uns einzubilden, daß dieses olle Rattertari ein toller Rolls Royce ist oder Erz­snobs sind wir, Martin...

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,, Bildhübsch bist du, Gilgichen!"

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,, hört man immer wieder gern, sowas, Martin bitte, sag's nochmal. Wie? Sag's noch dreimal fann man gar nicht genug hören. Martin, der Pelz! Also ich tomm' mir vor ganz große Klasse, Martin! Laß nicht die Haare durcheinander brin­gen ich bin jetzt zu vornehm für solche Fuhrmannsliebkosungen. Halt!!! Wir sind dageh rauf, Martin- hol' Olga...

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Wart einen Augenblick, Martin- wie macht sich das: linker Fuß auf der Erde, rechter Fuß auf dem Trittbrett Frau Ge­neraldirektor X. mit ihrem schnittigen, rassi­gen, elegant faroffierten 17/ 100- PS- Bier­fizer- Cabriolet! Elegante Welt legte

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sprochen werd' warten, und wenn's drauf ankommt, bin ich da. Weißt du noch und genügt, daß du's weißt? Dank' dir schön, Olga.

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Wohin fahren wir eigentlich? So, ins Savoy

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Ja, erst Chablis alten Bommery später..

,, Ach, Martin, ich glaub', die meisten feinen Leute haben die Kellnerpsychose. Die bestellen nur so vornehme Sachen und tun, als wenn's ihnen selbstverständlich wäre- nur um dem Kellner zu imponieren. Auch ein Ehrgeiz!"

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Man ißt, man trinkt, man lacht: Man ist einverstanden miteinander und fühlt sich wohl. Ich fann heut' nichts vertragen", flagt Gilgi nach dem zweiten Glas Seft. Ist wie fnockout gebort von schwerer bleierner Müdigkeit. Lacht gleich darauf wieder, ist ausgelassen und um eine ganz, ganz fleine Nuance zu laut. Prost Kinder!" ruft sie, ein böses Spottfladern im Ton. Galgen humor. Prost Kinder sind wir nun drei oder vier hier am Tisch?" Siehst du schon

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doppelt, Gilgichen?" Qui sait?" Sie lacht. ,, Vor ein paar Tagen war Pit bei mir", erzählt Diga ,,, er hat nach dir gefragt, Gilgi und Bit! Gilgi fährt sich über die Stirn Pit! Pit! Was macht er, wie geht's ihm?" Ihre Fragen überſtürzen sich. Wenn

Im Saroy

er mich gesucht hat, dann braucht er mich- Bilgi spürt plöglich sinnlose Sehnsucht nach Pit, seiner harten Einsamkeit, der Unver­schwommenheit seines Wesens. Sie springt auf ich muß mal eben hin zu ihm sei mir nicht böse, Martin spielt er noch sei mir nicht böse, Martin

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DIENSTAG, 4. OKT. 1932

in der Lintgasse, Olga? Ich nehm' ein Tari, Martin in fünf Minuten bin ich da, in spätestens einer halben Stunde wieder zurück." Martin macht Einwände, Olga macht Einwände: jetzt macht Einwände: jezt so plötzlich lange genug ohne ihn gegangen morgen nur

Phot. Paramount

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doch

Zeit bis

warum denn

warum...

,, Herrgott im Himmel, macht mich doch nicht verrückt.

Muß denn auch im­mer alles erklärt wer­den!!! Ich will jetzt gehn -jezt will ich ver= steht mich doch- nein, allein will ich.." Schon sigt sie draußen im Auto.

Märchen von Tahitiii. ,, Tag, mein Junge", sagt Gilgi und tippt Pit auf die Schulter- ge­nau wie damals... Pit sieht auf. Sein Gesicht ist noch schmaler, noch blutloser geworden, die Augen noch mehr ein­gesunken anders nicht weicher- nein weiter im Blick.

,, Set dich nur, Gilgi , ich komme gleich zu dir." Nach kurzem, harten Drud läßt er ihre Hand fahren. Märchen von Tahiti .. Gilgi läßt den Pelz halb über die Schulter gleiten. Sehr fein sieht sie aus, sehr schön und elegant. ( Fortsetzung folgt.)

Gilgi im Pelz

Phot. Paramount

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Seite... Entschuldige, Martin, aber das reizt mich, ordinär zu werden! Ich werd' jezt im erstklassigen, schnittigen, elegant tarossierten Dreimeterbogen bis zur Wand drüben spucken. Ach, Martin- du- nein, das geht nicht- am hellichten Tage auf offener Straße Martin, laß mich los menn das aus ,, Sitten und Gebräuchen der Südseeinfulaner" ist hier tommst du mit Sitten- und Gebrauchspolizei der Zentrumsinfulaner" in Konflikt... Nicht, Martin mein Stempelgeld deckt sonst glücklich allein die Kosten für Lippen­chminte los, mach', daß du rauf­tommst, Martin!"

der

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Die fleine Dame Gilgi steht allein neben dem Auto, zieht die Oberlippe hilflos schief über den hübschen blanken Zähnen. Wird plöglich blaß unter der Schminke, fällt mit der Schulter gegen die Scheibe- wird bald alles ernst, ist bald alles zu Ende... Hat gleich wieder ihr tapfres Kleinmädchengesicht. Durchhalten wird man so oder so Courage hat man, und fleinfriegen läßt man sich nicht, und so Gott will werden's wenigstens feine Zwillinge.

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,, Ah, Olga, meine liebe Olga! Sieht sie nicht wunderschön aus, Martin! Ich find' es unnatürlich, daß du nicht in fie verliebt bist

,, Gilgichen, deine Männer sind mir safro­santes But." Männer! Wer spricht hier von Polyandrie!" Ja, wir sind alle hoff­nungslos monogam." ,, Natürlich, wir sind dekadent vor lauter Moral..."

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Hat was für sich, mit Gequatsche Gefühl zudecken. Liebe Olga. Gilgi hält Olgas Hand, ihre Knie sind eingeschlossen von Martins Knien. Sprechen drei Menschen zu­sammen, sprechen Knie zusammen und zwei Hände. Man muß sie lieb haben, Olga, dieses leichtsinnige Mädchen. Gilgi lacht, rafft mit einer hübschen, leichten Bewegung den Pelz über der Schulter zusammen- am schmalen blafsen Ringfinger glimmt der dunkle Amethyst hält mit der Linken Olgas Hand umflammert, gräbt ihr die Nägel in die weiche Handfläche. Keine Angst, meine Kleine sagen Olgas Finger feine Angst - wird nichts gefragt, nichts ge=

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Arbeiterleben in Bilbao

Wie es im Baskenland aussieht

Es ist ein elender Zug, der aus Santander durch unzählige Tunnel nach Bilbao fährt, aber der Eindruck dieser Reise ist dennoch sehr start, trotzdem man schon lange, vor Bilbao das Kan­tabrische Gebirge mit all seiner Schönheit vergißt. Unvermutet wird das Augen durch das vom Spanienreisenden beinahe vergessene Bild der Fabrikschornsteine getroffen, und, ehe man's be greift, ist man schon mitten unter Werkstätten, Fabriken, Hochöfen. Man möchte fast fragen, ob man wirklich noch diesseits der Grenze sei, ob man sich noch auf spanischem Gebiete befinde; so verschieden ist dieses industrielle Spanien von allem bisher in Spanien Gesehenen. Selbst Katalonien ist ja ganz anders, denn dort ist vorwiegend Textilindustrie, die sich nach außen hin nicht be­merkbar macht. In Bilbao dagegen ist man mitten unter Erzgruben und Schwerindustrie, Hochöfen, Walzwerken, Eisenmerken. Schmalspurige Eisen­bahnen durchziehen das Gebirgsmassiv, und Erze werden auf ihnen in die Wäscherei gebracht.

Auch in der Hauptstadt dieses Bezirks, in Bilbao selbst, fühlt man sehr stark, daß man sich in einer Industriestadt befindet, die nicht mehr einen rein spanischen, sondern einen internatio­nalen Charakter trägt. In den großen und sehr eleganten Cafés hört man viel französisch, englisch und deutsch sprechen: die Gruben sind zu einem großen Teile in Händen ausländischer Gesell­schaften, die hier große Büros unterhalten.

Groß und belebt ist das Arbeiterviertel von Bilbao , trotzdem ein bedeutender Teil der Ar­beiterschaft außerhalb der Stadt in vielen kleinen Vororten, die zugleich Fabriforte sind, wohnt. Die Zahl der Arbeiter ist sehr beträchtlich; man sagte mir, daß allein die Grubenarbeiter und die Metallarbeiter mehr als 100 000 Mann aus­machen. Natürlich ist gegenwärtig die Lage der Arbeiter schlecht. Die Arbeitslosigkeit wächst durch die allgemeine Weltwirtschaftskrise, die in Spanien noch durch eine gemiffe Sabotage der Unternehmer gegen die Republik verschärft ist, dauernd an. Eine genaue Statistik egistert hier natürlich eben­sowenig wie in den anderen spanischen Provinzen. Immerhin konnte man mir annähernd die Zahl nennen, nämlich 12 bis 15 Tausend Arbeitslose, was bedeutend mehr ist als der sonstige Durch schnitt in diesem wenig industriellen Lande.

Man könnte vielleicht vermuten, daß eine solche Arbeitslosigkeit und die damit verbundene Not die Arbeiterschaft dieser Provinz radikal stimmen, und es ist eine um so erfreulichere Ueberraschung, daß diese Befürchtung durchaus nicht zutrifft. In der Tat, die UGT., die sozialistischen Gewerk­schaften, sind hier die stärkste Arbeitergruppierung. Sie zählen über 50 000 zahlende Mitglieder. Nach ihnen kommen die nationalen Gewerkschaften, eine Spezialität des Baskenlandes, die mehr den nationalen bastischen Bestrebungen als den Ar­beiterinteressen zugetan sind, dann erst die Anarchosyndikalisten und schließlich die Kommu­nisten, die wenig zahlreich sind. Diese Entmid­dem industriellen lung läßt sich gerade aus Charakter des Landes ziemlich leicht erklären. Im Baskenland entstanden die ersten soziali stijden Arbeiterorganisationen

Spaniens , und der soziale Kampf nahm hier seinen Ausgang. Da aber in jenen Zeiten für den Klassenkampf nur eine einzige Parole galt, so ist es klar, daß die Arbeiterschaft dieser Provinz sozialistisch mar. Später haben die vielen ge= wonnenen Arbeitskämpfe und die immer straffer werdende Organisation die Arbeiter fester zu­sammengeschlossen Sie sind deshalb neuen Kampfrufen weniger zugänglich als etwa die völlig unorganisierten Volksmassen in Andalusien . Immerhin zeigen die letzten Ereignisse gerade im Grubenbezirk von Bilbao , wo im Zusammenhange mit der Begnadigung des aufständischen Generals Sanjurjo Rundgebungen stattfanden, die einen blutigen Ausgang nahmen, daß die radikalen Ele­mente, wenn auch nicht zahlreich, so doch sehr aktiv find.

Die sozialistischen Gewerkschaften führen in dem industriellen Gebiet einen sehr bewußten und sehr harten Kampf, um die Lage der Arbeiterschaft zu bessern Gegenwärtig geht es ihnen darum, eine Arbeitslosenversicherung ins Leben zu rufen. Bis jetzt wird den Arbeitslosen und ihren Familien nur auf dem Wege der Wohltätigkeit geholfen: die Stadtgemeinden speisen sie unent­geltlich. Künftig soll aber zum Zwecke der Ar­beitslosenversicherung 1 Proz. vom Lohne der Ar­beiter abgezogen werden, und die gleiche Summe mie die Arbeitnehmer sollen auch die Arbeitgeber leisten. Die so erhaltenen Mittel werden freilich bei weitem nicht genügen, um halbwegs ausfömm liche Unterstützungsgelder zu zahlen. Immerhin

wäre damit der erste Anfang einer Arbeitslosen­versicherung gemacht.

Es ist kaum zu glauben, daß im gleichen Baskenland , in dem ein so sachlicher und zielbe= mußter Kampf geführt wird, auch für einen provinziellen und kleinbürgerlichen Patriotismus Plaz ist Und doch ist das Baskenland sehr national und eine Hochburg des spanischen Katholizismus. Die Basken, die außer= ordentlich stolz darauf sind ,,, reines" arisches Blut in den Adern zu haben, und die sich als die älteste Nation Europas betrachten, wollen unbe­dingt ihre alten politischen Freiheiten zurückge­winnen und erstreben eine Art Selbstverwaltung, mie sie kürzlich den Kataloniern zuteil geworden ist. Jedoch, wenn es in Katalonien eine izgierda, d. h. eine Linkspartei, gibt, die die autonomistischen Bestrebungen mit gewissen sozialen Idealen zu ver­binden sucht, so sind es im Baskenlande hauptsäch­lich die Rechtsleute, die sich von Spanien in ihrer inneren Verwaltung isolieren wollen. Zunächst existierte ein Projekt, monach die drei baskischen Provinzen mit der Provinz Navarra ein gemein james Statut befommen sollten. Doch bei der Zu­sammenkunft der Bürgermeister aus diesen Ge= bieten ermies es sich, daß die Navarren gar nicht millens sind, zusammen mit den Basken vorzu­gehen, vielleicht, weil sie befürchten, daß die viel mächtigeren und reicheren Basten sie leicht unter­drücken könnten, vielleicht aber auch, meil die Navarren noch rückständiger und katholischer find als die Basken.

Historische Wespe

Wespenurahnen gab es schon in jenen Erdzeit. altern, da über Mitteldeutschland ein blaues, warmes Korallenmeer rauschte, dessen stehenge= bliebene Riffe heute noch, gleichsam zur Erinne rung an jene Beriode, den Namen Kreide tragen. Auch das spätere urmeltliche Paradies der deut= schen Palmen, Lotos- und Kampferbäume, das Tertiär, entbehrt ihrer nicht, denn zwischen Blät­tern und Farnabdrücken tragen die Braunkohlen zuweilen auch Spuren von Flügeln und Chitin­körpern, die beweisen, daß die uralten Wespen­großmütter ihren heute lebenden Enkeln fast aufs Haar ähnlich gesehen haben.

Die früheste historische Wespe dagegen ist um sehr vieles jünger; sie zählt nur etwa dreitausend Jahre Und da sie unter nicht ganz alltäglichen Umständen gefunden wurde, lohnt es sich vielleicht, sich ihrer zu erinnern. Ihre Heimat ist das Land der Mumien, Aegypten , und die Ursache ihrer Entdeckung ist die berüchtigte, seit Jahrhunderten geübte Gewohnheit der Araber, die verschlossenen Gräber aufzubrechen und zu plündern. Dieser Gräberraub scheint in Aegypten allerdings, wie so vieles, bereits antife Mode gewesen zu sein denn um sie vor Leichendieben zu retten, bracht? aljc man mährend der 20. Dynastie bereits etma 1000 n. Chr. mehr als 100 fönigliche Mumien samt Schäzen und foftbaren Särgen in

einen völlig verborgenen Schacht bei Theben, so gut hinter Steinen vergraben, daß seine Kenntnis mit den Menschen jener Zeit ausstarb und im Sande der Wüste versant. Erst die Araber spür­ten die verborgenen Felsengänge, 12 Meter unter der Erde, wieder auf, und da sie töricht genug waren, dort gestohlene kostbare Papyri zum Kauf anzubieten, so wurden sie durch Strafen und Drohungen endlich dahin gebracht, die Lage des Schachtes zu verraten.

Unerhörte Kulturschäße an Schmuck, edlen Me­tallen, Waffen und Dokumenten lohnten die zu­greifende Gerechtigkeit Eine der verschollenen Königsmumien, die einstmals als Amenophis I. um 1557 v. Chr. ein Herrscher von unumschränkter Gewalt und göttlichen Ehren gewesen war, trug noch so reichen Blumenschmuck, daß man die Und Blüten erkennen und bestimmen konnte. mitten in ihnen saß, den Rüssel noch saugend vor­gestreckt, eine Wespe, die wohl einst, ganz in Duft und Farbenglut versunken, das Schließen des schweren Holzdeckels versäumt hatte und mit eingejargt worden war, um erst 3000 Jahre später das Licht der Sonne wieder zu erblicken. Das trockene, oft mehr als hundert Jahre völlig regen­lofe Klima hatte ihren zarten Leib ebenso gut be­wahrt wie den ihres einstigen Herrschers. R. Fauc