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Abend- Ausgabe

Nr. 468 B 226 49. Jahrg.

Rebattion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3

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Vorwärts

BERLINER

E

VOLKSBLATT

DIENSTAG

4. Oktober 1932

Jn Groß Berlin 10 Pf. Auswärts....... 10 Pf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des rebattionellen Teils

Rentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Angriff auf die Gewerkschaften

Ein Einschüchterungsversuch des Kabinetts der Barone

Im heutigen Reichsanzeiger" wird eine weitere Ausführungsverordnung des Reichsarbeitsministers veröffentlicht, in der die von der Reichsregierung schon bis­her ständig vertretene Auffassung hinsicht­lich der Friedenspflicht der Ge­werkschaften nochmals ausdrücklich Klargestellt wird.

Nach der Verordnung gilt die Erfüllung des Arbeitsvertrages trok der von dem Arbeitgeber wegen Velegschaftsvermeh­rung vorgenommenen Lohnermäßi­gung als dem Tarifvertrag entsprechend, so daß Kampfmaßnahmen einer Tarifpartei gegen die Durchführung der Verordnung als Verlegung des Tarifvertrages gelten.

Der Reichsarbeitsminister hat diese Klarstellung als angezeigt gehalten, um in den beteiligten Kreisen jeden Zweifel über die Rechtslage auszuschließen und un­nötige Streitigkeiten und Prozesse zu ver meiden.

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Die neue Ausführungsverordnung des Reichs­arbeitsministers zur Lohnkürzungsverordnung des

Kabinetts der Barone stellt einen Angriff der Reaktion im Staate auf die gewerk schaftlichen Organisationen der Ar­beiterschaft dar. Im Interesse des Unternhmertums, das mit der sogenannten Papen - Ankurbelung Extraprofite auf Kosten der Arbeiter zu machen gedenkt, sollen den Arbeiterorganisationen die Hände gefesselt werden, so daß sie sich nicht zur Wehr sehen können.

Die Regierung der Barone droht den Gemert­schaften mit der zivilrechtlichen Scha= densersahpflicht, falls sie einen der Ab­wehrstreiks unterstützen, ja, falls einer ihrer Mit­glieder sich daran beteiligt. Ruht schon diese Aus­führungsverordnung auf einer absolut schwanken­den Rechtsgrundlage, so ist diese Ausdehnung auf ein einzelnes Mitglied rechtlich völlig unbegründet.

Das Kabinett der Barone möchte aus den Ge­werkschaften ein Stillhaltekonsortium für aus­beutende Unternehmer und lohnabbauende Barone machen. Es wird sich darin täuschen!

An die Stelle der bisherigen Erklärungen des Reichsarbeitsministers gegen die Zulässigkeit der Abwehrstreiks tritt nunmehr eine neue Verord

nung. Die Rechtmäßigkeit dieser Ber ordnung unterliegt ebenso wie die Richtigkeit der bisherigen Erklärungen der gerichtlichen Nachprüfung.

Die Arbeiterschaft hat sich gegen den neuen Lohnabbau zur Wehr gesezt. Die Reaktion in der Regierung und im Unternehmerlager hat er­kennen müssen, daß ihr Uebermut gegen die Ar­beiterschaft eine Grenze hat. Die Arbeiter sind nicht gesonnen, sich unter die Elendsgrenze tief hinunterdrücken zu lassen. Die Einflüsterer des Kabinetts der Barone reden viel vom staatlichen Notstand, um damit verfassungswidrige Pläne zu begründen. Der Notstand der Arbeiter= schaft ist längst unerträglich geworden. Dieser Notstand wird der Arbeiterschaft die Wege und die Kampfmittel zu ihrer Verteidigung gegen eine übermütig gewordene Reaktion lehren. In allen Betrieben herrscht tiefste Unruhe, und der neueste Gewaltstreich des Kabinetts der Barone, das angeblich die Produktion ankurbeln wollte, wird nur dazu führen, daß die Produktion durch die Unruhe in den Betrieben gestört wird. Denn die Arbeiter sind keine Maschinen, sondern denkende, fühlende und fämpfende Menschen!

Wo bleibt das Volksbegehren? Lersners Gendung

Papens Mühlen mahlen langsam

Das Boltsbegehren gegen den Sozialabbau, Das von unserer Partei am 12. September noch vor der Auflösung des Reichstags beim Reichs­innenministerium eingereicht worden ist, wird von diesem immer noch geprüft".

Der Parteivorstand hat am Dienstag, dem 4. Oktober, den Reichsinnenminister, Frei­ herrn v. Gaŋl, persönlich ersucht, die Prüfung zu beschleunigen. Freiherr v. Gayl erklärte, daß die finanzielle Auswirkung des An= trages geprüft werde, worauf ihm erwidert wurde, daß nach der Reichsverfassung finanzielle Bedenken nicht in Frage kommen können.

Es dürfe nicht das Gefühl hervorgerufen wer­den, daß dem Volk sein plebiszitäres Recht ge­nommen werden solle. Der Minister sagte zu, die Prüfung zu beschleunigen.

Die Regierung darf sich nicht wundern, wenn die Mutmaßung Plaz greift, daß man nach Vor­wänden sucht, das Volksbegehren gegen den So­

zialabbau verschleppen und sabotieren und schließ lich ablehnen zu können.

Troz Reaktion!

In dem Kreis Edartsberga( Bez. Halle a. d. S.) ist es gelungen, innerhalb 8 Tagen 3 neue Ortsvereine mit 40 Mitgliedern neu zu gründen. Es ist erfreulich, daß sich unter den neugewonnenen Mitgliedern auch einige Klein­bauern befinden.

Nord- Niederschlesien greift an! Machtvolle Kundgebungen für den Sozialismus gegen Reaktion und Faschismus fanden in den letzten Tagen in Sagan, Halbau , Grünberg, Neu­falz, Glogau , Sprottau und Primkenau statt. Die größten am Orte befindlichen Säle waren durch­weg überfüllt und mußten polizeilich geschlossen werden.

Parteihäuptlinge. Auch im Rundfunk sind schon

Rykow wieder in Gnade verschiedentlich kleine Andeutungen über die

Aber Massenverhaftung von Trotzkisten

Die politische Linie Stalins verändert sich so oft wie seine politischen Parolen. Noch vor einem halben Jahr tobte in Moskau ein heißer Kampf gegen die Rechts oppofition, so daß man fast die Verfolgung der Troptisten zu ver­gessen schien. Heute hört man weder in der Sowjetpresse noch im Sowjetrundfunk auch nur ein einziges Wort gegen die Rechtsopposition, während von allen Seiten scharf gefordert wird, die letzten Ueberreste des Trotzkismus zu ver­nichten".

den

Wie man jetzt aus einer sehr zuverlässigen Quelle hört, kann man zum 15. Jahrestag der russischen Revolution eine Be gnadigungs­aption der Sowjets gegenüber rechts oppositionellen verurteilten Gefangenen erwarten. Es ist sehr bezeichnend, daß in letzter Zeit der frühere Führer der Rechtsopposition, Rytow, jest wieder in Kremls Gnade steht. Rykom ward als Postminister kaltgestellt worden. Heute aber darf sich Rykow selbst wieder mit Parteipolitik befassen und hält sehr oft im Mos­kauer Rundfunk Ansprachen im Auftrage der

fommende ,, Gnadenaktion" gegenüber politischen Gefangenen gefallen. Um so schärfer aber tobt wieder der Kampf gegen Troykis An= hänger. Während einer kurzen Zeitspanne sollen allein Moskau 340 Leute unter dem Ver­dacht des Trotfismus verhaftet worden sein, unter ihnen Angehörige der Roten Armee. Viele von diesen wurden nach Solowkij verbannt. In einer Moskauer Rundfunksendung wurde gesagt, daß der Kampf gegen die Trogkisten un barm= herzig geführt werden müsse, um zum Erfolg zu führen.

Innere diplomatische Niederlage der

Barone

Der Freiherr von Lersner, der in Sachen Reichs­reform, Modell Ostelbien, die Länder im Auftrag der Reichsregierung bereist, wird heute in Sachsen vorsprechen. Bayern und Baden hat er hinter sich, aber seine Auftraggeber werden enttäuscht sein. Am Sonntag hat der badische Staats­präsident eine unzweideutige Kampfansage gegen das Kabinett der Barone geredet, und am Montag hat der bayrische Staatsrat Schäffer in einer Sigung des Landesausschusses der Bayerischen Volkspartei erklärt:

,, Die Notverordnungspolitik des Reiches, die auf einem unerträglich gewordenen Miß= brauch des Art. 48 der Reichsverfassung beruht, birgt die Gefahr einer Erschütterung des Rechtslebens in sich.

Die Partei begrüßt eine deutsche Außen­politik, die mit wirklicher äußerer und innerer Stärke, aber auch mit Klugheit um die deutsche Freiheit und Gleichberechtigung ringt. Eine Außenpolitik, die Lautstärke mit inne­rer Stärke verwechselt und die allzu sehr militärisch betont ist, wird dem deutschen Volke eine Erfolge und Fortschritte bringen.

Die Partei wendet sich gegen jegliche Absicht, die Reichsreform unter Zuhilfenahme des Ar­tikels 48 durchführen zu wollen. Dem Mißbrauch mit dem Artikel 48 muß ein für allemal ein Ende bereitet werden, entweder durch ein Aus­führungsdekret zum Artikel 48, das einfacher Mehrheit bedarf oder durch eine Aenderung des Artikels 48, derart, daß dieser Verfassungs­paragraph fünftighin nur im Einvernehmen von Reichspräsident und Reichsrat gehandhabt werden darf. Staatsrat Schäffer hielt es schließlich für notwendig, schon jetzt Reichstagswahl anzufündigen, daß er eine neuerliche Reichstagsauflösung als, offenen Verfassungsbruch" betrachten werde."

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vor der

Der Sendbote des Nordens nach dem Süden fehrt also nicht mit dem Delzweige zurück, und wir zweifeln, ob Herr von Papen sich bald mit dem bayrischen Held Arm in Arm photo­

HamburgsVerkehrsstreit graphieren lassen kann.

Schiedsspruch verbindlich erklärt Nach dem ergebnislojen Ausgang der Nach­verhandlungen hat der Reichsarbeitsminister am Dienstagvormittag den Schiedsspruch, der für das Personal der Hamburger Verkehrsgesellschaften ge­fällt worden war, für verbindlich erklärt. Der Hamburger Verkehrsstreif dürfte auf Grund dieser Entscheidung nunmehr fein Ende finden.

Gandhi droht von neuem. Mahatma Gandhi soll seinen Freunden gegenüber angedeutet haben, daß er seinen hungerstreit bis zum Tode" nach sechs Monaten wieder aufnehmen will, wenn bis dahin die Schande des Nicht­berührtwerdendürfens" nicht von allen( d. h. den Parias) genommen ist, auf denen sie jezt lastet.

Röhms Todesangst

Die Mordpläne im Braunen Hause Kann man sich vorstellen, daß etwa Höltermann zu Hitler läuft mit der Klage, Sozialdemokraten trachteten ihm nach dem Leben?

Nein, das kann man sich absolut nicht vor­stellen. In einer Organisation, deren Führer geistig intakt sind und in der saubere zu­stände herrschen, ist so etwas völlig undenk­bar. Man kann sich darum auch gar nicht vorstellen, welchen Lärm es in der ganzen Welt geben würde, wenn etwas Derartiges passierte!

Im Tschekaprozeß des Braunen Hauses wurde gestern die Münchener Post" zu 1200 Mark Geldstrafe verurteilt, weil sie die von Röhm behauptete Beteiligung der National­sozialisten Schulz und Schwarz an Mord­plänen, die gegen ihn gesponnen wurden, nicht beweisen fonnte. Das Urteil hebt aber hervor, daß sich der Beklagte in gutem Glau­ben befunden habe. Als strafmildernd wurde angenommen, daß in maßgebenden Kreisen der NSDAP . selbst die gleiche Auffassung wie beim Beklagten bestanden habe und daß der Beklagte der Ueberzeugung gewesen sei ,,, einer wirklich bestehenden, in einem Rechts- und Kulturstaat nicht zu duldenden Organisation den Todesstoß zu versetzen".

Die Beteiligung oder Nichtbeteiligung der Schulz und Schwarz an den braunen Mord­plänen war juristisch belangvoll, politisch ist sie völlig belanglos.

Politisch belangvoll ist dagegen, daß

1. Mordpläne von Nationalsozialisten gegen Nationalsozialisten tatsächlich bestan­den haben( Verurteilung von Danzeisen wegen Mordanstiftung).

2. Herr Röhm dem Reichsbannerführer Major Mayr einen Besuch abgestattet, ihm das Vorhandensein der Mordpläne bestätigt und ihn gebeten hat, ihm sein Material gegen Röhms Feinde in der NSDAP . zur Verfügung zu stellen.( Aus­sage des Major Mayr.)

Dem Angeklagten Goldscha gg ist zu­gebilligt worden, daß er ,, einer wirklich be­stehenden, in einem Rechts- und Kulturstaat nicht zu duldenden Organisation" den Todes­stoß versehen wollte. Gemeint ist damit die Tscheka innerhalb der SA. und der NSDAP . Aber noch interessanter als ein solches Pest­geschwür selbst scheint uns der Boden zu sein, auf dem es wachsen konnte. In welchem geistigen und sittlichen Verfassungszustand müssen sich die Führer einer Bewegung be­finden, in der sich solche Dinge ereignen fönnen! Und ist es denkbar, daß eine Be­wegung, die solche Fäulniserscheinun gen zeigt, bestehen bleibt und fortschreitet?

Bürgerflucht.

Naziwähler reißen aus wie Schafleder Eigener Bericht des Vorwärts"

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Darmstadt, 4. Oktober. Eine katastrophale Niederlage erlebten die Nazis bei einer Bürgermeisterwahl in Neustadt i. D. Von 582 Wahlberechtigten machten 520 ihrem Wahlrecht Gebrauch. Es entfielen auf den nationalsozialistischen Landtagsabgeordneten Lenz 45 Stimmen, während die Nazis bei den Landtagswahlen am 19. Juni 1932 noch 238 Stimmen erhalten hatten. Der sozial= demokratische Kandidat erhielt 78 Stim­gegen 41 bei den Landtagswahlen. Die fommunistischen Stimmen gingen von 219 auf 163 zurüd. Der größte Teil der nationalsozialistischen Stimmen ging auf eine Bürgerliste über, die von 27 bei der Landtagswahl auf 232 Stim­men anwuchs.

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