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BEILAGE

Vorwärts

Dr. J. H. Leunbach , Um die Sexualreform

Kopenhagen :

Dr. J. H Leunbach, der Führer der Serualreformbewegung in Dänemark hat seine medizinische Lätigkeit hauptsächlich der Propaganda für Geburtenregelung ge= widmet. Seine Stellung als Mitbegründer und Präsident der Weltliga für Sexual­reform, deren 5. Kongreß soeben in der Tschechoslowakei stattgefunden hat, gibt feiner Arbeit internationale Bedeutung. Vor acht Jahren eröffnete ich unter bescheidensten Formen eine Beratungsstelle für Geburtenregelung. Das erregte damals ungeheures Aufsehen in Kopenhagen und wurde im höchsten Maße für anstößig und unmoralisch gehalten. Heute, nach acht Jahren, wird von den meisten zugegeben, daß eine derartige Segualberatung selbstverständlich und erstrebenswert ist. Während meiner acht­jährigen Tätigkeit als Serualberater habe ich etwa 5000 Frauen in der Anwendung von Verhütungs­mitteln unterrichtet und bin von etwa 10 000 wegen befürchteter Gravidität konsultiert worden, deren Vorhandensein ich dann in den meisten Fällen auch feststellen mußte. Die Frauen waren von dem einzigen Wunsche beseelt: von dieser Gravidität befreit zu werden! Ich will hier ganz furz von den Erfahrungen berichten, die ich während meiner Arbeit gemacht habe:

Wer sucht die Sexualberatung?

Es ist oftmals hervorgehoben worden, zumeist gegnerischerseits, daß Armut und Not nicht die Triebfedern seien, die das Publikum zur Anwen­dung empfängnisverhütender Mittel treiben. Man begegnet dem Hinweis, daß Not und Armut früher noch größer waren und somit nicht die Ursache der heutigen Geburtenregelungsbewegung sind. Dies bestätigen meine Erfahrungen insofern, als meine Klientel nicht den niedrigsten Schichten, sondern hauptsächlich dem Mittelstande, den In­tellektuellen und den besser gestellten Arbeitern entstammt; und dieses ist der Fall, obwohl ich nicht nur bezahlende Patienten, sondern auch eine gratis Konsultation für Unbemittelte habe. Meine Konsultation wird ferner sehr wenig von Frauen aus der wirklichen Oberklasse gesucht, die wahr­scheinlich schon von ihrem Hausarzt oder auf andere Weise die nötige Belehrung erhalten haben. Nach meiner Auffassung ist der Wille zur Selbstbestimmung über die Fortpflanzung ein Kulturfortschritt. Die große Mehrzahl der Ar­beiterfrauen lassen sich immer noch von Hemmun­gen, beherrschen, die sich vor dem Aufsuchen einer Serualberatungsstelle geltend machen.

Nur in zwei Beziehungen scheint die Bewegung für freiwillige Mutterschaft bis in die untersten Schichten der Bevölkerung durchgedrungen zu sein, und zwar in dem Wunsche, die Kinder­zahl zu begrenzen und in der Kenntnis, daß eine Schwangerschaft sich künstlich unter­brechen läßt und somit nicht zur Geburt eines Kindes zu führen braucht. Trotz der Aufklärung die wir durch Vorträge, Broschüren, Zeitungs­artikel usw. verbreitet haben, stellen sich deshalb in meiner Konsultation immer noch bedeutend mehr Frauen ein, die bereits schwanger sind, als Frauen, die sich in der Anwendung empfängnisverhütender Mittel unterrichten lassen wollen: in den letzten Jahren ungefähr dreimal so viel schwangere als nichtschwangere Frauen.

Dieses ist, wie gesagt, nicht der Fall, weil kein Wunsch vorhanden ist, eine Schwangerschaft zu verhüten, denn fast alle, verheiratete und un­verheiratete, benugen den coitus interruptus und können nie begreifen, daß die Schwangerschaft trotz aller Vorsicht eingetreten ist. Auch in dieser Hinsicht unterscheiden sich Frauen der ver­schiedenen Bevölkerungsklassen stark voneinander. Verhärmte und ausgehungerte Arbeiterfrauen mit vielen Kindern sind so gewöhnt zu leiden und zu entsagen, daß man sie verhältnismäßig leicht zur Ruhe bringt. Es ist eben nichts zu machen, nun ja, man muß sich mit seinem Schicksal abfinden: ihr Dasein ist ohnehin so grau und trübe, daß es fich faum verschlimmern fann.

Ganz anders reagieren die selbsterwerbenden Frauen der mittleren Bevölkerungsschichten, so­wohl die verheirateten wie die unverheirateten. Sie fühlen sich in ihrer Existenz, ihrem Lebensstandard und ihrer Selbständigkeit bedroht. Sie wissen, daß es möglich ist, die Frucht zu entfernen und wollen von der ungewünschten Schwangerschaft befreit werden. Kann ihnen der Arzt nicht helfen, so müssen sie sich eben nach einem anderen Aus­weg umsehen. Sie wollen das Kind nicht zur Welt bringen und tun es auch nicht.

Eine Besserung dieser Verhältnisse würde zweifellos eintreten, falls man der Schwanger­schaftsverhütung offizielle Anerkennung zuteil werden ließe, und diese Anerkennung durch die Errichtung offizieller Serualberatungsstellen unter­streichen würde.

Der Protest gegen das Gebären ungewünschter Kinder hat sich in Dänemark noch nicht so durch­gesetzt wie z. B. in Deutschland , wo man mit annähernder Sicherheit feststellen kann, daß die Zahl der künstlichen Aborte ebenso groß ist wie die Geburtenziffer. Banz so grell sind die Verhältnisse in Dänemark faum; doch ist, dort andererseits mit einer ständigen Zunahme der Aborte in den

nächsten Jahren zu rechnen, aus welchem Grunde eine Regelung der Verhältnisse vonnöten ist.

Die antikonzeptionelle Technik

Auf dem internationalen Kongreß für Geburten­regelung, der im September 1930 in Zürich statt­fand, kamen die dort versammelten Aerzte, die die Geburtenregelung zu ihrer Spezialität gemacht haben, zu folgendem Ergebnis: ein ganz ideales Verhütungsmittel, das einfach und billig, non jeder Frau leicht benugtbar, unbedingt zuverlässig und ohne ästhetische Mängel ist, gibt es noch nicht. Aber eine Kombination mechanischer und chemischer Mittel, von der Frau angewandt, gewähren eine nahezu vollständige Sicherheit und ist nicht schwieriger, als daß jede Frau die Benuzung dieser Mittel erlernen kann.

Es gibt nur sehr wenige Frauen, die mechanische Mittel nicht benügen können. In derartigen Fällen empfehle ich dem Mann den Gebrauch eines Kondoms.

Die verbreiteste und einfachste aller Verhütungs­methoden ist der coitus interruptus. Leider ist die auch die unzuverlässigste aller Methoden. Dr. Abraham Stone, New York , hat mittels Mikroskopie nachgewiesen, daß lebende Sperma­tozoen lange vor der eigentlichen Ejakulation aus der Urethra heraustreten. Bei 20 Proz. der unter­suchten Männer wurden Spermatozoen im Sekret der Urethra nachgewiesen. Wäre es möglich, eine Anzahl von Männern unmittelbar nach dem Unter­brechen des Coitus zu untersuchen, so wären wahr­scheinlich Spermatozoen bei nahezu 100 Proz. nach­weisbar. Es ist infolgedessen von größter Wichtig­keit, die Bevölkerung, und übrigens auch die Aerzte, darüber zu belehren, daß der coitus interruptus eine unzuverlässige Methode ist. Jede andere Methode wird sich aber erst dann überall durchsetzen können, wenn in Stadt und Land spezielle Sexualberatungsstellen errichtet werden, und wenn alle Aerzte und medizinischen Studenten sich mit der antikonzeptionellen Technik vertraut machen, um schädliche und unzuverlässige Methoden durch unschädliche und sichere zu ersetzen.

Eine natürliche Ergänzung dieser Maßnahmen innerhalb der Geburtenregelung bildet dann die stark erweiterte Verwendung der sterilisierenden Operationen bei denjenigen Individuen, die aus eugenischen oder anderen Gründen überhaupt keine Kinder in die Welt setzen sollten. Auch hier ist eine radikale Gesetzesänderung erforderlich, am besten in dem Sinne, daß die Gesetzgebung fich überhaupt nicht in diese Frage einmischt. Ueber die

Schwangerschaftsunterbrechung

find sich alle insofern einig, daß sie ein absolutes Uebel ist und bleibt, das nach Möglichkeit zu ver­hüten und zu vermeiden ist und nur dort in An­wendung zu bringen, wo es sich um die Ver­meidung eines noch größeren Uebels handelt.

Der ordentliche Professor für Obstetrik der Universität Kopenhagen äußerte gelegentlich, es sei die Aufgabe des Geburtsarztes, die Interessen des Kindes, auch des ungeborenen, wahrzunehmen, morin ich ihm vollständig beipflichte. Die Frage ist nur: mas sind die Interessen des ungeborenen Kindes? Ist es das Inter­esse der Leibesfrucht, gegen den Wunsch der Eltern in eine Welt mit Armut, Not, Erwerbslosigkeit und Wohnungsnot hineingeboren zu werden, auch wenn Stellung, Ehre und soziale Position der Mutter auf dem Spiel stehen, auch wenn es die größte Aussicht hat, Epilepsie, Geistesschwäche oder andere Defekte zu erben? Diese Frage beantworte ich ohne Bedenken mit einem entschiedenen Nein!

Ich habe selbst einmal daran gezweifelt, ob die Abschaffung der Strafbestimmungen angängig sei, aber nachdem ich in Rußland mit eigenen Augen die günstigen Auswirkungen der Legalisierung gesehen habe, besteht für mich kein 3weifel darüber, daß hier der einzige richtige Weg ist.

Bis vor wenigen Jahren war ich selbst von jedem ganz natürlichen, instinktiven Unwillen gegen die Tötung der Leibesfrucht erfüllt, den jeder Mensch, und insbesondere jeder Arzt hegen muß. Ich verstehe deshalb sehr wohl die sich auftürmen­den Schwierigkeiten, und daß es viel einfacher ist,

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Probleme des Kindes

Wenn man vom Hohenneuffen, der mächtigsten Ruine der Schwäbischen Alb , hinabwandert ins Tal, dann fommt man an einem Heim für erholungsbedürftige Erwachsene und Kinder vor­bei, das sich ,, haus Aichele" nennt. Man geht achtlos daran vorbei, als an einem der vielen Erholungsheime, die es in Deutschland gibt. Dann aber erfährt man von Erfolgen, die hier in dieser Stille und Unbeachtetheit erzielt wurden. Nicht nur Eltern und Erzieher, sondern auch Jugend­ämter überweisen ihre schwer erziehbaren Kinder für längere oder kürzere Zeit hierher. Was ist das Geheimnis dieser Heilerfolge? Julie Aichele gibt über ihre Arbeit in einer Broschüre Rechen­schaft, die sie im Selbstverlag erscheinen ließ: Probleme des Kindes".( Eine psychologische Studie. Neuffen .) Für den Psychologen und Er­zieher wie für den Arzt ist die geistige Grundlage dieser Arbeit interessant. die zum erstenmal in Deutschland ein Erziehungswerk auf der Jungschen Tiefenpsychologie aufbaut.( Carl Jung ist Nervenarzt in der Schweiz und hat eine Reihe bedeutsamer psychologischer Bücher veröffentlicht.) Für die Praxis des täglichen Lebens aber, vor allem für Frauen und Mütter, sind die Wirkun= gen dieser Erziehungsarbeit ausschlaggebend, die Art, wie hier eine mütterliche Frau von großer Begabung und reicher Erfahrung es versteht, ver­frampfte, gehemmte und scheinbar ,, anormale" in gesunde, frohe Kinder zu verwandeln.

Für Julie Aichele ist Erziehung nicht Dressur, sondern freie, harmlose Kräfteentfaltung. Die Kinder aber, die zu ihr gebracht werden, sind nicht frei, nicht harmonisch, sondern einseitig beeinflußt, gehemmt, zurückgeblieben. Der Strom der Ent­midlung weist Stauungen auf. Hier ein Beispiel aus der Praxis: Ein sechsjähriger Junge wird in das Heim gebracht. Seine Geschwister behandeln ihn schlecht wegen seiner Unfähigkeit und Unselb= ständigkeit. Er ist nicht fähig, sich allein die Nase zu puzen, sich anzukleiden. Also anscheinend ein Fall starker geistiger Zurückgebliebenheit, ein un­soziales, freudloses, geistesschwaches Kind. Im Heim aber findet die Erzieherin bald heraus, daß dieses Urteil auf einem Irrtum beruht. Das Kind ist gar nicht unbegabt, sondern nur gehemmt. Es ist außerordentlich interessant, dem ruhigen Ent­wicklungsprozeß zu folgen, wie er sich nun lang= sam anbahnt. Ganz allmählich schält sich in Ge­sprächen mit dem Kind der Kern seines Wesens heraus: Eine tiefe Abneigung, selbständig zu werden. Es will im Stadium eines Zweijährigen beharren. Auf der anderen Seite aber ist der Junge herrisch, anmaßend, befehlend. Nachfor­schungen bei der Mutter bringen endlich die Er­flärung: Um das zweite Lebensjahr lag ein Ereignis, das von dem Kinde nicht bewältigt

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worden war. Von da an war er auf einmal" so geworden. In diesem Alter bekam er ein Schwesterchen, und die Mutter wandte sich natur­gemäß mehr dem Neugeborenen zu. Der Junge mar völlig verwirrt über dieses Ereignis, das er nicht begriff, er fühlte sich vereinsamt, und da er sich nicht aussprechen konnte, brach er in Tränen aus. Als die Mutter das sah, kam sie zu ihm und beschäftigte sich mit ihm. So wiederholte er den Tränenausbruch bei jeder Gelegenheit. Dazu phantasierte er sich als Alleinbefizer der Mutter. der ,, allein mit der Mutter auf der Welt" sei. Wie löste nun die Erzieherin das Problem und wie beseitigte sie die gefährliche Spaltung dieses kind­lichen Innenlebens? Sie wartete ruhig jede Ge­legenheit ab, mit dem Kinde zu sprechen, erzählte ihm, wie er selbst einmal so klein gewesen sei und wie die Mutter alle Kinder gleichmäßig liebe. Sie plauderte mit ihm über das Werden und Ver= gehen der Natur, regte ihn an kleinen, leichtfaß­lichen Beispielen zum Nachdenken an, entwickelte langsam seine Selbständigkeit und half ihm, den Schritt von der Mutter meg zu sich selbst nicht nur in der Phantasie, sondern auch im täglichen Leben zu gehen. Der Kleine fühlte sich nicht mehr isoliert, die Stauung löste sich, er fügte sich in die Gemeinschaft und wurde ein gesundes, regsames, fröhliches Kind.

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Julie Aichele gibt ferner charakteristische Bei­spiele, wie Eltern sehr oft ihre eigenen Wünsche in die Kinder hineinprojizieren. So wollte ein Bauer seinen Jungen zwingen, Lehrer zu werden, weil er selbst diesen Wunsch seiner Kindheit nicht verwirklichen durfte. In einem anderen Falle wurde ein Mädchen in eine männliche Rolle hineingetrieben, aus der sie nur mit ärztlicher Hilfe wieder herausfand. Der psychologische Grund war in Kindheits- und Jugenderlebnissen zu finden: Die Eltern hatten sich an ihrer Stelle einen Sohn gewünscht. und das Mädchen bekam dauernd den Wunsch ihrer Eltern zu hören: ,, Ach, wärst du doch ein Junge! Wir hätten so gern einen Sohn gehabt!"

Nur wenige Andeutungen konnten auf diese Erziehungsarbeit hinweisen, aber sie genügen, um die Bedeutung klar werden zu lassen, die jedes, auch das scheinbar geringfügigste Ereig nis, im Leben des Kindes und bereits des Klein­findes ausüben kann. In unserer Zeit der Wirt­schaftsnot und Arbeitslosigkeit, in der nicht nur materielle Sorgen der Eltern, sondern auch die seelischen Einwirkungen der Mißstimmung, der Bitterkeit und des Aergers auf den Kindern lasten, erwächst hier der Mutter, und ganz besonders der Frau des Arbeitslosen eine wertvolle, menn auch schwere Aufgabe. Dr. Haacke.

DIENSTAG, 4. OKT. 1932

den ganzen Fragenkomplex von sich zu schieben. Es ist eben viel leichter für den Arzt, hinter dem Strafgesegbuch Deckung zu suchen und jedes Er­suchen um Schwangerschaftsunterbrechung abzu­lehnen. Aber das Leben ist so einfach nicht!

Wir befinden uns auf diesem Gebiete in einem Notstande, aus dem ein Ausweg gefunden werden muß: so wahr es die Aufgabe der Aerzte ist, über den gesundheitlichen Zustand der Bevölkerung zu machen, darf kein Arzt ein so überaus ernſtes Problem von sich schieben.

Völkerbund

und Frauenfreiheit

Auf der Tagesordnung der Herbsttagung des Völkerbundes steht ein Problem, das uns seit Jahren und Jahrzehnten beschäftigt: die Staats­angehörigkeit der verheirateten Frau. Endlich soll eine internationale Regelung die schweren Ungerechtigkeiten beseitigen, wie fie bis heute in mehreren Staaten Europas und der anderen Erdteile herrschen.

Leider gehört auch Deutschland immer noch zu diesen Ländern. Die deutsche Frau, die einen Aus­länder heiratet, geht ihrer Staatsangehörigkeit verlustig. Sie hat also fortan feinen Anspruch mehr auf den diplomatischen Schuh ihrer Heimat, denn sie gilt nun selbst als Ausländerin. Sie geht, auch wenn sie ihren Wohnsiz in Deutschland behält, des Wahlrechts verlustig, denn nur deutsche Staatsbürger haben das Recht, zu wählen. Dieser Verlust ist vor allem für die verantwortungs­bewußte Frau schwer zu tragen, die das Wahlrecht nicht als lästige Pflicht, sondern als Mittel, an der Zukunftsgestaltung ihres Volkes mitzuarbeiten, be= trachtet. Besonders bitter aber wird ihr die Heimatlosigkeit bewußt, weil umgekehrt die Aus= länderin, die einen Deutschen heiratet, als Deutsche gilt und damit auch das Wahlrecht in Deutschland ausüben darf. Das Gesetz bestimmt hier ganz automatisch, ohne Rücksicht darauf, daß die be= treffende Ausländerin sich innerlich vielleicht viel stärker an ihre alte Heimat gebunden fühlt und auch mit den politischen Verhältnissen in Deutsch­ land viel zu wenig vertraut ist, um selbständig ein Urteil zu fällen und das Wahlrecht ausüben zu können. Damit aber ist der Verlust an Rechten, den die Frau, die einen Ausländer heiratet, er­leiden muß, noch nicht erschöpft. Sie muß auf ihre Beamtenpension verzichten, selbst wenn sie jahrelang im deutschen Staatsdienste tätig war. Hat sie Examina in Deutschland abgelegt, so be= rechtigen diese fortan nicht mehr zu einer An­stellung in Deutschland , denn sie ist durch die Heirat nicht mehr deutsche Staatsangehörige. Bricht ein Krieg aus und dieser Fall ist für viele von uns noch in deutlicher Erinnerung so untersteht die betreffende Frau den Bestimmun­gen, die für Ausländer getroffen werden. Ihr Vermögen kann beschlagnahmt, sie selbst fann interniert werden. Für Schäden, die durch Be= sagung oder Beschlagnahme verursacht werden, erhält sie keine Vergütung. Aber auch im Frieden untersteht sie im eigenen Lande, mit dem sie sich nach wie vor verbunden fühlt, den Vorschriften, die für Ausländer gelten. Sie hat beispielsweise auch keinen Anspruch auf Fürsorge, auf Schwan­geren- oder Wöchnerinnenhilfe.

Dagegen haben sich eine ganze Reihe von Län­dern einer modernen Auffassung angeschlossen. In Rußland wurde das alte Gesez beseitigt, so daß heute die Russin, die einen Ausländer heiratet, nach wie vor Russin bleibt und ihre Rechte behält, wenn sie nicht freiwillig darauf verzichtet. Auch die Vereinigten Staaten von Amerika haben sich seit Jahren eine neuzeitliche Auffassung des Pro­blems zu eigen gemacht. Im Cable Act von 1932 wurde bestimmt, daß die Amerikanerin, die einen Ausländer heiratet, nach wie vor Bürgerin ihres Landes bleiben kann. Wohnt sie als Ehefrau un­unterbrochen zwei Jahre lang im Lande ihres Mannes, außerhalb Amerikas oder fünf Jahre sonst irgendwo im Auslande, so wird zwar an­genommen, daß sie auf ihre amerikanische Staats­angehörigkeit verzichtet. Aber die betreffende Frau kann in diesem Falle Einspruch erheben und an ihrer amerikanischen Staatsangehörigkeit fest­halten. Andererseits wird die Ausländerin, die einen Amerikaner heiratet, nicht automatisch Amerikanerin. Das mußten auch die etwa 2000 Mädchen erfahren, die im besetzten Rheinland Amerikaner heirateten. Sie gingen der deutschen Staatsangehörigkeit verlustig und wurden staaten­los. Immerhin haben die Vereinigten Staaten die Möglichkeit offen gelassen, unter leichten Bedin­gungen und mit wenigen Scherereien die ameri­tanische Staatsangehörigkeit zu erwerben: ein Bei­spiel für die Verflochtenheit internationaler Fragen, von denen die Frauen abhängig sind. In Belgien herrscht die moderne Auffassung, daß die Frau ihre Nationalität selbst zu bestimmen hat. Sie hat das Recht, innerhalb von 6 Monaten nach der Eheschließung mit einem Ausländer ihre bel­gische Nationalität wieder zu erwerben, kann also Belgierin bleiben. In den nordischen Staaten gilt meistens der Wohnsiz des Ehepaares als ent= scheidend für die Lösung der Frage. In Frankreich wurde 1927 ein entsprechendes Gesetz an= genommen: Die Französin, die einen Ausländer heiratet, bleibt Angehörige ihres Landes, falls sie nicht selbst die Staatsangehörigkeit ihres Mannes zu erwerben wünscht. Leider aber machen die veralteten Geseze anderer Länder, wie u. a. Deutschland , diese Bestimmung illusorisch, wenn 3. B. eine Franzöfin einen Deutschen heiratet. In diesem Falle muß die Französin, ob sie will oder nicht, Deutsche werden und geht so ihrer franzöfi= schen Nationalität verlustig, trotz der Bestimmun gen ihrer Heimat. Auch dieser Fall beweist, wie alles nach einer vernünftigen internationalen Regelung drängt, und wie notwendig es ist, daß der Völkerbund das Problem endgültig zu lösen versucht.