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Abend- Ausgabe

Nr. 470 B 227 49. Jahrg.

Redaktion und Verlag: Berlin   SW 68, Lindenstr. 3

Fernsprecher: A7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammadresse: Sozialdemokrat Berlin  

Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

MITTWOCH

5. Oktober 1932

In Groß Berlin   10 Pf. Auswärts....... 10 Pf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des redaktionellen Teils

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Keilerei!

Was Oberfohren für Marxismus   hält

,, Der Vorwärts" hat sich bisher bemüht, die zahlreichen Prügeleien zwischen National­sozialisten und Deutschnationalen gewissen­haft zu registrieren. Er muß das jetzt auf­geben, weil sich der Stoff allzusehr häuft. Immerhin verdienen aber die Vorgänge, die sich gestern in der Aula des Steglizer Gym­nasiums abspielten, noch eine rückschauende Betrachtung, weil sie grundsätzliche Fragen berühren.

Als nämlich die Keilerei im schönsten Gange war, machte Herr Oberfohren, immer noch verständlich, die Bemerkung, daß sich die nationalsozialistische Bewegung zu ,, margistischen Methoden" zu entwickeln scheine. Damit wird die viel­erörterte Frage, was denn eigentlich Marris­mus sei, neu aufgerollt. Vielleicht benützt Herr Oberfohren die nächste Gelegenheit, um den Zusammenhang zwischen der marristi­schen Wertlehre und einem gut gelande­ten Kinnhafen aufzuzeigen. Oder er erklärt uns ein andermal, welche Beziehungen zwischen der historischen Dialettit und einer schwungvoll geschleuderten Stink­bombe bestehen.

Oberfohrens Ausspruch zeigt den Unfug, der im sogenannten ,, nationalen" Lager mit dem Wort Margismus getrieben wird, auf dem Höhepunkt. Der Marrismus, wie immer man zu ihm stehen mag, ist eine der geist­vollsten und tiefgründigsten Lehren, die jemals Menschenhirne hervorgebracht haben. Die Nationalisten haben aber aus dem Wort ,, Margismus" eines der plattesten blödesten Schlagworte gemacht, die nur jemals den politischen Kampf verunreinigt haben. Sie haben alles, was ihnen nicht in den Kram paßt, als Marrismus" bezeichnet und be­schimpft. Auch die beispiellose Verrohung des politischen Lebens, die von ihnen selbst verschuldet ist, ist, haben sie dem ,, Marrismus" aufs Konto geschrieben. Darum fönnen die Deutschnationalen jetzt nicht einsehen, daß sie mit den Ohrfeigen, die sie jetzt von den Nationalsozialisten be= ziehen, nur etwas aus der Saat der Roheit und der Gewalt ernten, die sie selber gesät haben.

Mögen sie also einander prügeln, soviel ihnen beliebt, aber sie mögen aufhören, da­bei den Marrismus anzurufen! Der Marris­mus darf ihnen stets auf solche Anrufungen antworten: Du gleichst dem Geist, den du begreifst! Nicht mir!"

Im Angriff

Die sozialistische Wahlwelle

Der letzte Sonntag zeigte die deutsche Arbeiter­jugend, die junge Garde der Bewegung, im Auf­marsch für die kommenden Kämpfe. Besonders start besucht war das sächsische Jugendtreffen, zu dem sich 8000 Teilnehmer eingefunden hatten. Die Gesamtdemonstration, auf der die Genoffin Sender, sowie Ollenhauer und Ernst Paul   sprachen, hatte auf der Radrennbahn in Chemnih 20 000 Teilnehmer versammelt.

Mit einem Kreisvertretertag eröffneten die Spandauer   Genossen den Wahlkampf, nach einem Referat Littes wurde Breitscheid   als Kandidat wieder aufgestellt.

Einen begeisternden Auftakt zum Wahlkampf bildete die Parteiversammlung der Erfurter  Genossen, in welcher Frizz Barth referierte. Auch in den Dörfern der Umgegend fanden die ersten Wahlversammlungen statt.

Auf einer Reichskonferenz der Bergarbeiter in Bochum   setzte sich Genosse Husemann für die Verstaatlichung der Bergwerfe ein.

Röhm versucht sich herauszureden

Eine Erklärung über seine Flucht zum Reichsbanner

Die Enthüllungen im Münchener   Tschekaprozeß haben den Herrschaften im Braunen Hause Kopf­schmerzen gemacht. Der Reichsanzeiger des Dritten Reiches, der Völkische Beobachter", hat kein Wort über den Prozeß veröffentlicht. Herr Röhm versucht sich nun durch eine Er­klärung aus der Affäre zu ziehen, die sehr vor­sichtig stilisiert ist. Er fann die Tatsache der Unterredung mit Mayr nicht bestreiten, er sucht jezt nur die Initiative dazu Mayr zuzuschieben. Die Erklärung Röhms lautet:

,, 1. Die Zeugenladung zu dem Prozeß, dessen Gegenstand mir völlig unbekannt war, fam in den Einlauf der obersten SA.  - Führung. Der zu­ständige Referent hat mich bei dem Oberamts­richter Kaufmann entschuldigt, da ich in diesen Tagen mich dienstlich in Wien   aufhielt.

2. Die Unterredung mit dem Reichs­bannerführer Major Mayr fand am 2. April 1932 in Berlin   statt. Herr Bell bat mich im Auftrage Maŋrs um diese Unterredung, die in meinem Hotel( Kaiserhof) stattfinden sollte. Als Zweck der Unterredung hatte Bell im Auf­trage Maŋrs angegeben: a) er möchte mit mir flären, ob sich nicht ein Weg finden ließe, dem gegenseitigen politischen Blutvergießen Einhalt zu tun; b) er möchte sich mit mir darüber aus­sprechen, ob nicht bei einer Aenderung der politi­schen Verhältnisse eine besondere Verwendung seiner Person, und der zu ihm stehenden Teile des Reichsbanners an unserer Seite unter meiner Führung möglich wäre.

Pflichtgemäß erstattete ich von diesem Anfinnen sofort dem Führer der Bewegung dienstlich Meldung und holte seine Ein­willigung zu einer Aussprache mit Mayr ein. Darauf erklärte ich mich zu der Unterredung bereit. Die Uebermittlung des Wunsches Mayrs zu dieser Unterredung durch Bell fand in Zeugen gegenwart statt. Etwa eine halbe Stunde vor der verabredeten Zeit kam Bell zu mir ins Hotel und

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- Tatsachen gegen Röhm

erklärte mir im Auftrage Mayrs: Mayr hätte doch Sorge, in den Kaiserhof zu kommen, da dort Kriminalbeamte der( damals rot geleiteten) Po­lizei mären, die ihn erkennen fönnten. Er wäre dann in seiner Partei unmöglich. Ich möchte doch zustimmen und mit ihm an einem neutralen Orte zusammenkommen. Da mir das gänzlich neben­sächlich erschien, willigte ich ein. Major Mayr erwartete mich auf der Straße an einem verein­barten Punkt und führte mich in die von ihm bestimmte neutrale Wohnung. Die Unterredung dauerte etwa Stunden. Von dem Inhalt habe ich, wie ich mit Major Mayr vereinbart hatte, d'em Führer Kenntnis gegeben und darüber nach meiner Rückkunft sofort gemein­sam mit meinem Rechtsanwalt Dr. Luetge= brune ein Protokoll aufgenommen. Major Mayr ging von der Notwendigkeit einer anti­bolschemistischen Einheitsfront aus und entwickelte mir in sehr langen Ausführungen die Gedanken, die ihn veranlaßt hätten, diese Unterredung mit mir anzustreben.

Im Laufe des Gesprächs erwähnte Mayr mehr­mals die persönlichen Angriffe gegen mich und drückte seine Ueberzeugung aus, daß meine Beseitigung aus meinen eigenen Reihen in Aussicht stünde. Auf meinen Hinweis, daß es sich hier wohl nur um Phantasiegebilde handle, die ich nicht ernst nähme, sagte er, daß er anderer Auffassung sei und daß es ungeheuerlich sei, daß Auffassung sei und daß es ungeheuerlich sei, daß ich als Führer der SA.   nicht einmal Kenntnis von den Plänen gegen mich hätte. Aus diesem Berlauf des Gesprächs ergibt sich ohne weiteres, wie lächerlich die anmaßende Behauptung Mayrs ist, daß ich bei ihm Schutz gesucht hätte. Am Ende der Unterredung bat mich Major Mayr, doch bald zu einer Fortsetzung des Gedankenaustauschs mich zur Verfügung zu stellen, was ich zusagte. Dem Wunsche des Major Mayr nachzukommen, ent sprang allein der pflichtgemäßen Sorge um Ge­sundheit und Leben meiner SA.- Kameraden." So weit die Erklärung Röhms. Ueber ihren

Neue SA.  - Feme  !

Ueberfall des ,, Sturms 14"-Zahlreiche Verhaftungen bevorstehend

Im Berliner   Westen spielte sich in den ersten Morgenstunden des Dienstags, wie erst jetzt durch die eingehenden Ermittelungen der Politischen  Polizei bekannt wird, ein regelrechter Feme­aft der SA. ab. Etwa 20 bis 25 SA.- Leute verschafften sich Einlaß in eine Wohnung in der Kantstraße und schlugen dort den 18jährigen Hans Heinz Sieber von Bellmond brutal nieder. Der junge Mann, Sohn des verstorbenen Gene­ralmajors a. D. von Bellmond, erlitt schwere Berletzungen und liegt noch immer bedenklich da­nieder.

Diese neueste Femetat der SA.   ist nur ein Glied in der Kette ähnlicher Verbrechen der Hitler  - Burschen. Zu dem Ueberfall werden uns folgende Einzelheiten mitgeteilt: Der junge Mann war kurze Zeit Mitglied der NSDAP  . und der SA  . Vor einigen Tagen trat er aus der Hitler  - Partei und ihrer Söldnertruppe infolge schwerer Differenzen wieder aus.

Angeekelt von dem widerlichen Treiben inner­halb der SA.   hatte von Bellmond auch in einem Schreiben an den SA.  - Führer seinen Austritt ausführlich begründet.

Der Sturm der SA.  , dem der junge Bellmond die kurze Zeit angehörte, hatte ihm für seine Fahnenflucht" und seine Angeberei" Ra che geschworen. In der Nacht vom Montag zum Dienstag war der junge Mann als Gast bei einer befreundeten Familie in der Kantstraße. Den früheren Pg.'s" war diese Tatsache bekannt und in aller Frühe gegen 5 Uhr erschienen in dem betreffenden Hause 20 bis 25 Mann des ,, Sturms 14" und verlangten Einlaß. Die Banditen hatten den Ueberfall so geschicht eingefädelt, daß ihnen

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vom Wohnungsinhaber trotz der ungewöhnlichen Zeit bedenkenlos geöffnet wurde. Zu spät er­kannte der Mann die Absichten der nationalsozia listischen Strolche. Während zwei Mann auf der Treppe ,, Schmiere" standen, um den Rückzug gegen unvorhergesehene Ueberraschungen zu sichern, drang die übrige Bande in die Wohnung ein. Mehrere SA.  - Leute waren mit geladenen Pistolen bewaffnet. Als der Wohnungsinhaber ans Telephon eilen wollte, um das Ueberfall­kommando zu alarmieren, wurde ihm bedeutet, daß man ihn über den Haufen schießen würde, wenn er auch nur einen Schritt wagen würde. Auch die Verlobte des Mannes, die auf den Lärm nach vorn gekommen war, wurde mit der Waffe in Schach   gehalten. Ein großer Teil der SA.  ­Leute hatte sich inzwischen des jungen Bellmond bemächtigt.

Unbarmherzig schlugen die Burschen auf den am Boden Liegenden ein, bis er feinen Laut mehr von sich gab.

Mit schweren Kopfverlegungen sowie Hieb- und Trittverlegungen am ganzen Körper lag der junge Mann bewußtlos da.

Wert ist zunächst zu bemerken: Major Mayr hat seine Aussagen vor Gericht gemacht und beschworen. Herr Röhm hat sich vor der Gerichtsverhandlung gedrückt, und zwar nicht nur er, sondern auch alle anderen wichtigen Zeugen aus dem Braunen Haus. Man begnügt sich, soge= nannte eidesstattliche Erklärungen an die Presse zu geben, aber man setzt sich nicht der Gefahr aus, unter Eid befragt zu werden.

Weiter aber stellen wir aus eigener Wissenschaft folgendes feft:

Am 2. April 1932 hat die Unterredung zwischen Major Mayr und Röhm stattgefunden. Unmittelbar darauf veröffentlichte die ,, Münchener Post" Mitteilungen über die Egiftenz einer Zelle G im Braunen Hause und deutete die Mordpläne gegen Röhm an. Am 9. April 1932 mor­gens veröffentlichte der Vorwärts" diese Mit­feilungen der Münchener Poft". Noch im Laufe des Vormittags des 9. April 1932 erschien auf der Redaktion des Borwärts" Herr Bell, der außenpolitische Mitarbeiter und Vertrauensmann des Herrn Röhm. Er gab der Redaktion des ,, Vorwärts" Erklärungen darüber ab, daß ein Mordanschlag nicht nur auf ihn, sondern auch auf den Stabschef Röhm und den Grafen du Moulin geplant gewejen jei. Er erzählte weiter Einzel­heiten über die Gegensätze im Braunen Hause, namentlich zwischen Röhm und Paul Schulz. Herr Bell versicherte, daß er im Auftrag von Herrn Röhm käme.

Wir stellten danach fest, daß am 9. April mor­gens Röhm, der SS  .- Führer Himmler  , Graf Spreti   und in ihrer Begleitung Rechts­anwalt üt gebrune aus München   in Berlin  angekommen waren und im Kaiserhof" Woh­nung genommen hatten. Sämtliche Personen, die als Objekte eines Anschlages einer Tscheka   im Braunen Hause genannt worden waren, hatten demnach München   verlassen.

Am selben 9. April verhaftete die Münchener  Polizei sechs Personen, darunter den später ver­urteilten Danzeifen, unter dem Verdacht einer Mordverschwörung.

Angesichts dieser unbestreitbaren Tatsache wird flar, wie lächerlich die Ausreden des Herrn Röhm find.

Erklärung Mayrs

Wie uns Major Mayr, der erst im Laufe des heutigen Vormittags nach Berlin   zurückgekehrt ist, mitteilt, ist der Inhalt der Röhmschen Er­flärung eine einzige Rette von Lügen oder Zwangsvorstellungen. Major Mayr wird noch im Laufe des Tages in einer Erklärung zu den Behauptungen Röhms Stellung nehmen.

,, Eidesstattliche Versicherung"

Röhms eidesstattliche Versicherung" in der Presse erweist sich auch juristisch als typischer Nazibluff. Eine eidesstattliche Versicherung hat nur dann rechtliche Wirksamkeit, wenn sie vor einer zur Abnahme solcher Versicherungen zu= ständigen Behörde abgegeben ist. Ist dies nicht der Fall, so ist eine sich als ,, eidesstattlich" bezeichnende Erklärung nicht mehr wert als irgend­eine private Aeußerung. Insbesondere treten feine strafrechtlichen Folgen ein, mag fie auch wissentlich noch so falsch abgegeben sein. Eine vor der Presse abgegebene

Nach der Tat flüchtete die Banditenschar und entkam. Die Politische Polizei   ist mit der Auf- ,, eidesstattliche Erklärung" ist daher ein Humbug! flärung dieser unerhörten Femetat beschäftigt, die aufs neue die heimtückische, ungezügelte Mordlust der Hitler- Garden unter Beweis stellt. Wie wir aus dem Polizeipräsidium erfahren, liegt der Ueberfallene noch immer vernehmungsunfähig da­nieder. Bereits im Laufe des Tages kann mit einer Reihe von Verhaftungen gerechnet werden. Die Ermittelungen der Polizei werden, wie ver­sichert wird, mit allem Nachdruck betrieben.

Das Ergebnis ist: Major Mayr hat seine Aussage vor Gericht beschworen. Röhm da= gegen hat sich als Zeuge vor Gericht gedrückt, er wird lieber 500 Mark Strafe zahlen, als eine eidliche Zeugenaussage über seinen Besuch bei Mayr zu machen. Hinterher übermittelt Röhm der Presse eine ,, eidesstattliche Versicherung", die feine ist, sondern eine wirkungslose private Aeuße­rung! Sagt das nicht genug?