Morgen- Ausgabe
Nr. 475 A 232 49. Jahrg.
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Vorwärts
BERLINER
VOLKSBLATT
SONNABEND
8. Oktober 1932
In Groß Berlin 10 Pf. Auswärts....... 15 Pf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des redaktionellen Teils
Abwehr gegen Lohnabbau
Die Regierung trägt die Verantwortung für die Arbeitskämpfe!
Am 7. Oktober trat der Ausschuß des Augemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes zu einer Tagung in Berlin zusammen.
vom
Der Bundesvorstand hatte die Tagung einberufen, um mit den Verbandsvorständen die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Notverordnung sowie die gegenwärtige Rechtslage zu besprechen. Er beschäftigte sich zunächst mit den Konsequenzen, die durch die DurchführungsReichsarbeitsministers verordnung des 3. Oktober d. 3. für den Abwehrkampf der Arbeiterschaft gegen Lohnabbau entstehen könnte. Einmütig wurde die Meinung vertreten, daß durch die Verordnung die verschiedenen Einwände, die von den Gewerkschaften gegen das Bestehen einer Friedenspflicht erhoben werden, nicht entfräftet worden sind, da eine Rechtsgrundlage für die Berordnung des Reichsarbeitsministers nicht gegeben fei. Die Gewerkschaften könnten sich zudem den stürmischen und vollauf berechtigten Protesten ihrer Mitglieder gegen den Lohnabbau nicht verschließen. Die Kämpfe würden nicht durch die Gewerkschaften, sie würden durch das bittere Unrecht der Notverordnung selbst hervorgerufen. Die Berantwortung für diese Arbeitskämpfe treffe daher nicht die Gewerkschaften, sondern die Regierung und ihre Notverordnung.
Bon zahlreichen Verbandsvertretern wurde des weiteren auf die wirtschaftlich unfinnigen und sozialpolitisch unerfräglichen Auswirkungen bei der Notverordnung hingewiesen, deren arbeitsmarktpolitische Gefahr durch die neuen handelspolitischen Maßnahmen der Reichsregierung noch unabsehbar gesteigert werden. Das umfangreiche Material, das den Gewerkschaften über eine sinnlose und mißbräuchliche Ausnutzung der neuen Beffimmungen vorliegt, foll der breitesten Deffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
In einer öffentlichen Kundgebung der Gewerkschaften am 18. Oktober d. 3. sollen dem gesamten deutschen Volke die unheilvollen Folgen aufgezeigt werden, die sich aus der Durchführung des erneuten Lohnabbaues nicht nur für die Lebenshaltung der Arbeiterschaft, sondern auch für jeden Bersuch einer wirksamen Arbeitsbeschaffung, insbesondere auch für die Durchführung des Arbeitsbeschaffungsprogramms der Papen- Regierung, zwangsläufig ergeben müffen.
Der Arbeitsmarkt.
Nach dem jetzt vorliegenden Bericht der Reichsanstalt ging die Zahl der bei den Arbeitsämtern gemeldeten Erwerbslosen vom 15. bis 30. September um 163000 Personen zurüď.
Baronswechsel bei Bapen?
Freiherr von Braun soll gehen, Herr von Knebel kommen
Der Agrarminister Freiherr von Braun hat am Freitag in Breslau programmatische Erklärungen über weitere Einzelheiten der Subventionsverordnung für die Landwirtschaft abgegeben. Noch während der Uebermittlung der Rede durch die Nachrichtenbüros tauchte an der Berliner Börse von verschiedenen Seiten, die über Verbindungen verfügen, das Gerücht auf, daß der Rücktritt des Freiherrn von Braun unmittelbar bevorstehe. Berschiedene Industrieaktien konnten daraufhin ihre Kurse verbessern.
Am Freitagabend lag bereits ein Dementi der Regierung vor. Diese Gegenerklärung ändert aber nichts an der bekannten Tatsache, daß es innerhalb des Kabinetts schwere zusam menstöße zwischen dem Agrarminister auf der einen und dem Wirtschaftsminister Warmbold sowie dem Finanzminister von Krosigk auf der anderen Seite gegeben hat.
Schon vor der Münchener Rede des Freiherrn von Braun waren zwischen den genannten Ministern schwere Differenzen entstanden. Die herausfordernde Fassung der Münchener Rede, die offenbar dem Kabinett nicht vorgelegen hat, und
das verheerende Echo des Auslandes auf die Berkündung der deutschen Kontingentspolitik haben die Gegenfäße noch mehr zugespitzt. Bollends erschüttert scheint aber die Stellung des Freiherrn von Braun durch die schweren Niederlagen der deutschen Verhandlungsdelegation in Holland und Italien zu sein. Wäh= rend man im Haag eine so brüste Abfuhr erhielt, daß es überhaupt nicht zur Verhandlung fam, find die Borbesprechungen in Rom gleichfalls er= gebnislos verlaufen, da sich bei den scharfen Gegensägen feine Brücke zueinander schlagen ließ. Als wahrscheinlicher Nachfolger für Freiherrn von Braun wurde in Finanzkreisen Ritter= gutsbesiger von Knebel genannt, der einer der Führer der pommerschen Agrargenossenschaften ist. Sollte es zu einem Personenwechsel im Landwirtschaftsministerium kommen, so könnte doch von einem Systemwechsel nicht die Rede sein. Der einzige Unterschied zwischen Herrn von Braun und Herrn von Knebel wäre, daß letterer eine diplomatische Ader besißt und nicht so massiv wie von Braun seine Forderungen durchzusetzen sucht.
Nie wieder Macdonald Konferenz erklärte schließlich in einer Ent
Einstimmiger Beschluß in Leicester
Die Jahreskonferenz der englischen Arbeiterpartei in Leicester sprach sich am Freitag in einer einstimmig angenommenen Entschließung gegen die Wiederaufnahme Mac= donalds, Snowdens und des Dominienministers Thomas sowie anderer früherer Parteimitglieder, die sich der Nationalregierung angeschlossen haben, in die Arbeiterpartei aus. Diese hätten die Ideale der Partei, der sie soviel verdankten, mißachtet
Ein weiterer angenommener Antrag verlangt die sofortige Abschaffung des Oberhauses, das gefährlich und nuglos" sei. Die
schließung, daß die parlamentarische Arbeiterpartei ihre Opposition gegen die 3ollpolitif der jezigen oder irgendeiner anderen Regierung fortfetzen müffe.
Unterstützungserhöhungen
oder Wahlspeck?
Die Gesamtzahl der gemeldeten Arbeitslosen betrug Ende September rund 5 100 000. Da in der ersten Septemberhälfte eine Zunahme der Erwerbslosen um 40 000 eingetreten war, beträgt der Rückgang im ganzen Monat 123 000 Personen.
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Bei der Unsicherheit, die durch das rigorose System der Aussteuerungen in der Arbeitsmarktstatistik eingerissen ist, kann aber nur ein Teil der 123 000 Erwerbslosen als wieder in Arbeit befindlich angesehen werden. Zehntausende werden zweifellos aus der Liste der Arbeitsämter verschwunden sein, weil sie nach der Aussteuerung und infolge der verschärften Bedürftigkeitsprüfungen überhaupt keine Unter= stützung beziehen und daher bei den Arbeitsämtern nicht mehr gemeldet sind.
Zum Teil beruhte die leichte Besserung des Arbeitsmarktes auf Mehreinstellungen bei der Landwirtschaft, bei der die Hackfruchternte jetzt im vollen Gange ist. Saisoneinflüsse spielten ferner im Bekleidungsgewerbe und bei der Nahrungs- und Genußmittelindustrie mit, bei der bereits das Weihnachtsgeschäft einsetzt.
Anzeichen einer fonjuntturellen Entipannung blieben vorläufig auf verschiedene Zweige der Textilindustrie und der Holzverarbeitung beschränkt. Mehreinstellungen fanden ferner in der Metallindustrie, im Baugewerbe und dem Baunebengewerbe statt, die auf das Arbeitsbeschaffungsprogramm zurückzuführen sind.
nister schon vor Monaten mit dem Gedanken ge= tragen hat, die Unterstügungssäge im Laufe des Winters zu erhöhen, wenn unter den Unterstügungsempfängern auf Grund der Notverordnungen genügend gesiebt worden ist. Die Regierung von Papen soll die Regierung sein, die auch im Unterstügungswesen die Deflation beendet" und mit den Drosselungen Schluß macht. Diesen Gedanken des Reichsarbeitsministers scheint das Kabinett jetzt aufgreifen zu wollen, um besseres Wahlwetter zu machen.
Die Sozialdemokratie, die sich von Anfang an gegen die Drosselungen in der Sozialfürsorge gewehrt hat, wird alles tun, damit die Erhöhung der Unterstügungssäge möglichst al1. gemein und in genügender Höhe durchgeführt wird.
3entrum, wohin?
Dr. Bell für Zweikammersystem
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Die Regierung der Barone hat eine Reform der Reichsverfassung auf ihr Programm gestellt. Für die Opposition besteht fein Anlaß, auf solche Absichten einzugehen, aber desto mehr Grund zu wachsamem Mißtrauen. Daß eine Verfassungsreform, die unter dieser Führung zustande kommt, nicht anders als ultrareaktionär sein kann, versteht sich von selbst. Siehe da nun kommt das Zentrum und bietet freundlich Herrn von Papen seine Mitarbeit an! In der Kölnischen Volkszeitung" schreibt Herr Dr. Bell, das Zentrum werde sich den geplanten Reformarbeiten ,, mit vorbildlichem Eifer" widmen. Ganz besonders beeifert zeigt sich Herr Dr. Bell in der Absicht, neben dem Reichstag eine gleichberechtigte zweite Rammer zu stellen ,,, deren Zusammensetzung und Zuständigkeit mit be= jonderer Sorgfalt zu regeln ist". Auch eine Wahlreform wird als staatsnotwendig" in Aussicht gestellt.
Die Regierungspresse meldet, daß man sich im Reichskabinett damit beschäftige, die Unterstügungssäge, die die Regierung der Barone erst vor kurzem drakonisch gedrosselt hat, im Laufe dieses Winters teilweise zu erhöhen. Wie weit diese Erhöhung gehen soll, wird leider nicht gefagt. Es ist bekannt, daß sich der Reichsarbeitsmi- der Ferne noch nicht zu sehen.
Zweite Kammer und Wahlreform sind die beiden Kernstücke der von Papen geplanten Berfassungsreform. Das Zentrum stellt sich durch Herrn Bell zur Verfügung. Die notwendige 3weidrittelmehrheit ist freilich auch von
Rote Jugend marschiert
Zum internationalen Jugendkongreẞ
3wei bedeutsame Veranstaltungen haben unmittelbar vor Beginn des fünften Wahlkampfes dieses Jahres die Arbeit der sozia listischen Jugend stark in den Vordergrund des Interesses gerückt. Die Sozialistische Arbeiterjugend führt in der ersten Hälfte des Monats Oktober eine Reichs. werbung durch, und aus Anlaß des fünfundzwanzigjährigen Bestehens der Sozialistischen Jugendinternationale findet in der gleichen Zeit eine Internationale Rote Jugendwo che statt. Am Schluß dieser Woche wird am 9. Oktober in Prag der vierte Kongreß der Sozialistischen Jugendinternationale eröffnet.
Beide Veranstaltungen dokumentieren die ungebrochene Lebenskraft der internationalen sozialistischen Jugendbewegung und widerlegen die törichte Behauptung der Gegner, die Sozialdemokratie sei eine sterbende Partei. Auf der Gründungskonferenz der Internationale in Stuttgart vertraten die Delegierten der sozialistischen Jugendverbände rund 50 000 Mitglieder. Das Sekretariat der Internationale berichtet jezt, daß die Internationale am 31. Dezember 1931 mehr als 270000 Mitglieder umfaßte. Mit ganz wenigen Ausnahmen sind heute alle in der Welt bestehenden sozialistischen Jugendverbände der Sozialistischen Jugendinternationale angeschlossen, und sie ist damit die bedeutsamste und stärkste internationale Verbindung junger Arbeiter und Arbeiterinnen geworden. Die Gesamtzahl ihrer Mitglieder außerhalb Rußlands übertrifft um ein Vielfaches die Zahl, die die Kommunistische Jugendinternationale selbst über die Stärke ihrer Mitgliederverbände ohne Rußland angibt.
Die erfreulichste Tatsache dieser Aufwärtsentwicklung besteht aber darin, daß sie in den schweren Krisenjahren seit 1929 nicht unterbrochen wurde, sondern sich weiter fortgesetzt hat. In den Jahren 1929 bis 1931 er= höhte sich die Mitgliederzahl der Sozialistischen Jugendinternationale u m mehr als 50000. Diese Entwicklung hatte auch im Jahre 1932 angehalten, ein Beweis dafür, daß selbst Wirtschaftsnot und faschistische Reaktion die Kraft der Internationale nicht zu erschüttern vermögen.
Die Sozialistische Jugendinternationale ist heute ein untrennbarer und wesentlicher Bestandteil der internationalen sozialistischen Arbeiterbewegung. Sie erfüllt die wichtige Aufgabe der Erfassung, Sammlung und Erziehung der arbeitenden Jugend im Sinne des internationalen Sozialismus und sie führt damit der internationalen Arbeiterbewegung den lebensnotwendigen Nachwuchs für ihre entscheidungsvollen Kämpfe in Gegenwart und Zukunft zu. Das enge Vertrauensverhältnis zwischen Jung und Alt wird erneut unterstrichen durch den Umstand, daß in Prag führende Genossen der internationalen Arbeiterbewegung, wie der Genosse Louis de Brouckère und der Genosse Friedrich Adler die Referate über die Fragen der Abrüstung und des Kampfes um die Demokratie erstatten.
Der Kongreß in Prag wird nur die verhältnismäßig fleine Zahl der führenden Funktionäre der internationalen sozialistischen Jugendbewegung vereinigen, aber sie können dort beraten und beschließen in dem Bewußtsein, daß der Gedanke der internationalen Zusammenarbeit in den besten Teilen der arbeitenden Jugend troy Nationalismus und Faschismus feste Wurzeln geschlagen hat. Die Rundgebungen, die aus Anlaß der Internationalen Roten Jugendwoche in fast allen Ländern Europas in großer Zahl durch