Einzelbild herunterladen
 

Morgen- Ausgabe

Nr. 479 A234 49. Jahrg.

Redaktion und Verlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3

Fernsprecher: A7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammabreffe: Sozialdemokrat Berlin

Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

DIENSTAG

11. Oktober

Jn Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts....... 15 Pf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des redaktionellen Teils

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Gottheiner verleumdet frech!

Dieser deutschnationale Reichsvertreter ist ein Skandal

Im Prozeß vor dem Staatsgerichtshof hat der Vertreter des Reichs, der frühere deutschnationale Abgeordnete und jetzige Ministerialdirektor Gottheiner Be­hauptungen über Otto Braun und Carl Severing aufgestellt, die lediglich als Wahllügen zu charekterisieren sind. Gegen diese unwahren Behauptungen haben die Vertreter Preußens protestiert. Otto Braun wird sich heute telegraphisch an den Reichspräsidenten wenden und gegen die unwahre Behauptung des deutschnationalen Herrn Verwahrung ein­legen. Es charakterisiert diesen Mann, daß er das Forum des Staatsgerichtshofs benutzt, um Wahllügen zu verbreiten.

Wir fordern die Reichsregierung auf, im Interesse ihres Ansehens und ihrer Würde diesen Mann sofort aus Leipzig abzuberufen und einen anderen Vertreter zu bestellen.

In der gestrigen Verhandlnug des Staatsge= richtshofes besaß der amtliche Vertreter der Reichsregierung, Ministerialdirektor Gottheiner, die Kühnheit zu behaupten, der preußische

Ministerpräsident Braun habe nach seiner Absegung sich teilnehmend erkundigt, wie es mit seinem Gehalt stünde, und, nachdem er erfahren habe, daß das Gehalt voll weitergezahlt werde, sei er völlig beruhigt gewesen. Diese mit faltschnäuziger Kühnheit vorgetragene Behaup tung veranlaßte den Vertreter der preußischen Regierung, Ministerialdirektor Brecht, zu einem sachlich scharfen Protest, in dem er erklärte, er antworte auf diese Behauptung nur insoweit, als er folgenden Brief Brauns verlese, den dieser ihm, Brecht, am 29. Auguſt aus Bad Gastein , wo er sich zur Erholung auf­hielt, geschrieben hat. In diesem rein privaten Briefe Brauns heißt es:

,, Ich komme hier erst langsam über die Bitter­keit hinweg, die mich ob der Art der Außeramt­segung und über deren Begründungsformen er­griffen hat. Ueber zehn Jahre lang habe ich, gerade um die Beeinträchtigung des Reiches durch den Dualismus Reich- Preußen zu mildern, die Reichspolitik ohne Rücksicht auf die Zu­sammensetzung der Reichsregierung gestüt; oft auch unter Schädigung der Werbekraft meiner Partei, die im Reichstage Reichsmaßnahmen heftig bekämpfte, die ich im Reichsrat im Inter­esse der gedeihlichen Zusammenarbeit zwischen

Die Barone verhandeln

Um Deutschlands Gleichberechtigung

Der französische Ministerpräsident Herriot wird am Donnerstag in London oder Chequers eine Unterredung mit Macdonald haben, die sich um den Plan der Vier­oder Fünfmächte- konferenz über die Abrüftungsfrage drehen soll. Offenbar hat es Herriot eine gewisse Ueber­windung gekostet, die Reise zu unternehmen, denn die maßgebenden Kreise in Frankreich sind von dem Gedanken der Konferenz nicht sehr erbaut. Von allem anderen abgesehen halten sie wohl die englische Einladung an Deutschland für ein unan­gebrachtes Entgegenkommen an die Regierung Bapen. Nachdem die britische Antwort auf das deutsche Memorandum so scharf gewesen ist, glauben die maßgebenden französischen Kreise, daß die an Deutschland ergangene Aufforderung zur Teilnahme an einer Besprechung in fleinem Kreise als ein Umfall Macdonalds gedeutet wer­den könnte.

-

mert­

Inzwischen haben die Barone würdigerweise in Abwesenheit des Außen­minifters ihre grundsähliche Bereitwillig­feit zur Teilnahme an der Konferenz der Großmächte ausgesprochen und dabei nur die Erwartung bekundet, daß ihre Forderung auf Gleichberechtigung in der Rüffungsfrage zum Gegenstand der Diskussion gemacht werde. Es sollte nach unserer Meinung feine Schwie­rigkeit bestehen, dieser Erwartung zu entsprechen, Denn eine Konferenz, wie Großbritannien sie plant, hat doch nur dann einen Sinn, wenn wirf­lich die Gelegenheit zu einer offenen Aus=

sprache über die schwebenden Streitfragen ge­boten ist. Die deutsche Regierung muß die Mög:

lichkeit erhalten, zu sagen, was sie will, was sie unter Gleichberechtigung versteht, wie sie sie her­beizuführen gedenkt und ob sie für den Fall einer negativen Entscheidung eine Aufrüstung beabsich­tigt. Das um so mehr, als die an Frankreich gerichtete Note der letzten Klarheit zweifellos ent­behrt hat.

Es ist immerhin bezeichnend, daß in der letzten Zeit Blätter, die dem Kabinett der Barone nahe­stehen, mit besonderem Eifer die Behauptung zu­rüdweisen, Deutschland beabsichtige eine Auf­rüftung. Es habe von allem Anfang an nur die Gleichberechtigung im Auge gehabt.

Wenn das nicht nur ein Spiel mit Worten ist, so find wir gern bereit, diese Feststellungen mit Genugtuung zu begrüßen, und wir machen nur darauf aufmerksam, daß sowohl die private wie die halbamtliche Begleitmusik zu der ursprüng­lichen Note zu anderen Deutungen zwang.

0

Aber wenn nun wirklich an Aufrüstung nicht gedacht ist, so wird es um so unverständlicher, daß man die Sozialdemokratie wegen der Hal­tung, die sie in dieser Angelegenheit einnimmt, mit soviel Schärfe angreift. Das moralische Recht Deutschlands , die Gleicherech tigung zu fordern, ist von der Sozial­demokratie nicht bestritten worden, und sie hat überdies stets mit aller Entschiedenheit den Siegerstaaten zum Vorwurf gemacht, daß sie die Zusicherungen, die sowohl im Vertrag von Ver­ sailles wie im Völkerbundspakt gegeben worden sind, nicht innegehalten haben.

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

.

Bezirksverband Berlin

Freitag, den 14. Oktober 1932, 20 Uhr, im gr. Saal des Lehrervereinshauses, Alexanderstr. 41

,, Der Kampf

kulturpolitische Kundgebung

Es sprechen

Ü ber

Adolf Grimme und Kurt Löwenstein

-

Reich und Preußen unterstüßte. Oft haben wir der Reichsregierung auf ihr Ansuchen im Reichs­rat Hilfsstellung gegen Bayern und andere Län­der geleistet, mo es für Preußen im engeren Landesinteresse günstig gewesen wäre, sich in die offene Front der Länder gegen die Reichsregie­rung einzureihen. Im hohen Reichsinteresse haben mir das getan, und nun, wegen ,, Nichter­füllung" der Pflicht gegen das Reich wie ein Dienstbote, der gestohlen hat, und den man das Haus nicht mehr betreten läßt, aus dem Amte gejagt zu werden, das ist reichlich bitter. Das um so mehr, als es auf Veranlassung des Mannes geschieht, für dessen Lauterkeit und Verfassungs­treue ich mich mit meiner ganzen Person öffent­lich eingesetzt habe, und der dem nicht zuletzt seine Wiederwahl zum Reichspräsidenten verdankt. Aus meiner mehr als 40jährigen politischen Tätigkeit weiß ich, daß es in der Politif keinen Dank gibt; aber ein gewisses Mindestmaß von Achtung ist doch die Voraussetzung auch für eine politische Zusammenarbeit."

Brecht fügte hinzu, er wisse nicht, ob Minister­präsident Braun die Mitteilung dieser Aeußerung billige; aber er, Brecht, tue das auf eigene Ver­antwortung, angesichts der Angriffe, die Gott­heiner gegen den Ministerpräsidenten Braun ge­richtet habe.

Lektion für Bracht

Das Verfahren gegen Weiß und

Heimannsberg abgelehnt!

Eröffnung des Hauptverfahrens gegen den Po­lizeivizepräsidenten Dr. Weiß und den früheren Kommandeur der Berliner Schuhpolizei, Oberst Heimannsberg , gegen die die Staatsan­waltschaft Anklage wegen Nichtbefolgung der An­ordnungen des Militärbefehlshabers, Generals v. Rundstedt, erhoben hatte, abgelehnt.

Die Straffammer des Landgerichts I hat die

Die Straftammer hatte bereits einmal die An­flage der Staatsanwaltschaft zur nochmali­gen Nachprüfung zurüdgegeben. Diese be= stand jedoch infolge höherer Anweisung auf Er­hebung der Anklage. Nunmehr hat die Straf­fammer nach erneuter Prüfung die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt, und zwar mit der für Papen und Bracht niederschmetternden Be­gründung, daß die Anklage in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung der Grundlage ent= behre.

Damit ist in diesem Falle bereits flargestellt, mit welch unhaltbaren Rechtsauffassungen die tommissarische Regierung am 20. Juli zu Werke gegangen ist.

900 Mann im Streif

Eigener Bericht des Vorwärts"

Torgau , 10. Oktober.

Die etwa 900 Mann starke Belegschaft der Steingutfabrik Villeroy und Boch ist nahezu ein­mütig in den Streit getreten, um eine Lohn= fürzung auf Grund der Papen - Ver­ordnung abzuwehren. Obwohl Nazis und Rozis eine gemeinsame zentrale Streifleitung ge­bildet haben und alles tun, um den Abwehrkampf der Arbeiterschaft zu schädigen, ist die zuständige Gewerkschaft, der Fabrikarbeiter Ver= band, durchaus Herr der Lage. Die einge­leiteten Verhandlungen zur Beilegung des Kon­flikts sind noch nicht abgeschlossen.

Bei Villeroy und Boch war Herr von Papen bis furz nach seinem Amtsantritt als Reichs­fanzler Aufsichtsratsmitglied. Die Firma hat auch im Saargebiet größere Steingut­fabriken. Auf diese findet die Notverordnung feine Anwendung. Ist das der Grund, warum Die Firma im Saargebiet zur Zeit sehr wenig arbeiten läßt?

um die sozialistische Kultur" fabriten.

Der Bezirksvorstand

Das war Harzburg !

11. Oktober 1931-1932

Heute vor einem Jahr war der Tag von Harzburg .

,, Kundgebung der nationalen Front in Harzburg . Rücktritt von Braun und Brü­ning gefordert. Hugenberg , Hitler und Seldte in einer Front" so las man tags darauf im ,, Lokal- Anzeiger".

Und weiter im Text: Hugenberg wurde überall begeistert begrüßt... Als er an den aufgestellten Verbänden vorbeikam, riefen ihm auch die National= sozialisten ein freudig begei stertes Heil zu."

Im Festsaal im Kurhaus saß am Vor­standstisch Hitler zwischen Hugenberg ( jezt Hugenzwerg) und Duesterberg( jetzt Selig Abrahams Enkel). Als Hugenberg ge­sprochen hatte, gab der Vorstandstisch durch Erheben von den Sitzen das Signal zu einer Huldigung für den deutschnationalen Führer. unter denen, die sich zuerst erhoben, befan­den sich Hitler , Göring , Frick und Stöhr.

Als Hitler gesprochen hatte, beglück­wünschte ihn Hugenberg . Dieser sprach dann das Schlußwort: Wir bauen auf Ernst, Wahrhaftigkeit, Einigkeit, Kraft und Willen."

,, Noch einmal", schreibt der Lokal- An­zeiger" wörtlich, erhob sich die Versamm lung zu Ehren Hugenbergs. Hugen­ berg , Hitler, Seldte, alle Führer der natio­nalen Opposition leisteten mit erhobenem Arm den Schwur für das deutsche Vater­land."

Zuvor hatte man eine Entschließung an­genommen, die mit den Worten beginnt:

Die nationale Front, einig in ihren Parteien, Bünden und Gruppen, von dem Willen beseelt, gemein sam und geschlossen zu handeln, gibt folgendes fund...

Pathetisch wird versichert:

Einig stehen wir zu diesen Forderungen. Geächtet ist jeder, der unsere Front zerfetzen will. Die Forderungen bezogen sich besonders auf den Kampf gegen den Blutterror des Marrismus" und den fofor­tigen Rücktritt der Regierungen Brüning und Braun". In diesem Sinne wurde Hindenburg beschworen, dem stürmischen Drängen von Millionen vaterländischer Männer und Frauen" zu ent­sprechen und ,, in letzter Stunde durch Be­rufung einer wirklich nationalen Regierung den rettenden Kurswechsel" herbeizuführen.

Was sagte der Vorwärts" zu Harz­ burg ? Er sprach von einem ,, Aufmarsch der Sozialreaktion, von ,, offenen und erklärten Verfassungsfeinden". Er sagte, das Gesicht der Körperschaft sei sichtbar geworden, die Deutschland regieren wolle: Gene­räle, Großagrarier, Schwer industrielle". Er sprach weiter von einer Verelendung des arbeitenden Volkes durch die bankrotten und unfähigen Wirt­schaftsführer, die hinter der Harzburger Tagung stehen." Sie wollen", schrieb der ,, Borwärts", die fürchterlichste Bedrückung aller Lohnarbeiter. Sie wollen vor allem die preußische Erefution!" Soweit die Tatsachen. Was ergibt sich aus ihnen ein Jahr danach?

In Harzburg ist in Umarmung des Natio­nalsozialismus mit der Deutschnationalen Partei die Regierung der Barone gezeugt worden. Im Mai 1932 tam fie dann als Siebenmonatsfind zur Welt.

Zum Geburtshelfer für dieses Kind wurde der Reichspräsident unter Vorspiege­lung falscher Tatsachen gewonnen.

Die gewaltsame Entfernung der Preußenregierung, über die