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Abend- Ausgabe

Nr. 480 B 232 49. Jahrg.

Redaktion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher: A7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammabreffe: Sozialdemokrat Berlin

Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

DIENSTAG

11. Oktober 1932

In Groß Berlin 10 Pf. Auswärts....... 10 Pf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des redaktionellen Teils

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Präfiðial- Diftatur Umtriebe des Erkronprinzen

Ein Beispiel bürgerlicher Verirrung

Aus durchsichtigen Gründen ist die deutsche Reaktion gegenwärtig bemüht, es so hinzustellen, als ob in Deutschland eine Reform der ge= schriebenen Verfassung eine drin= gende Staatsnotwendigkeit sei. Glaubt sie doch dadurch ihre Herrschaft endgültig befestigen zu können. Die offiziellen Stellen haben sich bisher mit Andeutungen begnügt. Der erste maßgebende Autor, der einen Verfassungsentwurf nebst Be­gründung vorlegt, ist der frühere Reichsminister Eugen Schiffer , der im Verlag Reimar Hobbing, Berlin , soeben ein Büchlein über die neue Verfassung des Deutschen Reiches hat er= scheinen lassen. Sein Verfassungsentwurf, der nur 38 Artikel umfaßt, ist im Grunde nichts weiter als ein Versuch, die gegenwärtige Prä= fidialdiktatur Hindenburgs auch für die Zukunft als deutsches Verfassungsrecht zu statuieren. Bei näherer Besichtigung dieses Ent­wurfs stellt sich heraus, daß das einzige Recht, das dem Volk bleibt, die Wahl des Reichspräsidenten in vierjährigem Abstand ist. Zwar kann das Volk auch ein Volkshaus wählen( charakteristischerweise hat der Verfasser vergessen, für diese beiden Wahlen etwas über den Wahlmodus verfassungsrechtlich zu verankern); aber dieses Volkshaus ist aus dop= peltem Grund noch bedeutungsloser als der ehe­malige Reichstag des Kaiserreichs. Einmal ist es bei all seinen Akten an die Zustimmung eines sogenannten Ständehauses gebunden, das nach einem ebenfalls nicht näher bestimmten Modus von Landesregierungen, Gemeinden, wirt­schaftlichen, sozialen und kulturellen Verbänden beschickt wird, also im wesentlichen eine Nach­bildung des faschistischen Parlaments ist. Aber selbst mit diesem Ständehaus zusammen hat es weder auf die Ernennung, noch auf die Entlassung des Reichskanzlers und der Regierung praktischen Einfluß. Außerdem hat es aber sowohl zum Unterschied von dem ehemaligen Reichstag als auch von der Legislative in den Vereinigten Staaten ein seinem Umfang nach höchst be= schränktes Gesezgebungsrecht. Denn der Reichspräsident hat nicht nur das Recht, bei Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ord­nung Maßnahmen zu treffen, sondern er hat auch ein dem Umfang der heutigen Notverordnungs­praris gleichkommendes Recht, Geseze zu er lassen, wenn ihr Erlaß unaufschiebbar ist und der Reichstag sich außerstande erweist, sie zu er­lassen.

Das Außerkraftjegungsrecht besitzt das Parlament nur auf dem Papier. Denn entweder muß es dazu mit 3weidrittelmehrheit beider Häuser den Präsidenten wegen Ver­fassungsverlegung anklagen, was bei dieser Art von Verfassung ein Kunststüd sein dürfte, oder es muß andere demselben Zweck dienende Maß­nahmen beschließen. Da die Verfassung in der Sprache Carl Schmitts emphatisch verkündet, daß der Reichspräsident der Hüter der Verfassung sei und Verfassungsverlegungen zu rügen habe, so siegt auch in diesem Fall dieses Urbild eines Despoten, genannt Reichspräsident, leicht über den Reichstag .

Freiheits- und Sozialrechte fennt die Verfassung nicht. Ihre Eristenz wird in die Hand des Reichspräsidenten sowie des mit allen Sicherungen ausgestatteten Berufs= beamtentums gelegt. 3u diesem Ver­fassungsentwurf wird nicht viel zu sagen sein. Wir glauben, daß das Kopfschütteln, mit dem nach der Meinung des Verfassers das Volk seine Vertreter betrachtet, die auch nach der Auf­lösung des Reichstags noch Diäten und Freifahr­tarten beziehen, erheblich größer sein dürfte, wenn eine solche Verfassung jemals in Kraft treten sollte. Und das wäre wohl auch die einzige Re­aftionsform, die dem Bolke bei dieser Verfassung nach übrig bliebe. Da zudem Herr Schiffer seinem Wert eine so große Dauer zutraut, daß er es nur durch eine neue Nationalver­sammlung als abänderbar erklärt, müßte das Bolk wohl bald zu dem Mittel der Revo= lution greifen, die zu verhindern gerade der 3wed des grundsäglich neuen Berfassungswerks Don Gayl, Papen , Schiffer und Genossen ist.

Hochverräterische Pläne zur Wiederherstellung der Monarchie

Der Erkronprinz, der vor seiner Rückkehr aus Holland das Versprechen abgegeben hatte, sich aller Einmischungen in die Politik zu enthalten, entfaltet zur Zeit eine fieberhafte Tätigkeit, die auf seine

Einsetzung zum Reichsverweser unter Bruch der Verfassung und auf Wieder­herstellung der Monarchie gerichtet ist. Dabei beweist er die vom Vater ererbte staats­männische Begabung dadurch, daß er für seine Pläne in den allerweitesten Kreisen Propaganda macht, ohne sich ihrer Zustimmung oder ihrer Verschwiegenheit zu versichern.

Wir stellen unter Beweis, daß der Er­fronprinz folgende Erklärung abgegeben hat:

Papen , Schleicher, Hindenburg und er, der Erkronprinz, wüßten, was sie wollten und seien sich einig. In einem geeignet erscheinenden Zeitpunkt würde Hindenburg ihn zum Reichsver­weser bestimmen und zurücktreten. Er werde sich dann auf die Reichswehr , die auf das Reich übergegangene Schutz­polizei und 400 000 bewaffnete Stahl­helmer stützen. Einen neuen 9. Novem ber werde es nicht wieder geben. Die Träger dieses Planes seien entschlossen, für ihre Sache zu kämpfen und, wenn es sein müßte, zu sterben. Rupprecht von Wittelsbach sei mit ihnen ein­verstanden und werde an demselben Tage, an dem er, der Exkronprinz, Reichsverweser werde, an die Spite eines Donaukönigreichs treten.

So der Erkronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen. Wir stellen, um es nochmals zu wieder­holen, unter Beweis, daß sich dieser Herr wiederholt im Gespräch mit politischen Persönlich­teiten in dieser Weise geäußert hat.

Wir können nicht annehmen, daß die Mitteilun= gen des Erkronprinzen über den Reichs= präsidenten der Wahrheit entsprechen, und richten an die verantwortlichen Reichsminister von Papen, Don Schleicher und Don Gayl die öffentliche Frage:

Sind ihnen die Absichten des Erkron­prinzen bekannt, und wie stellen sie sich dazu? Sind sie sich darüber klar, daß das Treiben des Exkronprinzen den Tat= bestand des Hochverrats erfüllt,

und sind sie gewillt, die rechtlichen Konse quenzen zu ziehen? Wird der Ober­reichsanwalt seine Pflicht tun?

Papen in München

Man will die Verfassung reformieren

Der Reichskanzler ist heute zu einem Staats­besuch in München eingetroffen. Die Bayerische Staatszeitung " sagt zu dem Berliner Besuch, daß in Bayern gegen den neuen Kurs im Reich, und zwar vor allem wegen der in Berlin geplanten

und von den verschiedenen Interessengruppen eifrig betriebenen Reichsreform, nach wie vor startes Mißtrauen bestehe. Die maßge­benden Führer der bayerischen Politik würden deshalb dem Reichskanzler nochmals ihre Besorg. nisse vortragen, die aus der bisherigen Hand­habung des Artikels 48 durch die Papen- Regierung hervorgingen. Von dem Ergebnis der Münchener Besprechungen hänge es ab, ob von Papen und mit ihm die Reichsregierung sich auf ihrem dornen­reichen Weg die Gefolgschaft Bayerns sichern könnten.

Bei diesem Staatsbesuch soll die vom Kabinett der Barone geplante Verfassungsreform" be­sprochen werden.

Gottheiner nimmt nicht zurück!

Der Reichsgerichtspräsident für Otto Braun

Eigener Bericht des Vorwärts"

FKI. Leipzig, 11. Oftober. Die Verhandlungen des Staatsgerichtshofes für das Deutsche Reich über die Klagen Preußens gegen das Reich begannen heute früh mit einer neuen Erörterung über die Angriffe, die am Montag der Reichsvertreter Gottheiner wie aus der Pistole geschossen gegen Severing und Braun gerichtet hatte. Severing hat bereits in Zwickau auf die Unsinnigkeit der Be= hauptung hingewiesen, daß er einen Reichs­tommissar herbeigewünscht hätte. In bezug auf die Behauptung, Ministerpräsident Braun habe sich hochbefriedigt" über die Regelung seiner Ge= haltsfrage geäußert, gaben die Vertreter Preußens die formulierte Erklärung ab, daß die Anfrage nach der Gehaltsregelung durch die Prozeß­vertreter veranlaßt sei, und zwar deshalb, weil aus der Behandlung der Gehaltsfrage durch die Kommissare unter Umständen gewisse juristische Schlußfolgerungen für diesen Prozeß zu ziehen sein würden. Absolut unwahr sei, daß Braun sich hochbefriedigt" über die Regelung seiner Bezüge ausgesprochen habe.

Der Reichsvertreter Gottheiner hielt es nicht für nötig, die augenscheinlich zu politischen Zweden in den Zuhörerraum geschleuderte Ber­dächtigung zurückzunehmen. Deshalb fühlte sich der Präsident Bumke veranlaßt, auszu­sprechen, daß die Annahme, ein Mann wie Braun könnte sein Verhältnis zu Preußen nur oder hauptsächlich nach der Geldseite betrachten, als

Die Eröffnungsfitzung des Staatsgerichtshofs

völlig abmegig zu bezeichnen sei. Er baute dem Gottheiner eine Brücke, indem er anzunehmen vorgab, Gottheiner jei mißverstanden worden. Aber Gottheiner schwieg, und der Preußenver­treter mußte feststellen, daß der Reichsvertreter die unwahre Verdächtigung nicht zu rücknehme.

Die Erörterungen wandten sich dann der Frage zu, ob und unter welchen Modalitäten der Staats­gerichtshof 3eugen vernehmen könne. Der Vorsitzende meinte, die Minister von der einen und von der anderen Seite seien doch Partei, und die Parteien könne man doch nicht vereiden. Professor Heller wiederholte seinen Antrag, die Herren von Gleichen und von Alvensleben darüber zu vernehmen, daß die Beseitigung der republikanischen Preußen- Regierung schon im Rahmen der Abmachungen zwischen Papen und Hitler beim Sturz Brünings gelegen habe.

Im weiteren Verlaufe der Vormittagssizung brachte der preußische Ministerialdirektor Brecht die Dinge zur Sprache, die sich nach der Amts­übernahme des Reichskommissars und seiner Kommissare abgespielt haben, vor allem die viel

Gevering gegen Gottheiner

Abwehr von Wahllügen

Genosse Carl Severing befindet sich zur Zeit auf Wahlreisen. Am Montagabend weilte er in Zwickau , wo er über die Erklärungen Gottheiners vor dem Staatsgerichtshof befragt wurde. Seve ring erklärte dazu wörtlich:

Ich habe niemals Herrn von Gayl zu der Einsetzung eines Reichskommissars ermuntert. Ich habe ihm in einem Gespräch lediglich gesagt, daß ich mir sehr wohl denken könne, daß nach den Reichstagswahlen( die Ende Juli stattfanden) die Zeit reif sein werde, um jenen Plan der Ver­wirklichung näherzubringen, der im Sommer 1931 zwischen Ministerpräsident Braun und Reichs­fanzler Brüning erörtert worden ist: in einer Personalunion zwischen Reich und Preußen eine Zusammenlegung der Ministerien herbeizuführen. Ich habe aber andererseits im Gegenteil dringend gebeten, nicht ohne gesetzliche Grundlage einen Reichskommissar einzusetzen.

Ich habe späterhin auch eine öffentliche Erklä­rung über mein Gespräch mit Herrn von Gayl veröffentlicht, als Gerüchte im Gange waren, daß das Reichsinnenministerium die preußische Polizei auf das Reich übernehmen wolle. Ich habe Herrn von Gayl gefragt, ob er die Quelle dieser Gerüchte tenne. Herr von Gayl hat damals verneint und dabei sich noch auf meine Erklärung berufen, daß die preußische Polizei fest in der Hand der Re­gierung sei. Ein anderes Gespräch über die Ein­fegung des Reichskommissars habe ich mit Herrn von Gayl nicht gehabt."