ERSTE BEILAGE
Vorwärts
MITTWOCH, 12. OKT. 1932
mit dem ihm beigeordneten Verwaltungsstabe übertragen.
Zwischen den Beschlußsachen mit parlamentarischem Charakter und der laufenden Verwaltung
Stärkung der kommunalen Demokratie- Schafft den Verwaltungsmittelpunkt- Von Dr. Carl Herz schiebt sich nun eine dritte Gruppe von An
Die Reform der Berwaltung Berlins ist in diesen Tagen Gegenstand der Beratungen eines Stadtverordnetenausschusses. Der„ Vorwärts" veröffentlicht nachstehend bedeutsame Ausführungen des Bürgermeisters Dr. Carl Herz, in denen die Grundgedanken des vor zwei Jahren geschaffenen Entwurfes des Bezirksvorstandes der Berliner Sozialdemokratie mit den Hauptlinien des Magistratsplanes gegeneinander abgewogen werden. Innerhalb der Auseinandersetzungen über die Neugestaltung der Bezirksvermal= tung ist ein Streit darüber entstanden, ob der Magistratsentwurf der grundsäglichen Einstellung des von der Berliner Sozialdemokratie vor zwei Jahren veröffentlichten Selbstverwaltungsentwurfs entspricht. Von bürgerlicher Seite ist behauptet worden, daß der Magistratsentwurf in starkem Maße dem Entwurf der Partei nachgebildet sei. Parteigenössische Kritiker haben gerade umgekehrt im Magistratsentwurf eine gegenfägliche Grundrichtung und eine reaktionäre Einstellung feststellen zu können geglaubt. Was ist die Wahrheit?
Der sozialdemokratische Gesezentwurf ist konse= quent entwickelt aus dem Gedanken der kommu= nalen Demokratie, der auch dem Heidelberger Parteiprogramm zugrunde liegt. Diese politische Linie ist im Entwurf mit Schärfe herausgearbeitet und verwaltungstechnisch bis in alle Verästelungen durchgeführt. Wird dieser pro= grammatische Grundgedanke als Beurteilungsmaßstab verwertet, so kann der parteigenössische Kritiker leicht feststellen, daß der Magistratsentwurf in manchen Punkten erheblich hinter den im Parteientwurf niedergelegten Forderungen zurückbleibt. Es zeugt aber von einer völligen Berkennung der politischen Situation, daraus eine streng ablehnende Taktik herzuleiten. Der Magistratsentwurf bildet nicht wie unser Entwurf eine das Ganze der Stadtverwaltung umschließende ge= dankliche Einheit, sondern ist lediglich eine ergänzende Novelle, die einen begrenzten Aus= schnitt, nämlich die Bezirksverwaltung, regelt, im übrigen aber die bestehenden Grundlagen der Stadtverfassung nicht antastet. Daß er selbst innerhalb dieses eng umgrenzten Gebietes sehr behutjam vorgeht und sich an bestehende Vorbilder anlehnt, tann angesichts der nun einmal gegebenen machtpolitischen Situation fein Borwurf sein.
Das Verdienst der Partei
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Trotz der politisch ungünstigen Situation stellt sich jetzt mit zwingender Deutlichkeit heraus, daß die Arbeit, die von der Partei vor zwei Jahren geleistet wurde, nicht vergeblich war. Denn die organisatorischen Grundgedanken, auf denen sich der Parteientwurf aufbaut, haben trotz der politischen Hemmungen ihre durch die Sache gegebene Wirksamkeit entfaltet. Diese Grundgedanken sind nunmehr feineswegs original, sind nicht zuerst und sind nicht allein vom Entwurf der Partei aufgenommen. Aber entscheidend ist nicht, ob ein organisatorischer Gedanke ursprünglich ist. alles Gescheite ist schon auf diesem Gebiete gedacht worden sondern ob er die in einem Verwaltungsförper aus der praktischen Erfahrung der laufenden Verwaltung erwachsenen Strebungen und Strömungen richtig erfaßt und in die ihnen wesensgemäße rechtliche Organisationsform hineingießt. Dieses Verdienst kann der Entwurf der Partei für sich in Anspruch nehmen. Er gliedert nämlich planmäßig die in der kommunalen Verwaltungsarbeit Berlins auftretenden Verwaltungsaufgaben ihrem Wesen nach in drei Gruppen. und ordnet jede Gruppe einer bestimmten Verwaltungsstufe zu. Der Magistratsentwurf hat dieses System übernommen und mußte es ganz unabhängig von jeder politischen Einstellung übernehmen, weil diese Gliederung den sachlichen Bedürfnissen der Verwaltung angepaßt und insofern zwangsläufig ist.
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Beseitigung der Bezirksversammlung
Die erste Gruppe umfaßt die Angelegenheiten, die in parlamentarischer Form durch die Gemeindevertretung zu erledigen sind, also die sogenannten Beschlußsachen. Das Gesetz von 1920 hat hier durch Schaffnung von 20 Bezirksversamm lungen neben der Stadtverordnetenversammlung eine Teilung der parlamentarischen Gewalt versucht. Dieser Versuch ist mißlungen. Die alte
Wahrheit, daß jedes Parlament eine zentralifierende Tendenz hat, hat sich auch hier durchgesetzt. Die gewählte Stadtverordnetenversammlung ist, um die Ausdrucksweise des französischen Revolutionsrecht anzuwenden, une et indivisible, einzig und unteilbar,
für Nebensonnen ist kein Raum. Parteientwurf und Magistratsentwurf gehen in der Beseitigung der Bezirksversammlungen als parlamentarischer Körperschaften konform.
Die zweite Gruppe der Verwaltungsaufgaben schließt die laufende Verwaltung in sich, die Erledigung der in der Tagesarbeit auftretenden
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Einzelfälle. Hier herrscht der Berufsbeamte vor, da hier alles zumal in einer Zeit des Massennotstandes- auf eine prompt und eraft funktionierende Maschinerie ankommt. Dieser Tatsache kann, wie der Wandel im Amtsinhalt des ehrenamtlichen Wohlfahrtskommissionsvorstehers beweist, nicht ausgewichen werden. Auch Gewerkschaften und Genossenschaften mußten wie jeder Verband auf einer bestimmten Stufe der Entwicklung vom ehrenamtlichen Funktionär zum Berufsbeamten übergehen. Parteientwurf und Magistrat stimmen dahin überein, daß sie in Anerkennung dieser zwangsläufigen Entwicklung die tägliche Verwaltung in den Bezirken dem Bürgermeister
Der Herr Staatsanwalt
Zuchthausanträge im Prozeß gegen Eiserne Front
Das Urteil gegen die Mitglieder der Eisernen Front vor dem Sondergericht wegen der Vorfälle in Börnide fonnte überraschenderweise auch gestern noch nicht gefällt werden. Die Verhandlung wurde nach dem Plädoyer des Staatsanwalts Dr. Mittelbach auf Freitag vertagt.
Der schwerkriegsbeschädigte Angeklagte Bach- mann, der im Krankenwagen zur Gerichtsstelle herbeigeschafft worden war, konnte den Verhandlungen vor Schmerzen nicht mehr folgen. Dr.
Mittelbach in diesem Prozeß im allgemeinen bot. Bei der unverhüllten Gehäffigkeit gegenüber dem Reichsbanner ist dem Staatsanwalt Dr. Mittelbach die Fähigkeit zur Objektivität gegenüber Angeklagten, die der Eisernen Front angehören, abzusprechen.
Zur Sache selbst gab er unter Vergewaltigung der in der Gerichtsverhandlung festgestellten Tatsachen eine Darstellung, die auf eine Rechtfertigung seiner schriftlichen Anklage hinausliefen.
Bei der Strafzumessung sei einerseits die Schwere der Straftaten zu berücksichti
Ewers, der ihn im Auftrage des Gerichts untersuchte, stellte fest, daß der Unterschenkel infolge der Kriegsbeschädigung derart vereitert sei, daß das Bein, möglicherweise, um eine allgemeine Blutvergiftung zu verhüten, amputiert werden müßte. Jedenfalls sei die Verhandlung auf mehrere Tage auszusetzen.
Ungeachtet dieses Gutachtens beantragte Staatsanwaltschaftsrat Dr. Mittelbach gegen den schwerkriegsbeschädigten und schwer leidenden Angeklagten Bachmann Haftbefehl wegen, Fluchtverdacht!
Wenn Dr. Joachim auf diesen geradezu unge= heuerlichen Antrag mit den Worten reagierte, daß ein ,, derart scharfer Antrag in Moabit etwas vollkommen Ungewöhnliches" sei, und wenn er hinzufügte, daß er sich noch sehr milde ausgedrückt habe, so wird man ihm Recht geben müssen. Das Gericht lehnte sowohl den Haftbefehl in bezug auf Bachmann als auch in bezug auf sämtliche anderen Eiserne- Front- Leute ab: ein Fluchtverdacht erscheine nicht begründet, die Angeklagten seien stets pünktlich zur Stelle gewesen.
Der Antrag auf Erlassung eines Haftbefehls gegen sämtliche Angeklagten und insbesondere gegen den Angeklagten Bachmann paßt vorzüglich in das Bild, das Staatsanwaltschaftsrat Dr.
gen, die an das Strauchrittertum erinnere, andererseits strafmildernd der Umstand, daß keiner der Angeklagten Organisationen angehört, die die Untermühlung des Staates auf ihre Fahnen ge= schrieben haben, daß es sich nur um irre= geleitete(!) Leute handelt( von wem irregeleitet? Vom Reichsbanner?!), die meinen, ihre Ueberzeugung durch Waffen in der Hand ihren Gegnern beibringen zu können.
Staatsanwalt Dr. Mittelbach beantragte sodann gegen Teichmann drei Jahre Zuchthaus
und gegen Boß zwei Jahre Zuchthaus. Der jugendliche Schmidt soll mit drei Jahren Gefängnis, der schwerkriegsbeschädigte hilflose Bachmann mit einem Jahr Gefängnis, Galle mit zehn Monaten Gefängnis, die Naziangeklagten Becker( er hat wie ein Rasender mit dem Spaten dreingeschlagen!) und Schröder mit je drei Monaten Gefängnis bestraft werden. Vor Erlaß eines Urteils sind sämtliche Angeklagte in Haft zu nehmen.
Der Nebenkläger beantragte, die Angeklagten u. a. zu einer Gesamtbuße für jeden der Verletzten von je 1000 Mark zu verurteilen und außerdem Schmidt noch zu 500 Mark Buße. Die Verhandlung wurde dann auf Freitag, 9% Uhr, vertagt.
gelegenheiten, die eine Zwischenform darstellt. Es handelt sich hierbei um die Aufstellung von Grundsägen und Richtlinien, um die Inangriffnahme neuer Aufgaben und Einrichtungen, um die zielsetzende, Gang und Geist der Verwaltung generell bestimmende Verwaltungstätigteit. Man mag dieses Gebiet als freie Verwaltung bezeichnen und sie in Gegensatz stellen zur laufenden Tagesverwaltung, die sich in der Vollziehung der Gesetze und Verordnungen erschöpft und insofern gebunden ist. Deshalb gewinnen hier auch politische Gesichtspunkte Bedeutung, da es hier darauf ankommt, der grundsätzlichen Richtung der Verwaltung nach der Eigenart der aus der gesellschaftlichen Struktur des Bezirks hervorgehenden Bedürfnisse den Weg zu weisen. Hier ist das gegebene Feld für die Tätigkeit des modernen Ehrenbeamten. Sowohl nach dem Entwurf der Partei wie nach der Magistratsvorlage besteht daher das zur Erledigung dieses Aufgabenkreises berufene Verwaltungsorgan, das mit dem jetzigen Bezirksamt nur den Namen gemein hat, aus gewählten Bezirksvertretern unter dem Borsiz des Bürgermeisters.
Die fehlende Zusammenfassung
Die Magistratsvorlage beruht also auf denselben Konstruktionsprinzipien wie der Parteientwurf. Wenn eine kritische Bemerkung am Blaze ist, so muß sie von einem ganz anderen Einsatzpunkt ausgehen. Ich knüpfe hierbei an die Beschwerden an, die auch jetzt noch aus den Kreisen der parteigenössischen Bezirksvertreter über Uebergriffe der Zentralverwaltung laut geworden sind. Es iſt zweifellos, daß auf diesem unerfreulichen Gebiete der Zuständigkeitsstreitigkeiten unter der Herrschaft der neuen Verwaltung eine sehr erhebliche Besserung eingetreten ist. Gleich
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Der seit einiger Zeit in Sellin auf Rügen zur Erholung weilende Landgerichtsrat Kleiner aus Berlin Wilmersdorf wurde tot aus dem Schwarzen See geborgen. Der Landgerichts. rat war von einem Spaziergang nicht zurückgekehrt, so daß man besorgt um sein Schicksal auf die Suche nach ihm ging. Es steht einwandfrei fest, daß Landgerichtsrat Kleiner, der seit längerer Zeit nervenleidend war, Selbstmord beging.
wohl ist nicht zu leugnen, daß das Verhältnis zwischen Zentralverwaltung und Bezirksverwaltung immer noch nicht die der natürlichen Verflechtung der Aufgabenkreise entsprechende innere Verbundenheit angenommen hat. Das liegt nicht an dem Willen der maßgeblichen Personen, sondern an einem grundsätzlichen Fehler in der organisatorischen Struktur, auf den bei der Beratung der Novelle von 1931 mit Recht hingewiesen ist. Der Zusammenhang zwischen den leitenden Persönlichkeiten der Zentralverwaltung und der Bezirksverwaltung ist zwar jetzt erfreulicherweise im Gegensatz zu der früheren Periode enger gewor den, ist aber immer noch zu locker*
In der Berliner Verwaltung besteht kein einheitlicher Verwaltungsmittelpunkt. Wir haben eine ganze Reihe von Personen und Personenkreise, bei denen aus allen Arbeitsgebie= ten und Verwaltungsbezirken die Fäden der Verwaltung sich verknüpfen. Sieht man von den zentralen Deputationen ab, so stehen an den entscheidenden Schlüsselpunkten der Oberbürgermeister, der Magistrat, die Gemeinschaftsbesprechung von Magistrat und Bezirksbürgermeistern, die Konferenz der Bürgermeister usw. unorganisch und mit unficherer Zuständigkeit nebeneinander.
Je größer aber eine Verwaltung ist, um so notwendiger ist die Zusammenfassung in der Spize. Hier liegt ein Gefahrenherd vor, dessen Größe nach den Erfahrungen des Zusammenbruchs von 1929 nicht unterschätzt werden darf. Es wäre wünschenswert, wenn dieser Punkt in der öffentlichen Diskussion stärker in den Vordergrund gerückt würde. Ziel aller Reform soll ja sein, daß, um auch hier ein vielzitiertes GoetheWort anzugeben: ,, alles sich zum Ganzen webt".
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No
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DREIGROSCHENWUNDER
Hochwertige Qualität und doch
NUR 154 and 204