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Morgen- Ausgabe

Nr. 483 A 236 49. Jahrg.

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Vorwärts

BERLINER

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13. Oktober

In Groß Berlin 10 Pf. Auswärts....... 15 Pf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise siehe am Schluß des redaktionellen Teils

Rentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Alarmruf zum Kampf!

Breitscheid gegen Papens Drohungen Die Umtriebe des Exkronprinzen

Die Spandauer Sozialdemokraten eröffneten den Wahlkampf mit einer machtvollen Freiheits­fundgebung in der Jubiläumsturnhalle. Die kurz nach Beginn wegen Ueberfüllung polizeilich ge­schlossene Versammlung wurde zu einem glühen­den Bekenntnis der Spandauer Arbeiterschaft für Republik und Arbeiferrechte.

Rudolf Breitscheid erteilte in der Ber­sammlung Herrn Papen die Antwort der Sozialdemokratie auf die Münchener Rede, die eine Enthüllung der Pläne der Gegen­revolution gebracht hat. Der begeistert aufgenom­menen Rede Breitscheids voran gingen Worte des Spandauer Kreisleiters Adolf Guth, in denen die tiefe Erregung zum Ausdruck kam, die die Drohungen des Reichskanzlers bei den Massen der Arbeiter und Angestellten ausgelöst haben.

Nachdem Breitscheid die Verhandlungen vor dem Staatsgerichtshof in Leipzig besprochen und unter der Zustimmung der Versammlung die Reichsregierung noch einmal gefragt hatte, wann endlich das sozialdemokratische Volks= begehren eingeleitet werde, kam er unter der gespanntesten Aufmerksamkeit der Versammlung auf die Enthüllungen des Vorwärts" über die Umtriebe des Erkronprinzen und die Münchener Rede Papens zu sprechen. Die Regierung habe, so erklärte er, die vom Vor­märts" gemachten Enthüllungen zwar sehr scharf dementiert.

Aber zunächst folle sich doch einmal die Kaiser­liche Hoheit melden. Der Vorwärts" habe sich bereiterklärt, die Behauptungen unter Beweis zu stellen. Breitscheid fuhr fort: ,, Ich bin per­sönlich sehr gut in der Lage, diese Behauptun­gen nachdrücklich unterstützen zu können!"

In der Rede des Mannes, den ein unglücklicher Zufall zum Reichskanzler Deutschlands gemacht habe, heißt es, es solle eine überpartei­liche Staatsregierung geschaffen wer den. Die Regierung folle also losgelöst sein von dem Willen des Volkes. Damit wäre der Grund­gedante der Weimarer Verfassung erledigt. Es märe viel mutiger von Herrn von Papen ge­wesen, wenn er in München offen das Ende der parlamentarischen Demokratie verkündet hätte! Nach den Wünschen der Reaktio­näre droht dem Volk ein Wahlrecht, das die Ent­rechtung des arbeitenden Boltes, wie es das Dreil tlassenwahlrecht vorsah, wiederbringen würde. So sieht die Rückkehr zu den herrlichen Zeiten des alten Reiches aus! Die Macht der Bureaukratie in Deutschland und ihre Führung durch den Adel soll wieder erreicht werden. Entrechtung des Volkes auf dem Wege einer sogenannten Ver­fassungsänderung ist das Ziel.

Breitscheid fragte in seiner Rede, was nach dem. Zusammentritt des neugewählten Reichstages ge­schehen werde, wenn auch der neue Reichstag, wie es vorauszusehen ist, nicht die notwendige Zweidrittelmehrheit für die Pläne des Herrn Papen stellt. Er sagt dazu:

Wir wissen, daß Kräfte am Werke sind, die die Verfassung nicht auf dem Wege des Par­lamentes, sondern durch einen Staatsstreich zu ändern entschlossen sind. Das größte Hindernis stellt sich ihnen in der Persönlichkeit des Reichs­präsidenten von Hindenburg entgegen. Ich bin nach wie vor der Ueberzeugung, daß Herr von Hindenburg fich diesen Plänen, deren Berwirk­lichung einen offenen Berfassungsbruch dar­stellen würde, energisch entgegenstemmen wird. Der Redner verglich unsere heutige Situation mit jenen Ereignissen in den Fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, als man Friedrich Wilhelm IV. jene Berfassung abgetrogt hatte, die von der Reaktion scharf bekämpft wurde. Da­mals habe der General Leopold von Gerlach das Wort von dem Geistlichen in sein Tagebuch ge­fchrieben, der dem König flarzumachen hätte, daß

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der Eid nicht Gott, sondern nur Menschen geleistet worden sei. Auch jetzt seien vielleicht verschiedene Leute auf der Suche nach einem solchen Geist­lichen. Wenn Hindenburg eines Tages erklären wird, ich mache nicht mehr mit, liegt der Weg frei für den Reichsverweser!

Wir bleiben dabei, daß der Erkronprinz selber dann die Zeit gekommen sieht, die verbrecheri­schen Absichten zu verwirklichen, die der Bor­wärts" enthüllt hat. Diese Gefahr besteht aller­dings, wenn sich das Volk nicht mit ganz an­deren Kräften als bisher zur Wehr seht.

Bei der Behandlung der Frage, wie es zu der. augenblicklichen Situation gekommen ist, wies Breitscheid nach, wie groß die Schuld der Nationalsozialisten und Kommuni= sten ist, die so lange gearbeitet haben, bis die Brücke der Demokratie immer brüchiger geworden ist. Sie tragen die Schuld, daß Herr von Papen das Volk heute so herausfordern kann! Schuld an den wirtschaftlichen Verhältnissen trägt das Ver­sagen des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Der Sozialismus darf nicht mehr die ferne Hoffnung jein. Der Sozialismus ift Tagesfrage, ist Tagesaufgabe! Der Redner schloß mit der begeistert aufgenommenen Aufforderung, die

Gedanken der Demokratie und der Freiheit noch meit stärfer als bisher zu verteidigen.

Nach einem Schlußwort des Vorsitzenden Guth flang die Versammlung in machtvollen Freiheits­rufen der Tausende aus. Der Alarmruf des Vorwärts": Republikaner , verteidigt die Republik ! hat schon gestern ein zehntausendfaches Echo gefunden!

Papen bei Rupprecht Sind das die Männer, die Geschichte

machen?

Der Reichskanzler der Deutschen Republik, Herr von Papen, machte gestern in München beim bayerischen Erfronprinzen Rupprecht seinen Be­such. Vermutlich überbrachte er Grüße des preu­ßischen Erkronprinzen, mit dem er ja intim be­freundet ist.

Nach einem Teebesuch im Automobilklub fuhr er in den Akademisch- Politischen Klub, wo er noch einmal redete. Er entwickelte in dieser standes­gemäßen Gesellschaft noch einmal seine feudalen Ideen von konservativer Staatsführung und schloß mit Treitschke : Männer machen die Ge­schichte."

Ja, manchmal merkt man es ihr auch deutlich an, was für Leute an ihr herumgepfuscht haben!

Noch Straßenkämpfe in Belfast

Ungenügende Unterstützungssätze als Ursache

Eigener Bericht des Vorwärts"

London , 12. Oktober. Die heftigen Arbeitslosen unruhen in Belfast , die am Dienstag einen Toten einen unbeteiligten Zuschauer sowie zahlreiche Berletzte und Verhaftungen zur Folge hatten, nahmen am Mittwoch ihren Fortgang. Wieder versuchten die Demonftranten Barrikaden zu errichten, wieder wurde die Polizei mit einem Hagel von Steinen empfangen, wieder fielen Schüsse und wieder wurden in der Nacht zum Mittwoch die Straßen für den Verkehr gesperrt.

Nazis gegen Polizei

Schwere Ausschreitungen in Altona

Eigener Bericht des ,, Vorwärts" Hamburg , 12. Oktober.

Jm inneren Stadtgebiet von Altona kam es zwischen größeren Abteilungen uniformierter S2A. und der Polizei zu großen Auseinander­sehungen. Die S.- Leute, die in einzelnen Arbeiterstraßen politische Terrorafte verüben wollten, empfingen die einschreitenden Polizei­beamten mit Pistolenschüssen, riffen das Straßenpflaster auf und eröffneten ein Stein­bombardement. Nach größeren Absperrungs­maßnahmen konnte die Polizei 37 an den Un­ruhen beteiligte Nationalsozialisten verhaften. Sie wurden dem Gericht zugeführt. Da sich die ver­hafteten Nationalsozialisten vorher ihrer Waffen entledigt hatten, fand man in den Straßen zahl­reiche geladene Revolver, Jaunlatten, Stöde und zahlreiche Wurfgeschoffe.

3m Anschluß an diese Ausschreitungen wurden fieben S.- Leute dabei betroffen, als fie in einigen Geschäften in der Göbenstraße, darunter in dem Berkaufsladen der Konfumgenossenschaft Produk­fion" die Fensterscheiben zertrümmerten. Die

Nur auf die ständige Bereitschaft der Polizei in Stärke von 3000 Mann ist es zurückzuführen, daß den Zusammenffößen nicht Plünderungen von Läden folgten. Unter den Revolvern der Polizei wurden die Demonftranten gezwungen, die auf­gerissenen Straßen wieder auszubeffern.

Am Mittwoch begannen Besprechungen mit dem Ziel, den Grund für die Unzufriedenheit zu beseitigen, die zu den geschilderten, für Groß­ britannien äußerst ungewöhnlichen Auswüchsen führte. Ist die Erbitterung besonders über den Bedürftigteitsnachweis der Arbeitslosen Bedürftigkeitsnachweis der Arbeitslosen auch in England weitverbreitet, so bestehen doch in Nordirland besondere Gründe für die Un­zufriedenheit, da die dortigen Unterstützungsfäße unter den in England gezahlten liegen. In den Proteftfundgebungen, deren Verhinderung durch die Polizei die Straßentämpfe vom Dienstag und Mittwoch zur Folge hatten, verlangten die Ar­beitslosen nicht mehr als die Gleichstellung mit England. Die Notftandsarbeiten, mit denen die Stadtbehörde Arbeitslose, die keinen Anspruch mehr auf Arbeitslosenunterstützung haben, be­schäftigt, werden mit 8 Schilling( etwa 6 Mark) pro Tag bezahlt bei einer durchschnittlichen Arbeitsdauer von 2% Tagen pro Woche. Ein Arbeiter, der aus anderer Quelle 10 Schilling be­zieht, darf nur einen Tag arbeiten, so daß sein Einkommen nur 18 Schilling pro Woche beträgt. Die Armenunterffügung beträgt pro Kopf 4 Schil­ling mit einem Magimum von 24 Schilling für eine Familie.

Konterrevolution!

Organisiert den Widerstand!

Herr v. Papen ist gegen den Vorwurf des Verfassungsbruchs sehr empfind­lich. Er läßt die Zeitungen verbieten, in denen ein solcher Vorwurf gegen ihn erhoben wird. Alle seine Taten aber und alle seine Reden zwingen immer wieder zu Be­trachtungen darüber, was von der Ver­fassungstreue dieses Beauftragten Hinden­burgs zu halten ist.

Herr v. Papen hat in München die völlige 3erschlagung der Verfassung an­gekündigt. Er hat der Volkssouveränität das fonservative Gottesgnadentum entgegenge­stellt. Der Volksvertretung soll eine Kammer des Besizes beigeordnet werden. Was ihr überhaupt an Rechten bleiben soll, ist frag­lich. Auf dem Wege über die ,, Verfassungs­autonomie" der Länder soll die Verpflichtung der Einzelländer, Republiken mit gleichem Wahlrecht zu sein, beseitigt werden; damit wird der Monarchie und dem Klassenwahlrecht das Tor zur Rück­fehr geöffnet.

Das ist das Programm eines Mannes, der auch nicht den Grundgedanken der Verfassung von Weimar anerkennt, der ihm vielmehr als Todfeind gegenübersteht. Wie man mit einer solchen Gesinnung den Eid auf die Verfassung von Weimar leisten kann, ist ein psychologisches Rätsel.

Immerhin fann der Reichskanzler sagen, der Artikel 76 eröffne die Möglichkeit zu Aenderungen der Verfassung, und er wolle nichts weiter als von diesen Möglichkeiten Gebrauch machen. Sein Eid auf die Ver­fassung hindere ihn nicht, Aenderungen auf verfassungsmäßigem Wege vor­

zubereiten.

Eine solche Erklärung wäre formalrechtlich richtig. Aber der Reichskanzler hat sie bisher niemals abgegeben. Es bleibt sein Geheim­nis, wie er eine Verfassungsreform durch­führen will, für die er keine Zweidrittel­mehrheit im Reichstag und keine absolute Mehrheit im Volke finden wird.

Nach Artikel 76 kann die Verfassung ge­ändert werden entweder durch Zweidrittel­beschluß des Reichstags oder durch Volksab­stimmung, wenn mehr als die Hälfte aller stimmberechtigten Volksgenossen für die Aen­derung stimmt. Ist Herr v. Papen ein solcher Illusionist zu glauben, er könnte für seine fonterrevolutionären Pläne eine ver­fassungsändernde Mehrheit im Reichstag oder im Volke selbst gewinnen? Weder seine Reden, noch die Kommentare zu ihnen lassen diesen Schluß zu. Um so mehr gibt es zu denken, wenn die ,, Deutsche Tages­zeitung" die Rede des Reichskanzlers folgen­dermaßen erläutert:

Bemerkenswert... ist sein Hinweis auf die Bewährungsprobe, vor die damit der Reichs= tag gestellt wird, ein Hinweis, aus dem, mer will, herauslesen kann, daß es sich um eine letzte derartige Probe handelt. Nicht minder bemer­fenswert im gleichen Rahmen ist, wie der Kanzler der Deffentlichkeit den Verfassungseid des Reichspräsidenten in seiner höheren und um= fafsenderen Bedeutung als der des druckgeschwärz­ten Buchstabens nahezubringen sucht.

Die Bedeutung des Verfassungseides des

Allgemeine Flugblattverbreitung

Alle Genossinnen und Genossen, sowie Reichsbanner­kameraden, Jugend- und Sportgenossen beteiligen sich

Polizei, die die Verfolgung der Täter aufnahm, am Sonnabend, dem 15. Oktober

tonnte einen verhaften und dem Gericht zuführen.

von den bekannten Stellen aus. Der Bezirksvorstand.