Abend- Ausgabe Nr. 484 B234 49. Jahrg.
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BERLINER
VOLKSBLATT
DONNERSTAG 13. Oktober 1932
In Groß- Berlin 1t) Pf. Auswärts....... 10 Pf. Vezugsbebingungen unb Anzeigenpreise siehe am Schlich des redaktionellen Teils
Daubmann Bin Kapitel der Kriegspsychose Der Hauptmann von Köpenick , der falsche Zollernprinz Harry Domela ,— sie paßten unter die Rubrik: Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung. Der falsche Heimkehrer Daubmann ist kein Scherz, er ist nur bittere Ironie und— allerdings in erhöhtem Maße— tiefere Bedeutung. Dieser Fall gehört nicht in die Reihe der lustigen Hochstapeleien. Seine Ahnengalerie ist eine ganz andere. In sie gehören die„Flieger- bomben" auf Nürnberg und der„gesprengte" Eisenbahntunnel von Cochem , absolut er- fundene Ereignisse, die gleichwohl dazu dienen mußten, um im Jahre 1914 die deutsche Kriegserklärung an Frankreich zu begründen. Der Fall Daubmann konnte nur deswegen öffentliche Bedeutung gewinnen, weil er der nationalistischen Richtung zum Vorwand diente, eine neue Haßpsychose gegen Frankreich zu entfesseln. Er ließ sich so schön in das Programm derer einreihen, die in der deutschen Aufrüstung(bezeichnet als „Wiedererlangung der Wehrhoheit") das A und O der deutschen Außenpolllik erblicken. „Seht ihr", predigte die nationalistische Presse,„so gemein wird das wehrlose Deutsch- land von Frankreich behandelt. Daubmann ist nicht der einzige, der zurückgehalten wurde. Noch Dutzende, noch Hunderte deutscher Straf- gefangener schmachten wahrscheinlich unter der erbarmungslosen Sonne der Arbeitslager in den deutschen Kolonien." Die nachdrückliche und feierliche Versicherung der französischen Regierung, daß nicht ein einziger deutscher Kriegsgefangener mehr von Frank- reich zurückgehalten werde, wurde von der nationalistischen Presse mit spöttischem Lächeln abgetan: was sei auf diese gallische Tücke schon zu geben?! Der Feind lügt, er hat immer schon gelogen. Aber gelogen wurde ganz wo anders. Gelogen wurde von einem kleinen, neben- sächlichen Schwindler, von dem sich eine große „nationale" Presse willig belügen ließ. um dann im Chore m i t z u l ü g e n. Gerade die Hugenberg-Presse, die jetzt eil- fertig von dem entlarvten Schwindler Hummel abrückt, sie sei daran erinnert, daß die Hugenbergsche„Nachtausgabe" in einer langen Fortsetzungsserie Schicksal und Heimkehr des angeblichen Daubmann mit deutlicher Tendenz gegen Frankreich ge- schildert und die Lügen dieses Hochstaplers für wahr erklärt hat. Daubmann war für Hugenberg eine neue Großfürstin Anastasia . Geschäft und nationalistische Hetze in einem. Wahrscheinlich wäre die Entlarvung dieses nicht einmal besonders geschickten Schwind- lers innerhalb 24 Stunden möglich gewesen, wenn nicht eine gewisse Richtung unter allen Umständen hätte an ihn glauben wollen. Die in Afrika nicht wachsenden Kokosnüsse, von denen der falsche Daubmann auf seiner Flucht gelebt haben wollte,— sie hätten jedem denkenden Menschen genügt! Zwei, drei geschickte Erinnerungsfragen hätten den Schwindler entlarvt. Aber wie wurde es aemacht? Frage:„Weißt du noch. wie wir beide damals in der Neujahrsnacht gefroren haben?"— Antwort:„Ja, kalt ist's gewesen." Hocherfreutes Staunen:„Hört, er erinnert sich noch." Die nationalistische Dummheit und Leicht- gläubigkeit hat sich wieder einmal grenzenlos blamiert, blamiert wie in den Fällen des Harry Domela und des Hauptmanns von Köpenick. Entlarvt aber ist mit ihr die Skrupellosiqkeit der nationalistischen Hetzmethoden. Der Fall des falschen Daubmann könnte eine Warnung und Lehre sein,— wenn der nationalistisch verhetzte Teil unseres Volkes der Vernunft zugänglich wäre.
Eigener Bericht des„Vorwärts" F. Kl. Leipzig, 13. Oktober. 3m Prozeß um Preußen, der nun feit Tagen vor dem Siaatsgerichlshof geführt wird, versuchte heute der Vorsitzende die userlosen Auseinandersetzungen dadurch einzuschränken, daß er den Abschluß der Verhandlungen für(fr ei tag als sein Ziel ankündigte. Ob das Ziel erreich! werden kann, bleibt jedoch abzuwarten. Heute jedenfalls wurde das Palaver um die Möglichkeiten, die die Anwendung des Artikels 48 gibt, zunächst durch eine breite und krause Rede des Professors B i lf i n g e r- Halle fortgesetzt. Von ihr mußte selbst der Vorsitzende feststellen, daß es auch am Gerichtstische schwer sei, ihr zu folgen. Aber auch der Vorsitzende trägt nicht wenig dazu bei, die Diskussion auf immer neue Nebenwege abzulenken, obwohl er der Meinung zu sein scheint, daß er sie konkretisiere. Heute richtete er z. B. an den preußischen Vertreter, Ministerialdirektor Dr. Brecht, direkt die Frage, wann etwa nach dessen Meinung eine verfassungsmäßige Lande s- regierung aufhöre verfassungs- mäßig zu fein. Brecht hatte nämlich gestern bei der theoretischen Erörterung die Möglichkeit zugegeben, daß eine an sich verfassungsmäßig zustandegekommene Landesregierung durch Hoch- verrat sich außerhalb der Verfassung stellen könne. Nun will Bumke die Frage beantwortet wissen, wann denn solche Möglichkell eintreten könne. Erst wenn die Tatsache hochverräterischer Absichten oder Handlungen gerichtlich festgestellt sei oder wann sonst. Es liegt aus der Hand, daß die Besprechung so merkwürdiger Fragen zu end- loser Spinnerei Anlaß geben tonn. Aber die Frage selbst schließt für den Hörer gleichzeitig die Unterstellung ein, daß sie auch aus die preußische Regierung Bezug habe. Wollte Rumke wirklich andeuten, daß die verfassungsmäßige preußische Regierung mit Recht im Verdacht stehen könnte, durch Hochverratsabsichten die Absehung gerechtfertigt zu haben? Zunächst freilich nahm nicht der preußische Ver- treter das Wort, sondern der bayerische Staatsrechtler Nawiawski, der in geistvollen Darlegungen die Stellung der Diktatur- regierung zerpflückte. Er machte darauf auf- merksam, daß in Leipzig heute konkrete Geschichte gemacht werde, mehr als in München , wo Papen redete. Es handele sich hier für Preußen um die Wiedergewinnung einer ge- nommenen Rechtsposition und für die süd- deutschen Länder um die zukünftige Sicherung einer Rechtsposition— für die Reichsregierung
ober um die Verteidigung einer neu gewonnenen Machtposition. 3n seiner Rede kam Nawiawski auch aus die wiederholt angezogene Begrüßung des verboten gewesenen„vorwärts" durch Severins zu sprechen, wenn die Reichsregierung sage: Das geht doch nicht, so sage ich: Das geht sehr wohl! Wenn z. B. der„Bayerische Kurier" aus Geheiß Berlins verboten werden sollte und der bayerische Minister seinem Parteiblatt den Wunsch ausdrückt, daß es nach wiedererscheinen Erfolg haben möge, so sei das durchaus natürlich und keine Achlungsverlehnng. Eine Achtungsverletzung aber würde darin zu erblicken sein, wenn etwa der Reichskanzler den bayerischen Minister zu sich bestellte, um ihm mit- zuteilen, daß er abgesetzt sei. Ebenso abwegig sei die Bezugnahme auf die Wahlrede S e v e r i n g s, auf die sich Gott- Heiner immer beruft. Wenn Severing auffordert, die Regierung Papen davonzujagen, so sei das doch eine Wahlaufforderung, deutlich, wenn auch nicht sehr höflich. Unhöflich könnte man auch in Bayern sein. Aber eine solche Wahlaufforderung, die eine Kritik an der Reichs- regierung einschließe, sei kein Grund, den Artikel 48 zu bemühen. Die Stellung des Reichskommissars, der sich weder dem Landtag noch sonst jemand außer dem Reichspräsidenten verantwortlich fühle, gleiche der physikalisch un-
möglichen Gestalt des„freischwebenden Kugel- blitzes". Professor Heller, der Vertreter der sozial- demokratischen Landtagssraktion, erzielte durch einen temperamentvollen Vorstoß die nochmalige Bestätigung, daß der wesentliche Grund des Streichs vom 20. Juli der sei, daß die Minister Braun und Severing Sozialdemokraten sind. Nach Ansicht der Regierung papen sind Sozialdemokraten an sich nicht geeignet, Landesminister zu sein. Sie würden immer unfrei gegenüber Kommunisten sein. Heller nannte diese Aussassung der Reichsregierung deutlich eine Anmaßung, die um so stärker wirke, als die Regierung selbst nicht die geringste politische Basis habe und nur Ansichten gelten lasse, die denen der Deutschnationalen Partei entsprechen. Auch durch die Absetzung der zahlreichen sozial- demokratischen Fachbeamten— wie Harnack, Simons, Kranold— habe die Papen -Regierung deutlich zum Ausdruck gebracht, daß reine P a r t e i a b s i ch t e n bei ihr maßgebend seien, nicht aber die, die gar nicht gestörte Ruhe und Ordnung wiederherzustellen oder tatsächlich nicht verweigerte Pflichterfüllung gegen das Reich zu erzwingen. An Hand der Geschichte der amerika - nischen Bundesverfassung wies Heller noch einmal darauf hin, daß der Verfassungskonflikt, wie er jetzt entschieden werden muß, in anderen Staaten schon deshalb unmöglich sei, weil dort die Absicht bestehe, den Konflikt zu beseitigen und ihn nicht künstlich hervorzurufen.
Als Hitler im Bürgerbräukeller in München seine Pistole in die Decke abfeuerte, wollte er Herrn von Kahr„den Absprung e r l e i ch t e r n". Die Münchener Rede des Herrn von Papen, in der er den Plan einer neuen reaktionären Verfassung skizzierte, hat staatsstreichlüsterne Kräfte auf den Plan gerufen, die Herrn von Papen weiterstoßen wollen. So schreibt die„Deutsche Zeitung" Nr. 241a: „Bei alledem bleibt auch nach der grundlegenden Münchener Rede des Reichskanzlers die Frage offen, ob die Regierung gewillt ist, aufs Ganze zu gehen. Wenn jetzt Herr v. Papen seinen VersassungsentWurs dem neuen Reichstag vorlegen will, so bedeutet auch das mir das Hinaus-
1200 Bergarbeiter verhaftet
TVänengas gegen Märtyrerfeier
Eigener Bericht des„Vorwärts" New Jork, 13. Oktober 3n Tayloroille. dem Streikzenlrum von Illinois , wurden bei einer Gedenkfeier anläßlich des Ver dener Arbeitermassakers von 1898 1200 streikende Grubenarbeiter von Miliztruppen verhastet. Die Mehrzahl der verhafteten wurde abends gegen das versprechen, die Ortschaft freiwillig zu verlassen, wieder freigesetzt. Spätere Straßenumzüge von Demonstranten, die von den Märtyrergräbern zurückkehrten, zerstreute die Polizei mit Tränengasen und wasfengcbrauch. hierbei erlitten zahlreiche Personen Verletzungen. Unter den Demonstranten befanden sich 400 Mitglieder der ehemaligen Bonus-Armee.
Die Arbeitslosenunruhen in Belfast haben bisher zwei Todesopfer gefordert. Die Stadt ist noch keineswegs ruhig. 3n der Nacht zum Donnerstag dursten die Bewohner mancher Stadtteile schon von 22 llhr an ihre Häuser nicht mehr verlassen. Die Polizei patrouilliert in Panzerwagen. Die Gewerkschaftsführer in Belfast beschlossen, einen Generalstreik auszurufen, wenn die Forderungen der Arbeitslosen nach einer Erhöhung der Unterstützungssätze nicht angenommen würden. Obwohl die Regierung die größten Anstrengungen macht, den wünschen der Arbeitslosen entgegenzukommen, ist bisher noch keine Einigung erzielt worden.
schieben einer Entscheidung, die nun einmal unausweichlich ist und bleibt! Die Reform der Verfassung und des Reiches kann— das steht unter den obwaltenden Verhältnissen fest— nur aus dem Wege des Zwanges von oben, allenfalls gestützt durch die Länder über den Reichsrat, durchgeführt werden. Weitere Versuche parlamentarischer Art würden — daran scheint man nicht zu denken— denen recht geben, die sich aus die parlamentarischen Spielregeln berufen. Die Regierung Papen würde damit ihr eigentliches Daseinsrecht, das Recht der Tat, preisgeben. Ueberdies wird das Spiel mit der Auflösung bei zu häufiger Wiederholung bedenklich. Wird Herr v. Papen über die Schwelle gehen?" In diesen Sätzen liegt die offene Aufsor-de- rung zum Hochverrat. Herr von Papen soll über die Schwelle gedrängt werden, die den gegenrevolutionären Staatsstreich von der Legalität trennt. Im November 1923 hieß es„der A b s p r u n g". Heute sagt mau „die Schwell e." Aber gemeint ist dasselbe!
Der„Behala "- Streik Bei der Berliner Hafen- und Lagerhaus-A.-G. (Behala) ruht die Arbell feit Mittwoch früh voll- ständig. Die 330 Hafenarbeiter der Behala haben den Streikbeschluß einmütig befolgt. Das Kampf- ziel ist, wie im„Vorwärts" berests mitgeteilt, die bedingungslose Verlängerung des Sondertarifvertrags für die vor dem 1. November 1028 bei der Behala beschäftig- ten Arbeiter. Dieser Sondertaris ist in vielen