Morgen- Ausgabe
Nr. 489 A239 49. Jahrg.
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BERLINER
VOLKSBLATT
SONNTAG
16. Oktober
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Herr Reichspräsident!
Herr Reichskanzler von Papen hat in einer Zusammenkunft von Industriellen in München Abänderungen der Deutschen Reichsverfassung in Aussicht gestellt, die auf eine Zerschlagung der wichtigsten Volksrechte hinauslaufen. Er hat sich dabei ausdrücklich auf einen ihm vom Reichspräsidenten erteilten Auftrag" berufen und die Drohung hinzugesetzt, daß er den Willen und die Macht" habe, diese Neuordnung zum Erfolge zu führen.
Die Ankündigung ist für die Entwicklung der Deutschen Republik und der deutschen Wirtschaft von so unabsehbaren Folgen, daß sich die Frage rechtfertigt: Liegt wirklich ein Auftrag des Herrn Reichspräsidenten vor, eine solche Kürzung und Zertrümmerung der Bolfsrechte in Deutschland vorzunehmen? Ist eine Rede vor bayerischen Industriellen der Drt, einen so wichtigen und folgenschweren Auftrag des Herrn Reichspräsidenten , der die Rechte aller deutschen Staatsbürger betrifft, der Defentlichkeit zu unterbreiten?
Die Form der Anfündigung wie ihr Inhalt machen es gleichermaßen unwahrscheinlich, daß Sie, Herr Reichspräsident, einen Auftrag in dieser Richtung gegeben haben können, der weite Kreise, der die Mehrheit des deutschen Volkes zu heftigstem Widerstand herausfordern würde.
Bei Ihrer Bereidigung auf die Verfassung am 11. Mai 1925 haben Sie, Herr Reichspräsident mir in Ihrer Ansprache geantwortet: Reichstag und Reichspräsident gehören zusammen, denn sie sind beide unmittelbar aus den Wahlen des deut schen Volkes hervorgergangen. Aus dieser gemeinsamen Grundlage allein leiten sie ihre Machtvollkommenheiten her. Beide zusammen erst bilden die Verförperung der Volkssouveränität, die die Grundlage unseres gesamten heutigen Verfassungslebens bilden. Das ist der tiefe Sinn der Verfassung, auf die ich mich soeben durch mein Manneswort feierlich verpflichtet habe."
Herr von Papen verkündet jetzt eine Entrechtung des Reichstages. Daß die Regierung vom Willen der Volksvertretung abhängig sei, ist ein Grundsatz der Verfassung von Weimar, wie es ein Grundsatz aller demokratischen Staaten ist. Der Reichskanzler aber will die Regierung ,, autoritär", das heißt von der Volksvertretung unabhängig machen. Also gerade das Gegenteil dessen tun, was Sie als tiefen Sinn der Verfassung selbst anerkannt haben. Ist dieser Auftrag wirklich von Ihnen
erteilt?
Reichskanzler von Papen verkündet jetzt Einsegung einer Ersten Kammer. Erste Kammern in Deutschland waren bisher Herrenhäuser, die die Richtung der Volksvertretung durchkreuzten und aufhoben. Wenn ein Erponent des Herrenklubs die Einfegung einer Ersten Kammer betreibt, so liegt darin eine Bedrohung des Selbstbestimmungsrechtes der überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes. Ist ein Auftrag dazu erteilt?
Herr von Papen verkündet, daß den Ländern die Freiheit in der Gestaltung des Landes- und Gemeindewahlrechtes wiedergegeben werden soll. Das bedeutet, den Einwohnern der Städte und Dörfer wie der Länder das gleiche Wahlrecht zu entziehen und die Glieder des deutschen Volkes wieder nach Besiz, sogenannter Bildung und ähnlichen äußeren Merkmalen einzuteilen. In anderen Säßen taucht sogar die Mög
lichkeit der Einsetzung Einsetzung von 3werg monarchien in einzelnen Ländern wiederauf.
Millionen mündiger Deutscher fragen heute, hat der Reichskanzer von Papen wirtlich einen Auftrag des Herrn Reichspräsi denten zu diesen grundstürzenden Rückschritten erhalten?
Wenn ja, was wir nicht glauben können, ist ihm irog seiner Drohungen von ,, Willen und Gewalt" der verfassungsmäßige Weg als der einzig mögliche aufgegeben worden? Form und Inhalt der Kanzlerrede läßt die Vermutung zu, daß er sein Ziel ohne und gegen die Volksvertretung, ohne und gegen die Vorschriften der Verfassung, ohne und gegen den Willen des deutschen Volkes auf andere Faktoren gestützt durchsetzen will.
Herr Reichspräsident, die Ankündigung des Herrn von Papen hat schwerste Beunruhigung und Empörung bei all denjenigen deutschen Volksgenossen ausgelöst, die zwar
nicht zu den bayerischen Industriellen gehören, aber deren Rechte auf diese Weise geändert und aufgehoben werden sollen. Es sind die Millionen des arbeitenden Volkes in Stadt und Land, von denen Herr von Papen fein Mandat und fein Vertrauen für seine Regierungsführung erhalten, sondern zweimal das Gegenteil bescheinigt erhielt.
Der Weg, den der Herr Reichskanzler ohne und gegen das Volk zu beschreiten beabsich tigt, muß zu unabsehbaren Katastrophen führen. Wird die deutsche Verfassung von den Regierenden oben nicht geachtet, dann sind die Staatsbürger unten zu ihrer Einhaltung nicht mehr verpflichtet. Dann stürzt mit dem Grundgesetz des Staates die staatliche Ordnung überhaupt.
Wir Vertreter von acht Millionen wahlberechtigter deutscher Volksgenossen hatten die Absicht, unsere Warnung dem Herrn Reichskanzler selbst Auge in Auge zu unterbreiten. Die Auflösung des Reichstages hat
diese Absicht verhindert. Bei den bayerischen Industriellen haben wir nicht Siz und Stimme.
Wir wenden uns deshalb an den gewählten Präsidenten der Deutschen Republik, u m Klarheit zu schaffen, ob er den Auftrag wirklich gegeben hat, den Reichstag in der geplanten Weise zu entrechten, die Volksrechte zu kürzen und damit eine Periode innerer Kämpfe einzuleiten, die mit den sonst in der Rede des Kanzlers ge= äußerten Zielen in krassestem Gegensatz stehen.
Die ,, Grundrechte der Freiheit und Gleichberechtigung“, die der Herr Reichskanzler für das deutsche Volk in der Welt fordert, gilt auch für den einzelnen Volksgenossen selbst. Man kann sie nicht in dem einen Fall for= dern und in dem anderen zerschlagen wollen. Freiheit und Gleichberechtigung wird das deutsche Volk auch im Innern zu schützen und verteidigen wissen.
Kampf zwischen Schlot und Halm
Das Ruhrkohlensyndikat fürchtet ein Trümmerfeld als Folge der Papen - Politik
Das Ruhrkohlensyndikat hat am vergangenen Mittwoch das folgende dringende Telegramm an den Reichskanzler, an verschiedene Reichsminister und die Reichsbank gerichtet:
„ Die deutsche Einfuhrhemmungspolifif wirff in Italien , in den Oslostaaten, besonders aber in Holland zerrüttend auf den Ruhrkohlenabjah. Die Nachrichten werden von Tag zu Tag schlimmer. Nach Beendigung der laufenden Lieferungsverträge werden wir vor einem Trümmerfeld stehen. Der Ruhrbergbau wird wie die übrige auf Ausfuhr angewiesene Industrie noch unter den jetzigen Tiefstand herabgedrückt werden. Anstatt der von der Regierung gewollten Belebung der Wirtschaft sehen wir ein weiteres Absinken der Industrie und eine Bermehrung der Arbeitslosigkeit voraus. Die Hoffnung, daß die Kontingentierung durch Belebung der Landwirtschaft auch den Industrieabsah heben und dadurch den Schaden der sinkenden industriellen Ausfuhr ausgleichen werde, wird sich immer deutlicher als trügerisch erweisen. industrielle Kauftraft wird entsprechend dem Ausfuhrrüdgang finken zum Schaden auch der Landwirtschaft. Die Kosten der verfehlten Politik wird in erster Linie der Ruhrbergbau und die übrige Industrie zu tragen haben."
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,, interne Briefwechsel" zwischen dem Reichsbankpräsidenten und der Reichsregierung wird nicht veröffentlicht werden. Wir sind jedoch in der Lage, den Wortlaut des Telegramms wiederzugeben, den das Ruhrkohlensyndikat an die Reichsbank gerichtet hat. Dies Telegramm ist höchstwahrscheinlich der Absendung des Schreibens der Reichsbank an die Reichsregierung voraufgegangen.
Das Ruhrkohlensyndikat hat mit diesem Telegramm einen sehr ernsten Warnungsruf erlassen.
In den letzten drei Jahren sind 200 000 Ruhr= bergarbeiter entlassen worden und sind arbeitslos. Würde die Kontingentierungspolitik durchgeführt werden, so würden sich zu ihnen weitere Zehntausende gesellen!
Die agrarische Presse setzt ihr Geheul nach dem Kopfe von Luther fort. Die ,, Deutsche Tageszeitung" spricht von Export psychose, sie nennt das Schreiben Luthers ,, die tonsequente Fortsetzung der Politik eines Wirtschaftsunverstandes, den man bei Herrn Dr. Luther nicht erst seit heute und gestern bewundern darf", sie spricht von einem Kampf der ,, Reichsbankherren" gegen die Wirtschaftspolitik des Reichskanzlers und fordert schließlich die Beseitigung Luthers .
Der Kampf zwischen Schlot und Halm ist offen ausgebrochen, er wird auf das Kabinett Papen zurückwirken.
Herr von Papen hat in München ausgerufen: das Volk will! Die Kreise, die hinter ihm stehen, sind nicht das Volk aber nicht einmal diese
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Kreise sind einig in dem, was sie wollen, sie sind vielmehr in einen sehr ernsten Konflikt miteinander geraten. Der Grund, auf dem das Kabinett der Barone steht, wackelt bedenklich!
Die waschechten Monarchisten Die Bekanntgabe der Papenschen Pläne für eine neue Verfassung, die das Regiment der Barone in Deutschland stabilisieren soll, hat alle Reaktionäre in freudige Erregung versetzt, voran die Monarchisten. Die Vereinigten Vaterländischen Verbände Deutschlands geben folgende Stellungnahme zur politischen Lage bekannt:
,, Wir sehen in der nationalen Reichsregierung das erste Kabinett seit dem Umsturz, das mit Entschlossenheit und fachlichem Können die Probleme sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbaues zu lösen bemüht ist. Eine solche Regie rung bedarf aber der Unterstützung aller nationalen Kräfte, um die große Verfassungs- und Reichsreform durchzuführen, deren Krö nung das Hohenzollern Raisertum
sein muß, das stets auch ein soziales war. Nur dadurch bleibt die autoritäre Staatsführung gesichert, die allein vor dem wirtschaftlichen und bolschemistischen Untergang retten tann."
Das ist das erste offene und offizielle Bekenntnis zu Papens Plänen, und es geht aus von den Monarchisten, von den staatsstreichlüsternen Anhängern der Hohenzollern !
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Eigener Bericht des„ ,, Vorwärts" Hamburg , 15. Oktober. Das Hamburger Echo der Woche" hatte am 24. Juli 1932 behauptet, daß die internationale Rüstungsindustrie die Hitler - Partei finanziell unterstütze. Gegen diese Behauptung hatte Hitler die Gerichte angerufen und beim Landgericht in Hamburg am 27. Juli eine einstweilige Verfügung erwirkt, wonach es dem ,, Echo der Woche" verboten wurde, die Behauptung zu verbreiten, Hitler werde von der internationalen Rüstungsindustrie unterstützt.
Gegen diese einstweilige Verfügung hatte das ,, Echo der Woche" sofort Einspruch erhoben, wor auf das Landgericht am 4. August Herrn Hitler auferlegte, glaubhaft zu machen, daß er von der internationalen Rüstungsindustrie keine Gelder bezogen habe. Acht Tage später jedoch wurde auf Antrag Hitlers von derselben Kammer des Landgerichts dieser Beschluß umgestoßen und dafür dem„ Echo der Woche" auferlegt, glaubhaft zu machen, daß Adolf Hitler die finanzielle Unterstützung der internationalen Rüstungsindustrie erhalten habe.
Auf Grund der vom„ Echo der Woche" vorgetragenen Beweismittel hat das Landgericht Hamburg das durch einstweilige Verfügung ausgesprochene Verbot, die Behauptung zu verbreiten, Hitler werde von der internationalen Rüstungsindustrie unterstüßt, aufgehoben.