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ZWEITE BEILAGE

Vorwärts

Das große Rennen

Was hat die Ankurbelung gebracht?

Es wäre verfrüht, heute schon ein abschließen­des Urteil über den Erfolg der Notverord= nung zur Vermehrung und Erhaltung der Ar­beitsgelegenheit abzugeben. Es ist jedoch not­wendig, all den Erscheinungen nachzugehen, die fie bisher im Gefolge hatte. Notwendig deshalb, um teine Illusionen aufkommen zu lassen und um offenfundigen Mißständen zu begegnen. Dabei können wir in diesem Zu­sammenhang von den Versuchen absehen, die Löhne zu kürzen unter Berufung auf die Ver­ordnung. Die mangelnde Kauftraft kann nicht durch Lohndrückerei behoben werden, so wenig der Export durch Abschließung vom Auslands­markt gehoben werden kann. Wir erwarten, daß die Ermächtigung zu Lohnfürzungen aufgehoben, der Eingriff in Tarifverträge rüdgängig gemacht und so der Tariffrieden wiederhergestellt wird, der für die Friedenspflicht" der Gewerkschaften die Voraussetzung bildet. Praktisch ist der auch theoretisch preisgegebene Lohnteil der Ver= ordnung so gut wie erledigt und so= meit es noch notwendig werden sollte, werden die Arbeiter der einzelnen Betriebe nachhelfen, falls deren Inhaber versuchen, sie damit zu, be­glücken".

Begreiflich ist, daß die Regierung sich von ihrer Verordnung einen weit größeren und rascheren Erfolg versprochen hat als er sich jetzt gezeigt hat. Die Schlichter registrieren sorgsam jede ihnen ge= meldete Neueinstellung, ohne in jedem einzelnen Falle sofort nachprüfen zu können, ob es sich um tatsächliche Neueinstellung handelt, oder nur um eine ſaiſonmäßige oder gar fingierte Einstellung von Arbeitskräften.

Eine ganze Reihe von Saisonbetrieben hat die günstige Gelegenheit benüßt, um mit einer mög­lichst großen Zahl von Neueinstellungen, die zum größten Teil später erfolgen sollen, zu renom­mieren, um sich eine kostenlose und wirksame Re­flame zu sichern.

Die Reichsbahn

mußte mindestens versuchen, mit gutem Beispiel voranzugehen. Sie hat zunächst 52 000 Bahn­sdisft sid

unterhaltungsarbeiter entlassen. Plötzlich, wie auf Kommando, marschierte eine Reichs= bahndirektion nach der anderen mit Meldungen über Neueinstellungen auf, allerdings mit der Einschränkung, daß es sich nur um eine Beschäftigung für die Dauer von etwa zwei Monaten handle. Das bedeutet, daß rund 24 000 von den entlassenen Arbeitern noch eine Galgenfrist von zwei Monaten bekommen, bevor sie endgültig entlassen werden. Und nur durch die Solidarität der noch beschäftigten Bahnunterhaltungsarbeiter, die in jeder Woche eine Feierschicht auf sich genommen haben und damit eine freiwillige Lohn­fürzung, ist es gelungen, 6000 Arbeitern während der Wintermonate die Beschäftigungsgelegenheit zu sichern.

Die neueingestellten" Arbeiter für zwei Monate Beschäftigung sind nur noch als Zeitarbeiter eingestellt worden, mit der Verpflichtung, fich in spätestens drei Monaten widerstandslos abhalftern zu lassen. Auf die ta= riflichen Arbeitsbedingungen haben sie keinen Anspruch.

Von den 170 Millionen Mark, die der Reichs­bahnverwaltung aus der ihr erlassenen Verkehrs­steuer zufließen, werden nur 5,9 Millionen Mark für Gleiserneuerungsarbeiten aufgewandt. So sieht die Neueinstellung" und Arbeits­erhaltung bei dem größten deutschen Unternehmen, bei der Reichsbahngesellschaft aus.

Welcher Humbug mit Neueinstellungsmel­dungen getrieben wird, zeigen folgende Beispiele.

Aus der Schuhindustrie

wird uns vom Zentralverband der Schuhmacher mitgeteilt:

Täglich werden von der bürgerlichen Presse Mitteilungen veröffentlicht, wonach in dieser oder jener Fabrik auf Grund der Papen - Notverord­nung Neueinstellungen von Arbeits= fräften erfolgt sind. Unter anderem sollen auch insbesondere in der Schuhindustrie eine große Anzahl Arbeiter seit Verkündung der Notverordnung eingestellt worden sein. Wir sind nun einigen dieser Meldungen nachgegangen und

haben folgendes festgestellt:

Von der Firma Heß in Erfurt wurde ge meldet, daß sie 100 Arbeitsfräfte einge­stellt habe. Nach unseren Feststellungen hat sie aber nur 28 Neueinstellungen vorge­nommen, darunter 13 Jugendliche. Die Firma hat aber ihre Stanzmesserabteilung still­gelegt, wodurch 25 Arbeiter entlassen wurden. Die Arbeitszeit beträgt 45 Stunden.

Die Firma Hofmann u. Stenger in Erfurt soll ebenfalls 100 Arbeiter einge­stellt haben; in Wirklichkeit wurden aber nur 17 Neueinstellungen vorgenommen, dar­unter 14 Jugendliche; die Arbeitszeit be­trägt nach wie vor 32 Stunden.

Die Firma Cerf u. Bielschowski in Erfurt soll beabsichtigen, 150 Neueinste1= Iungen vorzunehmen; davon ist niemandem etwas bekannt. Diese Firma, die zur Zeit 220 Beschäftigte aufweist, arbeitet schon lange Zeit start verfürzt, gegenwärtig beträgt die Arbeits­zeit 30 Stunden.

-

Die Firma Paul Hofmann in Stadt­ ilm soll so wurde berichtet- 80 Neuein­stellungen vorgenommen haben; in Wirklich­feit wurden in letzter Zeit nur fünf Per= fonen eingestellt.

Hier konnte einmal festgestellt werden, daß in diesen

vier Schuhfabriken, die angeblich 480 Neueinstellungen auf Grund der Notverordnung vorgenommen hätten, nur 50 Neueinstellungen erfolgt sind und daß in einem dieser Betriebe 25 Arbeiter ent= lassen wurden, so daß eine Bermehrung der Arbeiterzahl um nur 25 erfolgte. Dabei muß aber noch festgestellt werden, daß ein Teil dieser Einstellungen Ersatz für früher entlassene oder frank gewordene Arbeiter darstellt. So sieht die Wirklichkeit aus!

Wir wissen nicht, wer diese Falschmeldungen geflissentlich in die Welt setzt und wer hieran ein Interesse hat. Wenn unsere Informationen richtig sind, zeichnet als Verantwortlicher für diese Meldun­gen aus Thüringen das Thüringer Korrespondenz­büro", eine Unterabteilung des WTB. Wir wollen kein Wort der Kritik gegenüber solchen

SONNTAG, 16. OKT. 1932

Falschmeldungen verlieren, sondern lediglich die Tatsachen feststellen und der Deffentlichkeit das Urteil überlassen.

Die Schuhindustrie ist nicht die einzige, in der weit mehr Humbug mit derartigen Einstellungss meldungen getrieben wird als Neueinstellungen erfolgen.

Aus der Süßwarenindustrie wird uns folgendes mitgeteilt:

Die Arbeitgeber der Schokoladen- und Zuder­marenindustrie hatten bisher stets die Auffassung vertreten, daß ihre Betriebe Saisonbetriebe seien, da eine saisonmäßige Belebung gegen Ostern und Weihnachten mit Mehrarbeit und Ein­stellungen von Arbeitskräften einsetzte. Nach der Statistik der Ortsgruppe Berlin des Verbandes der Nahrungsmittel- und Getränkearbeiter schwankt die Kurve der Beschäftigtenziffer der Berliner Betriebe folgendermaßen: Es wurden beschäftigt:

Dezember 1927 Juli 1927 Dezember 1928 Juni 1928 November 1929

20. Dezember 1929 November 1930. Dezember 1930. Januar 1931 November 1931

in Betrieben Arbeitnehmer

139

10 286

130

7.430

138

10 291

130

7 620

150

10 097

150

7.800

130

10 097

147

10 837

147

6.900

120

7120

Die Jahre 1931 und 1932 find gekennzeichnet durch umfangreiche Kurzarbeit. Die sogen. Saisonzeiten sind abgekürzt, be­ginnen und enden in den einzelnen Betrieben ver­schieden. Auch kamen seit 1931 in fast allen Be­trieben schon in der Saisonarbeit Kurzarbeit von 40 Stunden vor. Die Ein­stellungsziffer von Aushilfskräften finkt ständig. 1932 hört die Kurzarbeit von 24 bis 40 Stunden die Woche überhaupt nicht mehr auf. Im Juni 1932 wurden in 86 Betrieben nur 4870 Beschäftigte, darunter viel Kurzarbeiter, gezählt.

Heute, nach Erlaß der Notverordnung, fämpfen die Unternehmer der Schokoladen- und Zucker­warenbetriebe mit allen Mitteln dagegen an, mit Rücksicht auf die Verordnung als Saison­betriebe betrachtet zu werden. In den Tages­zeitungen erscheinen Berichte über Neueinstellun­gen von Arbeitskräften, die ausdrücklich besagen, daß diese Einstellungen ,, auf Grund der Notver­

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