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Abend- Ausgabe Nr. 492 B238 49. Jahrg.

Redaktion und Verlag: Berlin   SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher: A7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammadresse: Sozialdemokrat Berlin  

Vorwärts

BERLINER

VOLKSBLATT

DIENSTAG

18. Oktober 1932

=

In Groß Berlin   10 Pf. Auswärts....... 10 Pf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des redaktionellen Teils

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Bartei Deutschlands

Sosiale Errungenschaften Freie Gewerkschaften gegen Barone

Und kommunistische Verlegenheits­

ausreden

Gestern hatten wir die Rote Fahne" bei dem Geständnis ertappt, daß ein Generalangriff auf die sozialen Errungenschaften der Ar­beiterklasse" im Gange sei. Wir hatten das kom­munistische Zentralorgan gebeten, uns zu erflären, woher diese sozialen Errungenschaften" stammen und ob sie nicht von der Sozialdemo= tratie erfämpft seien.

Heute müssen wir feststellen, daß sich die

Der Faschist als Sicherheitskommiffar" Heimwehrmajor Fey aus Wien  

Fahne" nur höchst mißmutig zur Antwort ent­schlossen hat. Da liest man Ueberschriften mie diese:

Bündnisangebot der SPD. an Papen   und Bracht. Zum offenen Bündnis mit Papen

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und Bracht bereit.

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Sie zittern vor euch:

Todesangst vor dem Bolschemismus von Hitler  

bis Löbe.

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Die Schuld des sozialdemokrati­

-

schen Landeshauptmanns Seiß.- Papen baut auf die SPD  . Severing beschimpft sechs Millionen Arbeitslose als Streifbrecher. All diesen Ueberschriften folgen spaltenlange Ausführungen, die, was Geist und Wahrheitsliebe betrifft, auf der gleichen Höhe stehen. Erst wenn der Leser auf diese Weise präpariert und das Denken ihm völlig ausgetrieben ist, darf er fol­gendes genießen:

"

Der Vorwärts" zitiert einen Absatz aus unserem Artikel und tut so, als ob er eine neue sensationelle Sache entdeckt hätte. Naiv und dumm stellt er die Frage: Es gibt also ,, so­ziale Errungenschaften der Arbeiterklasse"?" Wer hat das bestritten? Aber diese Errungen­schaften, und das wiederholen wir. hat die Bour­geoisie zu einem Zeitpunkt den Arbeitern zur Beruhigung überlassen, als die Arbeiter­klasse die Macht hätte übernehmen können. Wer hat sie daran gehindert? Die So zialdemokratie.

Woraus jedermann ersehen kann, was für eine liebenswürdige Bourgeoisie wir haben! Sie hat den Arbeitern die sozialen Errungenschaften zur Beruhigung" überlassen! Wie nett! Daß solche von Klassen= Errungenschaften Ergebnisse von tämpfen sind und immer wieder vertei digt werden müssen, bevor man die ganze Macht erobern kann, diese marristische Erkenntnis ist der Fahne" meilenfern. Um der verruchten SPD.  eins anzuhängen, lobt sie sogar die deutsche Bourgeoisie!

Fort mit dem Lohndruck!- Für planmäßige Wirtschaftsführung

Heute morgen fand im Plenarjaal des Reichs­wirtschaftsrats eine öffentliche Kundgebung des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes   und des Allgemeinen freien Angestelltenbundes statt, auf dem Frih Tarnow und Clemens Nörpel   über den Wirtschaftsplan der Reichs­regierung und die Stellungnahme der Gewer­schaften sprachen. Die Kundgebung endete mit der Annahme der folgenden Entschließung:

,, Das Wirtschaftsprogramm der Reichsregie­rung frankt an inneren Widersprüchen. Die Regierung will die Deflation bekämpfen und den Binnenmarkt beleben, senkt aber die Löhne und Gehälter. Sie will die Pro­duktion steigern und Arbeit beschaffen, erschwert aber durch die Kontingentierungspolitik die in­dustrielle Ausfuhr und zerstört vorhandene Ar­beitsmöglichkeiten.

Diesen Widersprüchen des Wirtschaftsprogramms entspricht sein unsozialer Geist. Die Rechte und Lebensnotwendigkeiten der Arbeiter und An­gestellten werden den Wünschen der Landwirt­schaft und Großindustrie geopfert. Nachdem das Einkommen der Arbeitnehmer bereits auf ein un­erträglich niedriges Maß gesenkt worden ist, wer den Löhne und Gehälter erneut unter Drud gestellt. Während Industrie und Land wirtschaft Steuergeschente erhalten, wird die Lebenshaltung der Arbeitnehmer, durch den Kurs der Handelspolitik und die Erhöhung von Massen-. steuern erneut belastet. Während die Rechte der Arbeitgeber erweitert werden, unterhöhlt man das Tarifrecht und zerstört damit die Grundlagen des follettiven Arbeitsrechts. Die Re­gierung nutzt zugleich ihre Machtstellung dazu aus, um die Bewegungsfreiheit der Gewerk­schaften zu lähmen.

Die Verordnungen vom 5. September und 3. Oktober sind für die Arbeiterschaft unerträg­lich. Die erzwungene Lohnfenkung steht im Widerspruch zu den Erklärungen des Reichs­ präsidenten  , wonach der Lebensffandard der

Arbeiterschaft gesichert und der soziale Gedanke gewahrt" bleiben soll. Die Gewerkschaften for­dern daher von der Reichsregierung, die Ver­ordnungen vom 5. September und 3. Oktober aufzuheben.

Durch die krasse Ungerechtigkeit der Regierungs­maßnahmen ist bereits eine tiefe Erbitte= rung und Entrüstung ins Volk getragen. Diese Politik schafft immer neue Unruhe und zer­stört damit die Voraussetzung für eine Belebung der Wirtschaft. Eine Regierung, die das Lebens­recht der Arbeiterschaft mißachtet, setzt sich mit der Mehrheit des Volkes in Widerspruch. Ihr fehlt das Vertrauen des Volkes, das allein echte Autorität begründet.

Die Gewerkschaften sind sich bewußt, daß der Kampf um die Rechte der Arbeiterschaft zugleich der ganzen deutschen   Wirtschaft dient. Alle So­zialpolitik, die auf das Wohl der arbeitenden Klasse abgestellt ist, die der Erhaltung und Ver= besserung der menschlichen Arbeitskraft dient, die durch die Pflege der Massenkaufkraft die Voraus setzung für die Erhöhung des wirtschaftlichen Um­sages schafft, ist Wirtschaftspolitik im besten Sinne des Wortes.

Man kann die krisis nicht dadurch überwin­den, daß man den Arbeitswillen lähmt und sich nur auf die Initiative der Unternehmer verläßt, sondern allein mit dem Einsatz aller verfügbaren Mittel durch die öffentliche Hand.

Darüber hinaus fordern die Gewerkschaften die Abkehr von überlebten Wirtschaftsformen und die Einleitung einer Neuorganisation der Wirtschaft mit dem Ziele planmäßiger Wirt­schaftsführung."

Eine außergewöhnliche Kundgebung Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund   und der Allgemeine freie Angestelltenbund nahmen heute in einer öffentlichen Kundgebung im Plenarsaal des Vorläufigen Reichswirtschafts­

Schlagwetter- Unglück

Ein Bergmann tot, vier verletzt

Hückelhoven  ( Rhld.), 18. Oktober. In der Nacht zum Dienstag gegen 1.30 Uhr ereignete sich auf der Zeche ,, Sofia Jakoba" eine Schlagwetterexplosion. Ein Bergmann   wurde getötet, vier weitere wurden so schwer verlegt, daß an ihrem Aufkommen gezweifelt wird. Fünf Bergleute trugen Gasvergiftungen davon. Die Rettungsmannschaften waren sofort zur Stelle und bargen die Ver­unglückten.

Das Bergrevier Aachen   gibt amtlich bekannt: Heute morgen gegen 1.30 Uhr hat sich in einem Aufhauen der 360- Meter- Sohle des Steinkohlen­bergbaues ,, Sofia Jakoba" bei Hückelhoven   eine Schlagwettererplosion ereignef, bei der ein Berg­ mann   zu Tode gekommen ist und elf Leute ver= legt wurden.

Von den Verlegten wurden sechs durch die Explosion unmittelbar betroffen, während fünf Bergleute bei dem Versuch, ihren Kameraden zu helfen, durch Einatmen der Nachschwaden zu Schaden gekommen sind. Bei drei der Verletzten besteht Lebensgefahr. Die Untersuchng durch die Bergbehörde ist eingeleitet worden.

Bei dem Getöteten handelt es sich um den 40jährigen Bergmann Weber aus Hückelhoven  . Mit Verbrennungen ersten bis dritten Grades sind in das Limider Krankenhaus eingeliefert mor­den die Bergleute Tibuffet aus Schaufenberg, Harnau aus Hückelhoven  , Dignas aus Hüdel­

hoven, Maezzen aus Doveren, Behmer aus Busch- Rathein und Böhm aus Hückelhoven  . Drei von ihnen befinden sich in ernster Lebensgefahr.

24 Todesopser

Die Zugkatastrophe bei Temesvar

Temesvar, 18. Oktober. Von den bei dem Zugunglück bei Temes­var Schwerverletzten sind noch sechs ihren Verletzungen erlegen, so daß sich die Zahl der Toten bisher auf 24 beläuft.

Nach Meldungen aus Bukarest  , erzählten Augen­zeugen der Eisenbahnkatastrophe, daß der dem Bersonenwagen folgende Post wagen auf den entgleisten zertrümmerten Wagen aufgefahren. sei. Dadurch sind zahlreiche Insassen förmlich ge­rädert worden, wodurch es sich erkläre, daß die meisten Leichen verstümmelt sind. Der Weichen­steller soll angeblich an den Unglüd feine Schuld tragen, da die Weiche auf elektromagnetischem Der verunglückte Wege umgestellt worden sei. Wagen soll aus den sechziger Jahren stammen und vollkommen baufällig gewesen sein. In Temesvar  glaubte man anfangs, daß der Simplon- Expreß verunglückt sei, und große Menschenmassen fanden fich an der Unglücksstätte ein.

rats zu dem Wirtschaftsplan der Reichsregierung fritisch Stellung. An der Kundgebung nahmen außer den Mitgliedern der Bundesausschüsse des ADGB  . und des AfA- Bundes die Vertreter der Berliner   freien Gewerkschaften, der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, Genosse Otto Wels  , und als Vertreter des Reichsarbeitsministers sowie der( selbst­verständlich verhinderten Reichsregierung) Mini­sterialdirektor Sigler teil.

Theodor Leipart  

eröffnete die Kundgebung mit der Bemerkung, daß schon ganz besondere Gründe vor= liegen müssen, wenn sich die beiden Bundes­vorstände der freien Arbeiter- und Angestellten­gewerkschaften entgegen ihrer sonstigen Gewohn­heit an die Oeffentlichkeit wenden.

Die Bundesvorstände beabsichtigen nicht, sich auf dieser Kundgebung mit der Auslegung des Ar­tikels 48 der Reichsverfassung zu beschäftigen. Die Rundgebung soll sich lediglich darauf beschränken, der Deffentlichkeit die Auffassung der freien Gemerfschaften zum Wirtschafts­programm der Reichsregierung sowohl vom recht­lichen als auch vom wirtschaftlichen und sozial­politischen Gefichtspunkt aus darzulegen. Beide Borstände haben beschlossen, ihre Klagen und Warnungen in einer öffentlichen Rundgebung vor­zubringen in der Hoffnung, daß sie beachtet werden.

Mit leidenschaftlich bewegten Worten mandte sich Genosse Leipart gegen die Aus= laffungen des Reichstanzlers Don Papen, der jeden, der sich nicht hinter die Reichsregierung stellt, als Feind der Nation bezeichnet hat. Er fragte, ob man etwa auch alle die als Feinde der Nation bezeichnen will, die am 6. November ihre Stimme nicht für die gegen­wärtige Reichsregierung abgeben werden.

Leipart wandte sich auch entschieden gegen die Unterstellung, die Gewerkschaf= ten seien schuld daran, daß durch ihren Widerstand gegen den am 4. und 5. September notverordneten Lohndruck die Arbeitslosen nicht wieder in die Betriebe kommen. Die freien Ge­werkschaften, von deren Mitgliedern 45 Pro3. arbeitslos sind und 22 Proz. verkürzt arbeiten, haben ein brennendes Interesse daran, daß für die Arbeitslosen wieder Beschäfti­gung geschaffen wird. Gegen diese Unterstellung zeugt auch die Tatsache, daß die Gewerkschaften schon seit langem die Verkürzung der wöchent­lichen Arbeitszeit verlangen und wegen dieser For­derung bereits im Februar 1931 beim Reichs­ präsidenten   vorgesprochen haben.

Fritz Tarnow  

erinnerte an die Forderung des letzten außer= ordentlichen Gewerkschaftskongresses zur Arbeits­beschaffung. Wir haben damals einen Kredit= bedarf von 2 Millirden angenom= men, um eine Million Arbeiter für ein ganzes Jahr zu beschäftigen. Man hat uns Inflationsbedenken entgegengehalten. Nach dem Plan der Reichsregierung soll jezt eine größere Rapitalsumme im Laufe eines Jahres mobilisiert werden. Es ist für uns sehr bemerkens= wert, daß das Inflationsgeschrei da­gegen in gewissen Kreisen ver stummt ist. Das tann nicht begründet werden mit der Veränderung der Finanzierungsmethode, nur der Verwendungs­zweck allerdings ist ein anderer.

Wir wollten 2 Milliarden für tatsächliche und unmittelbare Arbeitsbeschaffung, der Regierungs­plan will 2,2 Milliarden Steuerscheingeschenke an die Unternehmer verteilen und das ist es wohl, was manche Inflationsfsorge beschwichtigt hat.

Leider ist die Regierung unserem Vorschlage der direkten Arbeitsbeschaffung nicht gefolgt. Sie will die Wirtschaftsbelebung grundfäßlich über den Weg der privaten Unternehmerinitiative, und sie nimmt einfach an, wenn man den Unter­nehmern Geld gibt, lassen sie schon mehr arbeiten. Wir vermuten, daß sie das erst dann tun werden, wenn sie Aussicht haben, auch mehr verkaufen zu fönnen. Aber wenn wir in bezug auf den Erfolg