Morgen- Ausgabe
Nr.495 A 242 49. Jahrg.
Vorwärts
BERLINER
VOLKSBLATT
DONNERSTAG
20. Oktober 1932
V
Jn Groß Berlin 10 Bf. Auswärts....... 15 Pf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des redaktionellen Teils
Das Spiel mit den Arbeitslosen
Unterstützungserhöhung, die die Senkung verdecken soll
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Die Reichsregierung hat in ihrer Rotverordnung vom gestrigen Tage nicht Sozialpolitik um ihrer selbst willen machen wollen. Das geht schon daraus hervor, daß der wesentlichste Teil der Notverordnung, die Verbesserung der Ar beitslosenhilfe, in der Woche in Kraft tritt, an deren Ende der Wahlsonntag liegt, in der also die Arbeitslosen die junkerlichen Wohl= taten bereits das erstemal genossen haben sollen. Nicht von ungefähr wird festgesetzt, daß die soge= nannten Winterzuschläge für die Arbeitslosen das erstemal am Montag, dem 31. Oktober, zur Zahlung gelangen sollen.
Wir verkennen feineswegs, daß einige Ver besserungen für einige wenige Gruppen von Arbeitslosen geschaffen werden. Aber wir können diese Feststellung nicht treffen, ohne zum Ausdruck zu bringen, wie unzu= reichend diese Erhöhungen sind, wie wenig Arbeitslose bei der Millionenzahl von ihnen profitieren werden, und vor allen Dingen ohne deutlich zu unterstreichen, daß diese sogenannte Winterhilfe noch nicht einen Bruchteil von dem wieder gut macht, was in den legten Monaten insbesondere gerade den Arbeitslosen durch die Notverordnungen an Rechten und an Unterstützungen genommen worden ist. Wenn man die Situation mit einem geflügelten Wort beleuchten will, so gilt hier: Sie nehmen mit Scheffeln und geben mit Löffeln." Wir brauchen an dieser Stelle nur wenige Zahlen zu nennen, um ins Gedächtnis zu rufen, welchen Leidensweg die Arbeitslosen in den letzten Jahren gehen mußten. Im Jahre 1927, als der Reichstag das Arbeitslosenversicherungsgesetz mit überwältigender Mehrheit verabschiedet hatte, lag die durchschnittliche Unterstützung, die ein Hauptunterstützungsempfänger wöchentlich ausgezahlt erhielt, bei 20 Marf. Heute, wo die Preise für die Lebenshaltung einschließlich Wohnung, Kleidung und allem Drum und Dran nur wenige Prozente niedriger sind, ist
die Durchschnittsunterstützung um weit mehr als 50 Proz. gesunken;
ein Versicherungsunterstüßter erhält heute im Durchschnitt in der Woche etwa 9 Mark und soll damit nicht nur sich, sondern auch die arbeitslose Frau und das arbeitslose Kind mit ernähren!
Diese Durchschnittssätze werden bei ganz großen Gruppen weit unterschritten. Durch die Papensche Notverordnung vom Juni d. J. wurde in den Lohnklassen, die man jezt etwas ausbessert, die Unterſtügung
auf 4,50 Mark pro Woche, also auf 75 Pf. täglich, heruntergedrückt.
Ein Arbeitsloser, der, solange er Arbeit hatte, noch 18 Mart in der Woche verdiente, erhält nach den Papenschen Hungersägen
für sich, Frau und Kind 9 Mark
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in der Woche Unterstützung theoretisch, denn auch diese Säge erhält nur der Arbeitslose, der schon durch lange Arbeitslosigkeit bis zum letzten ausgepowert ist. Die anderen müssen sich ihre letzten Pfennige durch die Papensche Hilfs. bedürftigkeitsprüfung anrechnen laffen, was praktisch bedeutet, daß ihnen nicht einmal diese Hungersäge ausgezahlt werden.
Anstatt nunmehr die Hilfsbedürftigkeitsprüfung abzubauen, wenigstens die festgesetzten Unterstügungssäge zu erhöhen und auszuzahlen, und den Gemeinden für ihre Wohlfahrtserwerbslosen freie Hand zu lassen, hat man etwas ganz anderes gemacht: Man hat zuschläge für einen Teil der Arbeitslosen mit den niedrigsten Sägen eingeführt, aber beileibe nicht beifämtlichen Arbeitslosen mit diesen niedrigen Sägen, sondern nur für die Versicherungsunterstützten und die Krisenfürsorgeempfänger, nicht aber für das große Heer der Wohlfahrtserwerbslosen.
Aber auch aus dem bevorzugten Kreis hat man wiederum nur einen Teil ausgewählt, nämlich die niedrig Unterstützten in den Lohnklassen I bis VI und auch bei diesen wieder hat man die Ledigen ausgeschlossen. Es dürften somit noch nicht 10 Proz. der amtlich angegebenen Arbeitslosen sein, die in den Genuß der Zuschläge kommen werden!
Neunzehntel aller Arbeitslosen gehen leer aus, ein Zehntel vielleicht wird 2, 3 bis 4 M. in der Woche bekommen.
Wir geben keinen Pfifferling dafür, daß die
Botschafter von Hoesch hat heute dem Ministerpräsidenten Herriot die vom Reichs präsidenten verliehene Goethe- Medaille mit Berleihungsurkunde überreicht. Im Anschluß daran veranstaltete der Ministerpräsident zu Ehren des scheidenden Botschafters ein Abschiedsfrühstüď. Ministerpräsident Herriot widmete dem scheidenden Botschafter warme Abschiedsworte. Er führte aus, Botschafter von Hoesch habe sich durch seinen Patriotismus und durch die zielbe= wußte Vertretung der deutschen Interessen, zugleich aber auch durch die Geradheit seines Wesens und das in langjähriger Erfahrung erworbene Verständnis für das französische Bolt und Land allgemeine Achtung in Frankreich erworben. Man sehe ihn deshalb mit großem Bedauern von seinem Posten scheiden, auf dem er
stets für die Herbeiführung eines besseren Verhältniffes zwischen Deutschland und Frankreich tätig gewesen sei. Hierfür sei ihm Frankreichs Dank gewiß. Das Ziel bleibe bestehen, und er glaube, daß froh aller Schwierigkeiten diefes Ziel nicht unerreichbar sei.
Botschafter von Hoesch dankte für die warmen Abschiedsmorte des Ministerpräsidenten und für das ihm von der französischen Regierung
gemachte Abschiedsgeschen einer Sèvres tafeldekoration, darstellend einen Jagdzug. Er sprach seine Genugtuung darüber aus, daß der legte Aft seiner zwölfjährigen diplomatischen Tätigkeit in Paris die Ueberreichung der GoetheMedaille an den Ministerpräsidenten habe sein fönnen. Er führte weiter aus,
er habe in diesen zwölf Jahren seiner Tätigfeit in Paris so gewaltige und schier unentwirrbare Probleme sich stellen und schließlich doch lösen sehen, daß er nicht mehr an die Unmöglichkeit einer befriedigenden Regelung einer politischen Frage glauben könne. So hoffe er auch auf eine Regelung der gegenwärtigen Schwierigkeiten,
die uns dem vom Ministerpräsidenten gefennzeichneten Ziele einer freundschaftlichen Verständigung näherbringen würden.
Eine Erklärung Herriots Im Anschluß an eine Sigung des Auswärtigen Ausschusses der Kammer, in der Herriot Erflärungen über die Außenpolitik abgegeben hatte, murde folgende amtliche Verlautbarung veröffentlicht:
Ministerpräsident Herriot gab einen ausführlichen und geschichtlichen Ueberblick über die Gleichberechtigungsforderung: Deutsche Note, französische
Arbeitslosen in höheren Lohnklassen als der Lohnklasse VI einen Teil des Zuschlages bekommen sollen, wenn sie nicht einmal die Unterstützung der Lohnklasse VI praktisch erhalten. Denn was nützt es einem Arbeitslosen, theoretisch zu einer höheren Lohnklasse zu gehören, menn er praktisch nur Unterstützungsfäße einer viel niedrigeren Lohn tlasse erhält? Damit wird nur gezeigt, welche verheerenden Wirkungen die sogenannte Hilfs bedürftigkeit hat. Wir geben keinen Pfifferling dafür, daß die Zuschläge bei der Prüfung der Hilfsbedürftigkeit außer acht bleiben sollen, denn wenn diese Bestimmung nicht getroffen worden märe, so würde die ganze Aktion nichts anderes bedeuten, als eine Entlastung der Kom munen. Hätte man es ehrlich gemeint, so hätte als erster Schritt die Notverordnung vom 14. Juni dieses Jahres in vollem Umfange beseitigt werden müssen!
Anstatt in der Krankenversicherung die unmöglichen Vorschriften zu beseitigen, die den Besuch des Arztes oder die Entnahme einer Medizin vom Apotheker mit Geldstrafe belegen, werden in beschränktem Umfange für die Familienhilfe Erleichterungen zugelassen, die bei den gesenkten Beiträgen wahrscheinlich überhaupt nur von einem kleinen Teil der Kassen ohne Beitragserhöhungen werden durchgeführt werden können. Anstatt bei den Kriegsopfern die unzu längliche Freigrenze von 25 Mark monatlich zu beseitigen und sie wesentlich zu erhöhen, hat man im wesentlichen nur die Bestimmung beseitigt, diese 25- Mark- Grenze auch bei den Fällen wiederherzustellen, bei denen sie nach dem Notverordnungsrecht überhaupt fortgefallen war, nämlich bei den Renten, die nach dem 1. Januar 1932 festgestellt worden sind.
Die Milderungen in der Unfallversiche rung bestehen darin, daß auf die letzten Kürzungen verzichtet wird.
Bon ebenso untergeordneter Bedeutung sind die Milderungsvorschriften in der Angestelltenversicherung. Alles in allem: von dem vielen, das genommen worden ist, wird nur ein flein wenig zurückgegeben. Maßgebend bleibt immer die freiherrliche Marime, daß für die Ar= beiter von Großindustriellen und Großder Staat agrariern ist hier nicht die Rede feine Wohlfahrtsanstalt sein soll!
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Antwort und Londoner Besprechungen. Er erinnerte bei dieser Gelegenheit an die Haltung der französischen Regierung und erklärte, daß er ohne Hintergedanken an allen Arbeiten der Abrüstungstonferenz teilgenommen habe. Er mies ferner darauf hin, daß er gegenwärtig an der Vorbereitung der Vorschläge arbeite, mit denen
Frankreich beweisen wolle, so weit auf dem Wege der Abrüstung vorzugehen, wie dies mit seiner Sorge um die Sicherheit vereinbar sei, die allen Mächten durch den Artikel 8 des Völkerbundspattes versprochen sei. Er erklärte, daß der leitende Gedanke seiner Regierung immer der gewesen sei und auch stets der bleiben werde, die Politik des Völkerbundes zu verteidigen. In Durchführung dieser Genfer Grundsäge und Methoden habe das augenblickliche Kabinett eine Lösung der gestellten Fragen gesucht und werde sie auch weiterhin suchen.
,, Einheitsfront"
Von Max Westphal
In den Diskussionen dieser Tage spielt eine große Rolle die Frage: Weshalb ist die Macht der sozialistischen Arbeiterschaft in Deutsch land so zurückgegangen? Die Kommunisten behaupten, die sozialdemokratische Politik sei die Ursache für den Machtverlust. Wie liegen die Dinge in Wahrheit?
Bei den Reichstagswahlen am 31. Juli 1932 erhielten Sozialdemokratie und KPD . zusammen rund 13 302 000 Stimmen, die Nationalsozialisten rund 13 733 000 Stimmen. Die Marristen" sind also fast ebenso stark wie die Natio= nalsozialisten, mit deren Anwachsen der Umschwung in Deutschland vor sich ging und auf deren., breiten Rücken" schließlich die fam. ans Ruder Herren- Regierung" Warum ist der Einfluß der Nationalsozialisten um so viel größer als der der Marristen"? Die Nationalsozialisten sind eine Partei, die Marristen" aber zwei, und für die Kommunisten sind die Sozialdemokraten die Hauptfeinde!
Das deutsche Bürgertum war schwach, solange es in viele Parteien zersplittert war. Solange genügte die Kraft der Sozialdemo= fratie allein, ihm unter Ausnutzung der Interessengegensätze im Bürgertum selbst jene Konzefsionen an das arbeitende Bolt abzuringen, die jetzt sogar die ,, Rote Fahne" als soziale Errungenschaften" anerkennt. Das Bürgertum hat die Arbeiterklasse zurückgedrängt in demselben Maße, wie es sich in der Nazipartei sammelte und sich der Bruderkampf in der Arbeiterklasse verschärfte.
Hätten wir die Sammlung im bürgerlichen Lager etwa durch eine radikalere" Politik verhindern können? Wenn das der Fall wäre, warum haben dann die Kommu= nisten es nicht geschafft? Die Sammlung erfolgte im Zeichen des Nationalismus! Der Nationalismus, liegt dem Bürgertum immer noch start im Blute. Die Probleme der deutschen Außenpolitit, in ihrer Eigenart in erster Linie bestimmt durch den vom Kaiserreich verlorenen Krieg, haben es ermöglicht, die sozialrevolutionären Wirkungen der Wirtschaftskrise im Bürgertum in die nationalsozialistische Linie zu drängen und den Verbindungsprozeß zwischen Arbeiterschaft und proletarisiertem Bürgertum zu durchkreuzen. Mit dem wilden Nationalismus fonnten und durften wir nicht fonkurrieren. Die Kommunisten versuchten es: Nur SowjetDeutschland, erklärten sie, werde den Friedensvertrag zerreißen! Und der Erfolg? Der Nationalismus sieht sich im Kommunismus bestätigt!
Aber wäre nicht durch eine ,, radikalere" Politik die Sammlung der Arbeiterklasse ermöglicht worden? Unsere Aufgabe ist: die Verwirklichung des Sozialis= mus in Deutschland . Wir können sie nur lösen auf demokratischem Wege. Dürfen wir uns im Interesse der Einheit für einen falschen Weg entscheiden? Wir hätten- vielleicht leicht die Einheit gewonnen, aber den Sozialismus verloren! Einheit auf dem
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Sonnabend, den 22. Oktober, abends 6 Uhe
von
den bekannten Stellen aus
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Alle Genossinnen und Genossen, Reichsbannerkameraden, alle Jugend- und Sportgenossen beteiligen sich daran
DER BEZIRKSVORSTAND