ZWEITE BEILAGE
45]
Vorwärts
Gilgi
eine von uns
,, Oh, Martin, ich bin doch schon manches Mal so lange fortgewesen."
,, Nein, das bist du nicht, und du bist auch nie fortgegangen, ohne ein Wort zu sagen."
,, Sieh nicht so böse aus, Martin- gib mir einen Ruß, ich bitte dich schnell- ich muß jezt eben noch mal fort nachher erkläre ich dir..." Er zieht sie ins Zimmer, hält ihr Handgelenk umfaßt mit bösem, hartem Griff. Hat ja auch allen Grund, böse zu sein. Himmelherrgott, hat er sich geängstigt. Einmal angefangen zu warten, hat's ihn immer tiefer und quälender in Angst und Unruhe getrieben. Tausend und tausend Möglichfeiten hat er erwogen, viele Arten von Möglichkeiten, alle wild durcheinander gewirbelt
traurige, häßliche, furchtbare Möglichfeiten, die sich schließlich zu folternder Gewißheit verdichteten. Und plöglich entdeckt man, wie man an der Kleinen hängt- eine harte Nuß, diese Entdeckung, feineswegs nur erfreulich. Ein zweifelhaftes Bergnügen- zu merken, daß auf einmal das eigene Glück und Wohlbefinden von einem anderen abhängt. Da steht man wie ein hilfloser Idiot und ist nicht mehr Herr über seine Freuden und Schmerzen. Nur weil es dem liederlichen fleinen Mädchen so paßt, sich mal viele und endlose Stunden in geradezu unverantwortlicher Weise herumzutreiben- jawohl, herumzutreiben muß man Höllenqualen ausstehenna, eine schöne Wut hab' ich auf dich, weil ich dich so lieb habe. Zum Donner wetter, sprich doch wo bist du gewesen?" Natürlich um jezt vollkommen gerechtfertigt zu sein, müßte sie tot sein- Gott sei Dant, daß sie lebt. ,, Wo bist du gewesen?" Steht da vor ihm die Kleine ganz blaß
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und verstört ohne Hut, die Haare verweht - abgehetzt, schuldbewußt hat einen bösen, trogigen Zug um den Mund
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,, Laß mich los, Martin, ich muß jezt fort." ,, Gilgichen, ich hab' mir doch Sorgen um dich gemacht, ein paar Minuten wirst du jegt wohl Zeit haben für mich." Er läßt ihr Handgelenk los, streicht ihr übers Haar hilflos ist Gilgi der weicheren Stimme und der sanfteren Berührung ausgeliefert. Sie legt ihm die Arme um den Hals, öffnet vergeffend die Hände die Ringe fallen zu Boden der blaue Saphir, der grüne Smaragd , die beiden Brillanten, die große Perle... Einen nach dem andern hebt Martin auf... ,, was ist denn das woher hast du die?"
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,, Von meiner Mutter." ,, Von welcher?"
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,, Von der Magazindame fie ist ohnmächtig geworden sie ist mir furchtbar sie ist mir furchtbar fremd. Die Ringe müßten noch verkauft wer den oder versett- aber ob man dann fünfhundert Mark dafür bekommt? Martin- ich muß ja gehn- ich muß ja gehn die marten jegt..."
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,, Wer wartet? Komm' mit, Gilgi chen, ruh' dich ein bißchen aus und erzähl' mir dann erst mal..."
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Gilgi geht mit Martin ins Eßzimmer so hübsch hat er den Tisch gedeckt und nichts angerührt nur die Flasche Hennessy , die gestern noch voll war, ist jetzt halb leer. Gilgi fällt müde auf einen Stuhl-„ Ich werde schnell etwas essen und trinfen"-ja, viel trinken dann geht's sicher leichter mit dem Erzählen. Gilgi trinkt hastig hintereinander alles ist so wirr die Worte rutschen immer mehr nach innen. Ach, jetzt nur schlafen können. Nein, sie kann nichts essen, sie mag nicht, der kleinste Bissen wird im Mund riesengroßhundertmal muß man schlucken, eh' er durch die Kehle geht. Lieber trinken und eine Zigarette." Auf dem Tisch liegen die Ringe, funkeln ein bißchen, glizern Meinst du, Martin, daß man fünfhundert Mark für sie bekommt?" Gilgi fallen fast die Augen zu vor Müdigkeit. So schwerer Duft im Zimmer. Drei runde schwarze Basen mit weißen Hyazinthen Martin liebt sie so sehr, diese Blumen, und Bilgi liebt sie auch, weil Martin sie liebt. Martin steht vom Tisch auf, geht unruhig im Zimmer hin und her, setzt sich auf den Diwan , raucht... In den Hyazinthendust mischt sich der Geruch von Virginiatabat- ein Mischgeruch, der für Gilgi untrennbar mit Martin verbunden ist Noch etwas trinken... dann fann man wohl sprechen. Und eigentlich ist doch alles ganz klar, und nichts ist tragisch zu nehmen. Ist ja zum Lachen, daß man auf einmal die einfachsten Dinge von der Welt so kompliziert und ,, Martin, du brauchst
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icht in höfe zu gucken gar fein Grund a) war bei Pit und bei meiner Mutter megen Geld ein Freund fammt sonst ins Gefängnis."
,, Was für ein Freund?"
,, Ein früherer Freund. Es ging ihm so schlechter war mal hier" Gilgis Rede verwirrt sich zusehends. Jetzt muß fie sagen, daß sie neulich gelogen hat, das ist wohl das Schwerste, was es gibt. Sie hat nicht allzu oft gelogen in ihrem Leben aber wenn dann hätte der Weltuntergang davon abhängen können hängen fönnen bei der Lüge wär' man geblieben. Und Martin muß ja denken, sie hätte ganz schreckliche Dinge getan, weil sie so rot und unsicher und verlegen ist. Dabei ist alles so einfach zum Lachen einfach. Hans und Hertha , die haben wirklich Sorgen. ... Gilgi springt auf, greift nach den Ringen Ich muß jetzt gehn, Martin..."
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Bleib hier, Gilgichen- denkst du, ich ließe dich jetzt so auf die Straße! Wenn du die Ringe jemandem bringen willst die fann ich ja auch nachher für dich da hinbrin Komm' mal her..." Gehorsam setzt sie gen. fich zu ihm, läßt den Kopf in seinen Schoß fallen... Also wer soll die Ringe haben? Was ist das für ein Freund?"
Ich kannte ihn von früher-neulich war
er da mit Bohnerwachs
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die Frau die Kinder...
H
so arm
und
Es ist schwer, aus Gilgis verworrenen Reden den richtigen Sinn zu verstehn- es ist allzu leicht, einen falschen Sinn heraus
..Wo bist Du gercesen?"
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zuhören... Also soviel versteh' ich nun glücklich glücklich ein früherer Freund von dir war hier, und du haft mir das verschwiegen. Mein fleines Mädchen, wenn man etwas verschweigt, dann stimmt doch was nicht, dann ist doch da irgendein Gefühl... oder bist du
Vom Geben
Betrachtung von Felix Stössinger
Wir fizzen auf einer Bank am Wittenbergplatz. Es ist ein warmer Oftoberabend, die Straße ist leer geworden, nur die Bettler schwirren noch umher. Sie können sich nicht entschließen aufzu= hören. Im nächsten Augenblick wird der aufrechte Greis mit dem weißen Marinebart vor unserer Bank sant ſtehen, um ſeine ſteiſe Hand, in der er etwas
Undefinierbares hält, bettelnd auszustrecken. ,, Schau nicht hin, wenn er kommt. Ich fann fein verlogenes Geficht nicht mehr sehen."
Der Maler, der mir das sagt, hat in seiner Hosentasche immer loses Geld für Arme. Es muß schon ein starker Anlaß sein, der ihn so reizt. Sonst kann ich an ihm trotz aller Freundschaft nicht leiden, daß er an allen Leuten etwas zu loben und zu lieben findet. Er hat Ausreden für jedermann. Wir nennen das seinen Höflichkeitswahnsinn.
Der alte Mann steht vor uns. Das Gesicht ist weiß, gedunsen. Der Maler blickt zu Boden, um ihn nicht zu sehen. Das Wegwenden des Kopfes ist ein Urteil. Es heißt: ich gebe nichts.
Der Alte sieht wirklich scheußlich aus. Er hat das denkbar unpassendste Gesicht zum Betteln. So mag man früher auf der Bühne stille Böse= michter dargestellt haben. Jedes Fältchen um seine Augen heuchelt etwas anderes, alle zusammen tun schön. Die Nasenlöcher sind von einem verlogenen Lächeln aufgebläht. Das Fette seines Gefichts wirkt wie ein Abglanz früherer Bonhomie. Wie mag er einmal zu seinen Untergebenen gewesen sein! Nein, wenn man daran denkt, kann man ihm nichts geben. Die Hand schreckt zurück. Sie fürchtet sich, beim Geben seine Hand zu berühren. Endlich geht er weiter.
,, Du siehst" sagt der Maler, du hast Goethe einmal Unrecht getan." ,, Womit?"
,, Als du dich über seine Bemertung geärgert hast, daß man einer schönen ausgestreckten Hand lieber etwas gibt. Als ob wir ein Recht hätten, unter Hungernden das schönere Gesicht vorzuziehen. Uebrigens, in der Sache waren wir ja einig, daß Goethe einem mit seinem Leutseligtun auf die Nerven gehen kann. Aber jetzt sind wir wohl so weit, die angenehmere Hand des Bettlers vorzuziehen"
Wir schweigen. Das Gespräch setzt sich von selbst in unseren Köpfen fort.
,, Hast du schon die hübsche Chinesin gesehen, die in den Cafés der ganzen Gegend ringsherum jeden Abend thre Zeitung verkauft?"
,, Eine Chinesin?" Das Gespräch belebt sich. ,, Ja, und was für eine. In den letzten acht Tagen habe ich sie schon dreimal gesehen. Da fann man einmal studieren, was Erfolg ist. Ich sah sie gestern in dem Café da hinten. Sie ist bildschön mit ihrem blauschwarzen Bubikopf. Sie ist übrigens sehr schick angezogen. Sie bettelt nicht, fie verkauft aus Ueberzeugung eine sozialistische Zeitung. Dadurch, daß gerade fie fie verkauft, macht fie die Zeitung bekannt. Unauffällig huscht sie durch den Raum, aber alle Augen finden sie. Unglaublich, wie die Leute wieder einmal im Rücken Augen haben und sich umdrehen, als ob fte müßten, wer hinter ihnen steht. Wenn man diese Chinesin nur von hinten sieht, freut man fich an ihrem Rücken, der durch den Silberkasak noch
schöner hervortritt. Sie hat einen leichten Vogeltritt, wie ihn nur Asiatinnen haben können. Ohne anzustoßen, schlüpft sie durch das dichteste Stuhlgeftrüpp. Und dabei so taktvoll, daß man sie nicht zu sehen braucht, wenn man nicht will. Sie spricht kaum ein Wort, hält die Zeitung hin und drückt mit der anderen Hand einen großen Ballen Zeitungen an ihre Brust. So was von schnell und lautlos verkaufen hast du noch nicht gesehen. Sie bittet niemand; man bittet sie. Man zieht sie durch Blicke, Bewegungen, Rufe an den eigenen Tisch. Ich sah Leute sich von ihrem Tisch erheben, ihr nachgehen, nur um sie von vorne zu sehen. Dafür zahlten sie gern 20 Pfennig und nahmen die Zeitung umsonst mit. Dieselben 20 Pfennig, um die fich hier auf der Straße ein Haufen unglücklicher Bettler stundenlang und ver= geblich herumdrücken muß."
Einige Bettler hatten das Gespräch mit ihrem Schatten unterbrochen. Aber sie waren weiter: gegangen, denn sie merkten, daß wir sie nicht fahen.
Es wurde Nacht.
,, Weißt du was, wir gehen noch auf ein Stündchen hinüber ins Café. Vielleicht ist deine Chinesin
DONNERSTAG, 20. OKT. 1932
so ein dummes Kind, daß du glaubst, ich nähme dir übel, daß du nicht auf mich- als auf den ersten gemartet hast? Was denkst du denn von mir, Kleine? Versteh' mich recht, Gilgichen, wenn ich in der letzten Zeit manch
mal dumme Fragen stellte, dann meil... na, wenn man eine Frau sehr lieb hat, dann wird man findisch, dann ist man weder flug noch überlegen, noch einsichtsvoll. Dann steigen alle die dummen Erb= gefühle in einem auf, dann neigt man zu Selbstquälerei Vorstellungen und Bilder drängen sich einem auf, und es quält einen zu denken, daß alle die füßen, lieben Zärtlichkeiten auch andere schon... dann werden die bösen Männchentriebe wach, brutalen
die sizer
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Beund Herrsch instinfte... mein dummes Gilgichen, mein fleines Maorimädchen... wie traditions= gelöst so eine fleine Frau sein fann- mie ich dich liebe, weil du so bistach, ein Mann ist ja tausendmal traditionsgebundener, meine Kleine..."
( Fortsetzung folgt.)
da. Ich will sehen, was das für eine Zeitung ist, die sie verkauft."
Wir gehen hinüber, und wirklich, nach zehn Minuten, huscht die Chinesin wieder durch den Raum. Sie trägt einen noch größeren Zeitungss ballen als vorige Woche. Offenbar kann sie nicht soviel tragen wie sie verkauft. Wieder huscht sie von Tisch zu Tisch. Wieder wird sie von den Tischen angerufen, denen sie nur den Rücken im Silbertafat zeigt. Wieder heben sich Hände von Gästen, die offenbar fürchten, übergangen zu werden. Wir kaufen natürlich auch, und zum erstenmal sehe ich, wie sie mit ihren dunklen, vollen Tintenaugen einen Dank lispelt, und schon ist sie weg.
Zwischen den Tischen im Mittelgang des Cafés steht ein abgehärmter, älterer Mann, schwer und ungeschickt mit Zeitungen bepackt. Er hat sie auf Schulter und Arme aufgebaut und geht wie ein wandelnder Zeitungsstand umher. Er kann nicht anders als überall anzustoßen und Anstoß zu erregen.
Er sieht aus wie das Elend, wie der Mißerfolg. Fragend und bleich dreht er sich auf einer Stelle herum, aber niemand sieht ihn, die Augen schauen gleichgültig durch ihn hindurch. Kein Blid vermeilt auf seiner Gestalt, seinem Schicksal. Und mer ihn sieht, weigert sich, ihn zu sehen. Bis ihn endlich der Geschäftsführer bemerkt, ihn, wie jeder andere, als Störung empfindet, an ihn herantritt und mit einer barschen Handbewegung diesem Unfug im Café ein Ende macht.
Seltsame Begegnung
Ein unpathetisches Bekenntnis/ Von Erich Sachsenröder
Kennen Sie das merkwürdige Gefühl des Verlassenseins, das einem manchmal überkommt, wenn man bei sinkender Dämmerung im Herbst allein ist? Es beginnt mit einer seltsamen Unruhe, man empfindet plöglich unbestimmte Sehnsucht nach Menschen und man möchte hinaus, irgendmohin, wo es hell ist, wo Bogenlampen über Straßen brennen und Menschen in Cafés fizen, in denen Musik ist und Bewegung. Es ist beruhigend, an einem der gleichgültigen, unpersönlichen Tische im Caféhaus zu fizen. Nichtigkeiten von den Nebentischen zu hören und banale Worte zu wechseln mit fremden Menschen von denen man sich trennt ohne eine Erinnerung zu behalten. Bor einigen Tagen jedoch habe ich auf diese Weise eine seltsame Bekanntschaft gemacht. An der Tür eines großen Cafés stoße ich mit einem jungen Manne zusammen, der sich hastig bei mir entschuldigt und sich kurz vor den Hinausgehen umwendet, um noch einmal mit einem prüfenden Blick den Raum zu umfassen, als suche er jemanden und wolle fich vergewissern, daß er den Besuchten nicht übersehen habe. Dann ging er. Ich fand die gemütliche Ecke, die hier mein Stammplaz war besetzt und wandte mich ebenfalls zum Gehen.
Einige zwanzig Minuten später, als ich in einer fleinen Weinkneipe Plaz genommen hatte, kommt der junge Mann von vorhin herein, sieht sich um und setzt sich schließlich auf den einzigen freien Stuhl an meinem Tische. An den wenigen andern Tischen fizen ein paar ältere Herren, die so aus. sehen, als gehörten sie in die kleine gemütliche Kneipe. Einigen von ihnen nidt der junge Mann
an meinem Tische zu wie alten Bekannten, der Wirt fragte vom Buffet herüber: Einen hellen?" und brachte, fast ohne die Zustimmung meines Gegenübers abzuwarten, eine Karaffe Weißwein.
Das alles war so merkwürdig: unter den alten Herren war er der einzige junge, fast jeder von den Alten hätte den Jahren nach sein Großvater fein können, aber er bewegte sich hier, als gehöre er zu ihnen. Die vertrauliche Stimmung des fleinen Raumes brachte es mit sich, daß ich zu ihm sagte:„ Der Wein ist gut", und nach einer fleinen Bause: Sie sind hier Stammgast?"
Er nickte etwas trübe...Ja, ich lande doch immer wieder hier."
Ich mußte wohl ein etwas erstauntes und auch belustigtes Gesicht gemacht haben. Denn er fuhr fort:„ Es ist nicht zum Lachen. Ich versuche manchmal, ein anderes Lokal aufzusuchen. Aber
ich kenne niemanden, und so size ich immer allein. Wissen Sie, wie das ist allein hier in dieser großen Stadt?"
Er sah mich an, als wollte er feststellen, ob es mir unangenehm sei, ihm zuzuhören. Aber ich nickte nur.
..In der ersten Zeit war es fürchterlich. Ehe ich
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