Abend-Ausgabe
Nr. 496 B240 49. Jahrg.
Vorwärts
BERLINER
VOLKSBLATT
DONNERSTAG
20. Oktober 1932
Jn Groß Berlin 10 Pf. Auswärts....... 10 Bf. Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des rebattionellen Teils
Untertänigste S.
Der Coburger Brautmarsch
Der Name Coburg erfreut sich in der Fürstengeschichte feines besonderen Glanzes. Es gab vor dem Kriege eine Prinzessin von Coburg , die durch ihre Liebes- und Eheskandale viel von sich reden machte, und in den Kabaretts sang man damals:„ Die Coburch die kommt auch so durch!"
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Heute aber steht die Fürstenhochzeit in Coburg im Mittelpunkt des nationalistischen Rummels. Zu dem berufsmäßigen Troß von Lakaien und Dienern hat sich alles, was sich national schimpft, im Schweife des„ erlauchten Paares" eingefunden, um die deutsche Servilität und Domestikennatur der Welt zu befunden. Man geht diesmal wenigstens sicher: es handelt sich um ein garantiert fürstliches Paar. Blamable Reinfälle wie bei Harry Domela , wie bei der prinzeßlichen Kuhmagd und bei dem Heimkehrer Daubmann" sind gänzlich ausgeschlossen.
Im Glanze des monarchischen Byzantinismus feiert sogar die so arg lädierte Harzburger Front eine zeitweilige Wiederauferstehung. Meldet doch der Hofbericht, daß der Stahlhelm und Hitlers SA. gemeinschaftlich dem fürstlichen Brautpaar einen Fa delzug darbrachten.- Bon den Berliner Anschlagsäulen gießt zur Zeit Joseph Goebbels giftigen Hohn und Spott über die deutschen Monarchisten aus. Man liest auf seinen Plakaten nicht ohne Schmunzeln:
,, Wir sind Monarchisten", so lautet das Feldgeschrei der Deutschnationalen . Breisfrage:
Warum haben die tapferen Monarchisten am 9. November 1918 ihren Monarchen nicht beschützt? Warum ist keiner von ihnen an den Stufen des Throns gestorben? Wo steckten sie? Antwort: In den Mauselöchern."
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Man kann allerdings die weitere Frage stellen, ob nicht in den bewußten Mause= löchern damals auch soundso viel Leute gesteckt haben, die wie z. B. Prinz Auwi- heute bei den Nationalsozialisten sind! Während aber in Berlin zur Beruhigung der arbeitslosen SA. - Leute in dieser Weise die Monarchisten verhöhnt werden, paradiert die Coburger SA.( wahrscheinlich auch einer von der Weinabteilung", von den vornehmen, weniger revolutionären" Stürmen) vor dem fürstlichen Brautpaar.
Man muß die ellenlangen Hofberichte des ,, Lokal- Anzeiger" lesen, die Aufzählung der Toiletten und Brautgeschenke, die Wiege mit dem doppelten Boden nicht zu vergessen, um sich in diese Atmosphäre eines gnadenlüsternen Kriechertums hineinzuversezen.
Gestern tobte in der Neuen Welt" der Bruderkampf der Harzburger Front. Ob die SA.- Leute aus Neukölln, die dort Joseph Goebbels teures Haupt beschirmten, wohl ahnten, daß zur gleichen Stunde ihre Co burger Pg.s Schulter an Schulter mit dem Stahlhelm für ein paar fürstliche Attrappen Spalier standen? Ob sie sich so die Verwirklichung des ,, nationalen Sozialismus" vorgestellt haben?
Die Papen- Bracht haben der Arbeiterschaft die Hofpropaganda, das Werben auf den Höfen verboten. Die Propaganda bei Hofe ist den Nazis- gottlob- geblieben!
500 Proz. Bürgersteuer
Der Oberpräsident hat heute den Antrag des Oberbürgermeisters Dr. Sahm, die Bürgerfleuer für 1933 in Höhe von 500 Proz. zu erheben, genehmigt. Das Berliner Stadtparlament hatte den Vorschlag des Magiftrats auf Erhöhung der Steuer einstimmig abgelehnt. Der Magiftrat wiederum wird vom Reich zu der Erhöhung gezwungen
Die Polizei als Attentäter
Nationalsozialisten als Bahnpolizei- Verbrechen über Verbrechen
Eigener Bericht des Vorwärts"
In Berlin ist der frühere Leiter der Reichsbahnpolizei der Eisenbahndirektion Magdeburg, Oberinspektor North, festgenommen worden, weil er an Eisenbahnattentaten be teiligt gewesen ist. Außerdem wurde ein Braunschweiger Bahnpolizeibeamter namens Neth festgenommen. Es ist anzunehmen, daß noch mehr Festnahmen erfolgen.
Vor zwei Jahren geschahen in Braunschweig Duzende von Eisenbahnattentaten, ohne daß man die Täter fassen konnte. Die Zerstörung der Bahnanlagen geschah immer nur an Stellen, wo sich gerade keine Polizeibeamten aufhielten. Ueber 50 Kriminal- und Schutzpolizeibeamte waren ständig mit Hunden unterwegs, um die Eisenbahnattentäter zu faffen. In einer Nacht wurde sogar cuf die Polizeibeamten geschossen. Der braunschweigische Volksfreund" behauptete damals schon, daß die Täter in den Reihen der Bahnpolizeibeamten zu suchen seien. Die Eisenbahndirektion Magdeburg hatte sich nämlich für diesen Dienst nur national zuverlässige Leute ausgesucht. Am liebsten wurden Stahlheimer und Nationalsozialisten eingestellt. Wer Mitglied des Deutschen Eisenbahnerverbandes war, wurde nicht aufgenommen. Die Angriffe auf die
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in
Signaleinrichtungen geschahen immer nur dunklen Nächten. Auf Grund der Behauptung des ,, Volksfreund" entstand ein Streit zwischen dem Polizeipräsidium in Braunschweig und der Reichsbahndirektion Magdeburg . Die Braunschweiger Kriminalpolizei setzte schließlich durch, daß sie die Oberleitung des Bahnübermachungsdienstes erhielt. Mit diesem Tage hörten die Angriffe auf die Bahnanlagen auf. Es wurde teine Schiene mehr gelockert, tein Draht mehr durchschnitten und auch nicht mehr auf fahrende Züge geschossen. Die Beamten hatten die Verbrechen begangen, um die Notwendigkeit des Bahnüberwachungsdienstes zu beweisen!
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Die Aufdeckung der Verbrechen enthüllt eine
nationalsozialistische Standalaffäre.
Der Reichsbahninspektor North, der jetzt in Berlin verhaftet worden ist, war von der Reichsbahnleitung nach Braunschweig entfandt worden, um die gegen die hiesige Bahnpolizei erhobene Anklage nachzuprüfen, daß die Attentate be= günstigt, wenn nicht gar von gewissen Beamten selbst ausgeführt wurden. Mit North hatte die Reichsbahn jedoch den Bock zum Gärtner gemacht. Statt die Korruption aufzuklären, be= teiligte er sich selbst und machte mit dem nun ebenfalls in Braunschweig verhafteten Obersekretär Neth gemeinsame Sache.
Was ist mit den 51000?
Schäffers Rechenexempel über die Neueinstellungen
Der Reichsarbeitsminister sagte in seiner Rundfunkrede über die Winterhilfe der Regierung:
„ Die Verordnung vom 5. September zur Vermehrung und Erhaltung der Arbeitsgelegenheit verdanken bis jetzt rund 51 000 Arbeitslose dic Wiedereinstellung in den Betrieben. Wer diese Zahl nicht zu würdigen weiß, möge sich von den Neueingestellten belehren lassen."
Es ist selbstverständlich, daß jeder Arbeitslose, der zu einigermaßen erträglichen Arbeitsbedin
wieder darüber erfreut
legt sind, wurde im Vorwärts" vom 16. Oktober gezeigt, daß es sich in vielen Fällen der soge= nannten Neueinstellungen lediglich um eine saisonmäßige Einstellung zur Beschäftigung auf turze Dauer handelt.
Selbst wenn wir von allen üblen Manipulationen einzelner Unternehmer, die als Neu
Neth war auf Grund von Beschuldigungen im ,, Volksfreund" schon einmal, zusammen mit zwei anderen nationalen Beamten unter dem Verdacht der Begünstigung festgenommen worden, jedoch auf geheimnisvolle Art wieder frei= gekommen. North hatte sich im Namen der Reichsbahn für seinen Komplicen eingesetzt.
Jahrelang haben diese beiden Margiftenfresser und stramm nationalsozialistischen hohen Eisenbahnbeamte die Reichsbahn betrogen. Die von ihr zur Ermittlung der Attentäter und zum Bahnschutz ausgesetzten Gelder, insgesamt 43 000 Mart, verschwanden in den Taschen von North und Neth.
In den berüchtigten Bahnschuß, der Signaleinrichtungen zerstörte, Eisenbahnanlagen beschädigte, auf fahrende Züge schoß( unter anderem wurde ein Lokomotivführer verletzt), wurden nur Nationalsozialisten aufgenommen. Jahrelang hat die verbrecherische Bande in Beamtenuniform ihr Treiben fortsezen können. Erst als nach langem Sträuben der Reichsbahn die staatliche Kriminalpolizei Einblick in das Treiben gewann, ließen die Anschläge nach. Ihre nach trägliche Aufdeckung ist auf eine Revision der für Vigilantentum und für Attentatsaufklärung ausgesetzten Gelder zurückzuführen.
Grade gelten, Selbsttäuschung aber ist vom Uebel. Es ist einfach unzulässig, jegt mit 51 000 Wiedereinstellungen zu prunten, um hinterher, nach zwei bis drei Monaten, wenn wir mitten im Winter stehen, die von der Reichsbahn und den Saisonbetrieben wieder entlassenen Arbeiter registrieren zu müssen.
Mögen Parteien vor der Wahl derart mit Zahlen operieren, eine angebliche über den Parteien stehende Regierung muß darauf verzichten.
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Die neue Berordnung zur Ergänzung von sozialen Leistungen in der auszugsweisen Wiedergabe in der gestrigen Abendausgabe des Vormärts" bedarf einer Berichtigung. Renten für Unfälle, die sich nach dem 31. Dezember
ift. In dem Maße, in dem die Lohnbedingungen Unterstützungserhöhung 1932 ereignen( nicht 1931) sollen nicht mehr ge
heruntergehen, muß sich allerdings diese Freude
vermindern.
Doch darum geht es hier nicht, vielmehr ist die Frage, wie ist die Zahl von 51 000 Neueingestellten berechnet worden?
Bei der jüngsten Schlichterkonferenz wurde die Zahl der Neueingestellten auf ein Drittel der jegt genannten Zahl geschäßt. Inzwischen sind in der Hauptsache die Wiedereinstellungen in den einzelnen Direktionen der Reichsbahngesellschaft mit etwa 24 000 hinzugekommen. An sich darf also die Zahl von insgesamt 51 000 Wiedereinstellungen als richtig gelten. Sie kann jedoch nicht als Beweis dafür gelten, was für den Reichsarbeitsminister zu beweisen war. Die Reichsbahn, auf die der weitaus größte Teil der Neueingestellten entfällt, dieselbe Reichsbahn hat furz zuvor 52 000 Bahnunterhaltungsarbeiter entlassen, also noch 1000 mann mehr, als die ganze Zahl der vom Reichsarbeitsminister verkündeten Neueinstellungen ausmacht.
Die Reichsbahn bietet nicht etwa den Wiedereingestellten dauernde Beschäfti gung. Sie hat den Arbeitern, die vordem jahrelang bei ihr beschäftigt waren, einen Revers vorgelegt, der fie als vorübergehend Beschäftigte zum Verzicht auf alle tariflichen Rechte nötigen sollte Das Arbeitsgericht hat zwar den Revers als gegenstandslos erklärt, Tatsache bleibt, daß hier von einer dauernden Wiederbeschäftigung nicht die Rede sein kann.
An unanfechtbaren Beispielen, die durch Aufführung von Einzelfällen mie durch Ziffern be
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einstellungen etikettiert wurden, absehen, geben sich so viele notwendige Abstriche an der Zahl von 51 000 Wiedereinstellungen, daß diese Zahl erst gründlich bereinigt werden müßte, bevor sie amtlich als ein Erfolg im Sinne einer Unkurbelung der Wirtschaft gebraucht werden kann.
Optimismus mag bis zu einem gemiffen
fürzt werden.
Die Etatskenntnisse des Reichskanzlers Genosse Kurt Heinig schreibt uns:
Nach übereinstimmenden Meldungen der Presse hat der Reichskanzler vor dem Untersuchungsausschuß im Preußischen Landtag erklärt, daß es im Reichshaushalt nur zwei Dispositions= fonds gebe, die überhaupt für die Presse in Betracht kommen könnten, außerdem stünden seiner Regierung keinerlei Mittel zum Zwecke der Presse= beeinflussung zur Verfügung.
Der Herr Reichskanzler ist auch hier wieder mit den Worten schnell fertig gewesen, ohne sich ordentlich orientieren zu lassen. Es gibt im Reichshaushalt nicht zwei Dispositionsfonds, die überhaupt für die Presse in Betracht kommen könnten, sondern fünf.
Wir zählen diese fünf Fonds nachfolgend an der Hand desjenigen Reichshaushaltsplanes auf, der durch das Kabinett von Papen auf dem Wege der Notverordnung in Kraft gesetzt worden ist.
Im Haushalt des Auswärtigen Amtes, Einzelplan IV, eriftiert im Rapitel 4,, Sonstige allgemeine Haushaltsausgaben" nicht nur der Titel 2 Förderung des Nachrichtenwesens im Inlande 50 000 Mart", von dem der Reichskanzler ge= sprochen hat, sondern auch der Titel 1 Förde= rung des deutschen Nachrichtenwesens im Aus: