Morgen- Ausgabe
Nr. 499 A 244 49. Jahrg.
Redaktion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher: A7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammadresse: Sozialdemokrat Berlin
Vorwärts
BERLINER
VOLKSBLATT
SONNABEND
22. Oktober 1932
M
Jn Groß Berlin 10 Bf. Auswärts....... 15 Pf.
Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des redaktionellen Teils
Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Die Kommunistische Partei hat eine Tagung ihrer zentralen Körperschaften abgehalten. Aus. dieser Tagung wurde der langjährige tatsächliche Führer der Kommunistischen Partei Heinz Neumann zum alten Eisen geworfen. Die ,, Rote Fahne " berichtet darüber:
,, Durch einstimmigen Beschluß verurteilte die Konferenz den Genossen Heinz Neumann und einige andere Genossen, die auf Grund ihrer politischen Fehler und Arreichungen von der Linie der Partei mit den Methoden des Gruppenkampfes die Wendung der Parteiarbeit zur verstärkten revolutionären Massenpolitik zu stören versucht hatten."
Die Kommunistische Partei will also ihre„ re= volutionäre Massenpolitif" verstärfen. Was dies bedeutet, hat in dem Bannstrahl gegen Heinz Neumann sinnfälligen Ausdruck ge= funden. Heinz Neumann war der Mann des Bündnisses zwischen Stahlhelm und Kommunisten im Volksbegehren gegen die Preußenregierung. Getrieben vom Haß gegen die Sozialdemokratische Partei , hatte er sich damals mit den' chlimmsten Feinden der Arbeiterklasse, mit den deutschen Faschisten verbündet, um einen Stoß gegen die Demokratie zu führen. Er hat befehlsgemäß alles durchprobiert und durchgeführt, was von Moskau aus befohlen wurde, ohne Rücksicht auf die Lage der deutschen Arbeiterklasse und auf die Notwen digkeit ihres Kampfes. Er war einer der ge= treuesten Lakaien Stalins, dessen Wünsche für ihn Befehi waren. Dieser Mann erhält jetzt einen Fußtritt. Bedeutet das, daß die Kommunistische Partei in vernünftige Bahnen einzulenten ge= denkt? Mit nichten!
Die verbrecherische Parole: Hauptfeind ist und bleibt die Sozialdemokratie! ist ersetzt worden durch die völlig gleichwertige Parole:„ Der Hauptschlag gilt der Sozialdemofratie!"„ Revolutionäre Massenpolitik" bedeutet in der Sprache der kommunistischen Partei Fortsetzung der Spaltung der Arbeilerbewegung mit verstärkten Mitteln!
Heinz Neumann hat einen Fußtritt erhalten, weil er sich von seiner eigenen Politik abwenden wollte. Selbst diesem Manne, einem der unbedenk= lichsten Kommunisten, mar es nach dem Sturze Brü nings aufgegangen, daß die deutsche Arbeiterklasse in eine entscheidend geschichtliche Situation, in einen Kampf von ausschlaggebender Bedeutung eintritt. Er hat im Regime Papen das Akutwerden der Gefahr des deutschen Faschis= mus gesehen und hat deshalb eine Wendung des Kurses der Kommunistischen Partei durchführen mollen. An die Stelle der Parole ,, Einheitsfront von unten", unter der sich der Wille zur Spaltung und Zerstörung der Sozialdemokratie nur notdürftig verbirgt, wollte er die Parole ,, Einheitsfront von unten bis oben" setzen. Vielleicht wäre bei solcher Wendung des Kurses der Kommunistischen Partei der Graben zwischen der Sozialdemokratie und der KPD. schmäler geworden. In einer solchen Wendung hätte eingeschlossen ein Geständnis der schweren politischen Fehler der Kommunistischen Partei gelegen. Aber eine kämpfende Arbeiterbewegung ist kein Rezer= fonzil, es geht nicht darum, einander Fehler vorzurechnen und Geständnisse abzulegen. Es geht darum, im Kampfe die Interessen der Arbeiterflasse zu vertreten. Der Graben, der die Sozialdemokratie von der KPD. trennt, ist breit und tief. Eine Milderung der Gegenfäße, der feindseligen Gefühle, die Herbeiführung anständiger und wahrhaftiger Kampfformen hätte in der gegenwärtigen Situation der deutschen Arbeitertlasse schon einen Gewinn bedeutet!
Aber im Zusammenhang mit der neuen Kezerriecherei, die Stalin in Rußland durchgeführt hat, wurde auch eine neue Ketzerverbrennung in Deutschland angeordnet. Heinz Neumann ist als Reger verbrannt worden, weil er gegenüber dem Vordringen der Reaktion und des Faschismus einige lichte Augenblide gehabt hat!
Die Kommunistische Partei darf auf Befehl feine Milderung der Gegensätze zwifchen Sozialdemokratie und KPD. herbeiführen. Sie muß
weiter an der Berfiefung der Spaltung und Zersehung der deutschen Arbeiterbewegung, an der Schwächung ihrer Kampfkraft, gegen den Faschismus arbeiten!
Der Beschluß, den die zentralen Körperschaften der Kommunistischen Partei gefaßt haben, be= deutet deshalb in Wahrheit ein Schwächung der Massenpolitif der deutschen Arbeiterschaft gegenüber der Reattion! Die Thälmann und Genossen haben sich als noch größere Lakaien Stalins erwiesen, als es Heinz Neumann einstmals gewesen ist. Hirnlos und sinnlos betreiben sie weiter das verbrecherische Geschäft, der deutschen Reaktion Bun
deshilfe zu leisten, indem sie die Sozialdemokra= tische Partei mit einer Flut von giftgeschwollenen und haßerfüllten Angriffen überschütten. ,, Nun erst recht Spaltung!" das ist ihre Parole!
-
Wir stellen dem den festen Willen zur Einheit der kämpfenden Arbeiterschaft im Kampfe gegen die Reaktion gegenüber. Wir rufen alle Arbeiter auf, am 6. November der Fahne der Sozialdemokratie zu folgen.
Es gilt, das Recht des arbeitenden Volkes, die demokratische Freiheit und die sozialen Errungenschaften zu verteidigen. Fort mit den Spaltern, feid einig gegen die Reaktion!
In der Freitag- Sigung des Nationalrats, in der über das sozialdemokratische Mißtrauensvotum gegen die Regierung Dollfuß und über die Festsegung des Termins für Neuwahl des Parlaments abgestimmt wurde, war das Parlament ein Schauplatz wüster Szenen, wie sie das Haus lange nicht mehr erlebt hat. Die sozialdemokratischen Anträge wurden abgelehnt. Angenommen wurde ein christlichsozialer Antrag, den Neuwahltermin im Frühjahr zu beschließen.
Am Vormittag gab Bundeskanzler Dollfuß einige belanglose Erklärungen ab. Anschließend sprach der neu ernannte Heimwehr - Sicherheitsminister Fey. Er hielt seine Erklärung ganz im Tone eines Innenministers aus der Kaiserzeit und behauptete, die österreichische Verfassung habe nur das Vorrecht der Geburt, des Geschlechts und der Klasse abgeschafft, nicht aber die Gleich= heit der Parteien vor dem Gesetze festgelegt!! Er habe daher das Recht gehabt, den Oppositionsparteien das Aufmarschrecht und das Demonstrationsrecht zu nehmen und es den Regierungsparteien zu lassen!! Diese Erklärung rief stürmische Empörung der Sozialdemokraten hervor.
Otto Bauer rief: So ein Minister ist eine Schande für die Republik !", Darauf antwortete Bundeskanzler Dollfuß von der Ministerbank aus: ,, Sie, Herr Bauer, sind ja ein Bolschewik!" Auf diese Aeußerung hin ging Bauer zu Doll fuß , Dollfuß sprang auf und rief zum Präsidenten: ,, Herr Bauer hat mich soeben einen Gesinnungslumpen genannt!" Aus dem stenographischen Protokoll wurde dann festgestellt, daß diese Behauptung unwahr ist und daß Bauer das Wort ,, Gesinnungslump" nicht gebraucht hat. Es entstand aber auf den Ruf des Bundeskanzlers hin ein wüstes Durcheinander im Saal.
Der Heimwehrabgeordnete Lichtenegger ergriff ein Tintenfaß und warf es mit ungeheurer Wucht gegen Bauer. Das Faß schlug knapp neben Bauer auf und zerbrach, während die Tinte im Saal umhersprite. Lichtenegger nahm dann ein zweites Tintenfaß und warf es in der Richtung gegen Bauer. Es flog knapp am Arm des sozialdemo= tratischen Abgeordneten Danneberg vorbei. Nun sprangen die sozialdemokratischen Abgeordneten von ihren Sitzen auf. Die Sigung ging in einem
sozialer Antrag, der wünscht, daß die Neuwahlen für das Frühjahr 1933 ausgeschrieben werden.
Unter ungeheurer Spannung wurde dann in den Abendstunden die Abstimmung vorgenommen. Der sozialdemokratische Antrag auf Auflösung des Hauses und Ausschreibung von Neuwahlen für den 27. November wurde mit 70 sozialdemokratischen und 8 großdeutschen Stimmen gegen 83 Stimmen der Christlich fozialen, der Landbündler und der faschistischen Heimwehr abgelehnt.
Der Antrag der Christlichsozialen, die Neuwahlen im Frühjahr 1933 abzuhalten, wurde mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenom men. Ebenfalls mit den Regierungsstimmen gegen die sozialdemokratischen und die großdeutschen Stimmen wurde der Mißtrauensantrag gegen die Regierung abgelehnt.
Die Methode Nationalsozialistische Personalpolitik
Das nationalsozialistische olden= burgische Staatsministerium hat den Regierungspräsidenten Dörr in Birkenfeld zur Disposition gestellt. Diesem Beschluß ist ein langer Kampf um die persönliche Lauterkeit Dörrs vorausgegangen, der von oldenburger Nationalsozialisten in maßgebenden Regierungsstellen beschuldigt worden war, sich se pa ratistisch betätigt zu haben, und den nationalsozialistische Politiker seines Birkenfelder Wirkungsfreises mit aller Entschiedenheit gegen diesen Verdacht in Schuh nahmen. Der Zweck der Uebung wird jetzt klar, denn gleichzeitig mit der Kaltstellung Dörrs wird die Beauftragung des nationalsozialistischen Landtagsabgeordneten Wild mit der Führung der Geschäfte des Regierungspräsidenten in Birkenfeld bekanntgegeben. Man hat Plazz schaffen wollen für einen Nationalsozialisten und hat deshalb den Mann, der den Platz innehatte, infam verleumdet. Das ist eine Methode, die für das ,, neue System" ganz charakteristisch ist, sie ist nicht auf Oldenburg allein beschränkt.
Müller- Löhne!
Weltgeschichte auf der Lohntüte
Millionen verfluchen die privatkapitalistische Welt, die sie zum Müßiggang verurteilt. An den Stempelstellen spricht man mit bitterem Hohn von der PapenUnterstügung und erzählt von den Hermann Müller Löhnen der Jahre 1928 und 1929. Die ,, Alu" ist von wöchentlich 20 Mart auf 9 Mark geschrumpft, der tarifliche Stundenlohn für den männlichen Facharbeiter von 107 Pf. auf zwei Drittel davon zusammengehauen und da zu neben dem registrierten Arbeitslosenheer noch ein bis zwei Millionen ,, Unsichtbare", eben solche Barias der Gesellschaft wie die ,, Unberührbaren " Indiens .
-
1928 war nicht das Paradies, aber verglichen mit heute war es nicht die Hölle des Arbeiters, Angestellten und Beamten, nicht die jetzige Mittelstandsverzweiflung!
Nicht jeder will es wahr haben, daß es soziale Errungenschaften gibt, die von der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften Schritt für Schritt erkämpft wurden. Aber alle möchten die Müller Löhne" und die ,, Müller Unterstügungen gern wieder haben!
=
"
=
Gewiß: auch zu den Zeiten der sozialdemofratisch geführten Müller- Regierung sind niemand Schätze in den Schoß gefallen. Aber es wurde damals nach sechs Monate langem hartem Kampf der sozialreaktionäre erst e Angriff auf Leistungsabbau in der Arbeitslosenversicherung abgeschlagen. Die Krisenfürsorge wurde ausgebaut, der soziale Angestelltenschutz wurde verbessert, für die älteren Angestellten wurde eine besondere Novelle geschaffen, die die Wartezeiten verkürzte und eine Herabsehung der Altersgrenze durchführte. Der Fünf- Uhr- Ladenschluß am Weihnachtsabend wurde erzwungen. Aus Mitteln der Lohnsteuer wurde eine Erhöhung der Invalidenrenten und eine Verbesserung der Knappschaftsversicherung geschaffen. Die Unfallversicherung wurde erweitert. Der Schwangeren- und Wöchnerinnenschutz wurde weiter ausgestaltet. Das war sozialdemokratische Gegen wartsarbeit, das waren soziale Errungenschaften, das waren„ marristische" Leistungen durch den Reichstag für das Volk!
Damals hatten die Nazis, Kommunisten und Hugenberger im Reichstag zusammen weniger Stimmen als die Sozialdemokraten mit ihren 153 Mandaten.
Im Zwei- Tage- Reichstag von 1932 hatten allein schon die Nazis und die Kommunisten die absolute Mehrheit. Auf ihrem Rücken kletterten die Hugenberger zur Macht.
Die erste Papensche Finanz- Notverordnung vom 14. Juni 1932 belastet die minderbemittelten Volksschichten mit 1500 Millionen Mark Unterstützungsfürzungen und neuen Steuern. Die Salzsteuersoldaten sind dem deutschen Volk teuer zu stehen gekommen. Die zweite Papensche Notverordnung furbelt den Privatkapitalismus durch einen Steuerscheinregen von 1500 Millionen Mark an; dazu fommen weitere 700 Millionen Mark Arbeiterkopfprämien. Das Geld wird aus den
wüsten Lärm unter und die Sozialdemokraten Heute, Sonnabend, 22. Oktober, abends 6 Uhe
stürzten nach der Mitte des Saales, um den faschistischen Rohling zu züchtigen. In diesem Augenblick verließ Präsident Renner seinen Sitz und erklärte damit die Sigung für unterbrochen. Der Saal wurde geräumt.
Um 3 Uhr nachmittags wurde die Sigung wieder eröffnet. Die Nachmittagssigung verlief verhältnismäßig ruhig. Gegen den sozialdemo tratischen Antrag, Neuwahlen für den 27. November auszuschreiben, wandte sich ein christlich
von den bekannten Stellen aus
wichtige Flugblattverbreitung
Alle Genossinnen und Genossen, Reichsbannerkameraden, alle Jugend- und Sportgenossen beteiligen sich daran
DER BEZIRKSVORSTAND