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Abend- Ausgabe

Nr. 502 B 243 49. Jahrg.

Redaktion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstr. 3 Fernsprecher: A7 Amt Dönhoff 292 bis 297 Telegrammadreffe: Sozialdemokrat Berlin

MONTAG

Vorwärts.

BERLINER

VOLKSBLATT

24. Oktober 1932

Jn Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts....... 10 Pf.

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise fiehe am Schluß des redaktionellen Teils

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Die 3roideltultur Otto Wels fragt Hindenburg

Adolf Kochs Körperkultur verboten

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Wir erfreuen uns, beim Zeus , einer weit­fichtigen Regierung. Naive Leute glaubten, die Regierung müsse sich den Kopf darüber zerbrechen, wie sie für den kommenden Winter fieben Millionen Arbeitslose beköstigen, be= heizen, und nicht zuletzt bekleiden fönne. Aber unsere Regierung sieht weiter. Was ist schon die Bekleidung der Arbeits= losen im Winter? Eine weitsichtige Regierung hat sich den Kopf darüber zu zer­brechen, daß im kommenden Sommer die Badenden ausreichend bekleidet sind!

Das Gelächter über den Zwickelerlaß ist noch nicht verstummt. Die Tinte auf den Regierungsprotokollen ist noch nicht getrocknet, die auf Grund langwieriger Konferenzen den zulässigen Tiefpunkt des weiblichen Rückenausschnitts auf der Gürtellinie fest­gelegt haben. Aber der Eifer unserer Sitt­lichkeitsfanatiker ruht und raftet nicht. Sie haben ihren zelotischen Eifer gegen jede Berührung des menschlichen Körpers mit Luft und Sonne durch einen neuen Erlaẞ dargetan.

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Auf Verfügung des fommissarischen Ver­walters des Unterrichtsministeriums ist die Körperschule Adolf Koch , die in zehn deutschen Städten Unterrichtsstätten mit fast zehntausend Besuchern unterhält, mit Wirkung vom 31. Oftober verboten worden. Als rechtliche Grundlage des Verbots hat der Staatsfommiffar eine staatsministerielle Instruktion" vom 31. Dezember 1839 hervorgeholt, die in sieben Jahren das ehrwürdige Jubiläum hundert­jährigen Bestandes feiern fann. Sachlich stützt sich das Verbot darauf, daß in dem eigentlichen staatlich anerfann= ten Schulbetrieb die ärztliche Beratung und Untersuchung der Schul­mitglieder, sowie Höhenson nebestrah­Iung und Brausebäder stark in den Vordergrund getreten seien, ebenso wie die sozialen und gesundheitlichen Gesichtspunkte.

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man

Brausebäder da haben wir die Schweine­rei! Nur ein sittlich verkommenes Ferkel kann sich mit Brausebädern abgeben. Soziale und gesundheitliche Gesichtspunkte erschrickt, daß so etwas bisher gestattet war. Höhensonnebestrahlung wer noch nicht begriffen hat, daß Sonne, Licht, Strahlen und nun gar Höhensonne absolut marristische Erscheinungen sind, der hat überhaupt nichts im nationalen Deutschland zu suchen und mag, wozu man jetzt in Wochenendkezzereien aufgefordert wird, auf der Stelle seine Antenne erden!

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Mögen selbst einmal hier und dort unnütze Uebertreibungen vorgekommen sein fein vernünftiger Mensch kann leugnen, daß die Freilicht- und Freiluftbewegung eine große Kulturbewegung ist, und um die moderne Körperkultur nicht zu unterschätzende Berdienste hat. Die Tatsache, daß heute mil­lionen Menschen am Wasser und in freier Luft ihre Erholung suchen, ist zum großen Teil auf die Propaganda dieser Bewegung zurückzuführen.

Allerdings: das., national erwachte" Deutschland liebt die Stidluft einer muffigen Amtsstube und sein Symbol ist der Zwickel!

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23 Reichswahlvorschläge. Die Frist zur Ein­reichung der Reichswahlvorschläge iſt am 23. Oftober abgelaufen. Beim Reichswahlleiter sind bis zu diesem Zeitpunkt insgesamt 23 Reichswahlvorschläge eingereicht worden. Ueber die Zulassung entscheidet der Reichswahlausschuß in seiner Sizung am 25. d. M.

Wer beauftragte Papen , dem Volke den Krieg zu erklären?

Eigener Bericht des Vorwärts " Dresden , 24. Oktober. Unser Parteivorsigender, Genosse Otto Wels , sprach am Sonnabend auf der Dresdener Rad­rennbahn vor einer vieltausendköpfigen Ber sammlung. Die Kundgebung war die stärkste, die Dresden seit langer Zeit erlebt hat. Als Wels, der von der ostsächsischen Parteipreffe anläßlich der Kundgebung als der ewig Junge gefeiert wurde, die Rednertribüne bestiegt, wurde er von den Massen herzlich begrüßt.

Wels führte u. a. aus, die Rede, die Papen in München gehalten habe, sei eine

Kriegserklärung an das deutsche Bolt.

Nur der zweite Teil der Reichsverfassung solle un­angetastet bleiben, aber nicht der erste, in dem stehe, daß die Staatsgewalt vom Volke ausgehe. Wenn es nach den Baronen ginge, dann würde Deutschland an seiner Spize bald einen Reichs. verweser und schließlich wieder einen Kaiser haben. Kommunisten und National fozialisten hatten im Reichstag eine Mehr­heit zustande gebracht, die schließlich die Grund­lage für den Triumph des Besig

bürgertums gab. Wels erinnerte den Reichspräsidenten dann daran, daß von Papen in seine Hand geschworen habe, die Verfassung zu achten, und richtete an Herrn von Hindenburg die

Frage, ob er dem Reichskanzler den Auftrag gegeben habe, dem deutschen Bolke in München

den Krieg zu erklären

und zu sagen, daß er den Willen und die Macht habe, seine Pläne durchzusehen. Die Regierung Bapen habe es soweit gebracht, daß Deutschland heute wieder in der Welt isoliert sei.

Hitler habe einmal gesagt, daß er nur die Bordertreppe benutzen werde. Am 13. August aber sei er die Vordertreppe herunter= geworfen worden. Die Herren, die seit 1000 Jahren in Deutschland die Macht gehabt hätten, wollten zwar Herrn Hitler für ihre Zwecke benutzen, ihm aber nicht die Macht ausliefern.

Ohne Hitler wäre das Wort vom, Wohlfahrts­staat" nicht gesprochen worden. Ohne Thäl­ mann gäbe es feinen Hitler und ohne Hitler feinen Papen.

Frankreichs Abrüstungsplan

Widerstand der Generale

Eigener Bericht des Vorwärts "

Paris , 24. Oktober.

Eine Kriegerdenkmalsenthüllung in Lens er­öffnete der sozialistische Bürgermeister und Abg. Ma es mit dem Ausdruck der Hoffnung, daß die Völker nicht nur auf militärischem, sondern auch auf wirtschaftlichem Gebiet bald a brüsten werden. Ministerpräsident Herriot antwortete: Es gibt kein Land, das mehr als Frankreich den Frieden zu erhalten strebt. Erheben wir unsere Seelen, indem wir an die Toten denken, die der letzte Krieg gekostet hat. In der Nähe von Lens, auf dem Friedhof des Weißen Hauses , ruhen 75 000 deutsche Soldaten, ohne Zweifel Männer, die in Ruhe zu leben gewünscht haben. Erweisen wir ihnen Ehre, wie wir unseren Toten Ehre erwiesen haben. Frankreich hegt feinen Haß gegen seine ehemaligen Feinde. Es hat alles getan was es fonnte, um seinen Friedenswillen zu beweisen. Man vergißt das Ziel im Ausland und, was noch ärgerlicher ist, in Frankreich selbst. Frankreich versteht, edelmütig zu sein, wenn es sich um materielle Interessen handelt. Es hat nur den Wunsch, das Werk des Friedens weiter zu verfolgen und deshalb ist es im Begriff, einen Plan vorzuschlagen, der die Abrüstung mit der Sicherheit verbindet, der den Verzicht auf die Rüstungen von einem An­wachsen der Kräfte des Rechts abhängig macht. Wenn dieses Werk Erfolg haben soll, müssen alle Völker ebenso vernünftig wie Frankreich sein. An der endgültigen Befestigung des Friedens, dem alle Völker wünschen, wird meine Regierung unaufhör­lich arbeiten, ohne sich um heftige oder begeisterte Kundgebungen zu kümmern."

Die Opposition des Generalstabs

Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Kriegs­minister Paul Boncour bzw. der Regierung und dem Generalstab über den neuen französischen Abrüstungsplan werden jetzt von dem offiziösen Petit Parifien" zugegeben. Er schreibt zu der Sonnabendsigung des Studienkomitees des ober­Sten Landesverteidigungsrats:

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,, Man kann nicht darüber erstaunt sein, daß ein Plan über die Herabsetzung der Rüstungen gewisse Vorbehalte und Widerstände derjenigen hervorruft, denen der Schuß des Landes obliegt

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und die notwendigerweise dazu geneigt sind, die Dinge für sich allein zu betrachten, und sich nicht viel um Erwägungen internationa ler Art zu kümmern, mit denen sie nicht ver= traut sind. Um in der Lage zu sein, diese mög­lichen Einwendungen und Widerstände zunichte zu machen, war Paul Boncour am Sonnabend von seinen sämtlichen Genfer Mitarbeitern umgeben. Die noch zu erledigende Arbeit ist beträchtlich und der Studienausschuß wird sicherlich noch mehrere Sigungen abhalten müssen, bevor sich die Regie­rung über den Plan aussprechen und ihn dem Büro der Abrüstungskonferenz unterbreiten kann."

Sozialistischer Gegenstoß

Léon Blum protestiert im Populaire" auf das schärfste gegen die Sabotageversuche der Generalität und fordert die Regierung eindring­lichst auf, sich dadurch nicht auch nur zur geringsten Verschleppung der Abrüstungsarbeit bewegen zu lassen. Auch die anderen entschieden linksgerichte­ten Zeitungen weisen die militärische Einmischung scharf zurück.

Die Dollfuß - Reaktion

Wegen Kritik ausgewiesen Eigener Bericht des ,, Vorwärts"

Wien , 24. Oftober. Die Wiener Polizei hat am Sonntagabend den reichsdeutschen Prinzen Hubertuszu Löwen­stein Wertheim wegen Beschimpfung der Regierung" mit Ausweisung bedroht und zu so= fortiger Abreise gezwungen. Löwenstein hatte den legten beiden Sigungen des Nationalrats beige. wohnt. Unter dem Eindruck des Verhaltens der Regierung und ihrer Mehrheit war er in den so= zialdemokratischen Klub gekommen und hatte er klärt, daß er als Zentrumsmann und Reichs­bannerkamerad aus seiner Empörung über diese Borgänge feinen Hehl machen wolle. Er bat dar­um, in einer Versammlung sprechen zu dürfen. Am Sonntag sprach er in einer der 16 sozial­demokratischen Jugendversammlungen. Er war in Reichsbanneruniform erschienen. Nach der Ver­

Wels kritisierte dann, daß das von der Sozial demokratie beantragte Volksbegehren bisher nicht zugelassen sei und die Barone im Begriff ständen, dem Volke auch das Recht auf ein derartiges Volksbegehren zu nehmen. Schließlich wandte er fich nochmals gegen Papen, der in München alle als Feinde des Volkes" bezeichnet hat, die seiner feiltänzerischen Außenpolitik nicht Folge leisten. Wels erklärte dazu: Wir stellen die Nation über alles. Wir führen das Wort Vater­land nicht im Munde. Wir haben dem Deutschen Reich gedient und werden ihm weiter dienen. Die, die heute wieder einmal vorgeben, Deutschland zu dienen, waren 1918, als es galt wieder aufzu­bauen, nicht zugegen, sie waren ausgerüdt. Jetzt spielen sie sich wieder als Patrioten auf. Aber wer ist patriotischer als der, der die Interessen von Millionen unseres Volkes in der Form vertritt, daß er ihre Lebenslage bessern will? Nur ein ,, Feind des Volkes" kann uns, die wir inter­national sind, weil wir im besten Sinne zugleich national denken, vorwerfen ,,, Feinde des Volkes" zu sein. Wir verwahren uns gegen diese Vers leumbung! Mit ihrem Urheber darüber zu debattieren, ist unter unserer Würde."

sammlung wurde er von 20 Kriminalbe. amten umringt, verhaftet und auf die Polizei gebracht. Dort teilte man ihm mit, daß die Re gierung sehr empört darüber sei, daß er als 3 e trumsmann gegen die österreichischen C christ. lich sozialen, die doch seine Bruderpar= tei sei, Stellung genommen habe. Er wurde verwarnt und es wurde ihm aufgetragen, Dester reich bis Mittwoch zu verlassen.

Bosadowsky gestorben

Der Sozialpolitiker aus der Kaiserzeit Am Sonntagvormittag ist der frühere kaiserliche Staatssekretär des Innern Graf von Posa­ dowsky Wehner im Alter von 87 Jahren in Naumburg verstorben.

Graf Posadowsky hat in der Kaiserzeit viele

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Jahre das Reichsamt des Innern als Staats. fefretär Reichsminister gibt es erst seit 1919- betreut, nachdem er vorher einige Jahre Staatssekretär des Reichsschazamtes gewesen war. Bom Juli 1897 bis Ende Juni 1907 leitete er das Reichsamt des Innern, dem auch das große Ge biet der sozialpolitischen Gesetzgebung unterstand.