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MONTAG, 24. OKT. 1932
BEI LAG E
Qegenfäimliches Gran l'Amlrücke in ilordalriUa/ Ton 9iarl lllocllcr
Ein deutliches Omen: schon unser Schiff trägt den Nomen jener gefürchteten Freindenlegionär- station in Algerien  :S i o i B e l A b b« s". Auch ohnedies wären wir daran erinnert worden, daß wir in ein Land kommen, wo Soldaten der wich- tigste Bestandteil der kolonialen Verwaltung sind.
wird. Diese beten jetzt in den Moscheen zu ihrem Gott Allah   um Befreiung oder arbeiten abge- stumpft in ihren Werkstätten und Läden weiter. An einer Ecke des Boulevard George Clemen- ceau treffen wir einen deutschen Fremden­legion ä r, der«inen freien Abend hat. Er
Das ganze Borderdeck ist mit Truppen anze- füllt, die stupide auf ihren Strohhaufen liegen und dösen oder Korten spielen. Die Farbigen unter ihnen sind fröhlicher als die Weißen. Sie kehren nach schwerem Dienst in Frankreich   in ihre sonnige Heimat zurück, während die Franzosen  in irgendeine abgelegene Garnison Nordafrikas  kommen. Sehr gut gekleidet sind sie alle nicht und ste ähneln mit ihren glattgeschorenen Schädeln eher Sträflingen als schmucken Vaterlandsvcr- teidigern. Ab und zu schaut ein Offizier von der Promenodenbrücke der ersten Klasse herunter, ob sich nicht Zwistigkciten ergeben, denn bereits haben sich ein paar dicke Werber aus dem Zwischendeck ins Soldatenquartier eingeschlichen. Ankunft in Oron  . Zwei Nächte und einen Tag dauert die Fahrt über das Mittelmeer   mit der direkten Verbindung von Marseille   nach Oran  . Sehr viel Verkehr scheint es auf dieser Linie nicht zu geben, denn wir begegnen nur wenige Schiffe. Desto mehr wird die lange Küste der Bo learen angestaunt, die unterwegs mit ihren grrl skcn, kahlen Berg- formen grau und dunstig aus dem blaugrünen Wasser hervorragen. Bei der Ankunft sehen wir im Morgengrauen eine steile, zerklüftete Küste vor uns. Auf einem hohen Berg liegt ein Kastell mit denkmalsarti- gem Aufbau. Der Hafen ist überraschend groß und nach modernstem Muster angelegt. Weil reichen die dicken Zementmolen ins Meer hinein und durch künstliche Planierung eines Streifen Landes hat man einen idealen Lagerplatz geschaffen. Die dicken Leiber der Oeltanks und lange Kohlenfelder mit riesigen, elektrischen Dreh- krönen nehmen vorläufig die Hauptfläche neben ausgedehnten Holzstapeln ein. Aber bald werden hier auch noch mustergültige Lagerhäuser für alle Waren entstehen. Das am westlichsten Zipfel AI- geriens gelegene Oran   ist durch die Eisenbahnver- bindung mit dem Inneren Marokkos   zu einem bc- deutenden Umschlagsplatz geworden und entwickelt sich in einem wahrhaft amerikanischen Tempo, das nur durch die allgemeine Weltkrise etwas gehemmt wird. So nüchtern der Anblick der Stadt ist, so lebendig orientalisch bleibt doch die Ankunft des Schiffes. Der ganze Kai ist ein Mosaik von weißen Turbanen und braunschwar- zen Gesichtern. Kaum gehen die ersten Passagiere über die Larrdungsbrücke, da rasseln schon die Ausladekräne und heben Säcke, Kisten und Autos aus dem unergriindlichen Schiffs- innern aufs Land. Eine hastige Bewegung kommt in die wartenden Arbeitermengen. Araber und Schwarze, Beduinen und Mischlinge stürzen schwerbeladen in der schon heißen Sonne, vom Antreiber gestoßen und angebrüllt, vom Schiff zur Lagerhalle und zurück. Viele sind umsonst gekommen und haben keine Arbeit mehr bekommen. Einige scharen sich um uns merkwürdige Europäer, die mit Kniehosen und Rucksäcken nach Nordasrika kommen. Sie staunen uns an. während die Pässe in einer Bretterbude kontrolliert werden. Auf einmal er- zählt uns ein alter, dicker Neger freudestrahlend auf deutsch  , daß er vor dem Kriege bei einem Dok- tor in Hannover   als Diener angestellt war.Jetzt sehr schlecht in AUemagne," meint er. Zwei Wellen-- Die Innenstadt Orans ist eleganter als Marseille   oder gar Toulon  . Auf den breiten Boulevards, die ihren Namen von französischen  Heerführern haben, ist am Nachmittag ollgemeine Promenade der europäischen   Welt. Die Mädel- sind hübsch und modern zurechtgemacht, geschminkt und gepudert. Leise flirten sie mtt den jungen
Gents, während sie Arm in Arm unter den schat- tigen Palmen spazieren gehen. Da gibt es vor- nehme Modegeschäfte zu betrachten und die Konditoreien haben phantastische Auslagen in ihren marmornen Schaufenstern. Leicht und mühelos scheint das Leben, das zu dieser Stunde von keinem Eingeborenen gestört
führt uns in die Gassen der Eingeborenen. Wäh- rend wir auswärts steigen, liegen in der Dämme- rung die nahen Berge schwarz über den Häusern und leichte Wolken segeln dem Meere zu. In den engen Schluchten des Araberviertels liegen die Menschen aus dem Boden vor ihren Wohnungseingängen, schwatzen, rauchen und star-
ren erstaunt den Fremden nach. Es ist noch gar nicht so lange her, da durfte sich nach Dunkelheit kein Europäer mehr in diese Gegend wagen. Nach langem Ilmherlaufen im Irrgarten der winkligen Gäßchen öffnet sich plötzlich vor uns ein weiter, langer Platz, lieber die ganze Breite hin- weg stehen Tischchen und niedrige Hocker, die olle von weißgekleideten Arabern besetzt sind. M i n z t e e und st a r k e n K a f f e e schlür- send hocken sie beieinander. Viele liegen auch auf geflochtenen Matratzen, und ununterbrochen schreit in den Gaststuben aus Radio und Grammophon eine monoton aufpeitschende Musik. Die be- dienenden kleinen Negerjungen können kein Wort französisch und lachen uns nur verschmitzt an, als wir ihnen verständlich machen wollen, daß wir auch von dem würzigen Tee wünschen, der sehr heiß und furchtbar süß in winzigen Gläsern ser- viert wird. Ruhig genießen wir den Frieden dieses ersten orientaischen Abends, als es plötzlich an einer Ecke anfängt zu knallen. Feuerwerkskörpcr fliegen in die Luft, Trommeln wirbeln eine wilde Melodie und unartikuliertes Schreien und Pfeifen schrillt herüber. Schließlich setzt sich ein Zug mit ein paar Fackelträgern an der Spitze in Bewegung, wälzt sich durch enge Gassen und reißt imemr mehr Leute im Takte eines Tanzes mit sich fort, den einige junge Burschen ab- wechselnd ausüben. Dann hält der Zug vor einem Haus, dessen Dach illuminiert ist. Musik und Lär- men hören auf. Einige gehen hinein, die an- deren bekommen von drinnen Geschenke. Es ist ein Fest für ein neugeborenes Kind, das hier in alter Weif« gefeiert wird. Zu gleicher Zeit wirbeln die Jazzkapellen in den Bars der europäischen   Stadt Foxtrotts   und Tan- gas, im Hafen leuchten die bunten Laternen der ruhenden Schisse und die vielen Fenster eines zehnstöckige» Garage»Hochhauses glänzen hell in die dunkle Nacht, wie ein Wesen aus anderer Welt.
Gewiß, die Zeit war ihm günstig. Es war die Zeit, in der man angefangen harte, sich von schola- stischen Methoden freizumachen, in der man auf- hörte, Aristoteles   als maßgebende Quelle der Zoo- logie und Botanik anzusehen, in der man wieder zu den Dingen selbst ging. Wenn Leeuwenhoek   auch ein Kind dieser Zeit und ihres Geistes war, er stand doch ganz auf sich allein. Nicht nur, daß ihm durch das Fehlen einer entsprechenden Ausbildung der Zugang zur wissen- schaftlichen Literatur versagt blieb, er wollte sich auch nur auf sich selbst verlassen. Seine Apparate baute er selbst. 247 von ihm gebaute Mikroskope wurden nach seinem Tode ver- steigert(davon 160 aus Silber und 3 goldene er war ein wohlhabender Mann). Er verstand, das Metall aus den Erzen zu gewinnen, und schliff die Linsen mit einer Vollkommenheit, die auch von den besten Glasschleifern nicht erreicht wurde. Glasblasen hatte er durch Zusehen auf dem Jahr- markt gelernt, und das ist sehr bezeichnend für ihn. Er sah gründlicher als die meisten Menschen. Auch gegen sich war er mißtrauisch. Er richtete seine Mikroskope auf alles und jedes, fand nichts der Betrachtung unwert: aber er begnügte sich nicht mit einer Beobachtung. Viele, viele Male wurde derselbe Gegenstand vor das Aug« genom- men, ehe Leeuwenhoek sich entschloß, von seinen Wahrnehmungen Mitteilung zu machen, und Be- richte und Zeichnungen an die R o y a l S o c i e t y nach L o n d o n zu schicken. Das war eine Körper- fchaft gelehrter Herren, die sehr bald dahinter- gekommen waren, daß hier ein Besonderer am Werk war, ein Dilettant zwar, aber ein großer. Was war das Ergebnis dieses mühevollen und unermüdlichen Lebens? Es gab kein erreichbares Objekt, auf das nicht Leeuwenhoek   seine unüber- trefflichen Linsen gerichtet hätte, und so gibt es in der pflanzlichen und tierischen Anatomie wohl kein Gebiet, das diesem Geist nicht wertvolle Kenntnisse verdankt. Aus der Fülle dessen, was er fand, leuchtet einiges besonders hervor: Er sah als erster die Blutkörperchen und zerstörte so die Auf- fassung, daß wir es im Blut mit einer einheit- lichen, gleichmäßigen roten Flüssigkeit zu tun haben. Er beobachtete den Blutkreislauf der Wirbeltiere, den der englische   Anatom Harvey 1628 behauptet hatte. Er darf als der Entdecker der S p e r m a t o z o e n, der beweg- lichen Samenzellen der Tiere und des Menschen gelten, wenn auch der Student H a m aus Leiden hier den ersten Schritt tat. Er fand Neues und Bemerkenswertes, wohin er sah, und da er sogar in das Wasser der Regentonne seinen Blick richtete, so fand er die Wunderwelt des Wassertropsens, die Welt der Infusorien, der Aufgußtierchen in ihren mannigfachen Formen: er öffnete den Zu- gang zu der großen, neuen und fremden Welt der kleinsten Lebewesen, der Mikroben, bis hin- unter zu den Bakterien, denen er im Belag seiner Zähne nachspürte. Das war wahrlich etwas Neues, etwas Nie- gesehenes und Nichtgeahntes, diese Welt der klein- sten Lebewesen, die der Rathauspförtner von Delft  im September des Jahres 1675 den gelehrten Herren aufschloß, und die Royal Society   in London  , die angesehenste Gelehrtenkorporation da- maliger Zeit, wußte das Geschenk zu würdigen; sie ernannte Leeuwenhoek   zu ihrem Mitglied.
Ton dteaumuv bis Celsius Qelehrle, die tpoche nmchlen
Der französische   Gelehrte Rene Antoinc Ferchauld R c a u m u r, dessen Todestag sich am 17. Oktober zum eintchndertsünfundsiebzigsten Male jährte, war ein sehr klassenbewußter Bürger, ob- gleich er als Sohn adeliger Eltern(1683 in La Rochelle  ) geboren wurde. Aber er gehörte schon mit 25 Iahren der Pariser Akademie der Wissen- schasten an, und seine Gesinnung hat er bewiesen, indem er seiner adeligen Würde als Ritter des Sankt-Ludwigs-Ordens entsagte und auf eine Rente van 12 000 Livres, die er für eine Entdeckung bei der Eisen- und Stahlherstellung erhielt, zugunsten der Akademie verzichtete. Damals war die wissenschaftliche Arbeitsteilung noch nicht soweit fortgeschritten und auch Reaumur arbeitete als ein typischer Gelehrter seiner Zeit auf vielen Gebieten. Er leistete Hervorragendes von der Zoologie bis zur Chemie, in ollen Sparten der jungen experimentellen Raturforschung, und dazu war er auch noch ein Mann der Praxis. Er hat nicht nur die chemische Beschaffenheit von Stahl und Eisen erfolgreich untersucht, er hat auch eine noch heute angewandte Methode gefunden, das Eisen zu verzinnen. Bei seinen Experi- menten, die Herstellung japanischen Porzellans nachzuahmen, erfand er das sogenannte R e a u- mursche Porzellan, ein undurchsichtiges Glas, das seine Mattierung durch kristallinische Ausscheidungen bei der Erstarrung nach dem Schmelzprozeß erhält. Reaumurs Thermometer war kein Quecksilberthermometer, wie wir es heute im Gebrauch haben. Sein Wärmemesser war mit Alkohol, mit Weingeist gefüllt, ein ungefüges, riesiges, leicht zerbrechliches Ding! dennoch ist Reaumurs Prinzip, den Gefrierpunkt des Wassers als Nullpunkt zu setzen, bis heute bei allen unseren Temperaturbestimmungen nicht wegzudenken. Zu seiner 80grädigen Skala kam er verhältnismäßig zufällig. Ein Grad war der tausendste Teil jener Alkoholmenge, die sein Thermometer enthielt. Der aus Danzig   gebürtige Glasbläser und Phy- siker Fahrenheit(1686 1736), der fast zur selben Zeit wie Reaumur ein Thermometer kon- struierte, ging von einem anderen Nullpunkte aus, von jenem, der für die damalige Physik als der Punkt der größten Kälte galt Auf Fahrenheits Thermometer, das übrigens schon mit Quecksilber gefüllt war, liegt der Gefrierpunkt des Wassers bei 32 Grad, der Siedepunkt bei 212 Grad über Rull. Heute ist Fahrenheits Nullpunkt in der Praxis längst überwunden. Man kann in Laboratorien ja mehr als 100 Grad Kälte erzeugen. Die entscheidend« Verbesserung des Reaumurschen Thermometers fand noch zu Lebzeiten Reaumurs im Jahre 1742 der schwedische Astronom Celsius, der die Sternwarte in Upsala lestete und sich durch die Erforschung des Nordlichtes und die Fest- legung der Meridiane auf den Erdball ver- dient gemacht hat. Von Fahrenheit übernahm er die Quecksilbersäule, von Reaumur den Gefrier- punkt. Während bei Reaumur zwischen dem Gefrierpunkt und dem Siedepunkt des Wassers 80 Grad liegen, teilte Celsius, die wirtschaftlichen
Vorteil« des Dezimalsystems erkennend, die Strecke zwischen Gefrierpunkt und Siedepunkt in 100 Grad ein. Celsius hat recht behalten, aber auch nach Reaumur wird heute noch gemessen, und in den angelsächsischen Ländern, in England und Nord- amerika  , hält man sogar noch an Fahrenheits Gradeinteilung fest. Die Engländer sind nun mal konservativ und können sich von ihren alten Maßen und Gewichten(Fuß, Meile, Bushel usw.) nicht trennen.>lira von I4c>llanclsr->lunlcli.
.flnloni tan Jßeeintenhoeh Zu feinem 300. Qeburigtag am 21. Ohioher Antoni van Leeuwenhoek   ist gewiß einer der eigenartigsten Geister unter allen denen, die der Wissenschaft, insonderheit der Biologie, gedient haben. Und dabei war er gar kein Wissen- schaftler, kein Gelehrter. Am 24. Oktober 1632 wurde er in dem holländischen Städtchen Delft   geboren, verlor früh seinen Vater, besuchte eine Schule, aus der man lernte, was man in seinen Kreisen des gewerbetätigen Mittelstandes brauchte, und wurde bei einem Amsterdamer   Tuchhändler Buchhalter und Kassierer. Von Wissenschast war da nirgendwo die Rede. Leeuwenhoek   konnte nicht einmal Latein, und Latein war noch die fast ausschließliche Sprache der Wissenschaft. Er verstand überhaupt keine fremde Sprache, und ihm fehlte jede Möglichkeit, in die Literatur eines anderen Landes einzudrin- gen. Selbstverständlich, daß er unter diesen Um- ständen niemals eine Universität besuchte. Und doch wurde aus ihm einer der bedeutendsten Naturforscher: denn er besah ein offenes Auge, eine sehr geschickte Hand und war frei von Vor- urteilen, die ihn hätten falsche Wege führen können. Das Mikroskop, wie wir es heute kennen, war in jenen Iahren erst eben erfunden, übrigens auch von Holländern, aber noch gar nicht in Auf- nähme gekommen. Man benutzte Instrumente, welche fast immer nur eine Linse besaßen, die zwischen zwei Metallplatten lag. in denen je eine kreisrunde Oeffnung für die Linse ausgespart war. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß der junge Leeuwenhoek schon in Amsterdam   mit solchen In- strumenten Vekannsschaft machte, vielleicht bei dem Apotheker S w a m m e r d a m, dessen Sohn Jan zu naturwissenschaftlichen Studien von seinem Vater angehalten wurde nicht ohne Erfolg, wie die Geschichte zeigt. Als Leeuwenhoek 1654 wieder nach Delft   kam, um zu heiraten, selber einen Kram- laden aufzumachen und später die gutbezahlte und wenig mühevolle Stellung des Rathauspförtners zu übernehmen, war er sicher schon der, als den die Welt ihn später kannte, ein Besessener, der nichts tat und nichts wollte, als in die Geheimnisse der Natur einzudringen, auf seine Weise.