ZWEITE BEILAGE
491
-
-
Vorwärts
Gilgi
eine von uns
( Schluß.)
,, Olga wird mir helfen. Ich kann ja alles mögliche, Pit ich bin wirklich tüchtig. Und ich habe einen sehr starten Willen. Ich habe so viele gesehen, die Arbeit suchten und nicht fanden die meisten aber, die wollten nur halb, denen war schon alles egal. Da ist eine ganze Menge, denen ich überlegen bin, meil ich mehr und stärker will. Spekulation à la baisse- traurig aber ist ja nu' mal fo."
-
-
,, Aber wenn du frant würdest... so eine Geburt..."
,, Krant werden! Was soll ich daran denken. Ich bin sehr gesund und hab' tausendmal die Chance, gesund zu bleiben. Natürlich fann ich frant werden, fann auch von ' nem Auto überfahren werden oder aus' nem Fahrstuhl fallen... Mit solchen Möglich feiten rede ich nicht das nimmt nur Kraft."
-
Sie steht vor u, n- straffer die Schultern, flarer die Augen. Bit sieht sie an da hat er sie, wo er sie haben wollte. Die schafft's, der riecht man an, daß sie's schafft. Die weiß, was sie will, die bleibt bestehen. Wird noch verflucht schwere Stunden haben
-
-
-
arme
Kleine hat noch Berge von Schmerz und Dunkel zu überwinden wird's überwinden. ,, Ach, Gilgi , verflucht lieb hab' ich dich darf ich dir einen Kuß geben ist einer von denen, die du dir ruhig geben lassen fannst."
-
,, Bib mir man mehrere, Pit, wenn's dir Spaß macht."
Zugiger Bahnsteig. Kalt- schwarzes Eisen von Lokomotiven und dunstiges Grau von Steinen und Staub. Auf einem großen Koffer figen nebeneinander Gilgi und Bit. Müde starrt Gilgi vor sich hin. Kluge, gerade Gleise eine große, schwarze Lokomotivesinnvoll zusammengefügtes Metall. Kleine Räder, große Räder alles ineinander gehörig. Eine kleine Apfelsine ist den Bahnsteig hinuntergerollt, liegt unglücklich dumm
Morgen
neuer Roman
Schicksal Maschine
von STEFAN POLLATSCHECK
und unzweckmäßig zwischen den geraden, glatten, flugen Schienen. Hastende Geräusche füllen die Luft. Fester faßt Gilgi Pits Hand. Bittert ein bißchen in frierendem Alleinsein. Fühlt die feuchte, dunkle Abendfühle durch das dünne Kleid dringen... Sieht, wie der große Zeiger der Bahnsteiguhr mit einem Ruck in die nächste Minute fällt. Heiß und mürgend fnäult sich Weinenwollen im Hals. Die vielen eisernen Räder... vor der Lokomotive liegt' ne kleine, gelbe Apfelsine- wie tommt die fleine Apfelsine denn dahin... eine dumme, fleine Melodie, die sich im Kopf festsummt... vor der Lokomotive... Bielleicht sehe ich Martin nie wieder... sie schlägt die Hände vors Gesicht ,, laß mich, Pit laß mich" vergräbt den Kopf in den Armen ,, ich bitte dich, Bit man muß sich auch allein lassen fönnen..."
-
-
-
-
nur
Wenn ich ihn nie wiedersehe... ach, warum darf man nicht nur Frau sein nur, nur, nur! Ist denn der Tag wichtiger als die Nacht warum wird man in Nächte und Tage geteilt. Warum das Gesetz der Nacht im Blut der ewig verlangende Schoß in tausend Stücke bin ich geteilt mein Verstand sagt ja zu Ordnung und Tag und Helle. Und meine Hände sind ratlos und wissen nicht, wohin sie gehören- meine Schenkel, meine Knie warten... Hyazinthen brauche ich zu denken, und ein Duft trennt mir die Einheit meiner Lippen.. zuckendes, sengendes Licht über weißen Kissen ein dunkler Kopf- dein Mund nicht die Lider über deine Augen- geliebgelieb tester Schmerz du ich wir Der= fluchte Qual- gewünschte Qual- helfe mir Gott ich will nicht aber ich verbrenne in Sehnsucht nach dir... meine Nägel in deinem Fleisch deine Zähne, die meine Lippen bluten machen soll die Belt drüber sterben Menschen, Menschen, Menschen sterben du, du, du helfe mir Gott
-
"
-
-
-
-
Pit, ich muß nach Hause..."
-
deck'
,, Martin ist mein Zuhause."
,, Schäm dich doch- du!"
-
-
Ich hab' verlernt, mich zu schämen."- Er pact sie am Arm ist ein braver Junge, der Pit arme, fleine Gilgi, wärst ja verloren allein. Falte brav und fromm die Hände und sag' Danke schön, weil man dir hilft kleiner Mensch. Mensch sein heißt für dich Mensch sein und Frau sein und Arbeiter sein und alles, alles sein. Viel verlangt? Wird von jedem nur das verlangt, was er geben kann. Wehe, menn er's nicht gibt. ,, Nimm dich zusammen, Gilgi !"
-
Sie sieht ihn an blind, verständnislos - seufzt müde: Ja, du hast recht." Stumm sigt sie wieder neben ihm.
.. vor der Lokomotive liegt' ne fleine, gelbe Apfelsine... Eine winzige Freude zuckt auf Sekundenbliz: man wird wieder dazugehören eingereiht fein in Pflicht und geschaffenem Räderwerf man wird wieder geschüßt sein in gewünschtem Zwang erarbeiteter Lage, in dem gewollten Gesetz eigenen Schaffens vor der Lokomotive liegt' ne... ah, man wird wieder dazugehören. Man gehört ja in das Allgemeingefüge, man ist nicht geschaffen, außen zu ſtehn man glaubt nun mal zutiefst an die Verpflichtung junger, gesunder Hände... Zischend und dampfend setzt sich die Lokomotive in Bewegung. Nur einen Augenblick lang freies Geleise dann von weitem zmei Lichter, die näher tommen näher... Gedrängter, gespannter wächst Unruhe sich bewegender Menschen Dichter und wesenhafter mird Geräusch... ,, Einsteigen", sagt Bit und zieht Gilgi hoch. Einen Augenblick schwankt fie ein dünnes, zitterndes, fleines Nichts
-
-
-
-
DIENSTAG, 25. OKT. 1932
im Riesengewölbe von Stein, Glas und Eisen... Erschrocken faßt Pit ihren Arm ,, Keine Angst. Pit, ich werde nicht ohn= mächtig mit hilft man nicht mit so' ner fleinen Narkose, muß alles bei lebendigem Leibe durchmachen..
-
11
Sie reicht noch einmal aus dem heruntergelassenen Fenster Pit die Hand will was wie Danke schön sagen bringt kein Wort mehr hervor vor der Lokomotive liegt' ne fleine, gelbe Apfelsine... Krampft die Hände über der Brust zusammen... Martin, einmal wirst du doch wieder bei mir sein muß man ja glauben hält's sonst nicht aus oh, ich weiß, daß ich dich eines Tages haben werde für immer Phantasie Flucht vor der Wirklichkeit? Flucht in bessere Wirklichfeit?... vor der Lokomotive liegt...
-
-
-
-
Leb' wohl, Gilgi leb' mohl!" Bit läuft neben dem fahrenden Zug.„ Leb' mohl, leb' wohl", ruft er mit unfester, findlicher Stimme.
,, Lieber Pit", sagt Gilgi leise und müht sich für ihn um ein letztes, fleines Lächeln, das halb gelingt.
Eine von uns?/ Keine von uns?
Nein!
Eine von uns? Nein! Nicht nur, daß ich mich weigere, einen Menschen wie Gilgi zu uns zu rechnen, Gilgi ist eine Frau, die in einer Zeit lebt, die noch nie da war, bzw. erst kommen muß. Ich möchte einmal die vielen Mädels fragen, die im Monat 150 Mark verdienen, wie weit sie damit kommen. Ist es euch möglich, davon ein Zimmer zu bezahlen, Pelzmäntei und elegante Abendkleider zu haben, und dann noch von diesen 150 Mark so viel übrig zu behalten, daß ihr soviel VerGilgis gnügungen mitmachen könnt wie Gilgi ? Woche muß scheinbar 14 Abende haben, denn sonst wäre es mohl nicht möglich, in einer Woche so viel zu erledigen wie sie. Sie nimmt Unterricht von fremden Sprachen, ist in ihrem Zimmer, findet Zeit für ihre Freundin, kann abends noch Schreib maschine schreiben gehen, macht die verschiedenen Vergnügungen mit und tann noch mit ihrer Pflegemutter fortgehen. Eigenartig.
-
Die heutige Jugend sieht in ihren Erziehern nicht mehr die Unfehlbaren, die, denen sie blindlings zu gehorchen hat, aber von einer so großen Oberflächlichkeit und Undankbarkeit, wie wir sie bei Gilgi finden, kann nicht die Rede sein. Wir verlassen nicht grundlos die Eltern, denn als Grund fann man doch nicht den Merger des Pflegevaters ansehen, und wenn das schon verständlich wäre, fo fände ich es mindestens angebracht, daß sie fich wenigstens einmal nach ihren Eltern umsieht. Auch Eltern verschwinden nicht plötzlich von der Bildfläche, keine Eltern, auch nicht Gilgis, wie sie beschrieben sind.
Gilgis Benehmen der richtigen Mutter gegenüber ist zu lächerlich, als daß man sich darüber aufregen fönnte. Eine gnädige Frau" erscheint nicht auf Befehl eines Menschen, den sie gar nicht kennt, ein Dienstmädchen läßt sich nicht so leicht verblüffen, ein Mädel von uns geht nicht durch wildfremde Zimmer. Vielleicht ein Mensch, der sich zu seiner Mutter hingezogen fühlt, der seine Mutter sucht, aber Gilgi ? Man überlegt sich auch nicht, was man wohl am besten stehlen soll, oder es ist höchst verwerflich, was aber nicht hervor geht. Dann die Szene zwischen Mutter und Tochter? Mehr als Kitsch.
-
Martin. Soll Martin ein Mensch oder eine tote Puppe sein? Die Charakterisierung von diesem Manne ist ausgesprochen schlecht, oder besser gesagt gar nicht da. Was man von ihm erfährt, ist herzlich wenig, nur daß ihn Gilgi finnlos liebt, aber das Wenige schließt auf allergrößte Oberflächlichkeit. Dann eine Frage: Wovon leben denn die beiden eigentlich? Geld woher? Nebensache! Schulden, Stempelgeld. Mehr erfährt
-
man nicht.
Warum ist denn die einzige Arbeiterin in dem Die ganzen Roman so schlecht beschrieben? Näherin. Schmuzig, verfommen, liederlich, ist es eine Schande, Schneiderin zu sein? Freilich, so eine Garderobe und Aufmachung wie Gilgi es sich mit 150 Mark leisten kann, werden wir bei einer Arbeiterin wohl kaum finden.
"
Die Schriftstellerin hat verschiedene Fehler gemacht, begreiflich, aber der Vorwärts", das sozialdemokratische Blatt, das wissen müßte, wie es in der Welt wirklich zugeht, darf diese Fehler nicht durchgehen lassen. Erstens, schon nicht schön, daß wir monatelang mit solch einer Geschichte beglückt werden, zweitens wird die Jugend falsch erzogen. Ich weiß es von Arbeitersportlerinnen, daß sie sagten: Machen wir es doch wie die Gilgi ." Eine andere sagte mir:„ Ach du meinst die Geschichte Don den Abendkleidern, dem Pyjama und ohne Pyjama. Drittens dürfen wir aber auch unseren Arbeitgebern nicht mit Gewalt die Waffen in die Hand drücken. Ganz flar und deutlich geht aus Gilgis Lebensgeschichte hervor,
"
daß sie viel mit dem Gelde anfangen kann und daß sie viel Zeit hat und viel Kraft. Acht Stunden Arbeitszeit brauchen noch nicht alle Kraft auf, fie fann noch des Abends für andere schreiben, marum soll der Arbeitgeber nicht noch dies bissel Kraft für weniger Lohn nehmen?
Ich habe die Geschichte noch nicht zu Ende ge= lesen, aber ich möchte der ,, Borwärts"-Redaktion fagen, auch wenn zum Schluß fommt, Gilgi mird Sozialistin, so bleibt sie nach wie vor ein unmirkliches, gemachtes, versucht modernes Mädchen, das egoistisch, trotz der 500 Mark, durch das 20. Jahrhundert läuft. Ich hoffe, daß sich unsere SAJ.- Mädels fein Beispiel nehmen, und noch mehr hoffe ich, daß der Vorwärts" seinen Lesern nicht noch einmal so eine Geschichte bringt, so etmas mollen mir nur dem Kino überlassen, zwei Stunden kann man eher so eimas vertragen, als Monate hindurch lesen! Es gibt bestimmt genug bessere Romane, selbst die ,, Berliner Morgenpost " bringt zum Teil bessere Sachen, und so ein Armutszeugnis wollen mir uns nicht ausstellen.
Ich hafte es für ganz gut, menn Sie wissen, mie alt ich bin, denn das Alter ändert an Urteilen ja ziemlich viel. Ich bin 17 Jahre. Freiheit!
Ja!
Gerda Backhaus.
Ist Gilgi eine von uns? Ja, sie ist eine von uns. Und marum? Zunächst gehört sie zu den Deflassierten, Enterbten, zu den unehelichen Nachkommen. Weiter, es liegt in ihr die Sehnsucht nach einem anderen Leben, das zwar noch unklar ist, das sie aber mit ihrer ganzen Kraft gestalten und verwirklichen möchte. Daher konnte sie in den fleinbürgerlichen Verhältnissen bei Krons nicht mehr atmen. Der Liebe Lust und Leid blieben ihr nicht erspart, mie einer jeden von uns. Gehört sie deshalb nicht erst recht zu uns? hat sie in ihrer Stellung nicht alles durchkosten müssen, mas auch uns alle nicht erspart blieb? Fühlt sie nicht die Atmosphäre der Stempelstelle genau wie eine jede von uns? Fühlt sie sich nicht verantwortlich, anderen zu helfen? Brachte sie nicht für Herta Hans das große Opfer, und brach sie nicht seelisch zusammen als ihr das nicht gelang? Ging fie nicht, alle Brücken hinter sich abbrechend, im Bemußtsein ihrer Mutterschaft mit freudiger Sicher heit in die Zukunft hinein?
Und wenn wir so Gilgis Schicksal betrachten, ist es nicht das Schicksal von Zehntausenden, ja von Hunderttausenden von uns? Und deshalb ist sie eine von uns. Zwar noch nicht durch das letzte Band einer festen Organisation verbunden, gleich den Hunderttausenden von uns, die noch zu erfassen sind. Und weil in Gilgi der kämpferische Funke lebt, wird sie auch in diesem Sinne eine von uns sein.
Es scheint mir von Bedeutung, diese Seite des von dichterischer Kraft zeugenden Romans zu be= tonen. Um so stärker, als sich die Diskussion um Gilgi bisher in unfruchtbaren Bahnen bewegte. Martha Hoffmann.
Noch nicht!
PT
Der„ Borwärts" verdient Anerkennung, daß er uns mit Gilgi ", einem ausgezeichneten Werk mo derner Unterhaltungsliteratur von Iringard Keun, bekannt macht. Mit einem Wert, das mit flotten sicheren Strichen und scharfer, humorgewürzter Beobachtung, an einigen abenteuerlichen Seichtig feiten vorbei, spannend den Jugendtyp einer sozialen Mittelschicht schildert, die proletarisch ver
machsen und verwurzelt, aber mit falschen bürgerlichen Idealen belastet ist und unwissend abseits steht vom Kampf und Aufstieg einer neuen sozia listischen Gesellschaft. In Gilgi , der Titelheldin. verförpern fidh Kräfte und Fähigkeiten, die sich, entwicklungsgeschichtlich gesehen, noch im Stadium der Gefühlsmäßigkeit befinden, sich aber intelleftuell entwickeln werden und den Anschluß an den großen Kampf für eine geredere soziale Gesellfchaftsordnung finden müssen.
Mit großem Interesse verfolgen wir Gilgis Lebensgang, wie ihn die Verfasserin dem Leben ablauschte und mit großem Erzählertalent in fünstlerische Form brachte.
Marie Döscher.
Dank an Frau Langhans
Sehr geehrte Frau Langhans!
"
Auch wir sind Abonnenten des ,, Bormärts" und Leser des Gilgi- Romans. Wir beglückwünschen Sie wegen Ihres gesunden Urteils. Schon nad) den ersten Fortsetzungen waren wir uns einig darin, daß der Roman die Bezeichnung Kitsch" redlich verdient. Wenn wir dennoch jeden Morgen die neuen Romanabschnitte lasen, so geschah es nur, weil wir uns über die vielen Widersprüche in der Handlung und Charakterzeichnung amüsierten. Es ist aber ein trauriges Zeichen unserer Zeit, daß mit redlicher Arbeit sehr wenig verdient wird, der kitsch und die Sensation aber immer noch Erfolg haben. Freiheit! Mit Hochatung Friedrich Huth und Frau.
Ich war frumm und steif
Seit 16 Jahren litt ich an chronischem Ge= lenkrheumatismus. Jch war ganz krumm und steif vom Kopf bis zum Fuß. Ich war soweit, daß niemand glaubte, daß ich wieder auf die Beine käme. Seit ich ZinsserRheumatismus- Tee trinke, bin ich soweit hergestellt, daß ich meine Arbeit wieder machen kann. 50000
Lisette Scholt, Altendambach( Schleusingen - Land)
Zinser Rheuma- Tee
ist ein vorzügliches Mittel bei Rheumatis mus , Gicht, Jschias, Gliederreißen, Neuralgien, Herenschuß und Kreuzschmerzen. Baket Mk. 1.62, verstärkt( D.R.P. a.) Mk. 2.25. In vielen Apotheken zu haben, sonst direkt. ( Versand- Apotheke.) Verlangen Sie aber ausdrücklich„ Zinsser" und achten Sie auf nebenstehende Schugmarke.
G.m.